Citizen Science: Eine Chance für Bibliotheken
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Number of Parts | 43 | |
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License | CC Attribution - NonCommercial - NoDerivatives 3.0 Germany: You are free to use, copy, distribute and transmit the work or content in unchanged form for any legal and non-commercial purpose as long as the work is attributed to the author in the manner specified by the author or licensor. | |
Identifiers | 10.5446/55620 (DOI) | |
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Transcript: German(auto-generated)
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Ausgangspunkt der folgenden programmatischen Überlegungen sind die praktischen Erfahrungen der Zentralbibliothek Zürich, der ZB, bei der Konzeption und Umsetzung des Schlüsselprojekts Citizen Science seit 2020. Schlüsselprojekte sind bei uns einfach besonders wichtige Projekte. Es gibt Schlüsselprojekte und Projekte. Ziel ist allerdings nicht
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eine Projektvorstellung. Vielmehr möchte ich mit diesem Hinweis die Schwerpunktsetzung des heutigen Vortrags offenlegen. Die ZB hat einen doppelten Auftrag als Stadt- und Kantonsbibliothek einerseits, in Deutschland wäre das eine Landesbibliothek, als Universitätsbibliothek
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andererseits. Sie verfügt über die namhaftesten Altbestände am Platz Zürich. Diese werden kontinuierlich digitalisiert und auf den kooperativen Schweizer Plattformen zur Verfügung gestellt. Das Sammeln von Turizensia, das ist Literatur aus und über Zürich, gehört zum
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Kernauftrag. Bei der Informationsversorgung der Universität Zürich setzt die ZB im Rahmen einer Aufgabenteilung mit anderen Wissenschaftlinbibliotheken vor Ort den Schwerpunkt bei Geists- und Sozialwissenschaften.
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Jetzt habe ich da die Folie vergessen. Also hier nochmals Retrospektiv. Ich bin ja Historiker. Jetzt aber geht es gleichzeitig Folien und Text. Citizen Science wird in diesem Vortrag verstanden als die Zusammenarbeit von professionell und ehrenamtlich tätigen
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Forschenden im gesamten Forschungskreislauf. Von der Entwicklung wissenschaftlicher Fragestellungen über die Sammlung, Analyse und Interpretation von Daten bis hin zur Publikation der Ergebnisse. Citizen Science in diesem Sinne ist Teil des umfassenden Paradigmas von Open Science.
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Im aktuellen Diskurs über Citizen Science fällt ein Übergewicht von Medizin und Naturwissenschaften auf. Forschung außerhalb der Universitäten hat in den Geisteswissenschaften jedoch eine lange Tradition. Begünstigt von den neuen Möglichkeiten des digitalen
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Zeitalters häufen sich jüngst auch in den Geisteswissenschaften Initiativen, bei denen hauptamtlich Forschende und Freiwillige zusammenkommen. Eva Bunge stand vor fünf Jahren bei ihrer Masterarbeit noch vor Schwierigkeiten, überhaupt Beispiele, eine
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viel zitierte Masterarbeit. Sie hatte noch Schwierigkeiten, überhaupt Beispiele für Citizen Science in deutschen Bibliotheken zu finden. Allerdings hat sie Crowdsourcing ausgeklammert. Seither ist im deutschen Sprachraum die Landschaft vielfältiger geworden, wobei sich vor allem die SLUB Dresden also sehr aktiv profiliert hat.
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Die Projekte der SLUB Dresden nutzen den Regionalbezug zu Sachsen als Chance und bestätigen zugleich Bunges Einschätzung, dass Citizen Science in Bibliotheken stark an den Beständen orientiert ist. Wenn man sich allerdings Citizen Science in Bibliotheken
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vergegenwärtig dominiert, weiterhin das Crowdsourcing, das heißt die Einbindung der Citizens bei der Ermittlung zusätzlicher Datenpunkte oder bei der Klassifikation von Materialien. In Bezug auf ambitioniertere und komplexere Formen von Citizen Science. Ich erinnere an die Folie von Thomas Karstädt am Anfang, die bis hin zu
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Extreme Citizen Science vier Stufen unterschieden hat. Im Hinblick auf diese komplexeren Formen von Citizen Science gibt es in Bibliotheken nach wie vor viel Luft nach oben. Ich möchte nun drei Thesen formulieren zu den Chancen, die Citizen Science den
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Bibliotheken bietet. In der Literatur wird oft mit bedauerndem Unterton festgestellt, dass gerade in geisteswissenschaftlichen Citizen Science Projekten nur Personen mitmachen, die bereits eine akademische Ausbildung und eigene Erfahrung im wissenschaftlichen Arbeiten mitbringen, dass es
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Personen sind, die bereits zum Stammpublikum von Kultureinstitutionen gehören. Es wird also bedauert, dass die mit Citizen Science verbundene Hoffnung auf Demokratisierung von Wissenschaft sich nicht erfüllt. Aus Sicht einer Bibliothek wie der ZB ist diese Nachricht jedoch gar nicht so schlecht,
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denn im Wesentlichen entspricht das Soziogramm der Personen, die sich erfahrungsgemäß an Citizen Science beteiligen, der Beschreibung unserer eingeschriebenen Nutzerinnen und Nutzer. Das sind über 250.000, wovon im Jahr 2020 über 40.000
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tatsächlich aktiv waren. Die Citizen Scientists sind also schon da, also unsere Kundinnen und Kunden. Bisherige Studien zeigen, dass geisteswissenschaftliche Citizen Science Projekte dann gelingen, wenn sie lokales Wissen anzapfen
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und den Trägerinnen und Trägern dieses Wissens eine Gelegenheit geben, dieses in gesellschaftliche Debatten oder in die Forschung einzubringen. Kurz, es geht darum, an die Lebenswelt und an die schon vorhandene Motivation der Citizens
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anzuknüpfen. Es bieten sich somit zwei Ansätze für Citizen Science an. Zum einen tragen professionell Forschende Fragen an die Bibliotheksbestände heran, die eine Erschließungstiefe erfordern, die heute noch
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nicht gegeben ist. Die Citizens können dann mit ihrem spezifischen Wissen und lokalen Kenntnissen unterstützen, indem sie im Rahmen von Crowdsourcing Daten verbessern, ergänzen oder überhaupt erst generieren. Die Rolle der Bibliothek ist es dann, die notwendigen
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Tools bereitzustellen, sei es für die Transkription von Dokumenten, die Verbesserung von Bildbeschreibungen oder die Georeferenzierung von Karten. Zum anderen können es die Citizens selbst sein, die mit ihren Interessen, Schwerpunkten, Trends setzen und in Auseinandersetzung mit
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Bibliotheksbeständen Wissen generieren. Die Zentralbibliothek experimentiert gegenwärtig im Projekt Schulzeitreisen damit, gemeinsam mit Lehrpersonen Materialien für den digitalen Schulunterricht zu erstellen und das Open Educational Resources auf der eigenen Website zu publizieren.
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Den nächsten Schritt scheint noch keine Bibliothek gewagt zu haben, nämlich die Auswahl des zu digitalisierten Kulturerbes den Citizen-Scientists zu überlassen. Eine grundlegende
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Herausforderung von Projekten besteht in der Sicherung ihrer Ergebnisse über das Projektende hinaus. Ist es schon bei klassischen wissenschaftlichen Projekten mit befristet eingestelltem Personal und zeitlich begrenzter Förderung der Fall, gilt dies umso mehr für Citizen-Science-Projekte, die wesentlich auf freiwilligem Engagement
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von ehrenamtlichen Forschenden aufbauen. Hier eröffnet sich wissenschaftlichen Bibliotheken eine zweite Chance, denn die Infrastrukturen der Bibliotheken sind auf Dauer angelegt. Im besten Fall werden die ohnehin in der bibliothekarischen Arbeit genutzten
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Tools in geeigneter Form für die Citizens geöffnet, die Ergebnisse unmittelbar in den bestehenden nachhaltig gepflegten Infrastrukturen produziert und am Ende des Prozesses in die digitale Langzeitarchivierung überführt. So wird das beispielsweise in der Schweiz beim Transkribieren auf der
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Plattform e-Manuskripta gehandhabt. In Ansätzen realisiert ist die Öffnung von Blogs und Publikationsservern, die von wissenschaftlichen Bibliotheken verantwortet werden, für die Veröffentlichung der Ergebnisse von Citizen-Science-Projekten.
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Hinzuzufügen ist, dass nicht nur die technischen Infrastrukturen der Bibliotheken auf Langfristigkeit angelegt sind. Auch bei der Aufgabenwahrnehmung von Sammlungsverantwortlichen ist Kontinuität in aller Regel garantiert. Die Massendigitalisierung ihrer
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Bestände durch die Bibliotheken eröffnet ein drittes Bündel von Chancen. Je offener die Lizenz und je transparenter die Bedingungen der Nachnutzung für die Digitalisate formuliert sind, desto aussichtsreicher sind die Perspektiven. Citizen-Science-Projekte profitieren
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zunächst in gleicher Weise von der Digitalisierung, der Open-Science- Bewegung und den Fair-Data-Prinzipien wie die Digital Humanities überhaupt. Doch der zeitlich und räumlich unbegrenzte Zugang zu den Quellen erleichtert nicht nur professionellen Einzelforschenden ihre Arbeit.
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Digitalisate und maschinenlesbare Daten lassen auch Formen kollaborativen Annotierens, Kontextualisierens und Analisierens zu, die in der analogen Welt der Sonderlesesäle nicht umsetzbar wären. Das gilt insbesondere dann, wenn Bibliotheken die Voraussetzung schaffen, Institutionen
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übergreifende digitale Kollektionen und Corpora zu bilden, anhand derer eine Forschungsfrage bearbeitet wird. Als Stichwort möge die Digitalisierung genügen. Crowdsourcing ist ein geeignetes Mittel, Daten zu generieren oder die Datenqualität zu
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verbessern. Transkribieren, klassifizieren und taggen können bestimmte Arten von Analysen überhaupt erst ermöglichen und auch ausreichend grosse Corpora
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und Trainingsdaten voraus. Hierfür steht das Symbolbild. In einem Projekt zur Digitalisierung finnischer Zeitungen leisten Citizen Scientists einen relevanten Beitrag zum Training der Modelle, mit denen die automatische Layouterkennung und die Segmentierung dieser Zeitungen auf
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Artikel-Ebene erfolgt. Last but not least können Citizen Scientists Fragestellungen entwickeln oder mitentwickeln, die an die nun mehr in digitalisierter Form zugänglichen Bestände gestellt werden. Ich komme zum Schluss.
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Für Citizen Science Projekte in Wissenschaftlichen Bibliotheken ist ein starker Bestandsbezug typisch. Dabei wird die fachliche Kompetenz des Bibliothekspersonals in Projektdesign und Durchführung fruchtbar gemacht. Hat die Wissenschaftliche Bibliothek einen doppelten
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Auftrag als Universitätsbibliothek einerseits, als Landes-, Regional- oder Stadtbibliothek andererseits, eröffnet der lokale Bezug des Bestands zusätzliche Chancen. Denn die Möglichkeit, spezifisches Wissen einzubringen, ist ein zentraler Motivationsfaktor,
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sich an einem geisteswissenschaftlichen Citizen Science Projekt zu beteiligen. Die Citizens und die Scientists sind in Wissenschaftlichen Bibliotheken also schon da, als Kundinnen und Kunden. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, sie bei ihrer Motivation zu packen. Der Fokus auf die eigenen
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Sammlungen bildet allerdings auch eine Grenze für die Citizen Science Aktivitäten von wissenschaftlichen Bibliotheken. Denn Forschung geht in aller Regel von einer Fragestellung aus, nicht von einem Bestand. Hier ist der Schritt aus der Welt des Analogen hinaus entscheidend. Stellen wissenschaftliche Bibliotheken
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ihre analogen Bestände nach Best Practice digital bereit, schaffen sie die Grundlage für institutionenübergreifende Corpora, die in Citizen Science ebenso wie in klassischen Forschungsprojekten genutzt werden können. Die Bereitstellung von Tools für Citizen Science und zur nachhaltigen
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Sicherung von Projektergebnissen ist ein drittes zukunftsträchtiges Tätigkeitsfeld für Bibliotheken, bei dem sie ihre traditionellen Stärken als neutrale Infrastrukturen und glaubwürdige Garanten von Stabilität in einer von raschen Veränderungen geprägten digitalen Welt ausspielen können.
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Citizen Science ist geeignet, die Position von Bibliotheken als Vermittler zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu stärken. Ergreifen wir diese Chance.