Nevali Çori - Forschungen zum akeramischen Neolithikum im Vorderen Orient
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Identifiers | 10.3203/IWF/G-264 (DOI) | |
IWF Signature | G 264 | |
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Production Year | 1996 |
Technical Metadata
IWF Technical Data | Video ; F, 45 min |
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Transcript: German(auto-generated)
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Ingellandschaft im Südosten der Türkei zwischen der Herranebene und den Bergen des östlichen Taurus. Soweit das Auge reicht, sängende Hitze, Dürre, braun-gelbe Erde.
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Das war nicht immer so. Nach Erkenntnissen von Geografen und Botanikern war das Klima nach dem Ende der letzten Eiszeit etwas feuchter. Vor rund 10.000 Jahren breitete sich hier wohl eine Halbsteppe aus, die günstige Bedingungen für eine Besiedelung bot.
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Diese Region liegt am Nordrand des sogenannten fruchtbaren Halbmondes. Er gilt als Kerngebiet frühneolithischer Besiedelungen, wie Grabungen z.B. in Jericho, Morébet und Cheyenne überlegt haben. Der Fundort Nevali-Chori am türkischen Euphrat trägt nun Wesentliches zum Verständnis dieser Frühphase unserer Zivilisation bei.
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Im fruchtbaren Halbmond soll der Übergang von der Stufe der Jäger und Sammler zur Sesshaftwerdung und planvollen bäuerlichen Nahrungserzeugung stattgefunden haben. Dieser langwierige Vorgang, üblicherweise als neolithische Revolution bezeichnet, gilt als der erste große Schritt zu unserer heutigen Zivilisation.
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Der Euphrat ist die Lebensalter dieser Region. Er wurde zu Beginn der 90er Jahre zum großen Atatürksee aufgestaut. Vor der Flutung der Seitenteele führte 1991 ein deutsch-türkisches Archäologenteam hier eine Notgrabung zu Ende.
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Entdeckt wurde Nevali-Chori das Tal der Pest schon 1979. Die erste von sieben Grabungen fand 1983 statt.
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Unter bronzezeitlichen Kulturschichten kam eine Siedlung mit Grundmauern massiver Gebäude zum Vorschein. Sie ließ sich dem Akeramischen Neolithikum zuordnen, der frühesten Phase der Jungsteinzeit, rund 10.000 Jahre alt. Von zentraler Bedeutung war die Untersuchung dieses Bauwerks.
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Seine Größe und Ausstattung ließen vermuten, dass es sich um einen steinzeitlichen Kultbau handelte, den ältesten, den man je gefunden hat. Diese Grabung versprach also nicht nur Erkenntnis darüber, wie eine solche frühe Siedlungsform aufgebaut war, wovon und wie man hier gelebt hat, sondern auch Aufschlüsse über bisher unbekannte kultische Vorstellungen und Rituale.
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Grabungsleiter ist Professor Harald Hauptmann vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Heidelberg.
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Die Ausgrabung wird gemeinsam mit dem Museum der Stadt Urfa unter seinem Direktor Adnan Misir durchgeführt. Rund 20 Wissenschaftler und Studenten sind beteiligt, sowie 30 Arbeiter aus der Umgebung. Das herannahende Wasser des Stausees zwingt zur Eile. Beim Abtragen von Oberflächen Schutt, gelegentlich sogar zum Arbeiten mit der großen Hacke.
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Nach Ende dieser Kampagne wird der Grabungsort unwiederbringlich unter den Wassermassen versinken. Umso wichtiger ist die genaue Dokumentation aller Schichten, die nach und nach abgetragen werden.
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Die Steinlagen werden detailliert gezeichnet. Die baugeschichtliche Auswertung erfolgt später am Deutschen Archäologischen Institut in Istanbul. Besonderer Wert wird auf die fotografische Dokumentation gelegt.
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Zeitweise ist auch ein Fotospezialist im Team. Die großformatigen Aufnahmen sind wichtiger Bestandteil der Dokumentation. Eine Kamera wird montiert.
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Der Fototurm mit Auslegearm ist eine Spezialentwicklung des Instituts für Baugeschichte in Karlsruhe. Er erlaubt Aufsichtaufnahmen aus über 6 Metern Höhe.
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An manchen Abenden, wenn Wind aufkommt, lässt das Team einen Drachen steigen. An die Leine wird eine ferngesteuerte Fotokamera gehängt.
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Sie ermöglicht Aufnahmen aus großer Höhe.
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Die Luftaufnahmen bieten einen guten Überblick über das Gesamtareal. Die Siedlung, links der Kultbereich, hat eine Ausdehnung von 90 Metern Länge und 40 Metern Breite. Sie lag ursprünglich am Kantara-Bach, der sich heute 10 Meter tief eingegraben hat.
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Damals floss er noch auf der Höhe der Siedlung. Die massiven, langrechteckigen Hausfundamente sind nach einem einheitlichen Bauplan errichtet. Sie sind bis zu 19 Meter lang und 6,50 Meter breit.
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Die Außenmauern bis zu 60 Zentimeter dick. Die meisten Bauten weisen Kanäle auf, die die unterste Steinlage regelmäßig in Abständen von 1,20 bis 1,50 Meter durchziehen. Ihre Ränder sind sorgfältig gesetzt.
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Die Kanäle waren mit Steinplatten abgedeckt. Darüber lag eine ausgleichende Fußbodenkonstruktion aus Göröll-Material und einem Lehm-Klappstrich.
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Die Kanäle gingen durch die Mauern hindurch und standen nach außen offen. Die Bauten mit Unterbodenkanälen haben ca. 1,50 Meter auf 2,50 Meter große Kammern.
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Das Fehlen von Einrichtungsgegenständen und die geringe Zahl von Kleinfunden legt nahe, dass diese Häuser keine Wohnhäuser waren, sondern Speicherbauten. Wahrscheinlich wurden in ihnen Vorräte aufbewahrt, die durch die Unterbodenkanäle gekühlt wurden.
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Für diese frühe Phase der Sesshaftwerdung war die ausgeklügelte Bauweise jedenfalls eine echte Überraschung. Unterbodenkanäle wie diese sind erst Jahrtausende später wieder nachweisbar.
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Dieses 12 x 5,90 Meter große Haus war in sechs Räume unterteilt. Zwei Herdstellen und eine Röstgrube weisen auf eine Nutzung als Wohnung hin. Arbeitsgeräte wie Mörser, bearbeitete Steine und Fragmente von Kalksteinfigurchen lassen darauf schließen, dass zumindest
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ein Raum als Werkstätte genutzt wurde, in der Feuersteingeräte, Schmuck und Steinfiguren gefertigt wurden. Um eine Vorstellung vom Gesamteindruck eines solchen Gebäudes zu erhalten, wurde jedem Hinweis im Umkreis der Fundamente nachgegangen.
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Vor einem der Häuser, dessen Außenmauer noch bis zu einer Höhe von 80 cm erhalten war, fanden sich Bruchstücke des nach außen gekippten Maueraufbaus. Daraus kann auf eine Gesamtmauerhöhe von mindestens 1,80 Meter geschlossen werden.
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Solche Pfostenlöcher finden sich in regelmäßigen Abständen vor den Längsseiten der Gebäude. Vermutlich dienten sie zur Verankerung von Holzstützen für die Dachkonstruktion. Ein wesentliches Hilfsmittel, um solche Detailfragen später klären zu können, sind die penibel geführten Grabungstagebücher.
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Sie werden auch die Zuordnung der Bauten zu den verschiedenen Siedlungsschichten ermöglichen.
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An seinem Computer analysiert der Heidelberger Archäologe Dr. Klaus Schmidt die einzelnen Bauphasen. Die Erstellung eines speziellen Software und die Erfassung der Daten nahmen über ein Jahr in Anspruch.
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In verschiedenen Farben die einzelnen Bauabschnitte. In Magenta die älteste Schicht, rund 10.500 Jahre alt. Links wieder der Kultbau. Schicht 2 kommt Hellblau hinzu.
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Insgesamt lassen sich in den über 2 Meter starken Neolithischen Kulturablagerungen 5 Siedlungsschichten mit 27 Bauten unterscheiden. Schicht 3 Grün und Schicht 4 Gelb zeigen die größte Ausdehnung der Siedlung.
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Auffallend ist, dass die Häuser zumeist auf den gleichen Stellen mit gleicher Fluchtung errichtet wurden. Ihre Ausrichtung orientierte sich vermutlich am Bachlauf. Ein Rekonstruktionsversuch. So könnten die Bauten ausgesehen haben.
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Ob aber die Häuser mit einer leichten Konstruktion aus Holz, Lehm oder Schilf gedeckt waren, oder eher das heute noch in Anatolien übliche Flachdach aufwiesen, ist aus den Befunden nicht mehr zu entnehmen. In der Zentraldatenbank wird auch erfasst, wie sich die Kleinfunde über das Gelände verteilten.
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Zum Beispiel Werkzeuge, Geschossspitzen oder Knochen. Insgesamt wurden rund 390.000 Objekte erfasst und nach Fundgruppen gegliedert. Voraussetzung dafür war die systematische Erfassung des Erdaushubs während der verschiedenen Grabungskampagnen. Jeder noch so kleine Fund ist aufschlussreich für die steinzeitliche Lebensweise.
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Alle Erdeimer werden mit einem Markierungstäfelchen versehen. Nur so kann die fast unüberschaubare Menge von allein 300.000 litischen Artefakten bewältigt werden.
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Auf einer selbstgebauten Seilbahn werden täglich hunderte von Erdkörben zum Bach hinunter befördert. In fast jedem befinden sich Kleinfunde, vor allem Geräte aus Feuerstein, der in der nächsten Umgebung von Nevalichori anstand.
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Andere Rohmaterialien wie Obsidian und Quarzit spielten keine Rolle. Der Kantarabach wurde aufgestaut, um das Fundmaterial zu schlemmen.
13:07
Zu etwa 90% bestehen die litischen Artefakte aus Abfällen bei der Herstellung von Steingeräten. Sogenannten unretuschierten Abschlägen, die nur das geübte Auge von unbearbeiteten Gestein unterscheiden kann.
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Die hochwertigsten Artefakte, die beim Schlemmen zutage kamen, werden an Ort und Stelle erfasst. Als Grundlage für die spätere zentrale Datenbank werden Fundsituation, Bauschicht und Rohmaterial per Computer aufgelistet.
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Den Schwerpunkt der Untersuchungen bildeten solche Geschossspitzen aus Feuerstein, die typologisch am sichersten einzustufen sind.
14:02
Eine Expertenrunde im südhessischen Wembach. Bei Prof. Gary Rolefsson, dem Ausgräber von Eingasall, treffen sich Steingerätespezialisten verschiedener Grabungen regelmäßig zum Erfahrungsaustausch. Auch die aus Nevalichuri.
14:24
Ein wesentliches Ziel dieser Workshops ist das Festlegen einer gemeinsamen Terminologie für Steingeräte und die computerunterstützte Standardisierung im nach dem Tagungsort benannten Wembachmodul.
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Anhand der zahlreichen Fundstücke aus Eingasall wird diskutiert, welchen Zwecken die Steingeräte gedient haben mögen. Für Nevalichuri ist die Vielzahl an Jagdwaffen charakteristisch, die die Bedeutung der Jagd für die Ernährung der Bewohner unterstreicht.
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Gefunden wurden aber auch etliche Klingen mit einem kantenparallenen Glanzstreifen, der durch das Abschneiden von Gräsern entsteht. Ein Hinweis für das Abernten zumindest von Wildgräsern, vielleicht auch von Kulturpflanzen. Die Steingeräte-Analyse wurde bereits in der Türkei weitgehend abgeschlossen.
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Ihre Typologisierung hat, zusammen mit Radiokarbondaten, die Datierung Nevalichuris konkretisiert. Die älteste Schicht stammt von 8500 v. Chr. aus dem vorkeramischen Neolithicum Stufe B.
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Neben Steingeräten liefern auch andere Kleinfunde wertvolle Aufschlüsse, vor allem Tierknochen. Einige Kisten voller Knochen wurden zur Auswertung an das Institut für Paleoanatomie und Domestikationsforschung der Universität München geliefert.
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Mit Hilfe der morphologisch vergleichenden Methode beurteilt Prof. Angela von den Dries um welchen Knochen welcher Tierart es sich handelt. Das erfordert viel Erfahrung, um so mehr als die Fundstücke zumeist stark beschädigt sind.
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Dieser Gehirnrest stammt von einer Garzelle. Die Bewohner von Nevalichuri deckten ihren Fleischbedarf vorwiegend durch dieses Jagdwild. Während jedoch in der ältesten Schicht um 8500 der Anteil der Garzellenknochen noch 60 % beträgt, geht er in den jüngeren Schichten um 7500 auf 40% zurück.
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Das deckt sich mit den Ergebnissen vergleichbarer Grabungen. Rund 15.000 Exemplare der verschiedensten Arten können zur Vergleichstypologisierung herangezogen werden.
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In diesem Fall geht es um Wildschaf und Wildziege. Im Nevalichuri-Material vor allem in den jüngeren Schichten finden sich etliche Knochen gleichen Typs. Einige Knochen sind aber wesentlich kleiner, was typisch ist für den Übergang von Wild zu Haustieren.
17:23
Neben die rückläufige Garzellenjagd trat offenbar zunehmend die Jagd auf wilde Ziegen, Schafe und Schweine. Im Zuge dieser Entwicklung kam es zur Domestizierung zumindest von Schaf und Ziege, vielleicht bereits auch von Schweinen. Im Nahen Osten wurden diese Tiere erstmals Bestandteil bäuerlichen Wirtschaftens.
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Gleiches könnte eventuell auch schon für das Tier gelten, von dem diese Fragmente eines großen Knochens stammen. Es handelt sich um den Ur- oder Aueruchsen, den Vorläufer des Hausrindes.
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Nachgewiesen wurde auch der Haushund, der als unbestritten ältestes domestiziertes Tier bereits in der Altsteinzeit auftritt. Alle Tierknochen wurden mit einem speziell dafür entwickelten Computerprogramm erfasst, dem Ossobuk.
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Schiebleere und Waage sind direkt mit dem Computer verbunden. Die ermittelten Werte werden automatisch eingelesen. Neben Tierart, Alter, Größe und Gewicht wird auch die Verteilung der Funde erfasst.
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Der Vorteil liegt weniger in einer Zeitersparnis, als darin, vielen Detailfragen gezielt nachgehen zu können. Mit Hilfe des Datenbankprogramms lassen sich die unterschiedlichsten Korrelationen abrufen, sortiert nach Tierarten, Fundstellen und Siedlungsschichten.
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Im Hausbereich fanden sich viele isolierte Zehenknochen von Garzellen. Sie stammen vermutlich nicht von Nahrungsresten, sondern von Fällen, auf denen die Bewohner saßen oder schliefen. Die meisten Knochen wurden in eigens angelegten Gruben entsorgt.
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Im Wohnhaus und seinem Umkreis fanden sich nur wenige kleine Knochen. Dies weist auf bewusste Hygienemaßnahmen und somit auf ein relativ hohes kulturelles Niveau der Bewohner hin. Die Arbeit mit dem Computer erleichtert zwar die Auswertung, ersetzt aber nicht die sachkundige Identifikation jedes einzelnen Knochens durch die morphologisch vergleichende Methode.
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Neben weiteren Jagdtierarten wie Fuchs, Dachs, Rothirsch oder Hase fanden sich in Nevalichori auf Vogelknochen, allerdings in geringer Zahl.
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Aus ihrer Bestimmung lassen sich Rückschlüsse auf Klima und Umwelt ziehen. So ergaben die Untersuchungen, dass die Höhenzüge im Umkreis von Nevalichori wohl steppenartig bewachsen waren. Es fanden sich zum Beispiel Knochen der Großtrappe.
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Die Großtrappe ist mit ihren kräftigen Läufen ein ganz typischer Steppenvogel. Wenngleich heute Abholzung, Überweidung und Erosion die Landschaft ausgezehrt haben, bot vor rund 10.000 Jahren eine
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relativ fruchtbare Steppenlandschaft mit Auwäldern in den Tälern nicht nur reichen Tierbestand, sondern auch eine vielfältige Pflanzenwelt. Die gebirgigen und regenreichen Randzonen des fruchtbaren Halbmondes gelten als Ursprungsgebiet der Wildformen unserer heutigen Getreidearten.
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Gab es in Nevalichori neben der Jagd bereits Frühformen von Ackerbau? Rainer Pastanak, Archäobotaniker aus Kiel, geht mit einem besonders feinmaschigen Schlemmsieb genau dieser Frage nach.
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Er filtert Erde aus der Umgebung der Häuser aus, um Hinweise auf die Existenz spezieller Kulturpflanzen zu erhalten, die sich von den Wildformen deutlich unterscheiden. Immer wieder findet er Bruchstücke verkohlter Pflanzenreste.
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Die 300 Proben werden bei der späteren paleopotanischen Untersuchung in Kiel nochmals nachgewaschen und getrocknet. Die Proben umfassen rund 35.000 Pfund Stücke, die fast durchweg verkohlt sind und sich dadurch über die Jahrtausende erhalten haben.
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Sie belegen, dass seit dem frühesten Zeitpunkt der Besiedlung Hülsenfrüchte angebaut wurden, wie zum Beispiel diese Erbsen. Sie waren dicht in der Schote gepackt, wie die Eindellungen zeigen.
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Das aber bedeutet, dass es sich bereits um voll entwickelte Kulturpflanzen handelt, die in intensivem Anbau gehegt und gepflegt wurden. Gleiches gilt für diese Linsen, die ebenfalls aus der ältesten Besiedlungsschicht stammen und in 342 Exemplaren gefunden wurden.
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Ein Hauptproblem der noch relativ jungen Archäobotanik ist der Mangel an Vergleichsdaten. Umso schwieriger ist die Theoriebildung über Sesshaftwerdung und Ackerbau.
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Neben Hülsenfrüchten wie Erbsen, Linsen oder Bohnen fand sich eine große Zahl solcher Spelzenbasen, also Ehrenbruchstücke, an denen die Körner saßen. Deutlich sichtbar sind die Abrisskanten, die darauf schließen lassen, dass die reifen Körner nicht wie bei Wildgetreide ausfielen,
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sondern dass die Ehren bis zum Dreschen zusammenhielten. Die Weizenkörner waren voll ausgereift. Der Vergleich mit jüngerem Material zeigt jedoch, dass das Getreide aus Nevalichori relativ kleine Körner hat.
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Dies lässt auf Kulturgetreide schließen, das sich erst wenig von den Wildformen wegentwickelt hat. Man kann davon ausgehen, dass in Nevalichori eher eine Art Gartenbaukultur ausgeprägt war, die eine planvolle und erstaunlich vielfältige Nahrungsergänzung zur Jagd bot.
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Auch Mandeln wurden verzehrt, wie dieser Schalenrest beweist. Gefunden wurden auch Pistazien und Weintraubenkerne. Die Ausgrabung von Nevalichori hat belegt, dass es sich hier keineswegs um eine primitive Gesellschaft handelte.
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Neben die ausgeklügelte Jagdtechnik mit kunstvoll gefertigten Steinwaffen trat der vielfältige Anbau von Kulturpflanzen und bald auch die Domestikation von Tieren.
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Es wurden Überschüsse erzielt, die eine Lagerung erforderten. Ein Glücksfall. Skelettreste aus der Jungsteinzeit werden gefunden.
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In der Ecke eines Hauses kommt ein menschlicher Schädel zum Vorschein.
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Die Knochen werden zunächst vor Ort im Grabungshaus in Urfa erfasst und vermessen.
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Im Zuge der interdisziplinären Zusammenarbeit untersuchen später Paleopathologen der Universität Göttingen das Knochenmaterial. Zuerst wird es vorsichtig gereinigt, zum Schutz vor infektiösem Staub in diesem Absaugkasten.
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Aufgrund ihres hohen Alters und der trockenen Lagerung sind die Knochenfragmente sehr porös. Die Pathologen gehen der Frage nach, welche Veränderung des Gesundheitszustandes
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der Übergang von der Nommalisierenden zur sesshaften Lebensweise mit sich brachte. Mühsam werden die Porststücke zusammengesetzt. Prof. Michael Schulz leitet die Untersuchungen.
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Er ist mit seinen Mitarbeitern in der Lage, aus kleinsten Knochenanomalien Krankheiten und Lebensbewohnheiten nachzuweisen. Aus Verdickungen, die gut mit einem Endoskop sichtbar werden, folgern die Wissenschaftler.
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Der Mann litt an einer chronischen Stirnhöhlenentzündung. Durch Aussagen über Krankheiten lassen sich auch Rückschlüsse ziehen auf Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse, auf Ernährung und Hygiene, sowie auf die geografisch-klimatische Situation.
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Für die mikroskopischen Untersuchungen der Knochenstruktur werden Dünnschliffe hergestellt. Aus neolithischen Grabungen in Dänemark ist bekannt, dass ein Großteil der Bevölkerung an Infektionskrankheiten, Gelenk- und Zahnerkrankungen litt.
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Für Nevali Tschuri konnten bei einigen Individuen auffällige Verdickungen des Schädeldachs nachgewiesen werden. Das spricht entweder für Blutarmut, eine übermäßige Ernährung mit Vitamin A oder Malaria.
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Die Mikroskopuntersuchungen ergaben, dass bei den Erwachsenen diese Verdickung nicht mehr krankhaft war. Das spricht für eine überwundene Malaria im Kindesalter.
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Auch das Rasterelektronen-Mikroskop bietet gute Diagnostikmöglichkeiten, besonders dann, wenn die Fundstücke schlecht erhalten sind, wie in Nevali Tschuri.
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Hier ein Rippenfragment in 600-facher Vergrößerung. Es lassen sich genaue Rückschlüsse ziehen, welche Veränderungen zu Lebzeiten, welcher Postmortal stattgefunden haben. So wurden wohl kurz nach dem Tod Schnitte an den Knochen vorgenommen. Dies könnte auf spezielle Bestattungsriten hinweisen.
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Die größte archäologische Überraschung war die Entdeckung dieses Gebäudes am Westrand der Siedlung. Mit seinem quadratischen Grundriss weicht es erheblich von den anderen Bauten ab. Schon die Größe, 14x14 Meter, übertrifft alle sonstigen Hausbefunde.
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Die Umfassungsmauern, die teilweise noch 2,80 Meter hoch erhalten waren, sind sorgfältig mit Lehmmörtel gesetzt. Kalksteinpfeiler dienten vermutlich als Dachstützen. Über eine zweistufige, gemauerte Treppe konnte der Baum mit tiefer liegendem Innenraum betreten werden.
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Zentnerschwere Steinplatten dienten als umlaufende Bänke. An der Nordostseite, dem Eingang gegenüber gelegen, fanden sich noch zwei gut erhalternde Pfeiler.
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Vielleicht war das vorspringende Kopfteil dazu vorgesehen, zu einer Skulptur ausgearbeitet zu werden. Die im Raum inneren stehenden Pfeile waren ursprünglich drei Meter hoch und mit einem Relief versehen.
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Hier wird ein kapitellartiges Stück vermessen und gezeichnet. Es war in die Bänke vermauert und muss daher aus einer älteren Bauphase stammen. Wahrscheinlich war der t-förmige Kalkstein ursprünglich auf einen Pfeiler aufgesetzt
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und diente als Dachträger für eine Schilf-, Holz- oder Lehmkonstruktion. An den Innenwänden des Gebäudes kamen Verputzreste zum Vorschein, die sorgfältig stabilisiert werden.
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Die Innenwände waren ursprünglich weiß. Darauf fanden sich noch Spuren einer schwarz-roten Bemalung.
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Der Innenraum besaß einen meisterhaft gefertigten Terrazzo-Boden. Kalksteinsplitt wurde mit Mörtel vermischt, die Masse glatt gestrichen und nach dem Härten abgeschliffen. Nach 10.000 Jahren ist dieser Boden immer noch wasserundurchlässig.
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Experimentelle Archäologie in einem Steinbruch bei Heidelberg. Der angelieferte Kalkstein enthält, wie der von Nevali Ciori, mehr als 90% Kalkzit. Zwei unterschiedliche einfache Brennstellen werden errichtet, mit genau definierten Mengen Kalkstein und Holz.
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Damit soll versucht werden, die Fertigung des Terrazzo-Bodens zu rekonstruieren. Thermoelemente zur Messung der Brenntemperatur werden eingeschoben.
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Geklärt werden soll, ob der Terrazzo-Boden in Nevali Ciori aus umgebranntem oder gebranntem Kalk angerührt wurde. Zum Brennen müssen Temperaturen von über 850 Grad erzeugt werden. Erst dann wird das Kohlendioxid ausgetrieben.
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Im Rahmen ihrer Dissertation will Maria Thais Afonso klären, ob sich durch solch einfache Brennmethoden im Freien entsprechende Temperaturen erzielen lassen. Die erreichten Temperaturen des Kalkbrennversuchs in den beiden Öfen waren sehr unterschiedlich.
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Nur die Probe rechts aus dem geschichteten Holzstoß war bei einer Spitzentemperatur von über 1100 Grad ausreichend durchgebrannt.
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Der poröse gebrannte Kalk wird mit Wasser gelöscht. Er zerfällt unter Hitzeentwicklung zu Calciumhydroxid und ist dann gut verarbeitbar. Der flüssige Brei wird mit Zuschlägen aus Mergel vermischt, so wie das vermutlich auch in Nevali Ciori geschah.
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Die ausgehärtete Masse wurde wohl mit einfachen Steinwerkzeugen glattpoliert. Eine mühevolle und zeitaufwändige Arbeit.
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Der mikroskopische Vergleich des Materials aus dem Brennversuch mit dem aus Nevali Ciori zeigt, dass sich die beiden Materialien in der Feinstruktur unterscheiden. Die Matrix des neolithischen Terrazos ist gröber und weniger homogen, was auf eine Verwendung von ungebranntem Kalk hindeutet.
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Zurück zum Kultbau.
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Unklar ist, wie die steinzeitlichen Bewohner der Siedlungen die tonnenschweren Steinplatten über größere Entfernungen transportiert haben. Der harte Kalkstein stammt nach geophysikalischen Untersuchungen vermutlich aus offen anstehenden Gesteinsschichten am oberen Bachlauf, in rund zwei Kilometer Entfernung.
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Hinter einer Steinbank kommt eine ebenfalls umlaufende Bank eines älteren Bauzustandes zum Vorschein. Es zeigt sich, dass der Terrazo Boden bereits in diesem Bauzustand bestand, denn er setzt
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sich unter der jüngeren Bank fort und schließt mit dem Verputz der älteren Bank ab. Insgesamt drei Bauzustände können unterschieden werden. Von der ältesten Anlage 1, die wahrscheinlich der ältesten Siedlungsphase angehört, war nur ein Mauerrest erhalten.
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Dagegen lässt sich Bauphase 2 fast komplett erfassen. Der jüngste Bauzustand, Phase 3, wurde unter Verwendung zahlreicher Bauteile in den Vorgängerbau eingebettet.
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Eine Rekonstruktionszeichnung des Bauzustandes 2. Sie verdeutlicht, dass Architektur und Ausstattung diesen Raum zu einem besonderen, sakralen Bereich machen. Hier verehrten die neolithischen Siedler offenbar ihnen heilige Mächte. Dies unterstreicht auch der Bauzustand 3 mit seinen wuchtigen Umfassungsmauern.
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Dieser älteste bislang bekannte Kultbau muss vor der Überflutung des Euphrates-Stausees gerettet werden. Die ganze Anlage wird abgetragen und ins Museum nach Urfa gebracht. Dort soll sie später wieder aufgebaut werden.
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Dazu wird jeder Stein nummeriert. Zeichnungen dienen als Rekonstruktionsschematar. Der Abbau der rückwärtigen Ostmauern erbrachte eine Reihe sensationeller Funde, die den kultischen Charakter dieses Gebäudes unterstreichen. In eine Nische gegenüber dem Eingang fand sich aufrecht eingemaut ein überlebensgroßer Kalksteinkopf.
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Bisher kannte man aus dieser Zeit eher kleine Figürchen, meist Fruchtbarkeitsidolen. Dagegen wirkt dieser Kopf monumental. Die Gesichtseite ist stark beschädigt, während die Rückansicht mit glattem
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Hinterkopf und Schlangenrelief noch einen Eindruck der ursprünglichen Plastizität vermittelt. Vor der Mauernische fand sich dieser Torso. Er mutet an wie ein Kunstwerk aus der klassischen Antike, ist aber rund 7000 Jahre älter.
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Besonders markant sind die Kehlkopfpartie und die flügelartigen Armansätze. Eine Verbindung zwischen menschlichen und vogelartigen Attributen zeigt sich auf etlichen Skulpturen, die im Terrazzogebäude gefunden wurden. Es ist wahrscheinlich, dass diese Mischwesen kultische Figuren waren.
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Ein weiterer Hinweis auf kultische Rituale, diese Platte. Sie war in die Bank unterhalb der Nische eingelassen.
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Bei welchen Zeremonien wurde sie so blank gescheuert und was haben die tiefen Kerben und Schnittspuren zu bedeuten? Beim Abtragen der Nordostbank kommen ständig neue Zeugnisse neolithischer Bildhauerkunst zum Vorschein. Es wirkt, als seien sie beim Umbau des Gebäudes hier bestattet worden.
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Einer der Arbeiter ist gerade auf einen Stein gestoßen, an dem deutlich ein Relief zu erkennen ist. Eine erste Beurteilung ergibt, dass es sich um eine stilisierte Haartracht oder ein Haarnetz handeln könnte. Das Fundstück wird freigelegt und zunächst an Ort und Stelle fotografiert.
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Drei Skulpturenfragmente ließen sich auf völlig unerwarteter Weise zusammenfügen. Es entstand eine für die Jungsteinzeit bisher einzigartige monolithische Kompositfigur, die an einen Totempfal erinnert.
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Ein Vogel sitzt auf zwei menschlichen Köpfen. Zu den Köpfen gehören wiederum vogelartige Körper. Nach unten besaß die Skulptur eine nicht erhaltene Fortsetzung. Auch dieser lebensgroße, wohl weibliche Kopf mit Haarnetz gehörte zu einer Kompositfigur.
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Bei genauerer Betrachtung erweist sich der pfeilerartige Stein hinter dem Gesicht ebenfalls als Rest eines großen Vogels, der den Menschenkopf an den Wangen zugreifen scheint. Vielleicht eine Todessymbolik.
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Solche Bestattungen abgetrennter Schädel und entfleischter Knochen sind typisch für das vorderasiatische Frühneolithikum. Wahrscheinlich wurden die Toten hier den Geiern zum Fraß überlassen. Geier und andere Vögel dürften daher als Mittler zwischen Diesseits und Jenseits gegolten haben.
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Sie wurden wohl als Träger der Seelen der Ahnen besonders verehrt. Bemerkenswert auch dieses Relief auf einer Kalksteinschale, die aufgrund von Schmauchspuren als Lampen- oder Räucherschale gedeutet werden kann. Vielleicht ist ein Tanz um eine Schildkröte dargestellt.
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Neben den völlig neuen Erkenntnissen zu Kult und Ritualen gibt es auch Hinweise, wie sich die Bewohner Lewali Tschuri selbst in ihrem Alltag sahen. Michael Mosch arbeitet in Heidelberg an der Auswertung von über 1200 figurlichen Kleinfunden aus Stein und Ton.
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Neben der Erfassung auf Karteikarten werden die Kleinfunde per Computer nach Fundgruppen sortiert und für Publikationszwecke aufbereitet. Lewali Tschuri überwiegen Tonfigurchen mit Menschendarstellungen.
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Tiere sind auffallend selten. Männer werden durchweg stehend dargestellt, Frauen huckend mit aufrechtem Oberkörper. Nur wenige Figurchen stellen Schwangere dar. Der Anteil männlicher und weiblicher Artefakte ist etwa gleich groß.
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Diese Plastiken wurden fast durchweg nach einem einfachen Schema hergestellt. Mit Plastilin ist dies leicht nachvollziehbar. Die einzelnen Körperteile wurden jeweils getrennt, geformt und dann zusammengefügt. Die Originale wurden aus Ton gefertigt.
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Die Materialqualität war für diese Zeit, in der das Arbeiten mit Ton relativ selten war, erstaunlich gut. Ovale Abdrücke am Oberkörper lassen an Schmuck, Tätowierungen oder rituelle Narben denken. Die Männer erhielten eine Scherpe um die Hüfte, vermutlich ein Gürtel für Jagdgeräte.
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Hinweise auf das soziale Leben ergaben sich auch aus Schmuckstücken, wie Perlen oder Muscheln. Es wurden zum Beispiel durchbote Muscheln gefunden, die vom Roten Meer stammen, rund 800 Kilometer weit entfernt.
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Dies lässt auf hohe Mobilität und vielleicht sogar weitgreifenden Tauschhandel schließen. Auf Tauschhandel weisen auch Geschossspitzen hin, die nach Material und Machart kaum den Bewohnern von Nevali Ciori zuzuordnen sind.
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Sie wurden hinter dem Kultbau gefunden, möglicherweise kamen hier Jäger von weit her zusammen. Nevali Ciori war rund 1500 Jahre ein regional bedeutsamer Kult- und Siedlungsplatz neolithischer Jäger, die immer mehr zu Ackerbau und Viehzucht übergingen.
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Weshalb er, wie viele Siedlungen im Nahen Osten um 7000 vor Christus aufgegeben wurde, ist noch ungeklärt. Vielleicht wechselten die Bewohner in ein Gebiet, das für Ackerbauern besser nutzbar war. Vielleicht wurden sie durch neu zuwandernde Gruppen verdrängt. Der hohe kulturelle Entwicklungsstand, der Nevali Ciori im Übergang zwischen Jäger- und Ackerbaukultur kennzeichnet,
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scheint jedenfalls in den kommenden reinen Ackerbaukulturen erst zwei bis drei Jahrtausende später wieder erreicht worden zu sein.