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Hans Rothfels, Göttingen 1965

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Formal Metadata

Title
Hans Rothfels, Göttingen 1965
Alternative Title
Hans Rothfels, Göttingen 1965
Author
License
CC Attribution - NonCommercial - NoDerivatives 3.0 Germany:
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Identifiers
IWF SignatureG 103
Publisher
Release Date
Language
Producer
Production Year1965

Technical Metadata

IWF Technical DataFilm, 16 mm, LT, 145 m ; SW, 13 1/2 min

Content Metadata

Subject Area
Genre
Abstract
German
German
Aus dem Vortrag "Religion und Nationalität" am 10. November 1965 im Collegium Albertinum, Göttingen: Universalität der christlichen Religionen, Orientierung der Religion am Menschen, Bestimmungsmerkmale der Nationalität, Nationalitätenprobleme in Ost-Mitteleuropa - Gedanken zum Auftrag der zeitgeschichtlichen Forschung: Zeitgeschichte ist "miterlebte Geschichte", Beginn der sowohl globalen Einheit wie polaren Zweiteilung der Welt nach 1918, Bemerkungen zu den Aufgaben der deutschen Zeitgeschichtsforschung im Hinblick auf die Jahre 1933 bis 1945.
English
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Excerpts from the lecture "religion and nationality" held at the Collegium Albertinum in Göttingen on November 10th, 1965: universality of the Christian religions, characteristics of nationality, problems of nationalities in Eastern Middle Europe - towards the task of research in contemporary history: contemporary history as "witnessed history", begin of a global world and of the world's dichotomy after 1918, remarks on the tasks of German contemporary history research regarding 1933 - 1945.
Keywords
German
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German
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Transcript: German(auto-generated)
Es ist mir eine Ehre und eine Freude, durch ein Vorteil im Collegium Albertinum gewissermaßen
eine 8-jährige Lehrtätigkeit auf dem Geschichtskatheter der Albertina wieder anknüpfen zu dürfen. Der Vorteil ist schon für das Sommersemester geplant gewesen. Das war damals ein Bismarck-Thema in Aussicht genommen, für das der 150.
Geburtstag und die besondere Beziehung Bismarcks zu Göttingen wohl den Anknüpfungspunkt oder, wie man heute gern sagt, den Aufhänger hätte bieten können. Aber das Jubiläumsdatum des 1. April liegt nun schon weit zurück.
Und wenn das auch kein ausschließendes Gegenargument ist, so schien es mir doch näherliegend, ein Thema zu wählen, das für Fragen des deutschen Ostens, ja auch Ostpreußens selbst, für die dieses Haus eine Traditionsstätte sein soll, in nicht unerheblicher und in die Gegenwart fortwirkender Beziehung steht.
Es kommt hinzu bei dieser Themawahl, dass ich über das gleiche Thema schon einmal vor der Göttinger Studentenschaft zu einem Vorteil eingeladen worden war. Ich hole also ein Versäumnis nach. Und dass zugleich das Thema, wie mir erscheint, nicht nur für den Historiker,
sondern auch für den Juristen und Soziologen, den Theologen Ansatzpunkte mindestens zu eigenen Überlegungen enthält. Darin liegt freilich zugleich, dass das Thema, um das es sich handeln soll, das Verhältnis zwischen Religion und Nationalität oder, wie in vielen Fällen
spezifischer formuliert werden müsste, zwischen Konfession und Nationalität auf ein sehr weites Feld führt. Ich kann nur versuchen, vor Ihnen mit einigen mehr grundsätzlichen Betrachtungen und zudem durch geschichtliche Beobachtungen dieses Thema aufzuhellen.
Beobachtungen, die sich sehr wesentlich, wenn auch nicht ausschließlich, auf Ostmitteleuropa beziehen. So sei die wohlbekannte Tatsache an den Anfang gestellt, dass in Ostdeutschland ein gewisses Deckungsverhältnis in der Tat
historisch bestanden hat zwischen Konfession und Nationalität. Es ist das oft in der zugespitzten Form behauptet worden und hat eine gewisse Gültigkeit im populären Bewusstsein gewonnen, dass Deutsche und Evangelisch, Polnisch und Katholisch gleichbedeutend seien,
dass also Konfessionsgrenzen, Nationalitätsgrenzen darstellten oder diese Bedeutung geschichtlich gewonnen hätten. Ich erinnere mich noch, wie erstaunt ich, als ich damals mit östlichen Verhältnissen
noch wenig vertrauter war, als ich 1914 einen Mann in meiner Patrie mit einem offensichtlich polnischen Namen fragte, ob er Pole sei, und er antwortete Nein, Evangelisch. Das ist nur ein Beispiel für viele, die sich anführen ließen, insbesondere für ein Deutsch oder Preußisch geworden sein,
Slavisch sprechender und anderer nicht-deutscher Menschen auf dem Wege über ihre evangelische Glaubensgemeinschaft. Es sei nur vorweg hier schon an die Masuren oder den protestantischen Teil der Kaschuben
in Hinterpommern erinnert oder an die Litauer im Memelgebiet. Aber es zugleich ebenso zu betonen, dass die angebliche Gleichsetzung Deutsch, Evangelisch, Polnisch, Katholisch ihre zahlreichen und großen Ausnahmen hatte. Ein Hauptbeispiel sind die ermländischen Bauern und auch die ermländischen Stifter
Fauenburg und Guttstadt, die trotz 300-jähriger Zugehörigkeit zu Polen und trotz katholischer Glaubensgemeinschaft in Sprache und Bewusstsein Deutsch geblieben waren. Von vornherein besteht so die Vermutung, dass es sich bei einem Verhältnis von
Religion und Nationalität um ein geschichtlich sehr komplexes Problem handelt, das auch menschlich manches schwere Dilemma einschließt. Aber ehe des Weiteren versucht werden soll, das Bild der ostmitteleuropäischen Wirklichkeit, wie es war und wie es heute ist, unter dem Aspekt unseres Themas mit Beispielen zu veranschaulichen,
wird es nötig sein, sich über einige grundsätzliche Fragen klar zu werden, die mit dem Verhältnis Religion und Nationalität für jedes der beiden Glieder aufgeworfen werden und von den eingangs berührten Positionen noch nicht zureichend abgesetzt sind.
Man wird Zeitgeschichte gröblich umschrieben als miterlebte Geschichte etwas einleuchtender definieren können als die Geschichte einer Epoche, die mit neuen Herausforderungen an uns herantritt,
mit einer Erschütterung gewohnter Zusammenhänge und nationaler Legalitäten, mit der Infragestellung einzelnstaatlicher Souveränität und dem Versuchen federativer Integration, mit dem relativen Gewichtsverlust Europas und dem Ende aller Kolonialpolitik, mit dem rapiden Anstieg der Bevölkerungszahlen unter Produktivkräfte bis zur Automation hin,
mit dem Verbrechen alter künstlerischer Formen und mit Experimenten neuen Ausdrucks, mit den selbstverstörerischen Möglichkeiten von Naturwissenschaft und Technik, ja mit Grenzsituationen der menschlichen Existenz überhaupt,
wie mit Enthüllungen des unmenschlichen in bisher nicht erhöhtem Maße. Die Wurzeln dieser Epoche liegen in Grundtendenzen der imperialistischen Politik und der industriellen Gesellschaft, die sich im späten 19. Jahrhundert breit entfaltet haben. Aber bei aller weltweiten Verflechtung und allen krisenhaften Symptomen
handelt es sich damals doch im Wesentlichen um ein Zeitalter bürgerlicher Sekurität und nationalstaatlicher Abgeschlossenheit. Selbst der Erste Weltkrieg, so sehr er revolutionärer Ausbruch war,
begann doch als ein nationalstaatlicher Konflikt, um sich dann freilich in die Welt hinein zu verlängern. Erst mit den eigentümlich zusammen geordneten beiden Ereignisreihen von 1917, dem Eintritt der Vereinigten Staaten im Krieg und dem Ausbruch der Russischen Revolution, wurde die Konstellation wirklich universal und wurde zugleich der Konflikt von Staaten und Völkern
durchzogen und durchkreuzt von gesellschaftlichen Gegensätzen tiefgreifender Acht. Es beginnt also bei Kriegsende, sowohl die globale Einheit,
wie eine polare Zweiteilung der Welt sich abzuzeichnen. Die Frage nun, die sich angesichts eines solchen Epochenwandels der Geschichtswissenschaft stellt, ist in anspruchsvollstem Sinne aufgenommen, ob sie neben den analytischen Wissenschaften wie Soziologie und Anthropologie
zu einer Art Theorie unseres Zeitalters beitragen kann. Daneben und dahinter aber steht die engere Frage nach dem Wissenschaftskarakter der Zeitgeschichte. Erlaubt sie nach ihren methodischen Voraussetzungen,
Aussagen von einiger Evidenz bei einer uns so nahen und so umwälzenden Epoche. Die Einwände liegen auf der Hand, aber dürften kaum als stichhaltig anzusehen sein. Die Unerschlossenheit vieler Quellen wird mehr als wettgemacht, jedenfalls was die Ereignisgeschichte betrifft,
durch ihre allen früheren Epochen überlegene Fülle und dazu durch die Möglichkeit noch Lebende zu befragen. Der mangelnden Distanz steht, dass bei der stets nötigen kritischen Selbstzucht höchst fruchtbare Beteiligtsein des Historikers gegenüber,
das ihm erlaubt, den Blick auf die Gelenkstellen der Dinge zu richten. Mit Tukidides beginnend gibt es genug Beispiele, dass große Geschichtsschreibung ihren Impuls aus der Objektivierung des Selbsterlebten empfängt.
Um auf die deutsche Zeitgeschichtsforschung hinzulenken, sie braucht sich in den Geist oder Ungeist der nationalischen Epoche nicht erst auf dem Umweg historischer Intuition hineinzuversetzen. Mit anderen Worten, das Betroffensein unmittelbarer Art, das mit aller Zeitgeschichte verbunden ist, enthält gewiss Gefahren,
ist zugleich aber eine durch Miterleben aufschließende Hebelkraft der Erkenntnis eines Verstehens für die Lage der Handelnden widerleidende. Von hier aus ergeben sich einige Bemerkungen noch zu den Aufgaben die der deutschen Zeitgeschichtsforschung im Hinblick auf die Jahre 1933 bis 1945 zugefallen sind.
Wenn man ihre Wichtigkeit betont, so heißt das gewiss nicht der Kurzatmigkeit der Geschichte das Wort reden und gewiss auch nicht der verzerrenden Sicht,
die sie mehr oder weniger gradlinig auf 1933 oder 1945 zulaufen lässt wie eine Pappelallee. Aber im allgemeinen Rahmen der Herausforderung durch eine neue Epoche, von der eingangs die Rede war, besteht allerdings eine besondere Herausforderung für den deutschen Historiker.
Sie liegt im Emporkommen hinter den Herrschaftsmethoden und den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes beschlossen. Nur eine Freimütige Erachtung kann in so stark emotional geladenen Fragen zu Erkenntnissen führen, die neuer Legendenbildung den Weg verbauen.
Die deutsche Zeitgeschichtsforschung wird sich daher um kein heißes Eisen und keine Berührung schlecht von harter Wundeln herumdrücken dürfen. Nicht dass das Wühlen in peinlichen Erinnerungen Selbstzweck wäre, nicht dass man die deutschen Erfahrungen isolieren und im Blick verschließen möchte
vor ähnlichen Möglichkeiten oder Wirklichkeiten, die sie anderwärts in der Welt bestanden haben oder bestehen. Aber nur wer zuerst vor der eigenen Türe kehrt, erwirbt sich wohl das Recht kritisch umherzuschauen. Nur von hier aus ergibt sich ein Verantwortbarer,
das heißt ein nicht im Vorwurf billiger Selbstentlastung ausgesetzter Zugang zu einem wesentlichen Erkenntnisgehalt der letzten Epoche, zu der Einsicht nämlich, wie dünn der zivilisatorische Firmness Judenkräften der Tiefe ist und was ihre Freisetzung bedeutet.
Das ist bittere Medizin. Auch mit Recht hat Jodalit einmal gesagt, nicht das Wegsehen, sondern das Hinsehen macht die Seele frei. Sinn und Aufgabe der Zeitgeschichte sind damit in einem wesentlichen Aspekt sehr treffend umschrieben.