Wie schöpfe ich mein genetisches Intelligenzpotential aus? - exkurs-Gespräch mit Prof. Spinath
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exkurs-Gespräche14 / 17
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Transcript: German(auto-generated)
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Naja, gegen unsere Intuition nehme ich jetzt einmal an, wird der Einfluss genetischer Faktoren wichtiger im Laufe des Lebens. Und das verwundert zunächst, weil wir annehmen könnten, naja, genetische Einflüsse sind ja ganz von Anfang an da und dann machen wir Erfahrungen, wir gehen auf die Schule, wir lernen und wir erleben Dinge.
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Es wäre doch eigentlich plausibel, dass Umwelteinflüsse zunehmend an Bedeutung gewinnen. Und das Gegenteil ist der Fall. Wie schöpfe ich mein genetisches Intelligenzpotenziale aus? Herzlich willkommen zu einem neuen Exkursgespräch der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
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Heute mit Professor Frank Spinat, Professor für Differenzielle Psychologie und Psychodiagnostik an der Universität des Saarlandes. Seit 30 Jahren ist er Zwillingsforscher, seit 10 Jahren leitet er die Twinlife-Studie und seine Expertise ist im Bereich Bildungserfolg und Intelligenz.
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Das bringt mich gleich zur ersten Frage, Professor Spinat. Was ist denn Intelligenz außer der Psychologie liebstes Kind? Das habe ich schon mal bei Ihnen gehört. Ja, die Intelligenz wird in der Psychologie in der Tat schon seit über 100 Jahren untersucht und umfasst eine Reihe von kognitiven Fähigkeiten wie zum Beispiel verbales Verständnis
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oder rechnerische Fähigkeiten oder räumliche Orientierungsfähigkeiten, schlussfolgendes Denken oder Gedächtnisleistung und oft auch Geschwindigkeit, also mentale Geschwindigkeit, dass wir bestimmte einfache Reizverarbeitungen
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schneller und fehlerfreier durchführen können als vielleicht andere. Und das scheinen jetzt doch sehr unterschiedliche Aspekte zu sein. In der Tat ist es aber so, wenn man in großen Studien diese Messungen anschaut für diese verschiedenen Teilbereiche, dann hängen die positiv zusammen.
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Und das ist die Grundlage dafür, dass in der Intelligenzforschung ein gemeinsamer Wert für all diese Teilfähigkeiten berechnet wird. Und das ist der IQ. Der ist ja auch irgendwie sehr anerkannt und ich glaube auch im Alltag weit verbreitet. Und wenn man jemanden nicht so intelligent findet, dann sagt man immer Schuhgröße mal zwei oder so.
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Das hat sich ja schon irgendwie in unserer Alltagssprache auch eingefunden. Dann sagen wir, es geht jetzt um einen hohen IQ. Und wenn ich zurückkomme auf die Leitfrage, wie schöpfe ich mein genetisches Intelligenzpotenzial aus, dann würde das ja voraussetzen, dass es hier eine Bandbreite gibt und es nicht gottgegeben Schicksal genetisch festgelegt ist, wie intelligent ich bin.
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Ist das so? Also zunächst mal muss man sagen, dass die Forschung, die ich jetzt seit vielen Jahren mache, insbesondere individuelle Unterschiede zwischen Menschen in den Blick nimmt. Das heißt, ganz vorne an steht die Frage, warum sind wir in einem Merkmal wie der Intelligenz verschieden?
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Nicht so sehr im Vordergrund steht die Frage, warum habe ich 100 IQ-Punkte und jemand anders 110? Wobei wir gerne natürlich auch in diese Richtung gehen können. Aber wenn es jetzt darum geht, es gibt genetische Einflüsse auf die Intelligenz und es gibt Umwelteinflüsse auf die Intelligenz, dann ist beides richtig.
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Dann sind das Einflüsse, die erklären, warum Menschen verschieden sind. Und die große Einfluss ist die Genetik. Ja, das ist in der Tat eine Erkenntnis, die unglaublich robust ist mittlerweile. Seit vielen Jahren wird in Zwillings- und in Adoptionsstudien diese Frage erforscht.
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Und die Antwort ist, über die gesamte Lebensspanne erklären Gene etwa 60 Prozent der Unterschiede in der Intelligenzverteilung und Umwelteinflüsse etwa 40 Prozent. Nun kommt ein großes Aber, denn dies ist keine fixe Verteilung. Wenn wir über die Lebensspanne schauen, dann stellen wir fest, dass sich diese Werte verändern.
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Und wenn wir über zum Beispiel Umweltbedingungen hinweg vergleichen, also beispielsweise über den sozioökonomischen Status hinweg, dann sind die Ergebnisse auch sehr verschieden. Das macht die Frage tatsächlich ganz besonders spannend. Denn nichts wäre langweiliger als so eine Anlage oder Umwelt und so eine fixe 60-40-Verteilung.
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Also da wissen wir in der Forschung mittlerweile deutlich mehr. Es geht um Anlage, Umwelt, Wechselspiel. Okay, auf das Wechselspiel will ich gleich kommen. Aber wir fangen mal an mit 60-40, das lässt sich noch einfach erfassen. Und dann war das Erste, was Sie gesagt haben, es verändert sich über die Zeit.
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Hat dich das richtig verstanden? Und was heißt das genau? Naja, gegen unsere Intuition nehme ich jetzt einmal an, wird der Einfluss genetischer Faktoren wichtiger im Laufe des Lebens. Und das verwundert zunächst, weil wir annehmen könnten,
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naja, genetische Einflüsse sind ja ganz von Anfang an da. Und dann machen wir Erfahrungen, wir gehen auf die Schule, wir lernen und wir erleben Dinge. Es wäre doch eigentlich plausibel, dass Umwelteinflüsse zunehmend an Bedeutung gewinnen. Und das Gegenteil ist der Fall. Vielleicht sollte ich unterscheiden noch die zwei Arten von Umwelt,
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die wir in unseren Studien eben differenzieren. Das eine nennt sich geteilte Umwelt. Also Personen, die gemeinsam aufwachsen, teilen diese Einflüsse. Und das könnten etwa der Erziehungsstil der Eltern sein oder der sozioökonomische Status der Eltern oder auch die Wohn- und Lebenssituation. Es gibt dann einen weiteren Beitrag.
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Das ist die nicht geteilte Umwelt. Diese trägt zu Unterschieden bei. Die geteilte Umwelt würde, wenn man gemeinsam aufwächst, tendenziell ähnlich machen. Und die nicht geteilte macht tendenziell unähnlich. Was wäre das für ein Beispiel für eine geteilte Umwelt? Das könnten unterschiedliche Freunde sein, das könnten unterschiedliche Hobbys sein,
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die Menschen, die gemeinsam aufwachsen, haben. Oder auch unterschiedliche Erfahrungen bis hin zu Unfällen oder außergewöhnlichen Erlebnissen. Und bei den Zwillingen ist es ja in der Tat so, die wachsen ja in der Regel gemeinsam zu Hause auf. Das heißt, die teilen über viele, viele Jahre Einflüsse in der Familie. Und man hat lange gedacht, dass das doch bestimmt
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einen maßgeblichen Einfluss haben muss auf die Entwicklung der Intelligenz. Und das ist nur zu Beginn unseres Lebens richtig. Also im Alter bis etwa zur Vorschulzeit spielen diese familiären Faktoren eine ganz wichtige Rolle. Und dann nehmen die in einer dramatischen Weise ab.
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Und gleichzeitig beginnt in einer ebenso sehr markanten Weise der Einfluss der Gene zu wachsen. Und ich sagte ja schon kontra intuitiv, wie erklärt man das? Mein Erklärungsansatz ist, dass Menschen in dem Ausmaß, indem sie mehr Freiheit haben, zu entscheiden, wie sie ihre Zeit verbringen,
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mit was sie sich beschäftigen, ob sie sich zum Beispiel für Lerninhalte interessieren und Dinge üben. In diesem Ausmaß wird das natürlich sich auf die kognitive und die Bildungsentwicklung niederschlagen. Aber diese zunehmende vermeintliche Freiheit ist durch genetische Faktoren beeinflusst.
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Also weil wir die Dinge, die wir gut können, teils aus genetischen Gründen, eben in der Regel lieber machen. Weil wir uns dann den Dingen zuwenden, die gut passen zu unserem Erleben und Verhalten. Und so schleichen sich sozusagen die Gene in unsere Lebensplanung. Herr Professor Spiener, was Sie uns jetzt gerade sagen wollen ist,
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wir fühlen uns freier, aber wir sind vielmehr dem Schicksal unserer Gene unterlegen, dass wir in einem späteren Lebensabschnitt abhängiger sind von der genetischen Anlage unserer Intelligenz, weil wir uns nicht irgendetwas aussetzen, das uns vorgesetzt wird
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oder jemand uns zwingt einen Lernstoff in der Schule oder einen Druck von außen, sondern wir machen eher das, was wir wollen. Und dann ist die Genetik auch einmal so einflussstark. Habe ich es richtig verstanden? Das ist richtig. Und exakt das Verständnis, dass Umwelt uns ja nicht einfach passiert. Das ist in den frühen Lebensjahren ein wenig so,
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weil Eltern entscheiden darüber, wie unser Tagesablauf ist, was wir essen, was uns angeboten wird und auch was wir an Freizeitbeschäftigung haben. Aber zunehmend entstehen ja Freiheitsgrade. Diese Freiheitsgrade nutzen wir. Wir sind ja Gestalter von Umwelt.
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Wir suchen bestimmte Umwelten auf, wir vermeiden andere Umwelten. Da hängt ja viel dran. Da hängt ja auch dran, dass wir in bestimmten Umwelten bestimmte Menschen kennenlernen, dass wir in bestimmten Umwelten Gefahren mehr oder weniger ausgesetzt sind oder Lernchancen haben oder eben nicht. Und dieses aktive Wechselspiel von genetischen Präferenzen
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oder Potenzialen oder Prädispositionen, das sind im Prinzip alles Konzepte, die sehr verwandt sind in meinen Augen, treffen auf die Möglichkeiten, die Umwelt bieten. Wenn ich keine Auswahl habe, dann ist das nicht so wichtig. Aber wenn ich verschiedene Dinge machen kann, dann fangen Gene an, mit auszuwählen.
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Okay, ich glaube, bis hierhin können wir einen grünen Haken machen. Ich möchte aber auf die Frage kommen, die wahrscheinlich die meisten Leute beschäftigt, nämlich wie hole ich das meiste aus dem, was mir mitgegeben worden ist, raus? Wir können ja mal bei Kindern anfangen. Da, glaube ich, haben Sie ganz tolle Ergebnisse in Ihren Studien. Ja, wie schaffen wir es, vermeintlich wie Erwachsene,
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dass wir Kinder zu einer großen Entfaltung ihrer Intelligenz bekommen? Wichtig ist Passung. Das heißt, nicht Überforderung, nicht Unterforderung. Und das bedeutet, Eltern sind gut beraten, wenn sie aufmerksam sind. Also, was sind die Interessen Ihrer Kinder?
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Was sind die Möglichkeiten Ihrer Kinder? Der Umstand, den ich eben ansprach, dass über die Bildungsverteilung hinweg die Bedeutung von Anlage und Umwelt auch nochmal variiert, also nicht nur über die Lebensspanne, sondern auch über Lebensbedingungen hinweg, kommt mit einem sehr, sehr erstaunlichen Ergebnis am oberen Rand der Bildungsverteilung. Da, wo die Umweltbedingungen nahezu für alle gut und günstig sind,
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erklären Gene maßgeblich Unterschiede zwischen den dort Lebenden, was klar ist, weil die Umwelt ist nahezu maximal gut, aber ähnlich. Und förderlich, aber eben erklärt nicht alle Unterschiede. Da, wo die Bildungsbedingungen für die Kinder und Jugendlichen ungünstiger sind,
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ist der Beitrag, den die familiären Einflüsse leisten, sehr viel höher. Das heißt, hier gibt es manche familiäre Settings, in denen Dinge gut laufen oder gut gemacht werden, und es gibt andere, wo das ungünstiger ist. Und was wir jetzt beispielsweise untersucht haben, ist so was wie eine gewisse Ordnung im Haushalt.
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Es gibt eine psychologische Skala, die heißt tatsächlich Chaos-Skala und beschreibt, wie in einem Haushalt Kinder Möglichkeiten haben, sich zurückzuziehen, Ruheräume zu haben, eben auch strukturiert dann etwa an Hausaufgaben zu arbeiten versus so am anderen Ende ein Haushalt, wo eigentlich es immer lärmt,
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wo alles ständig ablenkt und wo es kaum möglich ist, einen klaren Gedanken zu fassen. Wir wissen auch aus der Forschung, dass das interaktive Lesen mit Kindern sehr früh in der Entwicklung hilfreich und günstig ist, statt jetzt beispielsweise passive Rezeptionen in irgendwelcher Medien 24-7.
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Also das hört sich alles sehr leicht nachvollziehbar an. Wie ist es denn dann, wenn wir älter werden und jetzt nicht mehr Eltern, Lehrer und andere für uns Verantwortung übernehmen? Und ich möchte das meiste, was noch rauszuholen ist aus meiner Intelligenz, aus meinem Potenzial, wirklich rausholen. Was müsste ich tun?
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Wenn Sie, ich sag mal, schon günstige Vorbedingungen haben, also angenommen Sie haben bereits ein gutes genetisches Setup, Sie haben, und das ist die Regel, damit geht oft einher, dass auch Ihre Umweltlebensbedingungen eher günstiger sind, weil Intelligenz und sozioökonomischer Status von Familien sind assoziiert,
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was viele ungerecht finden, weil es sozusagen wie ein doppelter Vorsprung für manche ist und eben ein potenzieller Nachteil für andere. Das heißt, wenn Sie aus so einem Setting kommen, dann würde ich sagen, machen Sie einfach so weiter, denn dann haben Sie genau das, was wir eben angesprochen haben,
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diese Anlageumwelt-Korrelation, dieses Wechselspiel arbeitet dann schon für Sie. Dann ist es eventuell hilfreich, neugierig zu bleiben, also eine gewisse Offenheit für Erfahrungen nicht aufzugeben. Aber auch das ist tatsächlich in unseren Studien assoziiert mit Intelligenz.
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Das heißt, es gibt Personen, die haben sowohl das geistige Potenzial als auch die günstigen Lebensbedingungen plus eine gewisse Neigung, mit offenen Augen und einem offenen Herzen durch die Welt zu gehen und Lern- und Entwicklungschancen zu entdecken und wahrzunehmen. Spannender wird vielleicht die Frage,
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was kann ich tun, wenn diese Bedingungen weniger günstig sind? Und wir beispielsweise im Erwachsenenalter ja nun auch die Situation vorfinden, dass anders als im Kindes- und Jugendalter, wo sich Lehrer eventuell kümmern, wo sich Eltern kümmern, wo sich aber eventuell auch Freunde kümmern. Aber gerade so diese soziale Unterstützung oder das soziale Netz,
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was dann eher von außen Dinge heranträgt und Angebote macht, schleicht sich ja, was jetzt so ein Angebot durch Lehrende oder durch Wohlmeinende andere angeht, ein Stück weit aus. Da bleiben im Prinzip nur gute Freunde oder eben soziale Kontakte,
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die, wenn es nicht aus mir selber kommt, Hinweise geben, dass Veränderung hilfreich ist oder Unterstützung gefordert ist. Und fehlen im Erwachsenenalter ein Stück weit wohlmeinende Angebote anderer. Das heißt, ich muss, wenn ich den Veränderungswunsch in mir hege,
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tatsächlich eventuell mehr leisten. Ich muss aktiv werden. Ich kann nicht in dem, man könnte trotz sagen, aber es ist in gewisser Weise ja ein eingespieltes Miteinander von so bin ich und das erwartet die Umwelt von mir. Das hat sich über Jahre etabliert. Das ist bei der Arbeit so. Das ist irgendwie in bestimmten sozialen Freizeitbereichen so.
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Und das ist dann erst mal ein Garant für Stabilität. Da ändert sich so von selber erst mal nicht viel. Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, könnte eine Kernaufgabe sein, will ich mein volles Intelligenzpotenzial auch im Alter ausschöpfen, Kampf dem Trott. Was könnte ich anderes tun, Neues erfahren?
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Also meine eigene Neugier müsste mich vorantreiben. Die darf ich stärken, mich um anderes kümmern. Und dann gleichzeitig, und das fand ich besonders interessant, wo gibt es denn die wohlmeinenden anderen, die auf mich draufschauen, mit denen ich mich umgebe, ob es Freunde sind oder eine Personalentwicklerin vielleicht
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mit dem Unternehmen oder einem guten Chef, eine Chefin, die auch dafür sorgen, dass ich inspiriert werde und mit etwas Neuem im Kontakt komme. In beiden Feldern ist es aber neu, also Neugier, die aus mir selbst kommt, und andere, die mich mit etwas Neuem konfrontieren. Ist das der Schlüssel? Ja, und auch das ist ja ein Wechselspiel.
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Denn die wohlmeinenden anderen in einem Unternehmen schauen ja ebenfalls nach Potenzial. Das heißt, sie wählen möglicherweise aus, wem bieten sie was an. Und wenn sie hier in ihrem Verhalten Offenheit zeigen, Neugier signalisieren, Veränderungs- und Lernbereitschaft über die Lebensspanne zeigen, sind sie wieder im Vorteil. Das heißt, wir haben es ständig mit einem Wechselspiel zu tun,
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entweder von Anlage und Umwelt oder von meinem Erleben und Verhalten und dem Erleben und Verhalten anderer. Und es ist niemals zufällig. Es ist immer im Prinzip eine Reaktion auf das, was zuvor erfolgt ist. Und all das, was zuvor erfolgt ist,
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ist ein Stück weit beeinflusst, auch eben von meinen genetischen Anlagen. Eine Sache würde mich noch sehr interessieren. Ich meine, Sie beschäftigen sich jetzt seit 30 Jahren mit Zwillingsforschung. Die Twinlife-Studie ist eine umfassende. Ich glaube, 4.000 Menschen werden dort untersucht. 4.000 Familien mit Zwillingen und Geschwistern.
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Also 8.000 Zwillinge, ja. 8.000 Zwillingsmenschen, ja. Plus der Eltern, plus der Geschwister. Ich gehe davon aus, dass die allermeisten Zwillinge zusammen aufwachsen. Und Sie sagten vorhin, bei den Umwelteinflüssen müssen wir trennen zwischen dem, was gleich erlebt wird,
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und dem, was dann eigen ist. Gibt es dann auch Zwillingsforschung, die sich beschäftigt mit Zwillingsmenschen, die nicht zusammen aufwachsen und deswegen unterschiedliche Umwelteinflüsse haben? Das ist sehr theoretisch. Das ist gar nicht so theoretisch und in den Medien ja durchaus auch vertreten.
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Immer mal wieder. Getrennt aufgewachsene Zwillinge sind immer ein Aha-Erlebnis. Und wurden auch in der Wissenschaft bereits beforscht. Das heißt, es gibt eine amerikanische Studie in Minnesota, die eine zumindest ganz respektable Zahl solcher Paare auffinden konnte und mit denen gearbeitet hat. Und auch in Schweden gibt es solche Stichproben.
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Aber wenn Sie jetzt schauen, wir reden bei uns über 4.000 Zwillingsfamilien. In diesen Studien reden wir eher über 100 oder etwa in dieser Größenordnung Zwillingspaare. Sprich, da ist es dann nicht mehr möglich, Repräsentativität herzustellen und all dies andere, was Wissenschaft da natürlich auch interessiert.
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Insofern eine besondere Stichprobe, aber hochgradig spannend. Also wenn jetzt früh nach der Geburt ein Zwillingspaar getrennt aufwächst und von mir aus bis zum 18. Lebensjahr nichts voneinander weiß. Und dann, sei es ein Forschenden oder durch einen Zufall
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oder ich kenne tatsächlich ein Paar durch die Intuition, dass irgendetwas ist. Und dann ging ein Zwilling in diesem Paar auf die Suche nach dem anderen. Wenn dann die beiden sich treffen, dann entdeckt man oder stellt man oft erstaunliches Fest, nämlich eine sehr, sehr hohe Ähnlichkeit in nahezu allen Lebensbereichen.
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Das heißt, sowohl in der Persönlichkeit, insbesondere aber auch in der Intelligenz, sind diese unter unterschiedlichen Lebensbedingungen Aufwachsenden vergleichbar. Aber das erstaunt mich jetzt, weil die These, die ich jetzt vertreten hätte, wäre, naja, wenn die jetzt in unterschiedlichen Umweltbedingungen aufwachsen,
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dann könnte ja auch die Chance größer sein, dass sie in ihrer Intelligenz, obwohl sie vielleicht die gleiche technische Anlage haben, unterschiedlicher sind. Das ist nicht so. Das ist nicht so. Nun sind diese Studien in der Regel nicht so, dass ein Zwilling unter extrem reizarmen und schwierigen und dramatisch negativen Verhältnissen
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aufwachsen, der andere in Saus und Braus mit allen Angeboten. Also wenn man einen Film drehen würde, dann würde man es vielleicht so zusammen erzählen. Aber so ist es in der Regel ja nicht. Oft, und das ist auch eine Kritik an manchen dieser Studien, wachsen die Zwillinge vielleicht gar nicht so ganz weit entfernt voneinander auf, oder im selben Bundesstaat in den USA. Und dann gibt es natürlich Umweltbedingungen,
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die dann für beide, obwohl sie nicht gemeinsam aufwachsen, dann doch vergleichbar sind, weil sie beide beispielsweise im ländlichen Amerika aufwachsen. Da macht man dann in der Freizeit bestimmte Dinge und andere nicht, trinkt bestimmtes Bier und hat bestimmte andere Einflüsse. Und plötzlich ist man ähnlich und sagt, hurra, Überraschung.
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Aber es ist durchaus dann möglich, dass Umwelt hier einen Beitrag leistet. Aber Sie haben recht. Es ist erstaunlich, dass getrennt aufwachsen, so wenig Einfluss zu haben, scheint auf diese Ähnlichkeit, die wir beobachten. Es geht aber perfekt einher mit dem, was ich eben berichtet habe. Dieser Einfluss der geteilten Umwelt, also dass wir in bestimmten Familien gemeinsam groß werden,
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dass uns das eine Zeit lang ähnlich macht, dieser Einfluss verschwindet und wird ersetzt oder wird im Prinzip durch eine relativ größere Bedeutung von genetischen Einflüssen kompensiert. Und so würde man sagen, ja, gemeinsam aufwachsen macht dann offenbar
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nicht so einen großen Effekt. Und in der Tat, es gibt sogar Zwillingspaare, bei denen das die Ähnlichkeit erhöht, nicht gemeinsam aufzuwachsen. Und das macht vielleicht für uns nicht Zwillinger, zunächst nicht viel Sinn, aber wenn man drüber nachdenkt, schon. Also das sind, wenn wir jetzt einen eigenen Zwillinger betrachten,
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zwei extrem ähnliche Menschen mit ähnlichen Neigungen, ähnlichen Präferenzen, vielleicht auch mit ähnlichen Marotten oder vielleicht auch mit ähnlichen Merkmalen, die für das Miteinander auch schwierig sein können. Also wenn jetzt zwei sehr dominante oder zwei sehr impulsive oder zwei sehr auf Konkurrenz ausgerichtete Personen
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das Zuhause teilen, dann ist das ja nicht notwendigerweise fürs Wohlbefinden optimal. Das heißt, ich weiß von Zwillingspaaren, die jetzt gemeinsam aufgewachsen sind, die aber die Distanz irgendwann gesucht haben, die gesagt haben, die Nähe des anderen ist für mich in bestimmten Lebensphasen nicht mehr schön,
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sondern ein Stressor. Ich sehe, dass immer wieder meine Individualität in Frage gestellt wird und die Welt da draußen unständig vergleicht. Ich bin das Leid. Und dann sucht man ja Freiheit ein Stück weit. Und das brauchen die getrennt aufgewachsenen nicht,
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denn da ist ja keiner, an dem sie sich in dieser Weise reiben. Verstehe. Zwei, drei Schare dieser Art habe ich kennengelernt. Sie sind sehr selten, das muss man sagen. Und auch Adoptionsagenturen machen das typischerweise nicht mehr. Also Zwillinge getrennt zu vermitteln. Und damit ist dieses Design für den Wissenschaftler
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im Prinzip ja nicht mehr so recht vorhanden. Also ich meine, die meisten Zwillingspaare, die ich in Studien kennengelernt habe, die wir machen und mit denen ich gesprochen habe, erleben das Zwillingsdasein als etwas Positives. Und auf die Frage, die etwas unwissenschaftlich war, aber die lautete, wenn sie noch einmal geboren werden würden,
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wären sie dann gerne wieder Zwillingen, antworteten die meisten mit einem klaren Ja. Weil die Vertrautheit, die häufig zwischen diesen Paaren herrscht und auch dieses Ich werde verstanden ohne viele Worte. Hier ist jemand, der gibt mir auch Rückhalt und stärkt mich eben auch durch die Ähnlichkeit.
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Das hat natürlich ein sehr, sehr großes Potenzial für maximale soziale Unterstützung. Und nur dann, wenn ich mich in meiner Individualität, ich sag mal, angegriffen oder gefährdet fühle, dann muss ich vielleicht mich eine Zeit lang von meinem Zwillingen distanzieren.
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Es ist so spannend, weil man ja vielleicht auch nicht im ersten Moment darüber nachdenkt, dass man zum Thema Bildungserfolg und Intelligenz so gute Ergebnisse erzielen kann, wenn man sich mit Zwillingen der Forscher beschäftigt. Deswegen vielen Dank für den tollen Einblick in Ihre Arbeit. Ich versuche, noch einen kleinen Service-Blog am Ende
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aus unserem Gespräch herauszufiltern. Ich habe gelernt, es ist das Neue. Neugierig sein und die Leute suchen, die es wohlmeinend mit einem und mit Neuem in Berührung bringen. Das hilft beim Entfalten des Intelligenzpotentials.
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Und wenn wir Eltern sind oder Verantwortung haben für Kinder, dann ist es vielleicht unsere Aufgabe, wohlmeinend auf Kinder zu gucken und Angebote zu machen. Es gibt dieses unglaublich tolle Zitat von Uri Bronfenbrenner. Jedes Kind braucht mindestens einen Erwachsenen, der irrational verrückt nach ihr oder Ihnen ist.
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Das ist mir gleich eingefallen, als Sie das gesagt hatten mit dem wohlmeinenden Angebot. Und ich wette, dass der Hebel, den wir haben in der Kindheit, ein größerer ist, auch wenn sich nachher, das hatten Sie so gut erklärt, die Genetik bei der Intelligenz doch stärker zeigt, was im ersten Moment so verwunderlich ist.
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Ist das halbwegs ordentlich zusammengefasst, Herr Prof. Speler? Absolut. Ja, das hätte ich nicht besser machen können. Oh, jetzt, danke für das Kompliment. Ja, also die wohlmeinenden Angebote, die sind in der Tat etwas, was mir persönlich auch bedeutsam erscheint.
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Und für den Erwachsenen, dem diese fehlen, gilt es, sich selbst zu überlisten. Also aus dem Fahrwasser, aus den Leitplanken, die sowohl genetisch als auch umweltbedingt dann ja entstehen, das sind ja Trampelpfade, die wir in unserem Leben laufen, von sich wiederholenden Dingen, die wir tun und die von uns erwartet werden.
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Neugier und Offenheit für anderes heißt, überrasch dich selbst, ist nicht ganz einfach. Aber man könnte ja dann doch bei der nächsten Entscheidung, wo eigentlich klar ist, was man tun würde, einfach mal ganz bewusst das Gegenteil tun. Das ist ein wunderschöner Slogan zum Schluss.
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Überrasch dich selbst. Vielen Dank, lieber Professor Schminnaut, für diesen tollen Einblick. Danke, weiterhin viel Erfolg in der Twin-Live-Studie. Und hoffentlich auch ein nächstes Mal mit dann vielleicht auch Abschlussergebnissen, denn so lange geht sie nicht mehr. Noch drei Jahre oder wie viele Jahre geht die Twin-Live-Studie noch? Ne, wir haben jetzt die letzte Förderphase bewilligt bekommen. Das heißt, es geht jetzt noch etwas über ein Jahr.
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Es gibt auch noch so angedockte Projekte. Also insgesamt reden wir über ein bis zwei Jahre. Ja, dann sind wir sehr gespannt auf diesen Abschlussbericht. Und bis dahin, gutes Arbeit, viel Erfolg und herzlichen Dank. Vielen Dank Ihnen.