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Interview: Grundlagen der qualitativen Diskursforschung

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Interview: Grundlagen der qualitativen Diskursforschung
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10
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In diesem Video-Interview beantwortet die Sprachwissenschaftlerin Prof. Dorothee Meer Fragen zu den Grundlagen qualitativer Diskursanalysen.
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Liebe Studierende, herzlich willkommen zu der dritten Lerneinheit zur qualitativen Diskursanalyse. Und wir begrüßen heute bei uns im Gespräch Frau Dorothee Mehr, die Professorin für Angewandte Linguistik an der Ruhr-Universität Bochum ist. Frau Mehr hat sich bereit erklärt, heute für uns
einige Fragen zu beantworten und ich richte deshalb die Frage direkt an Sie. Frau Mehr, möchten Sie sich noch ganz kurz vorstellen? Ja, Herr Baumer, ganz lieben Dank, das mache ich gerne. Hallo, liebe Studierende. Ja, ich bin von Haus aus eigentlich vor knapp 30 Jahren als Gesprächsforscherin
gestartet und das, was diese Tätigkeit mit meiner heutigen beruflichen Tätigkeit verknüpft, ist die Überlegung, die ich in den letzten Wochen gelernt habe, induktiv vorrangig zu arbeiten und diese Überlegung aber von Anfang an mit Überlegungen von Michel Foucault und der Diskursanalyse verknüpft
habe. Und diese Überzeugung habe ich dann in den Jahren danach mitgenommen in dem Bereich meiner Arbeit zu diskursanalytischen Fragestellungen vorrangig im Anschluss an Foucault und habe hierbei vor allem Überlegungen aus dem Bereich der Textanalyse ergänzt und zwar vorrangig der multimodalen
Textanalyse. Und diese Kombination aus linguistischer, foucaultianischer Diskursanalyse und multimodaler Textanalyse werden auch der Hauptgegenstand meiner folgenden Überlegungen sein. Vielen Dank. Dann steigen wir doch direkt in das erste Thema ein und zwar den Themenbereich
qualitative Diskursforschung. Qualitative Diskursforschung ist ein Grundbaustein auch in der linguistischen Diskursforschung. Aber meine erste Frage vorweg wäre daher, was bedeutet es eigentlich
als Linguistin qualitative Diskursforschung zu betreiben? Wie würden Sie das beschreiben? Ja, ich würde gerne mit einem mini allgemeinen Platz anfangen, nämlich dass ich glaube, dass es nicht einen Zugang zu Fragen der qualitativen Diskursanalyse gibt. Das heißt, wenn ich jetzt weiter rede,
beziehe ich mich vorrangig auf die Art und Weise, wie ich qualitativ diskursanalytisch arbeite. Was ich vermutlich mit allen anderen teile, ist ein tendenziell induktiver Zugang. Das heißt, dass ich von konkreten Beispielen und relativ kleinen Korporen her meine Fragestellungen entwickeln
und meine Hypothesen aufstelle, aber gleichzeitig eben ausgehend von diesen induktiven Überlegungen und trotzdem immer wieder ein wie auch immer genau definiertes Verständnis von Diskurs dabei mitdenke, mit dem ich mich eben auf das beziehe, was Michel Foucault und die nicht nur an ihn, aber vorrangig auch an ihn anschließende linguistische Diskursanalyse im Laufe der Jahre entwickelt hat.
Insoweit, um das nochmal auf den Punkt zu bringen, würde ich sagen, qualitative Diskursanalyse bedeutet, auf der Grundlage der Annahme von Diskursen mit kleinen Korporen zu arbeiten und in der Tendenz oder vorrangig induktiv vom Einzelfall hin zu den kleinen Korporen sich weiter voran zu arbeiten.
Was würden Sie sagen, was spielt bei der Entwicklung oder auch bei der Überprüfung von Hypothesen bei qualitativ orientierten Ansätzen der Diskursforschung denn typischerweise eine große Rolle oder eine größere als woanders?
Ich würde gerne der Idee der Hypothesen noch die Idee der Fragestellung vorschieben, auch wenn das nicht speziell mit qualitativen Arbeiten zu tun hat. Also ich würde zunächst mal nicht direkt nach Hypothesen fragen, sondern ich würde zunächst mal ausgehend
in der Regel von einem einzelnen Exemplar, was ich untersuchen möchte, fragen, welche Fragestellung interessiert mich auf der Grundlage dieses Materials eigentlich und darauf aufbauend würde ich dann im Wechselspiel zwischen Fragestellung und der Erstellung meines kleinen Korpus bzw. der Bezugnahme
auf mein kleines Korpus gucken, macht diese Fragestellung eigentlich Sinn, weil sie sich als sinnvoll für viele Fälle meines Korpus erweist und erst dann, frühestens, würde ich zu dem Punkt kommen, wo ich eine eigene Hypothese entwickeln würde. Eine solche Hypothese kann in sehr, sehr unterschiedliche Richtungen gehen.
Das hat wirklich ganz viel damit zu tun, was bei der Analyse, beispielsweise ich werde jetzt mal ein bisschen konkreter, eines konkreten Tweets beispielsweise, das ist eine Textsorte, mit der ich viel arbeite, also was fällt mir auf bei der Analyse eines Einzeltweets, beispielsweise aus dem Bereich von Fridays for Future
in Zusammenhang mit dem Jahrestag, beispielsweise zu 5 Jahren Pariser Klimaschutzabkommen. Wenn ich mir einen solchen Tweet angeguckt habe, dann könnten ganz unterschiedliche Hypothesen bei meiner Analyse bezogen auf eine Fragestellung relevant werden. Es könnten mir bestimmte Metaphern auffallen,
die hier ganz besonders von Bedeutung sind und dann könnte ich überlegen, ob diese spezifische Art der Vertypisch für den Nachhaltigkeitsdiskurs ist. Ich könnte mir aber auch überlegen, ob die Position, die in diesem Tweet vertreten wird, mit Boko gesprochen eine konkrete diskursive Position, sich vielleicht in anderen Tweets wiederfindet, aber mit genau umgekehrter, diskursiver Wertung.
Also je nachdem, in welche Richtung meine Fragestellungen gehen würden, würden sich auch meine Hypothesen unterscheiden. Ich könnte aber auch vom Gegenstand weiter weggehen und eher auf die argumentative Struktur gucken, die in diesem Tweet aufgerufen werden und mich dann fragen,
gibt es in meinem Korpus oder in einem noch zu erweitertenen Korpus, gibt es ähnliche argumentative Strukturen oder gibt es genau entgegengesetzte argumentative Strukturen. Also was konkret meine Hypothese dann ist, hängt im ersten Schritt von der Fragestellung ab, im zweiten Zusammenhang damit
auch vom Material und dann aber auch von dem Interesse, dass diese Mischung aus Fragestellung und Material bei mir evoziert hat, wovon ausgehend ich dann konkrete Hypothesen bilden würde. Und die müsste ich dann langfristig anhand meines gesamten, zwar kleinen, aber Korpus überprüfen und mir die Frage stellen, ist diese Hypothese für das Gesamtkorpus wirklich tragfähig oder muss ich
sagen, es gibt so weiteren Teilerkenntnissen, die ich im ersten, zweiten oder vielleicht sogar erst im dritten Zugriff so noch gar nicht gesehen habe. Das heißt, letztendlich stehen meine Fragestellung, meine Hypothese und mein Korpus in einem permanent zirkulären Verhältnis zueinander und erst an dem
Punkt, wo ich sagen würde, so jetzt kann ich zu dieser Fragestellung aus diesem Korpus auch nichts mehr herausholen. Wer ich tendenziell am Ende meiner Analyse bezogen auf studentische Arbeiten, ist dieses Ende häufig durch Termine gesetzt. Das ist übrigens auch bei mir nicht anders.
Welche methodischen Ansätze eignen sich denn ganz besonders für Linguistische Diskursanalysen? Ja, wenn ich da auf die traditionelle Linguistische Diskursanalysen, die so alt jetzt auch noch nicht ist, also da verweist das traditionell eigentlich weiter zurück, als es tatsächlich angemessen ist,
wenn ich da hingucke, würde man wahrscheinlich eher von der Ebene des Lexemes herkommen. Man könnte sich Metaphern angucken, man könnte dann aus einer handlungstheoretischen Perspektive über zur Argumentation gehen und das dann auf allgemeine diskursive Strukturen, unterschiedliche diskursive Positionen ausweiten. Mein spezieller Weg an solche Korpora und Hypothesen methodisch heranzugehen,
kommt tatsächlich von der multimodalen Textanalyse. Also zunächst mal handelt es sich dabei um ein Textlinguistisches Verfahren, dass ich aufgrund meines Forschungsschwerpunkts, dass ich mich mit Fragen der Relation zwischen Sprache und Bildelementen in Texten sehr stark beschäftigt habe,
aber eben als multimodale Textanalyse zu begreifen wäre. Also wenn ich von daher komme, dann wäre meine erste Frage immer zunächst, wie arbeiten sprachliche und bildliche Elemente in einem ganz konkreten Exemplar, ich bleibe jetzt mal bei der Idee des Tweets als Textsorte,
wie arbeiten hier ganz konkret sprachliche und bildliche Elemente zusammen? Und das würde ich dann im nächsten Schritt koppeln mit durchaus traditionellen Verfahren, wie beispielsweise der Metaphananalyse, wie beispielsweise der Argumentationsanalyse, um dann eben auch auf größere diskursive Strukturen Bezug zu nehmen.
Worin liegt denn Ihrer Meinung nach der besondere Vorteil oder gar die besonderen Vorteile linguistischer Ansätze der qualitativen Diskursforschung gegebenenfalls auch gegenüber anderen Disziplinen? Also ich würde jetzt nicht zu denen gehören, die, ich sage jetzt mal,
induktive Verfahren per se gegen deduktive oder quantitative Verfahren sozusagen in Stellung bringen würden. Am Ende des Tages vermute ich, dass ein Zusammenspiel dieser beiden Ansätze, in der Mehrzahl der Fälle tatsächlich zu besseren Ergebnissen führen würde. Also mein Argument wäre jetzt erstmal nicht, qualitative Verfahren sind in irgendeiner Form an sich besser als quantitative Verfahren.
Gerade aus studentischer Perspektive scheinen mir aber qualitative Verfahren tatsächlich insoweit einen Vorteil zu haben, weil sie leichter an lebensweltliche Erfahrungen von Studierenden oder Auszubildenden ankoppelbar sind.
Ich kann tatsächlich mit Erfahrungen des Alltags, sei es im politischen Bereich oder sei es im Werbebereich oder sei es im medialen Bereich, mit Einzel-Exemplaren anfangen und zunächst mal gucken, was fällt mir hier auf und mit welchen linguistischen Theorien kann ich das erklären, was ich hier sehe.
Und dann kann ich schrittweise in Richtung auf mehr Abstraktion und Theoretisierung vorangehen, ohne dass dabei so schnell die Gefahr auftaucht, dass man den Bezug zum eigenen Gegenstand verliert. Und ich denke gerade mit Blick auf eine didaktische Perspektive der Diskursanalyse spricht insoweit vor allem das für mich für qualitative Methoden.
Darüber hinaus, wenn ich jetzt mal diesen Fokus auf die studentische Ausbildung außen vor lasse, ist ein großer Vorteil von qualitativen Verfahren, gerade aufgrund ihres induktiven Detailliertheitsgrades, dass man sich mit vielen Kleinigkeiten beschäftigen muss, aber auch kann und dann aber auch im nächsten Schritt fragen muss,
inwieweit tragen denn diese vermeintlichen oder tatsächlichen Kleinigkeiten dann tatsächlich zur Entwicklung von Gesamtbedeutung, zur Entwicklung konkreter diskursiver Positionen bei, inwieweit tragen sie dazu bei? Ja, doch, die Konstruktion stimmt.
Das heißt, der große Vorteil ist tatsächlich, dass einem nicht so schnell Dinge, die auf den ersten Blick als Kleinigkeit erscheinen, mögen, aus dem Blick geraten und insoweit auch die nicht die Gefahr besteht, dass sie verloren gehen. Der Weg hin zu größeren Hypothesen, die über den Einzelfall hinausgehen müssen,
ist sowieso vorstrukturiert, auch bei qualitativen Verfahren. Und die Stelle, an der dann tatsächlich sinnvolle Kopplungen mit quantitativen Verfahren in den Blick kommen würden, wäre zum Beispiel, wenn ich den Eindruck habe, aufgrund meines Korpus, ich könnte eine bestimmte Hypothese so vertreten, dann ist es natürlich wirklich spannend, sich zu fragen, inwieweit kann ich diese Hypothese jetzt auch quantitativ
an deutlich größeren Corpora überprüfen und dann verifizieren oder falsifizieren. Können Sie uns vielleicht Einblicke wehren in Daten, mit denen Sie arbeiten, vielleicht auch aus Projekten, mit denen Sie beschäftigt waren und Ihre Ausführungen dahingehend ein bisschen erklären und illustrieren?
Ja, das mache ich gerne. Und zwar würde ich gerne berichten aus einem laufenden Forschungsprojekt zu Narrativen der Nachhaltigkeit. Jenseits der Frage, was Narrative sind, das würde ich jetzt gerne gleich einmal kurz, weil das eine relativ neue Methode der Diskursanalyse ist, vorstellen. Aber bevor ich das mache, ganz kurz, es geht uns um spezifische diskursanalytische Strukturen oder Fragmentstrukturen,
weil ich werde jetzt gleich Narrative auch als Fragmente klassifizieren. Also es geht uns um Diskursstrukturen anhand sowohl von Printmedien aus dem Bereich der Nachhaltigkeit, wie aber auch im Hinblick auf Twitter und Verarbeitung von Nachhaltigkeit.
Das heißt, wir haben ein jetzt für studentische Zwecke natürlich viel zu großes kleines Korpus zusammengestellt aus etwa 200 Zeitungsbeiträge, in denen der Suchstring Nachhaltigkeit aufgetaucht ist und eine noch nicht klar definierte Menge von Twitterbeiträgen, die sich auch mit Fragen der Nachhaltigkeit beschäftigen.
Und unsere ganz allgemeine Einstiegsfrage war, welche Narrative von Nachhaltigkeit finden wir in diesem Korpus? Um jetzt zunächst einmal kurz klarer zu machen, was sind denn Narrative im Rahmen unseres Forschungsprojekts, würde ich gerne jetzt im ersten Schritt eine kleine Skizze zeigen, die definiert, was wir unter Narrativen verstehen.
Das, was Sie hier sehen, ist erstmal eine Tabelle. Und meine Bitte wäre, dass Sie zunächst mal nur auf die linke Spalte der Tabelle gucken, weil dort finden Sie die Merkmale von Narrativen. Also Sie finden dort das, was wir als Narrative definieren.
Und wenn Sie jetzt in dieser linken Spalte auf den mittleren Punkt der Handlungsentwicklung gucken würden, dann ist das auch schon in gewissem Sinne das Entscheidende an einem Narrativ. Wir begreifen unter Narrativen diskursive Fragmente, die den Aspekt der Handlung enthalten. Das heißt, es muss etwas passieren im Rahmen dieses Narratives, was eine Entwicklung von A nach B enthält.
Und um eine solche Entwicklung festmachen zu können, brauchen wir, und das steht direkt darüber, die im Rahmen dieser Handlungsentwicklung tätig werden. Und diese bewegen sich in der Regel innerhalb von Ort und Zeit.
Das heißt, auch das sind weitere Aspekte, die für die Bestimmung eines konkreten Narratives von Bedeutung sind. Und wenn ich jetzt nach unten in der Tabelle weiter vorangehe, dann sehen Sie dort den Aspekt der dominanten Gegensatzpaare. Das heißt, es geht uns darum, Handlungsentwicklungen im Rahmen eines Narratives aufbauend auf ein Gegensatzpaar
oder auch mehrere Gegensatzpaare zu erfassen und in den Blick zu nehmen, dass diese, und das ist in gewissem Sinne der diskursanalytische Clou, metaphorisch aufgelöst werden. Und daraus entsteht das Narrativ insgesamt. Damit das jetzt nicht so ganz furchtbar theoretisch bleibt, habe ich, und jetzt dürfen Sie gerne auch die rechte Spalte mit hinzunehmen,
das mal angewandt auf die Erklärung des European Green Deal, den Ursula von der Leyen als Präsidentin der Europäischen Kommission am 11.12.2020 in Form einer Rede, aber auch in Form eines schriftsprachlichen Textes, so der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt haben. Ich würde wieder anfangen mit der Handlungsentwicklung.
In diesem gesamten Green Deal geht es um die Entwicklung Europas hin zur vollständigen Klimaneutralität, und zwar ausgehend vom Zeitpunkt des Sprechens 2019, Entschuldigung 2020 natürlich, bis hin zu dem Endpunkt des Green Deals 2050, an dem Klimaneutralität erreicht werden soll.
Akteurinnen dieses Narrativs ist Europa und als Sprecherin Ursula von der Leyen und die Europäer, die Nutznießerinnen und Teilnehmerinnen dieses Green Deals sein sollen. Wenn wir jetzt gucken, was ist die entscheidende Opposition im Rahmen dieses Green Deals,
es ist nicht die einzige, aber tatsächlich die entscheidende, dann gibt es dort den Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie. Und das Gebrauchswertversprechen, wenn Sie so wollen, dieses Narrativs ist, dass es mit dem Green Deal gelingen soll, Ökonomie und Ökologie zu versöhnen. Und der Begriff der Versöhnung ist natürlich eine Metapher,
weil kein Mensch würde sich vorstellen, dass Ökonomie und Ökologie händeschüttelnd voreinander stehen. Das heißt, dieses entscheidende Gegensatzpaar wird in diesem Narrativ aufgelöst mit der Metapher der Versöhnung. Wenn ich jetzt also das Narrativ insgesamt schreiben sollte des Green Deals, dann würde ich das so tun, wie Sie es auf der Skizze sehen.
Es ist das Versprechen oder die Behauptung, dass es zwischen heute und 2050 möglich ist, Ökonomie und Ökologie so zu versöhnen, dass Europa durch die Anwendung des Green Deals bis dahin klimaneutral umgebaut wird.
Das heißt, worum es uns in diesem Forschungsprojekt mit dieser Definition von Narrativ geht, ist einerseits ein diskursives Fragment zu erfassen, das mit Metaphern ganz stark in den Mittelpunkt steckt, gleichzeitig zu Argumentationszwecken genutzt werden kann, aber eben auch eine spezifische diskursive Position ist.
Und all diese Erkenntnisse inklusive der Definition von Narrativen haben wir im Rahmen des Forschungsprojekts entwickelt über eine Corpus-Analyse. Also wir sind nicht deduktiv hingegangen und haben gesagt, dies ist ein Narrativ und jetzt suchen wir mal danach,
sondern wir haben uns zum Beispiel den Green Deal angeguckt und haben geguckt, wie können wir die Kategorie Narrativ anhand dieses Textes, dieser Textsorte entwickeln? Und dann sind wir eben im weiteren Forschungsprojekt hingegangen und haben diese Definition genutzt, um sie zu schärfen anhand von anderen Texten, zum Beispiel Zeitungsartikeln oder auch Twitterbeiträge,
und immer wieder neu zu überprüfen, ist diese Definition tragfähig und bringt sie uns im Hinblick auf Metaphernnutzung, argumentatives Potenzial und diskursive Position, Erkenntnisse über den Klimadiskurs der Gegenwart.
Ich würde jetzt im nächsten Schritt gerne diese allgemeine Idee des Forschungsprojekts konkretisieren an einigen Tweets, die unter dem Hashtag Klimalockdown seit 2020 in den deutschen Medien und zwar vorrangig auf Twitter genutzt worden sind.
Das ist nur ein Teilbefund dieses großen Forschungsprojekts und ich habe ihn deswegen rausgegriffen, weil das, was ich jetzt vorstelle, weitgehend die Ergebnisse einer Masterarbeit sind, die eine meiner Mitarbeiterinnen zum Hashtag Klimalockdown geschrieben hat, und insoweit ist es einerseits bezogen auf das Forschungsprojekt aktueller Forschungsstand,
aber gleichzeitig gibt es vielleicht eine Idee davon, was kann man tendenziell in einer solchen Masterarbeit auch damit anfangen. Ich würde dazu jetzt einmal auf einen ganz konkreten Tweet gucken. Und zwar ist das ein Tweet der Tageszeitung Welt, in dem unter Bezugnahme auf eine dpa-Meldung 2021,
nämlich am 4. Mai Michael Kretschmer, der sächsische Ministerpräsident, im Rahmen eines Interviews gesagt hat, ein Klimalockdown nach dem Corona-Lockdown wäre falsch. Also dieser Tweet ist noch nicht als Hashtag Klimalockdown viral gegangen,
aber er ist, wenn Sie so wollen, in gewissem Sinne der Kern dessen, was am gleichen Tag noch als Hashtag Klimalockdown dann verbreitet worden ist. Ich würde ganz gerne kurz den Diskurs historischen Hintergrund dieses Hashtags benennen,
und zwar Ausgangspunkt dieses Interviews der dpa mit Kretschmer war das Bundesverfassungsgerichtsurteil, in dem der damals aktuellen Bundesregierung in Form der Großen Koalition in Teilen Verfassungswidrigkeit im Hinblick auf ihr Klimaschutzgesetz vorgeworfen worden ist und sie aufgefordert worden ist, dies zu modifizieren.
Und ausgehend von dieser Entwicklung ist Kretschmer interviewt worden und sagt eben in diesem Interview diesen Satz, den Sie auch im Tweet sehen, ein Klimalockdown nach dem Corona-Lockdown wäre falsch.
Dies hat er, das Interview war einen Tag vor diesem Tweet gesagt, und was jetzt am nächsten Tag passiert, und dazu würde ich gerne einen weiteren Tweet zeigen, was jetzt am nächsten Tag passiert ist, dass dieser Tweet als Hashtag Klimalockdown aufgegriffen wird und vorrangig nahezu ausschließlich von Klimaleuchnerinnen und Klimaleuchtern genutzt wird,
um die These zu verbreiten, jemand hätte einen solchen Klimalockdown gefordert und dieser jemand sind in der Regel entweder die Grünen, Vertreterinnen aus dem Nachhaltigkeitsbereich oder aber ganz konkret als Personamen Annalena Baerbock.
Ich würde Ihnen gerne einen weiteren Tweet zeigen, der dies tut und das ist dieser Tweet und zwar hat ein Twitterer, den ich nicht persönlich irgendwie kenne, unter dem Hashtag Klimalockdown dieses Bildelement, also Sie sehen, wir sind wieder nahe bei der multimodalen Textanalyse gepostet,
auf dem zu lesen ist, also beziehungsweise zu sehen ist und zu lesen ist, dass dieser Hashtag gekoppelt wird an grüne Forderungen.
Für unsere Überlegungen zur Diskursanalyse ist dies besonders interessant deshalb, weil man hier sehen kann, wie ein bestimmtes Narrativ, nämlich ich nenne das jetzt mal das Narrativ des Klimalockdowns, diskursiv überhaupt erst konstruiert werden muss und das ist aus meiner Sicht einer der entscheidenden Leistungen der Diskursanalyse,
dass sie solche diskursiven Konstruktionen, mit denen bestimmte Behauptungen oder Präsuppositionen verknüpft sind, als Realitäten erscheinen lassen kann. Denn wenn wir uns jetzt einmal, und das wäre auch schon die letzte Abbildung, nein die vorletzte,
wenn wir uns jetzt einmal eine Analyse dieses Hashtags Klimalockdown mit dem Schema, was ich eben eingeführt habe, genauer angucken, dann können Sie sehen, dass mit diesem Hashtag auf der Ebene der Handlungsentwicklung etwas Doppeltes behauptet wird. Die erste Teilbehauptung ist, dass es vor dem Hintergrund der Corona-Krise möglich ist, die Corona-Krise einfach mit der Klimakrise gleichzusetzen,
weil natürlich hat es einen coronabedingten Lockdown gegeben, aber es hat keinen klimabedingten Lockdown gegeben. Das heißt, hier ist das metaphorische Mittel der Analogiebildung genutzt worden, um zunächst einmal eine solche Analogie relevant zu setzen
und dann in einem zweiten Schritt diese Analogie, wenn Sie den Tweet, den ich gerade gezeigt habe, einmal im Hinterkopf behalten, eine Behauptung aufzustellen, nämlich jemand im Fall des Tweets, die Grünen, ich habe das hier mal mit X markiert, fordern einen klimabedingten Lockdown.
Genau das ist aber überhaupt nicht geschehen, sondern was geschehen ist, ist dieser Satz von Michael Kritschmer, der dann eben als dieser Hashtag in den Medien explosionsartig verbreitet wurde. Das heißt, wir haben es mit einem Narrativ zu tun, weil wir erneut ein
Oppositionspar haben, nämlich das zwischen Klima- oder Klimakrise und Corona- und Coronakrise, ebenso wie zwischen Klima-Lockdown und Corona-Lockdown. Und metaphorisch wird in Form dieses Hashtags behauptet, dass diese beiden Krisen gleichgesetzt werden können, also diese Analogie-Bildung ist bereits eine Metapher und dass es eine solche Forderung, nämlich eines Klima-Lockdowns, gibt.
Was man jetzt, und das ist auch gedanklich der letzte Schritt in diesen Überlegungen, wenn man sich unser gesamtes Korpus vor allem auf Twitter anguckt, sehen kann, ist, dass dieses Narrativ an eine ganz bestimmte diskursive Position
gekoppelt wird, die vorrangig eben von Klimaleuchnern und Leuchnerinnen vertreten wird, dass wir in unserem Korpus aber andere diskursive Positionen sehen können, die dieses Narrativ entweder explizit verbal ablehnen oder aber durch Ironisierung als irrelevant zu erkennen geben.
Dazu würde ich abschließend gerne noch zwei kurze Beispiele geben. Ein explizite Zurückweisung, also eine genau entgegengesetzte diskursive Position wäre dieser Tweet von der Klimaaktivistin Carla Rehmsma, die ebenfalls noch am 4. Mai sagt, dass dieser Hashtag einen Diskurs nach Einschätzung von Rehmsma völlig unangemessen verschiebt.
Also sie spricht von dem Verschieben von Diskursen. Was sie damit analytisch zutreffen meint, ist, dass etwas vom Corona-Diskurs in den Klima-Diskurs verschoben wird und damit eben eine Behauptung aufgestellt, so explizit in dem Tweet, die
lediglich, wenn sie so wollen, propagandistische Aspekte im Superwahljahr in den Mitblick nimmt. Eine andere Strategie, diese diskursive Position zurückzuweisen, findet sich in diesem Tweet von Weischenberg H., davon gibt es ganz viele Tweets,
der ebenfalls den Hashtag Klima-Lockdown zurückweist, indem er hier bildlich realisiert auf die völlige Unangemessenheit der Analogiebildung verweist. Den sprachlichen Text parallel dazu können Sie selbst lesen. Während des Hashtags Klima-Lockdowns könnte das Homeoffice schwieriger werden.
Und die Ironisierung passiert in genau diesem multimodalen Zusammenspiel zwischen sprachlichem und bildlichem Text. Und was wir damit im Rahmen unseres Korpus haben, wäre eine weitere spezifische Form mit multimodalen Mitteln, eine ganz bestimmte diskursive Position zu formulieren. Haben Sie vielen Dank, dass Sie uns in so einem laufenden Forschungsprojekt Einblick gewährt haben.
Gerne. Gut, kommen wir dann zu unserem letzten Themenpunkt Ausblick, Studium und Forschung. Und ich würde an dieser Stelle gerne zwei Fragen an Sie richten, Frau Meier, und zwar erstens mit Blick auf Studienanfängerinnen.
Welche Tipps hätten Sie denn für Leute, die vielleicht jetzt am Anfang ihres Studiums stehen, vielleicht unseren Kurs besuchen, die Sie ihnen mit auf den Weg geben würden? Ja, ich habe so eine gewisse Intuition, einfach zwei unterschiedlich kernmotivierte Studierendengruppen zu unterscheiden.
Also für die Studierenden, die ganz stark an theoretischen Fragestellungen orientiert sind, ich rufe einfach mal ein Klischee auf und als Zweifachphilosophie studieren, denke ich, ist es durchaus möglich, mit einzelnen Fragmentüberlegungen, beispielsweise von Foucault oder auch aus der theoretischen,
linguistischen Diskursanalyse zu starten und direkt mit diskursanalytischen Fragestellungen an Themen heranzugehen. Mir selber, aber das ist auch eine Beobachtung an einer großen Anzahl meiner Studierenden, würde es aus der Perspektive der Studierendenanfängerin eigentlich eher einleuchten,
mit einem konkreten politischen Ereignis oder einem konkreten Einzelfall aus der Perspektive der multimodalen Textanalyse zu starten. Und zum Beispiel, indem man sich einen aktuellen Tweet, beispielsweise zum Labeln
von Atomkraft- und Gaskraftwerken in der letzten Woche im Europäischen Parlament, sich diesen Tweet zu nehmen und zu gucken, wie funktionieren hier sprachliche und bildliche Elemente innerhalb dieser Textsorte gemeinsam. Und dann ausgehend von solchen ersten konkreten, direkt auch alltagsweltlich angebundenen Beobachtungen
zu fragen, was heißt denn das darüber hinausgehend für den Diskurs der Nachhaltigkeit? Das heißt, mir selbst würde es eher näher liegen, gerade mit Blick auf Studienanfängerinnen eben von konkreten, lebensweltlich angebundenen Aspekten auszugehen und eher kleine Fragen in den Blick zu nehmen und daran größere theoretische Überlegungen in einem zweiten, dritten, vierten Schritt anzuschließen.
Vielen Dank. Auf der anderen Seite gefragt, was würden Sie denn jemandem raten, der oder die vielleicht am Ende des Studiums steht, eine Masterarbeit plant oder gar an die Promotion denkt?
Ich würde zunächst mal hoffen, dass diese Studierenden einige Schritte vorher schon gemacht haben und nicht erst im Rahmen ihrer Masterarbeit oder ihrer Promotion, wobei das natürlich andere Zeitdimensionen sind, sich mit dem Thema beschäftigen. Deswegen würde ich gerne zwischen meinen Überlegungen zu Studienanfängerinnen und der Idee der Masterarbeit einen Zwischenschritt einbauen.
Ich denke, dass es zum Beispiel im Rahmen von Hauptseminaren sehr sinnvoll ist, dann auch stärker theoretische Überlegungen zum Gegenstand qualitativen Arbeitens mit diskussanalytischen Fragestellungen gemacht zu haben. Ist das passiert, scheinen mir für Abschlussarbeiten die grundlegenden Überlegungen, die
ich im Laufe meiner bisherigen Ausführungen schon gesagt habe, ausschlaggebend zu sein. Also es macht dann Sinn, sich im besten Fall ein interessierendes Thema, beispielsweise aus einem politischen, diskussanalytischen Zusammenhang, aber es ist nur eine Möglichkeit zu greifen,
und mit einigen Tweets, die einen besonders interessieren, um jetzt einmal beim Tweet zu bleiben, zu beginnen und nach Ausfälligkeiten zu suchen und dann genauso, wie ich es bezogen auf Ihre vorhergehenden Fragen erläutert habe, schrittweise einen Korpus zusammenzustellen, eine Fragestellung zu entwickeln und ausgehend von dieser Fragestellung dann Hypothesen zu entwickeln.
Ergänzend zu dem, was ich praktisch bereits ausgeführt habe, scheint es mir von besonderer Wichtigkeit zu sein und das auch durchaus in Rückkopplung an betreuende Lehrende immer wieder im Blick zu behalten,
ob die Fragestellung einerseits präzise genug ist, um das Korpus wirklich und um Teilaspekte des Korpus wirklich erfassen zu können, aber gleichzeitig eben auch sich abzusichern, dass die Fragestellung nicht viel zu groß und viel zu weit ist. Das scheint mir eine der ganz großen Schwierigkeiten von diskursanalytischen Arbeiten
zu sein, Fragestellungen letztendlich auf einem mittleren Niveau so zu formulieren, dass es eben auch in der zur Verfügung stehenden Zeit diese Frage beantwortet und empirisch bearbeitet wird. Also, worum es mir an diesem Punkt geht, ist herauszustellen, dass es
bei Abschlussarbeiten eben darum geht, eine Fragestellung auf einem mittleren Niveau zu formulieren, dass es ermöglicht einerseits wirklich im Detail am Korpus zu arbeiten, aber gleichzeitig die Fragestellung auch eng genug zu halten, dass es mit diesem konkreten Korpus auch wirklich bearbeitbar bleibt und nicht ins Unendliche geht.
Das ist, ich habe es gerade schon gesagt, sicherlich eine der großen Gefahren von diskursanalytischen Abschlussarbeiten. Ob diese Gefahr für Promotionen gleichermaßen zutrifft, da würde ich mich jetzt mal nicht ganz so weit aus dem Fenster hängen. Aber auch da ist natürlich der Aspekt der Begrenzung, also
der Angemessenheit, aber gleichzeitig Begrenzung der Fragestellung von ganz entscheidender Bedeutung. Vielen Dank. Und an dieser Stelle verabschieden wir uns auch schon von mir. Vielen Dank, dass Sie mit Ihrer Expertise unsere Fragen beantwortet haben. Ich habe das gerne getan. Danke Ihnen.
Vielen Dank.