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Multimodale Texte in der Übersetzungspraxis (Teil 6/7)

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Multimodale Texte in der Übersetzungspraxis (Teil 6/7)
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6
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29
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6. Teil der Vorlesungsreihe Translationswissenschaft: Zur Bedeutung multimodaler Texte in der Übersetzungspraxisund der Wandel des Berufsbildes
Keywords
Computer animationDiagramMeeting/Interview
Computer animation
Computer animation
Computer animation
Computer animation
Computer animationLecture/Conference
Herzlich willkommen zur Vorlesung Transationswissenschaft. Ich bin Professor Angelika Hennecke. In dieser Vorlesung werden wir betrachten, inwiefern die beiden letzten Videoerörterten
Text-Bild-Beziehung, das heißt die Beziehung der Komplementarität und die Beziehung der Dependenz, auf Fachtexte zutreffen und in welchen Bereichen Übersetzerinnen und Übersetzer damit zu tun haben. Betrachten wir zunächst die Beziehung der Komplementarität, das heißt der
wechselseitigen Ergänzung und Verstärkung von Text und Bild. Wie gesagt werden Text und Bild in diesen Texten komplementär gestaltet, wenn es darum geht sachliche Informationen zu vermitteln
und den Kenntnisstand über den im Text thematisierten Gegenstand zu erhöhen. Damit ist logischerweise diese Strategie für multimodale Fachtexte, also zum Beispiel für technische Fachtexte, die dominante Strategie, da es ja immer um Verdeutlichung geht. Das Verständnis
soll erleichtert und die Memorisierung erhöht werden. Die meisten Fachtexte aus allen möglichen Fachbereichen, also Technik, Medizin, Recht, Kunst, Kultur oder Wirtschaft, sind durch eine wechselseitige Ergänzung von sprachlichem und bildlichem Teiltext
gekennzeichnet. Oftmals übt das Bild da eine illustrierende oder ergänzende Funktion aus. Es dient also vorrangig der Verdeutlichung und der Veranschaulichung des im Text kommunizierten Sachverhaltes. Damit ist der sprachliche Teiltext eben auch
meist der zentrale oder dominante Code. Aber es gibt natürlich auch den umgekehrten Fall. Wenn wir die symbiotische Textdefinition nach Pusna zugrunde legen, in der wir ja gesagt hatten, dass prinzipiell alles ein Text sein kann, mein Artefakt ist, eine Funktion hat und
für dies einen Code gibt, dann könnte man auch ein Gemälde als ein Text begreifen. Was im Museum hängt mit der dazugehörigen Erläuterung, also Maler, Titel und so weiter. Dann wäre das Bild der zentrale Bestandteil und der sprachliche Teiltext hätte eine erläuternde oder erklärende
Funktion. Wir sehen hier nun das Beispiel eines Wirtschaftsfachtextes. Sicher haben sie schon oft mit dieser Art von Texten zu tun gehabt. Eine häufige Erscheinungsform bei technischen oder wirtschaftlichen Fachtexten ist die exemplarische Illustration oder grafische
Veranschaulichung ausgewählter inhaltlicher Aussagen des sprachlich-verbalen Teiltextes. Und zwar an den Stellen, die in der Regel als inhalts tragend oder besonders relevant für den gesamten Textinhalt angesehen werden. Dies erfolgt oft in Form von Diagrammen,
grafischen Darstellungen, Tabellen, Schaubildern und so weiter. Ziel dieser komplementären visuellen Darstellung ausgewählter Textpassagen bzw. der tragenden Textaussagen ist in der
Regel eine Ergänzung oder Verstärkung und Verdeutlichung der Aussage des verbalen Teiltextes. Auch kann aber dadurch die Aufmerksamkeit des Rezipierenden auf ein bestimmtes Detail gelenkt werden, welches der Autor oder die Autorin für die inhaltliche
Aussage des Textes als besonders relevant erachtet. Durch die zusätzliche Visualisierung verbaleindeutiger Informationen in Fachtexten kann also ein Schwerpunkt gesetzt werden und die Rezeption des Empfängers gezielt gelenkt werden. Häufig finden sich dafür
explizite Verweise im sprachlichen Teiltext auf das Bild, beispielsweise durch die Angabe der dazugehörigen Grafik in einer Klammer hinter dem Satz. Das sehen Sie auch hier in diesem Beispiel auf der Folie durch die rot eingekreisten Textstellen. Ich
sage, dass es sich hierbei um eine besondere Form von Intratextualität handelt. Das heißt, es liegt ein intratextueller Verweis vor und damit werden die beiden Teiltexte syntaktisch miteinander verknüpft. Man kann auch von einem expliziten Interface
sprechen. Solche expliziten intratextuellen Verweise vom sprachlichen auf den visuellen Teiltext oder umgekehrt finden sich in sehr vielen Arten von Fachtexten, zum Beispiel in Gebrauchs- und Bedienungsanleitungen, in Wirtschaftsfachtexten, in Rechtstexten.
Dieses Beispiel hier ist ein spanischsprachiger Wirtschaftsfachtext verdeutlicht, ebenso die Eigenschaften von Grafiken oder anderen visuellen Darstellungen viele Informationen in sehr kurzer, platzspannender und gebündelter Form zu präsentieren. Wir hatten in
der vorangegangenen Vorlesung gesagt, dass Bilder eine ungemeine Informationsdichte liefern, dass sie also semantisch viel dichter sind als die Sprache. Würde man all diese Informationen im sprachlichen Code nutzen, würde das unheimlich viel mehr Raum einnehmen
und es würde zum Beispiel sogar zur Unlesbarkeit führen. Die Nutzung visueller Teiltexte in Fachtexten ist daher eben auch in Abhängigkeit vom Medium und dem zur Verfügung stehenden Platz zur Publikation des Textes zu betrachten. In diesem konkreten Ausgangstext
hier geht es um die Produktivität von kleinen und mittleren Betrieben, den sogenannten Pymes in Lateinamerika im Vergleich zu Europa. Im sprachlichen Teiltext werden die durchschnittlichen regionalen Zahlen genannt. Danach beträgt die Produktivität der Pymes in der Region Lateinamerika 16 bis 36 Prozent der Produktivität von großen
Unternehmen, während diese Zahl in Europa bei 63 bis 74 Prozent liegt. Im sprachlichen Text wird ja explizit auf Abbildung 2.1 Grafico dos Punto Uno verwiesen und in dieser genannten Grafik werden diese durchschnittlichen Zahlen dann noch aufgegliedert
auf die wichtigsten Länder Lateinamerikas und Europas. Und die genannten Pymes werden noch unterteilt in Mikro-, Kleine- und mittlere Betriebe. Das bedeutet, diese Grafik liefert viel detailliertere und genauere Informationen als der sprachliche Teiltext.
Die intratextuellen Verweise dienen auch einer gelenkten Lesart. Das heißt, diese gegenseitigen Verweise fördern eine bestimmte Rezeptionsrichtung und sie strukturieren auch den Text, quasi wie ein roter Faden. Verbaler und visueller Teiltext ergänzen
sich normalerweise, da es ja natürlich bei Fachtexten vorrangig um die Vermittlung von Informationen und von sachlichen Kenntnissen geht. Der Rezipierend soll, anders als beispielsweise in der Werbung, ja keinen Überraschungs- oder Schockeffekt erfahren. Er soll ja nicht erst zusätzliche kognitive Anstrengungen unternehmen müssen, um die
Textbotschaft zu verstehen. Ganz im Gegenteil, das Zusammenspiel von verbaler und bildlicher Information dient der Verdeutlichung und oder Verstärkung der inhaltlichen Aussagen. Dadurch soll nämlich die Interpretation der Textbedeutung so möglichst eindeutig
Das heißt, Mehrfachbedeutung sollen möglichst ausgeschlossen werden. Und die prinzipiellen speziellen syntaktischen und semantischen Verbindungen, diese Interfaces zwischen beiden Teiltexten, sollen die Eindeutigkeit der Interpretation befördern.
Bei einer Übersetzung ist daher diesen Verweisen, diesen Stellen, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Ja, da die Verkopplung von Text und Bild in Fachtexten in der Regel an inhaltlichen Schlüsselpassagen erfolgt, muss das in der Übersetzung auf der syntaktischen Ebene, beispielsweise Beachtung, Thema Rema-Struktur, die Konnektoren,
die Aufteilung in Haupt- und Nebensätze beachtet werden, auf der semantischen Ebene durch die Schlüsselwörter, durch eindeutige Fachtermini und auf der pragmatischen Ebene gegebenenfalls durch die Explizierung von Präsuppositionen oder von impliziten Verweisen.
Betrachten wir ein weiteres Beispiel. Lesen Sie bitte zunächst den kurzen Text auf der Folie durch. Dieser Text behandelt die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland nach der letzten weltweiten großen Wirtschafts- und Finanzkrise 2007-2008. Verwiesen wird hier im letzten Satz auf
die Abbildung 1. Unter dieser genannten Abbildung 1, die Sie hier sehen, finden sich dann vier
wichtige Wirtschaftsindikatoren. A. Das reale BIP-Wachstum. B. Unternehmensinvestitionen. C. Arbeitslosenquote und D. Arbeitskosten je Stunde und Inflation. Das bedeutet, unter den im Text genannten, sehr allgemeinen und mehrdeutigen Begriff der Finanzmarktspannungen, verbergen
sich vier wichtige Indikatoren, die als Maß für eben diese Spannungen gelten können. Der Terminus Finanzmarktspannung, ob gleich ein Fachterminus, lässt eigentlich ja viele Interpretationen zu, die sicher auch vom jeweiligen Rezipienten und seiner Kultur
abhängig sind. Also die Börse oder die Aktienmärkte könnten angespannt sein, die Kreditvergabe könnte eingeschränkt sein und so weiter. Ganz sicher wäre dieser Terminus auch ein Übersetzungsproblem, da eben der Begriff mehrdeutig und etwas vage ist.
Was genau gemeint ist im Hinblick auf die wirtschaftliche Erholung in Deutschland nach dieser Krise, erschließt sich unter Einbeziehung der komplementären visuellen Grafiken, auf die im Text direkt verwiesen wird. Die komplementäre visuelle Ergänzung der Textaussage hat hier also eine monosemierende und verdeutlichende Funktion. Je nach dem
Vorwissen des Rezipienten kann hier der visuelle Teiltext unter Umständen die Aussage sogar überhaupt erstverständlich machen. Und je nach Übersetzungsauftrag und nach Empfängerkreis könnte die Übersetzerin oder der Übersetzer auch eine andere
Übersetzungsstrategie wählen. Für ein Laienpublikum wäre beispielsweise eine explizite Nennung der gemeinten Spannungen auch im verbalen Teiltext möglich. Auf alle Fälle bieten diese Grafik auch dem Textverständnis des Ausgangstextes für den Übersetzer oder die Übersetzerin selbst. Es kann, wie gesagt, je nach Lage und Übersetzungsauftrag nötig
werden, die visuell gelieferten Informationen eben in explizite sprachliche Informationen im Ziertext umzuformen, also den einen Code durch den anderen quasi zu ersetzen. An diesem Beispiel wird wiederum nochmal die Eigenschaft visueller Zeichen deutlich
verdichtete und komplexe Inhalte in kurzer, platzspannender und sprachlich-ökonomischer Form darzustellen. Diese Grafik enthält in gebündelter Form eine Vielzahl von wichtigen Informationen, die in dieser Knappheit und Kürze im sprachlichen
Teiltext unmöglich darzustellen wären. Gerade für Wirtschaftsfachtexte ist daher festzustellen, dass zusätzliche, komplexe Informationen, die für das Gesamtverständnis wichtig sind, oftmals in Form von Abbildungen, Grafiken und Diagrammen geliefert werden, als Ergänzung zum sprachlichen Teiltext und aus Gründen der sprachlichen Ökonomie.
Die andere Variante, dass die Sprache ein an sich verständliches Bild oder eine grafische Darstellung redundant erläutert, findet sich auch sehr häufig in technischen Fachtexten. Die zunehmende Dominanz des visuellen Codes gegenüber dem sprachlichen
führt ja beispielsweise dazu, dass Bauanleitungen, wie wir sie alle von Ikea kennen, nahezu ausschließlich visuell aufgebaut sind. Knappe und präzise sprachliche Informationen haben dabei die Funktion, das Bildverständnis zusätzlich zu erleichtern und eventuelle Unklarheiten beim Rezipieren auszuräumen. Interessant ist hier auch,
dass intertextuelle Verweise vorhanden sind. Bei vielen Anleitungen, beispielsweise zur Inbetriebennahme von Druckern, PCs oder anderen elektronischen Geräten, besteht der komplementäre sprachliche Teiltext zum dominanten Bild oftmals nur noch aus der
Angabe einer Internetadresse, unter der der Benutzer gegebenenfalls weitere Informationen findet. Das bedeutet, dass es sich bei dieser Art von Texten um Hypertexte handelt, die theoretisch unbegrenzt sind, sobald der Rezipient auf diese Seite geht und den
Hinweis auf die Internetseite benutzt. Auch in diesem Beispiel hier ist das Bild dominant und der sprachliche Teiltext ist sehr kurz gehalten. Zuerst springt das Bild ins Auge, weshalb ich sagen würde, dass der verbale Teiltext das Bild nur zusätzlich erläutert. Wie bereits gesagt, fast ganz ohne Worte kommen die Bauanleitungen von IKEA aus,
die wir alle kennen und sicher von anderen Anbietern auch. Der sprachliche Teiltext besteht nur noch aus dem Markenlogo und dem Namen sowie den Ziffern zur Kennzeichnung der Baureihenfolge. Bei Fachtexten dieser Art ist die Verwendung der bildlichen
Information, also Logos, Zeichen, Symbole, oftmals auch kulturspezifisch. Die Kulturspezifik von Symbolen und visuellen Zeichen spielt ja auch gerade in der Softwarelokalisierung eine große Rolle und ist damit ein semiotisches Übersetzungsproblem.
Das Text-Bild-Verhältnis ist an unterschiedliche Rezeptionsgewohnheiten und Konventionen angepasst. Solche kulturell bedingten Textkonventionen in multimodalen Texten sind damit für die Übersetzungspraxis überaus relevant. Ein Beispiel bei den
länderspezifischen Hinweisen zur Entsorgung einiger Bauteile des Mini-Laptops von Dell fällt beispielsweise auf, dass die Hinweise für die USA und zwar nur für die USA in Großbuchstaben gedruckt sind. Eine mögliche Interpretation wäre, dass über diese
Schriftart die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf die umweltverträgliche Entsorgung der Batterien gelenkt werden soll, was bei den im Durchschnitt umweltbewussteren Deutschen zum Beispiel nicht nötig ist. Deshalb da ganz normale Schrift. Bei der
Übersetzung von Rechtsfachtexten kann darüber hinaus ein Zeichensystem das andere im Zieltext ersetzen bzw. dessen Rolle übernehmen. Das kennen Sie aus dem Fachtext Übersetzen von Rechtstexten. Es ist nicht möglich bzw. rechtlich auch nicht erlaubt, in Urkunden
oder anderen rechtlichen Dokumenten beispielsweise die Stempels, Logos, Gebührenmarken und visuell wiederzugeben. Dann wird in der Regel das Bild im Ausgangstext durch Sprache im Zieltext ersetzt. Das heißt, ein Code im Ausgangstext wird durch den anderen,
nämlich dann den verbalen, im Zieltext substituiert. Dann wäre es ständig ein Austausch. Kommen wir an dieser Stelle zu einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen zur Beziehung der Komplementarität in Fachtexten. Die intratextuellen Verknüpfungen in Sprache-
Bildtexten strukturieren die Informationsverarbeitung wie ein roter Faden und geben die Lesrichtung vor. Sie leiten damit das Textverständnis und sind ein makrostrukturelles Element und dienen auch der Kohäsion. Der visuelle Teiltext kann dem Übersetzer, der Übersetzerin
wertvolle Zusatzinformationen liefern. Er bündelt in kondensierter und kurzer Form eine Vielzahl von Informationen, die im Falle einer Verbalisierung den Text unübersichtlich gestalten könnten. Die visuellen Teiltexte liefern in der Regel also zusätzliche komplementäre Informationen. Dadurch sind theoretisch auch zwei Lesarten möglich.
Für diese Synthesephase kann die Interpretation der visuellen Darstellung auch die Grundlage für die Parafrasierung von Fachterminen sein, für die es zunächst kein 1 zu 1 Äquivalent in
der Zielsprache gibt. Also wenn man dann das nicht versteht, das Äquivalent nicht findet und zunächst mal parafrasiert, was die Grafik darstellt, kann man auf den äquivalenten Tausdruck der Zielsprache kommen. Und je nachdem Skopos der Übersetzung oder auch der Textsorte
kann es notwendig werden, ein Code durch den anderen zu substituieren. Zur kurzen Erinnerung, wenn sich also diese beiden Teiltexte nicht sekundär ergänzen und damit in ihrer Bedeutung gegenseitig verstärken, sondern wenn sich ihre Bedeutung nur im
wechselseitigen Bezug aufeinander ergibt, liegt die Beziehung der wechselseitigen Determination oder der Dependenz vor. Durch diese Art der Beziehung ergibt sich eine veränderte Bedeutung eines oder beider Teiltexte, die so ohne den anderen Kontext nicht zustande gekommen wäre. Für sich allein genommen können also in einer solchen
Konstellation Text und Bild völlig verschiedene Bedeutungen kommunizieren oder andere Interpretationen offen halten. Außerdem soll die Aufmerksamkeit des Rezernieren geweckt werden. Es sind übergreifende zusätzliche kognitive Operationen nötig,
um die Textbotschaft zu erfassen. Erhoffte Wirkungen sind Überraschungen, Neugier, Humor und sogar Schock. Dies alles dient natürlich zumeist nicht dazu vor, wegen sachliche Informationen zu übermitteln. Für Fachtexte, bei denen Eindeutigkeit und Objektivität gefordert wird, ist diese Art der Text-Bild-Beziehung daher eher unüblich
oder sogar kontraproduktiv. Allerdings kann eine Inkohärenz zwischen sprachlichem und visuellem Teiltext, also wenn man meint, das passt nicht zusammen, sowohl inhaltlich als auch funktional, dem Übersetzer oder der Übersetzerin wertvolle Hinweise geben,
nämlich zum Beispiel auf eine Fehlerstelle im Ausgangstext aufmerksam machen. Was ist der Fall? Solcherlei augenscheinliche Inkompatibilitäten oder eben entgegengesetzte Funktionalitäten können auch auf Übersetzungsprobleme hinweisen. Sie können Marker
von Präsuppositionen sein, denn wir wissen, Präsuppositionen an sich sind ja nicht markiert. Das sind ja implizite Textinformationen. Wenn man also auf solche Inkompatibilitäten stößt, kann sich dahinter eine Präsupposition verstecken. Der Textproduzent
hat Wissensbestände beim Rezipienten vorausgesetzt und nicht an der Textoberfläche materialisiert. Das heißt, die Aufdeckung von solchen Widersprüchen oder Inkompatibilitäten zwischen Text und Bild im Fachtext kann die Übersetzerinnen dazu
zusätzliches Wissen vielleicht anzueignen, um dieses Prinzip der gemeinsamen Funktionalität aufzuspüren. Weiterhin kann oftmals ein Bild oder eine Grafik die Interpretation des
sprachlich-vibalen Teiltextes erhellen oder auch monosemieren, wenn dieser entweder sehr implizit, undeutlich, mehrdeutig oder sogar fehlerhaft formuliert ist. Wie gesagt, fehlerhafte Ausgangstexte finden wir in der Übersetzungspraxis häufig. Dazu soll im
Folgenden ein Beispiel erläutert werden. Es handelt sich hier um einen Spanischsprachigen Ausgangstext, der zusätzlich, wie Sie sehen, mit einer Grafik versehen ist, welche den im verbalen Teiltext dargestellten Sachverhalt illustriert. Es geht in diesem Text um die Entwicklung des Minimallohnes in Bolivien. Die problematischen Textstellen
sind hier markiert. Auch wenn Sie nicht Spanisch beherrschen, möchte ich Sie bitten, die markierten Textstellen kurz zu betrachten. Auf dieser Folie nun finden Sie die Übersetzung, und zwar, wie sie von den Studierenden angefertigt wurde. Ich bitte Sie besonders
den letzten hervorgehobenen Satz zu lesen. Ich arbeitete mit diesem Text im Seminar Fachübersetzen Wirtschaftsspanisch-Deutsch, im Master Fachübersetzen an der TH Köln. Und die Studierenden übersetzen also alle den letzten Satz des Ausgangstextes,
wie hier angegeben und hervorgehoben. Das bedeutet, sie ignorierten die dazugehörige Grafik und übersetzen den Ausgangstext relativ unreflektiert oder zunächst einmal eins zu eins, da sie den inhaltlichen Widerspruch nicht bemerkten. In der Diskussion dann
wurde nämlich deutlich, dass sich die Aussage des letzten Satzes dieses Ausgangstextes, wo es über den Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens in den letzten zehn Jahren geht, mit den danach angegebenen Jahreszeilen widerspricht. Die Vermutung, dass es sich um einen Tippfehler
handelt, kann durch die Grafik bestätigt werden. Wir haben uns dann genau die Grafik nämlich angeschaut und das diskutiert. In der Grafik taucht das im Text genannte Jahr 1950 nämlich überhaupt nicht auf. Da sich die Angaben im Ausgangstext auf die Preise
von 1990 beziehen, kann man das leider nicht übers Internet nachprüfen. Aber man kann eine Verhältnisgleichung aufstellen, um den Verdacht des Fehlers im Ausgangstext zu beweisen. Die angegebenen Zahlen von 1902 Boliva in angeblich 1950 und 2854 Boliva in 2009 stehen
ungefähr in einem Verhältnis von 1,5 zueinander und die in Dollar angegebenen Werte in der Grafik für die Jahre 1999 und 2009, die nach unserer Vermutung dann die
58 bzw. 87 Dollar und stehen damit ebenso in einem Verhältnis von 1,5. Damit kann man mit Einbeziehung der Grafik diesen Widerspruch lösen. Und in der Übersetzung kann dann auf diese fehlerhafte Information im Ausgangstext beispielsweise durch eine Anmerkung des
Übersetzers oder der Übersetzerin hingewiesen werden. Anmerkung des Übersetzers, es wird vermutet, dass an dieser Stelle im Ausgangstext ein Fehler vorliegt. 1950 wurde daher korrigiert zu 1999. Es muss sich nicht immer um direkte Fehler im Ausgangstext handeln. Oftmals
sind gerade kurzlebige Wirtschaftsberichte oder Prognosen sehr schnell und unter Zeitdruck verfasst worden, sodass es nicht selten unklare Ausdrücke, syntaktisch fehlerhafte Konstruktionen oder semantische Ungenauigkeiten gibt. Das ist ein geradezu normales Phänomen,
was wir gleichermaßen in Deutschsprachen-Fachtexten finden. Deswegen sind die visuellen Elemente so wichtig. Die Zusatzelemente sollten wir doch deutlich und aufmerksam anschauen, da diese helfen können, solche Ungereinheiten oder Unklarheiten im Ausgangstext aufzuklären.
Wir können also festhalten, dass visuelle Elemente in Texten bei der Übersetzung unbedingt zu berücksichtigen sind. Sie sind kein schmückendes Beiwerk, sondern sie sind inhaltstragend und bedeutungsrelevant. Damit sind wir am Ende der heutigen Vorlesung
angekommen. Ich bedanke mich wie immer ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.