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ARCH+ features 72: Bruno Tauts Architekturlehre / Teil 3

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ARCH+ features 72: Bruno Tauts Architekturlehre / Teil 3
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101
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BRUNO TAUTS ARCHITEKTURLEHRE ARCH+ features 72 in der Architektenkammer Berlin, 6. März 2018 Lesung von Jenny Schily 2018 jährt sich Bruno Tauts Todesjahr zum achtzigsten Mal. Aus diesem Anlass hat ARCH+ seinen Grundlagentext zur Architekturtheorie neu aufgelegt. Der „schöne Gebrauch“ und die Idee einer Architektur der „guten Beziehungen“ – aller Teile zum Ganzen und aller Anforderungen zur Gesellschaft – führt Taut zur Theorie einer „Architektur der Relativität“, die jede Formvorgabe und jede einseitige wissenschaftliche Herleitung als Formalismus ablehnt. Taut entwarf die Thesen zunächst 1936 im japanischen Exil als „Architekturüberlegungen“ und fasste sie danach in dem Essay „Wie kann eine gute Architektur entstehen?“ zusammen. In der Türkei erweiterte er seine Gedanken schließlich für Unterrichtszwecke zur Architekturlehre. Sie erschien kurz nach seinem Tod im Jahr 1938 als Mimari Bilgisi in türkischer Übersetzung. Jenny Schily, Urenkelin von Bruno Taut, lässt dessen Text in einer Lesung lebendig werden --- JENNY SCHILY ist Schauspielerin und lebt in Berlin. Neben diversen Produktionen am Maxim-Gorki Theater, der Schaubühne in Berlin, und dem Theater am Turm in Frankfurt, wirkte sie in diversen Fernseh- und Kinofilmen mit, u.a. 1999 in "Die Stille nach dem Schuss" von Volker Schlöndorff.
Taut, BrunoArchitectureLecture/Conference
MudLecture/ConferenceMeeting/Interview
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Church (building)Lecture/ConferenceMeeting/Interview
Church (building)Lecture/Conference
Church (building)Lecture/ConferenceMeeting/Interview
TiefgarageLecture/Conference
Water–cement ratioNeue Kirche <Emden>Lecture/ConferenceMeeting/Interview
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4. August und 28. September 1936. Wie ist unsere Situation? Es bleibt unbestreitbar. Die Kunst der Proportionen schläft,
da sie erst mit der Gesamtheit aller Menschen sterben kann, wie im Schein Tod. Oder sie schläft vielleicht auch einen sehr gesunden Winterschlaf, hat sich verkrochen, weil es draußen zu kalt ist. Das ist kein Trost, sondern höchstens eine zutreffende Feststellung.
Aber die Welt interpretieren heißt, sie verändern. Die Einsicht in Ursachen, Ablauf und Folge eines Zustandes ist bereits eine positive Aktion des Geistes. Handeln befreit vom Druck der Lethargie und kulturelles Handeln ist Handeln des Geistes.
Was uns am meisten in unserem psychischen Gleichgewicht stört, scheint mir im Folgenden zu liegen. Wir irren uns, wenn wir glauben, dass die Religion als erste Geistes- oder richtiger Seelenmacht entthrohend ist.
Die blonde Bestie Nietzsche's, das absolute Heidentum, das unbedingte Nichtglauben wird noch lange auf seinen Thron warten müssen. Vorläufig wird noch lange der Schlamm darauf sitzen und nach Zarathustras grandiosem Gesang gegen den Staat
der Thron auf dem Schlamme. Der Künstler, der Glaubenslose, dem kein Diktat gilt, kein Dogma, keine Orthodoxie, der in außerkünstlerischen Dingen immer Ketzer ist, der weder Bilder stürmt, noch sie anbetet, er existiert bestenfalls, eventuell auch am besten,
unter der Schellenklappe des Hofnarren, wie Nietzsche, Scherbart und viele andere. Viele auch, die gut zu heucheln verstehen und mit ihrer scheinbaren Verrücktheit dem auf dem Thron seine geistige Gesundheit bestätigen.
Die Religion hat sich nicht entthronen lassen. Sie hat das Kostüm gewechselt, um als etwas anderes zu scheinen, als sie ist, und sich dadurch umso fester gesetzt. Ihr Schutz war, dass man sie verwechselte.
Das neue Gewand verkleidete sie nicht nur, es steht ihr ausgezeichnet. Es gibt ihr die volle alte Kraft wieder. Zweckmoral, Folterung, Mord wird wieder von ihr geheiligt. Ich sage absichtlich Religion und nicht Kirche.
Der Kernpunkt liegt im Glauben, im Hinnehmen und für Wahrhalten des Nichtbeweisbaren, im Gehorchen, auch mit den Gedanken und dem Gefühl, sei es auf Befehl oder durch Massen, und damit verbundene Selbstsuggestionen. Gemeint ist damit nicht Weltgefühl,
universales Denken und dergleichen, das heißt Gefühl und Gedanke, die im Einklang mit der Vernunft stehen. 29. September 1936.
Man muss sich schon entschließen, in jedem Gläubigen hinnehmen, von allgemeinerten Postulaten Religiosität zu sehen. Zum Beispiel mit Darwin und Karl Marx wurde die Kirchengläubigkeit sehr erschüttert, aber keineswegs die Gläubigkeit der Kinderseelen selbst. Sie, die modernen aufgeklärten,
bildeten sich ein, dass sie nicht mehr an Gott glaubten. Aber sie glaubten jetzt an den Fortschritt, an den Monismus, an Proletarier aller Länder, vereinigt euch. Dieser Glaube war neu und hatte Jugendkraft. Deshalb schuf er umso energischer
seine Autoritäten, sein höchstes Wesen, seine höheren Wesen, seine Heiligen. Gelegentlich wurde schon der Krieg von 1914 bis 1918 als Religionskrieg bezeichnet. Heute ist der Glaube an diese oder jene Staatsform das, was Katholizismus und Protestantismus bedeutete.
Und heute wird es sich um eine ähnliche Kette von Kriegen wie früher um die beiden Kirchen handeln, doch nicht nur um einen 30-Jährigen, nicht nur um Landsknechthaufen. Die erhöhte Furchtbarkeit wird im Verhältnis
zu den erhöhten materiellen Interessen stehen, die da ausgefochten werden. Selbstverständlich sind die Ursachen wie immer, auch in alten Zeiten, in Interessen zu suchen. Geschäft, Macht der Klasse, Übernahme der Macht durch die neu aufsteigende Klasse.
Doch in solchen ernüchternden Erkenntnissen kann man nicht Millionen den Verstand nehmen, sodass sie sich die Köpfe einschlagen, meistens gegen ihre eigenen Interessen, um nichts. Denn die Postulate, für die sie da mit Begeisterung ins Schlachthaus gingen, verschwinden wie der Rausch, wenn der Morgen kommt.
Alte, normale Religiosität, der Kirchenglaube ist heute nicht so gefährlich, weil es keine Ecclesia militans mehr gibt. Aber es gibt andere Ecclesia militantes. Luna Czarski gebrauchte diesen Ausdruck für die Sowjetunion circa 1930.
Deshalb ist der Kirchenglaube auch sauberer, erkennt wenigstens noch das mystisch-metaphysische, den Mythos vom realen. Die neue Religion aber versteckt sich, ist unehrlich, indem sie ein Himmelreich auf der Erde verspricht.
Sie behauptet, die Illusion sei Wirklichkeit, verbietet jede Kritik und Nachprüfung und sieht in jedem ihren Feind, der nüchtern bleibt und nicht ihren Schnaps säuft. Wie soll man überhaupt leben, wenn man an gar nichts mehr glauben soll?
Gegen den Glauben sein, das soll hier nicht bedeuten für den Unglauben sein. Das heißt, es wird jede Verallgemeinerung für unbedeutend, für tiefrangig und für ein enges Blickfeld gehalten.
Auch sie wird nicht bekämpft. Warum sollte sie nicht gelegentlich richtig sein? Stellt man sich so zu allen den Verallgemeinerungen, bleibt man kalt, wenn sie der Frage ausweichen und dafür umso größere Begeisterung verlangen. Nun, so wird man ihre Postulate nicht verstehen,
von Anerkennung und Gehorsam gar nicht zu reden. Sie werden wie der Wind sein. Wenn es nicht anders geht, so wird man mit den Wölfen heulen, nur um nicht von ihnen gefressen zu werden. An die Stelle der Kirche ist der Staat getreten
und an die Stelle Gottes auch der Staat oder die Staatsform. Die neue Kirche ist die allein Seligmachende und duldet keinen anderen neben sich. Der neue Gott ist der allein Seligmachende und duldet keinen anderen neben sich.
Das heißt, dieser und nur dieser Staat kann und schafft alles, was Sie wollen. Also, es gibt nicht nur Kanonen mit Butter, er macht nicht nur die Nation stark, gibt nicht nur ein Lebensmittel und Arbeit, nein, noch niemals in der Weltgeschichte
hat es eine so duftende Blüte von Wissenschaften und Künsten gegeben, wie sie euch bevorsteht. Der Fortschritt am Ende des 19. Jahrhunderts bereitete diese Dogmatik vor. Wir lernten als Kinder, dass in der und der geschichtlichen Zeit
nach Unterwerfung, Niedermachung und Brandschätzung des Nachbarvolkes, das man mit Krieg überzogen hatte, der und der Staat einen großen Aufschwung nahm und das ganz selbstverständlich damit Wissenschaften und Künste blühten.
Das ist noch ein bisschen hin? So war die Logik der Geschichtsbücher und so war es, wie selbstverständlich von uns aufgenommen worden. Wir verstanden die Worte Niedermachen, Brandschätzen, mit Krieg überziehen, die wir so oft bei der
Übersetzung vom Latein oder Griechisch verwendeten, absolut in ihrer realen Meinung so wenig wie die heutigen Kinder die gegenwärtige Hassatmosphäre. Kein Lehrer durfte es wagen uns ganz real und nüchtern zu erklären, was das ist.
Frauen schänden, Städte dem Erdboden gleichmachen, alle Kinder und Greise Niedermachen, die Männer als Sklaven verkaufen und so weiter. Ebenso wenig wie ein heutiger Lehrer die Taten der Staatshierarchie, den Gaskrieg, die Parteienquisition und so weiter.
Gewiss oft genug muss man mit den Wölfen heulen um nicht von ihnen gefressen zu werden. Deshalb kann aber noch niemand von uns verlangen Fressen mit Kultur gleichzusetzen. Doch man hat es verlangt und
allzu willig hat man gehorcht. Hat das künstlerische und zum Teil auch wissenschaftliche Gewissen vor der neuen brutalen Gottheit gedemütigt. Es ist nun nicht leicht sich von dieser Schande reinzuwaschen, so einfach es
sich auch anhört. Und doch handelt es sich wirklich nur um eine Kleinigkeit, nur darum einzusehen, dass Gewalt und Kultur oder Technik und Kunst nichts miteinander zu tun haben. Dass es zum Beispiel keinen künstlerisch geführten Krieg und
keine kriegerisch geschaffene Kunst geben kann und dergleichen mehr. Und jetzt hat er dieses Bild hier und unter dieses erste schreibt er diese Vorstellungslinie ist falsch. Das macht netterweise Herr Speidel
nochmal. Und darunter schreibt er so etwa denke ich sie mir. Die Linie der Kultur muss natürlich nicht immer sinken, wenn die der Politik, das heißt die innen- und außenpolitische Macht aufsteigt.
Sie kann auch die der Politik oder Gewalt überschneiden, wobei dann eine kurze Zeit lang die heute als Dogma verkündete Harmonie von beidem dem Eindruck nach vorhanden sein mag. Ja, die der Gewalt mag, die der Kultur ein kurzes Wegstück als Parallele mit sich ziehen. Ebenso umgekehrt die Linie
der Kultur, die der Gewalt. Mit nichts. Mit gar nichts. Aber ist bewiesen, dass diese beiden so verschieden gearteten Kräfte auch nur die geringste Neigung haben, sich zu verbünden. Man kann nach der
gesetzlichen Natur sind. In Antithese zueinander. Danke schön.