The Problems of Capital Punishment
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Identifiers | 10.5446/52574 (DOI) | |
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Meeting/Interview
Transcript: German(auto-generated)
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und verboten ist, überkam mich eine andachtvolle Freude. In meinen Augen ist dieser Artikel
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das Kernstück des gesamten Gesetzeswerkes, denn er hat unser Volk endlich von den Festen einer überkommenen Barbarei befreit, einer Barbarei des Denkens und des aus diesem Denken gefolgerten Handelns. In den Debatten um diese Formulierung hatten sich leidenschaftliche
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Demokraten wie Thomas Dehler bis zu der einsamen Größe eines Demosthenes erhoben und so wie ich dachten damals in unserem Staate viele Menschen voller Stolz und Freuden. Aber durch viele Ereignisse verunsichert, durch Terrorismus und steigende Kriminalität verängstigt,
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stellen sich immer mehr Bundesbrüder die Frage, ob es nicht doch besser sei, die Todesstrafe wieder einzuführen, um den Staat und seine Glieder wirksamer schützen zu können. Trotz ihrer Oberflächlichkeit erscheint diese Begründung im ersten Augenblick so einleuchtend,
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dass sie uns verpflichtet, uns unabhängig mit dem ganzen Problemkreis der Todesstrafe zu beschäftigen und über ihre Notwendigkeit nachzudenken. Alle Einzelprobleme, die damit abhandeln. Lassen Sie mich aber berichten, warum ich mich schon in sehr früher Jugend
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damit auseinanderzusetzen begann. Das war kurz vor, danach meinem Abitur, also um 1922 herum. Ich war wieder einmal auf Ferienbesuch meinem Onkel, dem ich in seiner Lernpraxis helfen durfte
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und viel dabei lernte. Eines Morgens erschien ja sonst ein Munster an Pünktigkeit, weder zu Frühstück noch zur Sprechstunde. Meine Tante schickte alle Patienten fort und antwortete mir auf meine erstaunte Frage, nur Onkel Walter hat etwas sehr Schlimmes erlebt und bedarf der Schonung. Er will keinen Menschen sehen. Am nächsten Morgen schwieg er zunächst
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hartnäckig, dann aber brachen Schmerz und Empörung aus ihm heraus. Da er in seiner Praxis auch die kleine örtliche Strafanstalt mitbetreute, war er als Gerichtsart verpflichtet worden, einer Hinrichtung mit dem Handball beizuwohnen. Er war in der gleichen verzweifelten seelischen
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Verfassung, wie sie Albert Camus in seiner Abhandlung Reflexions sur la peine capital von seinem Vater schildert, als dieser Zeuge einer Hinrichtung mit der Gigantine gewesen war. Ich gebe Ihnen alles, was damit zusammenhängt, sehr eingehend wieder, weil das dabei noch in
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diesem Jahrhundert zu tagetretendem und streng befolgsten Ritual tiefe Einblicke in die Ursprünge der Todesstrafe eröffnet. Meinem Onkel war die Vorladung, zu der für den folgenden Morgen angesetzten Urteilsversteckung, am Vorabend pünktlich um 6 Uhr durch einen
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Noten überbracht worden. Ein großformatiger Brief in Kaltz-Leih-Schönschrift und auf feinsten Bittenpapier natürlich geheim. Darin stand, dass der zum Tod verurteilte Häftling Jakubowski, den Namen kann ich nie vergessen, am folgenden Morgen bei Sonnenaufgang,
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die astronomische Zeit war genau angegeben, enthauptet werden würde. Zwölf Angesehene und Ehrenwerte zeugen aus der Gemeinde, so wie mein Onkel als Gerichtshaus und Pfarrer, hätten sich 15 Minuten vorher im Amtszimmer des Anstaltsleiters zu versammeln, Anzug, Frack, schwarze Binde und Zylinder mit Tau auffrohren. Mein Onkel kannte das Opfer,
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einen polischen Wanderarbeiter, der angeblich zwei Kinder in einem Karnickelloch erstickt hatte, als Arzt der Straßausstalt ebenso genau wie seine Gerichtsacken. Er hegte überzeugte Zweifel an der Schuld dieses Analphabeten und wie ihm schien leicht debilen.
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Aus den Akten ging hervor, dass dieser immer wieder seine Unschuld beteuert hatte. Der Verhandlung hatte er nicht folgen können, da er kaum ein Wort Deutsch sprach. Auch mit seinem Verteidiger war keine Verständigung möglich. Ein Dolmetscher war nicht gestellt
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worden. So kam es in einem Schnellverfahren zum Todesurteil, ein vom Pflichtverteidiger eingereichtes Gnadegesuch wurde wegen der Unmenschlichkeit der Tat abgewiesen. Zur Urteilsvollstreckung wurde an das kleine und unbedeutende Gefängnis in Alstrede
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zu überwiesen, in dem seit wohl über 100 Jahren keine Hinrichtung mehr stattgefunden hatte. Diese Angaben meines während des Krieges verstorbenen Onkels wurden in 60er Jahren von dem Kriminologen Frank Arnau als richtig bestätigt. Die Vollstreckung, man beachte die genaue Inhaltung des Rituals, sei in rasender Schnelligkeit vor sich
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gegangen. Etwa fünf Minuten vor der festgesetzten Zeit standen Gefängnisbeamte, Gerichtspersonen, Zeugen und Scharfrichter schrierend breit. Der Delenquent-Monoton, die ersten Verse des Chorals, ach bleibt mit deiner Gnade vor sich hinwimmernd, wurde von den Strafanstandsbeamten
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vorgeführt, der Fahrer begleitete den vor Angst halbbewusstlosen. Der Richter hatte kaum das Urteil heruntergeleiert und ein elfenbannendes Stäbchen zu bochen, da kniete der arme Schächer schon vor dem Richtblock. Der Scharfrichter hob das über zwei Zentner
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schwere Rasiermesserschaf für Beile in Augenhöhe, ließ es fallen und durchtrennte mit einem ziehenden Schnitt die wenigen Weichteile, die den Kopf noch hielten. Das Eintöntjebimmeln eines kleinen Glöckchens bildete die trostlose Geräuschkulisse des Ganzen. Meine Damen und Herren, warum habe ich Ihnen die Szene des Grauens so genau
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geschildert? Weil sie das Ritual, aus der sie hervorgegangen ist, sehr deutlich macht und zeigt, dass sie aus einer Art Gottesdienst hervorgegangen ist, bei dem die Opferung des Rechtsprechers, der durch seine Untat die Gottheit verletzt hatte, dieses Versöhnen und sie von
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einer Bestrafung der übergeordneten Gruppe abhalten sollte. Mit welchen Mitteln dabei der Verurteilte umgebracht worden ist, spielte dabei letzten Endes keine Rolle. Das Volksempfinden hatte übrigens für die Fragwürdigkeit einer solchen Opferung ein
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sehr feines Empfinden, das in dem den Delikenten bemitleidende Wort, das arme Sünderglöcklein, zum Ausdruck kommt. Wie bitter Ernst man diese Dinge nahm, dafür eine eigene Erfahrung. Im Jahr 1945 wurde ich als Arzt in Brandenburg an der Havel zur Hinrichtung von zwölf
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Verurteilten mit der Guillotine kommandiert. Ich wollte Ihnen als geringste Hilfe wenigstens eine Stunde davor eine Dosis Copulamin Morphium verabreichen. Das verbot mir das Kriegsgericht. Begründung, jede Strafe verliere ihren Sinn, wenn der Delinquent sich nicht
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ihre ganze Härte verspüre. Anderen Kollegen gegenüber war ich, wie ich später erfuhr, gleichlautende Entscheidungen betroffen worden. Vielleicht aber war eine solche ärztliche Hilfe kaum nötig. Die Verurteilten waren so erschöpft, so stumpf und seelisch
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ermattet, dass sie nach der endgültigen Verlesung des Urteils wie graue Schemen an uns verüberwankten und sich widerstandslos hinlegten. Geschichte und Kulturgeschichte geben hier überhaupt eine sehr interessante Aufschlüsse. Sie eingehen zu erörtern,
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die Zeit. Ursprünglich war es doch wohl so, dass der Mensch als Einzelgänger seinen Gegner in der Gegenwehr oder Notwehr auf frischer Tat zu töten suchte, nur um sich selbst zu schützen. Später kam dann mit dem empfindenden Erlitten und Unrechts der Wunsch nach Rache,
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nach Wiedervergeltung dazu. Als dann die Menschen langsam zu Sitten, zu kleineren, immer größer werdenden Gruppen zu stemmen mit einer gewissen primitiven staatlichen Ordnung zusammenflossen, begriffen sie allmählich, dass eine solche Eigenmächte, Rechtsausübung unzweckmäßig ist, weil sie so das soziale Gefüge zerstört. So wurde die
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Verfolgung und Ahndung schwerer Straftaten, insbesondere solche gegen das Leben, dem Einzelnen, Entwunden und Sache der Allgemeinheit. Damit gelangte sie auch den Einflussbereich der Priester, die ja wohl die intelligentesten Angehörigen solcher
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urstümlicher Gemeinschaften waren und damit auch in dem kultischen Bereich. Die Priester und Medizinmänner wussten das klug zur Erweiterung ihrer Macht zu nutzen und bekannten damit die Gemeinschaften immer fester in ihrer Hand. Damit war Rechtsfindung und
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Rechtsvollzug in ihrer Hand Sache ihrer ganzen sozialen Gruppe geworden. Bild 1. Bitte etwas höher einstellen. Gerade das Wichtigste fehlt. Wir haben dafür sogar einen künstlerischen Beleg. Die erste bildliche Darstellung einer Hinrichtung durch die Männer eines ganzen
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Stammes. Das Bild, eine steinzeitliche Felsmaselrei aus dem Mesolitikum aus Casulia-Schlucht in Spanien, ist etwa 9000 Jahre alt. Es zeigt im Vordergrund liegend den Getöteten, auf denen noch vereinzelte Pfeile zu fliegen und wird im Hintergrund durch eine
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Kriegergruppe abgeschlossen, die triumphierend und schreiend ihre Bogen hoch über ihren Köpfen schwenken. Diese Darstellung ist ein hochwertiges Kunstwerk und es erfüllt genau die Forderung Lessings nach einer Darstellung des Höhepunktes der Handlung. Sie zeigt
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einen sehr wichtigen weiteren Schritt. Die Urteilsvollstrecker werden anonym und entgehen so der drohenden Blutrache. Das entspricht genau der Aufstellung von Erschießungspräletanz und dem Laden eines Gewehrs mit einer Platzpatrone im modernen
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Kriegsrecht, um das Gewissen der Dazukommandierten zu schonen. Keiner von ihnen soll wissen, wer wirklich die tödlichen Schüsse abgefeuert hat. Schub sich zwischen die Erlitten oder angedrohte Untat und die Abwehr des Angegriffenen und seiner zufällig gerade anwesenden Umgebung eine gewisse Zeit ein, so bedeutete das eine entscheidende Zäsur des Rechtsempfindens. Die
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allein im kleinsten Kreis der SIPO oder gar in der größeren Gemeinschaft nachdenken und abwägen, was zu tun sei. Für den Einzelnen bedeutete das das Aufprall des Rachebegehrens. Für
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den kleinsten Kreis, den nach Vergeltung und für die Allgemeinheit, die hier begann gewissermaßen als Staat aufzutreten, nicht nur die Vergeltung und die Verantwortlichkeit für die allgemeine Sicherheit, sondern sie wurde auch Vollzieherin des Sühneopfers für die durch
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die Untat beleidigte Gottheit. Das ist der große Einschnitt, an dem die Rechtsfindung und ihr Verzucht in die Obhut der Allgemeinheit und ihrer Vertreter hinübergleiten und den Einzelnen entwunden werden. Die immer weitere Entfernung von dem Geschädigten und die dadurch bedingte
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Zunahme der Anonymität zwang zu einer Rechtsfindung, die gerecht, das heißt möglichst unparteilt ist. Denn die übergeordnete Gesellschaft recht oder straf nicht, sondern ahndet das Verbrechen dadurch, dass sie das Wiedervergeltungsrecht, das Justalliones aufbaute, dessen Anhänger sogar
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ein Immanuel Kant war, das allerdings zu einer Zeit, die noch nichts von moderner Psychologie und Soziologie ahnte. Dieses Justalliones besagt in seiner ursprünglichen Form, dass der Täter
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an demjenigen Glied bestraft werden sollte, mit dem er die Straftat begangen hat. Als einfachstes Beispiel sei hier das Abhauen der Hand eines Liebes angeführt, das sogar noch heute in eigentlichen arabischen Staaten üblich sein soll. Dabei kommt nicht zum
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Ausdruck, ob es sich um einen ganz kleinen Liebstahl handelt, bei dem der dauernde Verlust des Gliedes weit über dem entschandenen Schaden zu bewerten wäre oder um ein sehr schweres Eigentumsdelikt. Dass außerdem zu der strafrechtlichen Seite des Justalliones
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auch noch eine zivilrechtliche gehörte, die Rückerstattung des zu Unrecht erworbenen und ein Ersatz für den darüber hinaus entschandenen Schaden, das nur nebenbei. Jedenfalls ist sie noch unsicherer als die unmittelbare Ahndung der Straftat, wenn man zum Beispiel um das islamische Recht denkt, das für Ehebruch sogar die Todesstrafe für beide
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Partner fordert und auch heute noch anwendet. Wir wissen das aus Saudi-Arabien. Fast von die Ziele einer solchen Justiz zusammen sind es erstens Rache und Widervergeltung zur Befriedigung des Geschädigten, zweitens Ahndung der Straftat zum Schutz der Allgemeinheit
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und zur Abschreckung weiterer Potenzialer Täter, drittens Sühne für die beleidigte Gottheit. Damit glaubte man, ein Verbrechen endgültig aus der Welt geschafft zu haben, ohne die Persönlichkeit des Täters dabei mitzuberücksichtigen, er war lediglich
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unschädlich zu machen. Diese sehr skizzenhafte Darstellung stößt uns auf eine der Hauptgefahren des Justallioners und nicht nur dieses, nämlich auf die Notwendigkeit für nicht so klardeute Delikte wie Mord und Diebstahl eine der Tat entsprechendes Strafmaß
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zu finden. Dieses in ungewissem Dunkeln nach einer Rechtsparallele Suchung scheint mir am deutlichsten durch die Symbolgestalt der Justitia versinnbildlicht. Mit verbundenen Augen hält sie gestützt auf das Schwert ihre Waage. Schon immer war es eine Hauptaufgabe
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der jurisprudenz gewesen, möglichst klare Begriffsbestimmungen zu setzen und zu formulieren, um auch nach ihnen gerecht urteilen zu können. Dabei ist die Feststellung notwendig, dass derartige erarbeitete Rechtsnormen nur für eine gewisse Zeit verbindlich sein
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können, möglicherweise sogar nur für den Augenblick. Ihre Anwendbarkeit oder Anwendung ändert sich entsprechend den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten wie nach unseren wissenschaftlichen oder technischen Kenntnissen und Möglichkeiten.
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Bezeichnen Sie das Beispiel dafür sind die ersten widerrechtlichen Entnahmen von Elektrizität aus einem Stromnetz gewesen. Energie war damals ein ganz neuer Begriff und keine sogenannte bewegliche Sache im Sinne der Rechtsprechung. So entstanden
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zunächst erhebliche Schwierigkeiten dieses Delikt als Liebstahl zu definieren. Diese Gleichsetzung ganz verschiedener Delikte ist eines der größten Probleme des in ständigen Fluss befindlichen Rechtsbewusstseins. Ja, sie kann, wenn auch unbewusst und
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ungewollt, Züge einer gewissen vielleicht sogar unvermeidlichen Willkür annehmen, da niemand auch der gewissenhafteste Jurist nicht in die Zukunft sehen kann. Besonders gefährlich werden solche Gedankengänge dann, wenn sie einer neuen machtvollen
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Ideologie folgend neue Wertmaßstäbe fordern, wie etwa das dritte Reich die Rechte des einzelnen Individuums, gleich viel Obtäter oder Geschädigte zum Kollektivbild einer sogenannten Volksgemeinschaft unterordnete. Im Kleinen, einmal zum Durchbrutt gekommen,
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breiten sich dann derartige Halbwahrheiten genährt vom Unverstand der Allgemeinheit wie Unkraut im Acker aus, überwuchen und ersticken jeden gesunden Menschenverstand vor allen Dingen wohlerwogene Beweiskunde wirklich Sachverständigen. So konnte damals
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schon das versehentliche Einschalten eines verbotenen ausländischen Senders den Kopfkosten bewundern, wenn es ein politisch ohnehin schon Verdächtiger tat. Man kann das nicht oft und
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eindringlich genug in das Gedächtnis rufen, denn bei aller Bemühung um die Rechte mutmaßlicher Straftäter schüren anwachsende Kriminalität und Terrorismus mit der Angst weiter kreise den aufkeimenden Wunsch nach einer Verschärfung des Strafrechts. Man sollte hier auch nicht die
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Grausamkeiten vergessen, die zu Zeiten der Inquisition krankhafter religiöser Fanatismus auferlegte. Bedrohlich müssen wir auch anfinden, dass bei einer solchen Herbeiziehung von
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Parallelen nicht nur vollzogener Mord mit der Todesstrafe vergelten wurde, sondern auch versuchter oder gar geplanter. Nicht einmal die Gedanken waren vollzollfrei. Mit zunehmender Bevölkerungszahl fielen den Urbrichkeiten immer mehr Pflichten und Rechte zu. Dazu gehörte in
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steigendem Maße der Schutz vor Übeltätern, Verbrechern und Schädlingen der Gemeinschaft. Damit kam es allmählich zu einem juristischen Denken, in dem die Begriffe von Strafe ineinanderflossen und sich mit Erforderung nach Schutz von Leben und Eigentum sowohl
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für den Einzelnen wie für die Gesamtheit vereinigten. Darüber hinaus sollte der Täter von einer Wiederholung seiner Straftat abgehalten und andere Menschen als potenzielle Täter abgeschreckt werden. Dazu kam dann noch aus dem kultisch-mystischen Bereich der gegenständlich kaumfassbare und daher sehr verschwommene Begriff der Sühne. Ursprünglich
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als Versöhnung der durch die Untaten beleidigten Gottheit vor allem durch Reue gedacht, knüpfte sich daran später die nackte Vergeltung nach dem altertümlichen Justallionis.
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Von allen Formen der Strafe ist bei der Unsicherheit das Notwendige oder entsprechende Maß zu finden. Mir als Laien scheint das manchmal wie ein Würfelspiel. Die grausamste, die Todesstrafe am gefährlichsten, wenn man glaubt, Parallelen für die Schwere einer
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Straftat finden zu müssen. So gab es in England nach Alfred Küstle durch die 1721 bis 1823 geltende Walther Black Akte 350 Verbrechen und Vergehen, die mit der Todesstrafe bedroht waren, von Raub, Mord, Aufruhr bis zum Plündern von Rübeneckern
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und Taschenliebstahlen. Und das alles mit einer Strafe, die sich so tiefgreifend von allen anderen in einem unterscheidet, dass sie einmal zu Unrecht ausgesprochen durch keinen Wiedergutmachungsversuch wieder getilgt oder entschädigt werden kann.
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Allein schon die bei einem Verdächtigen verhängte Untersuchungshaft für jemand, der sich nachher als unschuldig erweist, ist nicht nur eine materielle Schädigung seiner wirtschaftlichen Grundlagen, vielleicht sogar eine brutale Vernichtung seiner bürgerlichen
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Existenz, sondern auch schwere seelische und körperliche Schäden kann sie nach Recht ziehen. Das nach solchen Maßstieben lässt sich das vergüten. Wir sind heute
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bei der durch Überlastung unserer Gerichte leider so häufig in Verschleppung der Verfahren immer wieder Zeuge eines solchen von den Richtern nicht gewollten, aber oft vermeidlichen Unrechts. Bei der Unwiderruflichkeit der Todesstrafe ist daher die Hauptfrage
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was will die Rechtsprechung damit erreichen und was erreicht sie wirklich? Das umfangsendste gewissermaßen weltanschauliche Ziel ist sogenannte Sühne. Sie ist aber auch der verschwommenste, der vieldeutigste Begriff der ganzen Thematik. Das, was die Sühne
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an religiös-mystischen Vorstellungen beinhaltet, ist der Wunsch, ein begangenes Verbrechen ungeschehen zu machen. Aber das könnte nur eine Gottheit vollbringen. Der Ermordete kann nicht wieder zum Leben erweckt werden und die gerichtliche Tötung eines Mordes
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ist für den Kreis der sekundär Mitgeschädigten etwa seiner Familie belanglos. Keine Träne einer Mutter, deren Kind, keine Träne einer Witwe, deren Mann umgebracht ist, bleibt ungeweint. Und eine materielle Wiedergutmachung durch ein Wehrgeld, wie sie das altkaruanische
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Recht anstrebte, ist unter modernen Verhältnissen unmöglich, auch wenn das der Staat übernehmen wollte. Wie wäre denn überhaupt ein vernichtetes Leben materiell zu bewerten? So bleibt denn für diese Sekundärbetroffenen nur das Gefühl der vollzogenen Rache der primitiv
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erfüllten Wiedervergeltung. Und das kann nur Menschen mit einer sehr dürftigen, geistigen Entwicklungsstufe innere Ruhe und Genuchtung verschaffen. So hört man bei entsprechenden Fragen an solche sekundären Opfer eine Untat immer wieder, dass sie achselzuckend
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sagen, was mit dem Täter geschieht, ist mir gleichgültig. Mein Mann, mein Kind wird nicht wieder lebendig. Noch verwickelter, unlösbarer und für unsere Generation unverständlicher wird diese Vorstellungswelt, wenn man sie mit den ständig wandelnden Ehrbegriffen
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verquickt. Das ist ebenso unlösbar, wie die vermeintliche Wiederherstellung verletzter Ehre durch ein Duell, wie sie noch bis zu Beginn des letzten Krieges in gewissen Gesellschaftsschichten stillschweigend zubegebildigt wurde. Auf den gleichen niedrigen
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Niveau liegt auch die immer wieder vorgebrachte theologische Begründung, dass die Ahndung einer Straftat an Leib und Leben rechtsgültig und vertretbar sei, weil durch sie die Ordnung des Schöpfers verletzt worden ist. Zweifellos wird der übrigens außer
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und die selten Rückfall eines Mörders mit pathologischen Charakterveränderungen in seinen Verbrechen ebenso wie der Schutz der Allgemeinheit vor ihm durch seine Tötung mit Sicherheit verhindert. Aber dazu genügen auch andere, weniger brutale und abstoßende Methoden, die weiter nichts sind als die staatliche Eskalation seiner
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Untat. Anders steht es mit der Abschreckung, die von den Verfechtern der Todesstrafe immer wieder ins Feld geführt ist. Sehr sorgfältig durchgeführte statistische Erhebung in England und Vereinigten Staaten haben nämlich ergeben, dass sie in dieser Hinsicht
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völlig wirkungslos ist. Sie beweisen sogar, dass die Zahl der Kapitalverbrechen bezogen auf die Bevölkerungsdichte im Vergleich zwischen Staaten, die die Todesstrafe ausüben und solchen, die sie nicht anerkennen, etwa gleich hoch ist. Diese Ziffern ändert sich auch nicht signifikant, sobald ein Staat die Todesstrafe abschafft oder wieder
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einführt. Zudem bringt diese statistische Auswertung gewisse Unsicherheiten in sich, denn die Zahl der Täter ist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung zu geringfügig. Das ist insofern leicht erklärlich, weil es sich beim Durchschnitt der Kapitalverbrecher um
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mehr oder minder schwere Psychopathen handelt, während die Gesamtbevölkerung im Vergleich zu ihnen völlig vernünftig ist. Wenn bei ihr ein akuter Erregungszustand, der mit einer pathologischen Adrenalinausschüttung verbunden ist, einzelne psycholabile Personen
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zu Totschlägern werden lässt, so handeln sie unter einem inneren Zwang. Aber zu ihrem Nachteil, dass sich diese hormonale Entgleisung später nicht mehr nachweisen und zu ihrer Entlastung anführen. Alle diese Umstände, die die Todesstrafe so fragwürdig
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machen, wurden erst in der Aufklärungszeit erkannt oder erahnt. Ihre Philosophie setzte sich in Abkehr von der mittelalterlichen grauenhaften Verschärfung der Vollschreckung, mit der man sich eine Erhöhung der Abschreckungswirkung versprach, für eine vollständige Abschaffung
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der Todesstrafe ein. Hier ist nur der Name des Italieners Beccaria zu nennen. Auch die Söhne der Maria Theresia, Kaiser Josef II. und Kaiser Leopold II. schafften in Österreich die Todesstrafe ab. Leider wurde sie dort später wieder eingeführt. Aber der Bann war einmal gebrochen, wenn es auch noch lange dauern sollte,
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bis man sie längt endgültig beseitigte. Kriege und Unruhen haben in der gesamten Welt diesen Prozess verlangsamt. Im britischen Oberhaus empfahl 1856 eine Kommission die Abschaffung der öffentlichen Hinrichtungen, weil diese nicht von der Begehung eines Verbrechens
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abschrecken. 1860 kam eine andere mit der gleichen Fragestellung befasste Kommission der Krone zu dem gleichen Ergebnis. Eines der eindrucksvollsten Beweisstücke war der Bericht des Gefängnisgeistlichen von Bristol, Reverend Roberts. Er bezeugte,
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dass von 167 Verurteilten, die die Urteilsverstrecken erwarteten, nicht weniger als 164 schon mindestens einer der öffentlichen Hinrichtungen beigewohnt hätten. Diese wurden wie ein Ausfest begangen und versetzten die dicht gedrängte Menge in einen pathologischen
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Rauschzustand. Bezeichnend ist die Tatsache, dass in Englern gerade bei diesen Gelegenheiten unzählige Taschengiebstöde begangen wurden, ein Delikt, das damals auch mit der Todesstrafe bedroht war. Wenn der Vollzug eines solchen Urteils in aller Öffentlichkeit aber so
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wirkungslos bleibt, was soll man sich dann von ihm an Abschränkungen erwarten, wenn er hinter verschlossenen Gefängnismarren stattfindet? Der Versuch sensationshungriger Reporter, das widerwärtige Schauspiel in die Nachrichtenübermittlungen des
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Fernsehens einzubeziehen, ist von amerikanischen Gerichten verhindert worden. Wir können nur dankbar dafür sein. Und die Zahl derjenigen, die im vergangenen Kriege verbotene Sender abhörten und deren Nachricht sogar weiter verbreiteten, lässt sich nur in Höhe von
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vielen Millionen abschätzen. Als Beweis für eine abschreckende Wirkung der Todesstrafe wird immer wieder die extrem strenge Rechtsprechung des Dritten Reiches herangezogen. Damals sei die Zahl der Kapitalverbrechen schlagartig geringer geworden und die öffentliche Sicherheit
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sei größer geworden. Dass das ein Irrtum ist, geht aus neueren Untersuchungen hervor. Die Kriminalität ist im Gegenteil damals besonders hoch gewesen. Es wurde aber, um das Ansehen des Staates zu heben, in den gleichgeschalteten Zeitungen kaum
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darüber geschrieben und die Einschließung von Schwerverbrechern erfolgte streng und schonungslos. Heute ist die diktatorische Lenkung der Presse fortgefallen und alles, was geschieht, gelangt zur Kenntnis der breiten Öffentlichkeit. Überdies wird die Einschließung von Verbrechern und gemeingefährlichen Geisteskranken wesentlich
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schonender und inkonsequenter durchgeführt. Wie erklärt sich nun die scheinbare Paradoxie, dass die Todesstrafe nicht abschreckt? Untersucht man in verschiedenen Gegenden einen gleichgroßen repräsentativen Durchschnitt der Bevölkerung, so wird sich immer ein etwa gleichgroßer
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Prozentsatz von Psychopathen sexuell abartigen und Ähnlichem finden. Ebenso gibt es auch einen gleichbleibenden Anteil solcher Personen, deren charakterliche Fehler oder geistigen Effekte im gewöhnlichen Leben nicht erkennbar sind, also von Menschen, deren
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psychologische Reaktionen anders ablaufen als die normalen. Unter gewöhnlichen Lebensbedingungen sind derartige Belastete unauffällig. Werden Sie aber einer Grenzsituation ausgesetzt, der Sie nicht gewachsen sind, reagieren Sie zwangsläufig anders als der Durchschnittsmensch,
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ganz gleich ob Ihnen die Todesstrafe droht oder nicht. Sie können weder durch eine drohende, noch durch eine über Sie verhängte Strafe zu der Einsicht gebracht werden, dass Ihnen ein Verbrechen keinen Nutzen bringt. Diese Tatsachen erfordern erstaunlicherweise
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zum Vergleich unserer soziologischen Entwicklung mit physikalischen Gesetzen aus. Komprimieren wir nämlich ein Gas, so verziehen sich die Bewegungen der Atome oder Moleküde in einem verkleinerten Raum und das Gas erwärmt sich beträchtlich bis zur Explosion
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wie beim Dieselmotor. Genauso können wir uns vorstellen, dass eine stark vermehrte Bevölkerung auf engem Raum zusammengedrängt, sich gewissermaßen erhitzt und dass der Mensch dann einzeln oder in Gruppen anders explosiver reagiert. Alles in allem zusammengefasst
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muss man wohl folgern, dass die Todesstrafe, abgesehen von der sicheren Ausschaltung der Straftäter, die sich auch anders und menschlicher bewerkstellten lässt, nicht durch eine besondere Wirksamkeit überzeugen kann. Bezieht sie aber statt von Gewaltverbrechen
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mit einer psychopathischen Komponente auch solche Rechtsbrecher ein, die bereit sind für eine mehr oder minder idealistische oder vor ihnen als idealistisch empfundene Vorstellung, mag sie uns auch noch so absurd erscheinen, sich selbst zu opfern, so schlägt man einer Hydra einen Kopf ab, schafft aber Märtyrer. Und diejenigen,
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die die Hingerichteten als Märtyrer empfinden, werden ihren Leitbildern noch fanatischer nacheifern. Deshalb ist es auch ein zweischneidiges Schwert, wenn man glaubt, Terror mit Gegenterror brechen zu können oder zu müssen. Ich persönlich kenne nur eine
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einzige Tat, die die öffentliche Ordnung in Frage stellt und bei der die Abstreckung vielleicht bis zu einem gewissen Grad wirksam ist, die Fadenflucht. Und immer noch in
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ihrem Hintergrund klaut die Kriegsdienstverweigerung, die im Ernstfall besonders dann, wenn es um das Ganze geht, möglicherweise gleichgesetzt wird. Grund genug, sich hier kurz mit dem Militärstrafrecht zu befassen. Ich weiß natürlich nicht, ob es bei uns entgegen dem Grundgesetz eine besondere Rechtsprechung für den Soldaten gibt, zumindest für den
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Ernstfall. Denn bis jetzt werden ja im Frieden Straftaten von Wehrmachtsangehörigen durch ordentliche Zivilgerichte nach den allgemeinen Strafgesetzen abgeurteilt. Aber, aber weiß man, ob nicht für den Ernstfall harte Kriegsgerichtsbestimmungen
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für militärische Straftäter schon in irgendeiner Schublade bereitliegen. Und es ist dann nicht gegen die Verfassung schlicht man damit nicht den modernen für uns gelten Richtlinie ins Gesicht, dass der Soldatische Dienst als Ehrendienst des Bürgers in
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Uniform zu gelten habe. Und dann würde er einem schimpflichen Sonderrecht unterworfen werden, genau wie früher. Hütet euch und seid wachsam. Dass es auch ohne Todesstrafe im Kriegsrecht geht, haben uns die Amerikaner bewiesen. Kurt Rosser schreibt, geben 2864
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Fahnenpflichtige wurden von höheren Kriegsgerichten Freiheitsstrafen bis zu 20 Jahren und Todesstrafen verhängt. Von den Todesurteilen wurden 49 bestätigt, von den bestätigten Todesurteilen wurde nur ein einziges vollstreckt. Der Soldat Edward D. Slowick wurde am 31. Januar
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auf 45 erschossen. Er war seit 1864 der erste amerikanische Soldat, der wegen Dissertion hingerichtet wurde. Rosser bemerkt weiter, dass im ersten Weltkrieg gegen Soldaten
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des deutschen Landheeres 150 Todesurteile verhängt wurden. Davon wurden 48 vollstreckt. Die Zahl der im zweiten Weltkrieg zum Tode verurteilten Soldaten schätzt er auf weit über 100 000. Das sind natürlich nicht nur Disserteure oder Ähnliches. Aber
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blutige Sätze schaffen blutige Sitten. Zum besseren Verständnis meiner Bedenken ist das Bild 2. Gegen eine Kriegsgerichtsbarkeit lassen Sie mich einiges aus eigener Erfahrung berichten. Zur Frage der Dissertion kann ich nur sagen, dass auch ich selbst nach
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dem Polen-Weltzug einmal dicht daran war, meinem Heimweh und der Sehnsucht nach meiner Familie zu erliegen und dem nur mit äußerster Aufbietung meines Willens wieder kämpfen konnte. Ich habe das ganz ungeschminkt in meiner Erinnerung beschrieben. Wie leicht
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kann in einem solchen Überschwank der Gefühle ein Labiler der Versuchung erliegen. Seitdem klingt mir, wenn ich daran denke, immer wieder das alte Lied in Ohren zu Straßburg auf der Schanz, da fing mein Trauern an. Von dem gleichgestellten Kameraden
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wurde dieses Versagen je näher der Front, desto härter beurteilt. Empfanden Sie es doch so, dass Sie von einem Leserteur in Gefahr und Entbehrung im Stiche gelassen wurden. Hier konnte man für die psychologischen Komponente kein Mitleid erwarten, nur
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Verachtung. Der Kriegsgerichtsrat unserer Division war wegen seiner Strenge sehr beliebt. Die Mannschaften nannten ihn nur der Blutrichter. Seinen Charakter offenbarte er einmal, als er mich auf dem Vormarsch traf. Kommen Sie morgen früh als mein Gast
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zum Divisionsstab. Ich habe zwei Erschießungen durchzuführen. Meine empörte Abwehr quittierte er mit einem Verständnislosen, das muss doch ein gebildeter Mensch auch einmal gesehen haben. Wenige Tage darauf traf ich unseren Divisionskommandeur, der mich vor Meinungsverschiedenheiten mit dem Kriegsgerichtsrat warnte, er könne mich
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nicht schützen, da der Mann gewichte Verbindungen habe. Auch auf Selbstverstümmelung stand Todesstrafe. Da sie aber nur an einem Gesunden vollstreckt werden durfte, waren wir Ärzte verpflichtet, derartige Verletzte gesund zu pflegen und dann
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dem Kriegsgericht Vollstreckung zu übergeben. Selbstverstümmelung habe ich in der Heimat nie gesehen. Sie war typisch für Leute an der Front, die durchdrehten und mit einem Heimatsschuss davon wollten. Diese Leute schossen sich als Rechthänder meist mit Pistole oder Gewehr durch die linke Hohlhand. Um die verräterischen
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Hautverbrennungen zu vermeiden, zogen sie ein Handschuh an und schossen durch ein Stück Kommissbrot. Nach unserem ersten Zusammenstoß brachte mir der Kriegsgerichtsrat selbst einen Selbstverstümmler auf den Hauptverbandplatz und verlangte, dass
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ich dauernd zwei meiner Sanitätssoldaten zur Bewachung abstelle. Ich lehnte das ab, da das nicht unsere Aufgabe sei. Im Übrigen könne ich keinen Mann bei dem großen Anfall von Verwundeten entbehren. Er soll Felschandarmen von der Division schicken. Wieder gab es eine Errichter-Auseinandersetzung, in der er mir befahl, die Bewachung zu
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gewährleisten. Ich konterte, Sie haben mir gar nichts zu befehlen, ich bin Offizier und Sie sind Beamter. Ich verseuchte dann die Verletzung und schub den Patienten einen der vielen Abtransporte, die an diesem Großkampftag mit unbekanntem Ziel
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in die Heimat gingen. Dabei verschwanden leider das Soldbuch und die Strafakten. Es müssen sich aber an der Ostfront in diesen winterlichen Kesselschlachten die Selbstverstümmelung sehr stark vermehrt haben, denn nicht lange darauf erhielten wir einen Geheimbefehl, dass wir Chirurgen bei jeder Selbstverstümmelung oder jeder
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verdächtigen Verletzung eine Hautprobe an ein bestimmtes gerichtsmedizinisches Institut einzuschicken hätten zur histologischen Untersuchung auf Verbrennung, Textilfaser und Stärke. Damit wurden wir sogar in die Fahndung einbezogen, was mir
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gar nicht gefiel. Ich habe diese Einwendungen selbstverständlich auch durchgeführt, nur mit Gewebeproben von anderen Verwundeten. Ich konnte das wagen, weil mein Operationsgedächt für den Friedenpfleger an unserer Klinik absolut zuverlässig verschwiegen war. Sonst wusste niemand davon. Nur mein Divisionsarzt fragte mich einmal
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so nebenbei, warum von meinem Material keine positiven Ergebnisse bei der Division eingehen. Ich zog Ihnen das Vertrauen. Sie haben mich lange sehr ernst an und sagte dann nach einer Weile, ich habe nichts von dem verstanden, was Sie mir
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eben gesagt haben. Sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie ein sehr gefährliches Spiel spielen? Unser Kriegsgerichtsrat lauerte darauf, Ihnen ein Bein zu stellen. Aber alles ging gut und ich schätze, dass ich in etwa sechs Fällen in einem Jahr
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ein Kriegsgerichtsverfahren verhindern konnte. Dafür bedurfte es natürlich eines ganz engen Kreises von Misswüstern. Nicht einmal mein Kompanie-Schopf ahnte davon. Ebenso wie auf Selbstverstimmung stand auf missbildten Suizidversuch der Erschießung. Im Januar 1945 wurde mir ein 16-jähriger SS-Rekrut zugewiesen,
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der wegen der Schikanen seines Ober- scharfführers versucht hatte, sich mit seiner Dienstpistole zu erschießen. Mir wurde mitgeteilt, dass ich ihn sobald als möglich dem Standgericht zu übergeben hätte. Die Verletzung war ungefährlich, das Herz nicht verletzt. Es bestand nur ein
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harmloser Hermann Dottorz. Ich zog baldmöglich den beratenden Psychiater des Wehrkreises zu, einen jungen Kollegen, den jetzigen Ordinalius Professor Reissner in Wien. Mit unserer Unterrichtung brachte der
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Kerl überzeugende Erregungszustände fertig, sodass er auf eine Abteilung unruhige Kranke verlegt werden musste. Reissner schob ihn dann im ganzen Wehrkreis von einer psychiatrischen Spezialstation zu anderen herum, bis ihm die SS aus den Augen verlor. Nur noch eine heitere Episode, da in
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einem Quartier der russischen Front, in der sich Hiratten nur so betungelten, nach ein sehr schneidiger junger Unteroffizier hatte, das deutsche Gold auf seiner Pritsche und ärgerte sich über ein solches Biest, das auf
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seiner Stiefelspitze herum kroch. Er schoss auf sie, traf aber seine Großzehe. Auch hier streckte schon das Kriegsgericht seine drohende Hand aus, trotz der Tapferkeit des Mannes. Strafe musste ja sein, aber in einem Gespräch mit dem Divisionskommandeur kamen wir überein, dass das grobe
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und unbefugte Benutzung einer Dienstwache war, 14 Tage Arrest im Lazarett zu verbüßen. Eine Sondergesetzung für die Ergebung für den heutigen Soldaten, die auf Maßstäben beruht, welche man an unzuverlässige plündernde und marodierende Söldenhaufen legte, ist
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unsinnig und für Soldatenstand entehrend, wenn man ihn als Bürger in Uniform ansprechen will. Diesen Umstand hat kein Staat bis jetzt Rechnung getragen, doch wird man diese Entwicklung nicht aufhalten dürfen, wenn man nicht das moderne Bestreben nach wirklicher Humanität
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und echter Demokratie zu einer verlogenen Gäste machen will. Das Bild kann ich hier. In besonderem Fall, der Todesstrafe im Kriegsrecht sollte man vor allem aber auch an diejenigen jungen Menschen denken, denen man ihre Menschenwürde dadurch erlaubt,
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dass man sie zum Henkeramt abkommandiert und gegen ihren Willen dazu zwingt, wehrlose Menschen zu erschießen. Sie erleiden dadurch unter Umständen einen seelischen und moralischen Schaden, der sich für ihr ganzes spätes Leben aus dem
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Gleichgewicht bringt. So viel über meine Erfahrung mit der Todesstrafe in der Kriegsgerichtsbarkeit und meine Ansichten zu ihr. Vielleicht erkennen Sie aber daraus, dass man einiges drehen konnte, wenn man getreue Mithilfe hatte. Der wichtigste und klarste Grund, die Todesstrafe abzulehnen, ist folgender.
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Sie ist die einzige Maßnahme in jedem Strafverzucht, die niemals vollstreckt, die einmal vollstreckt unwiderruflich ist. Dann kann kein Justizirrtum wieder gutgemacht werden, auch nicht durch eine Postmortale wie der Aufnahmen des Prozesses. Dem wird immer wieder entgegengehalten, dass Justizirrtümer
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sehr selten seien. Aber stimmt das? Die Zahl ist völlig im Ungewissen. Denn wer macht sich nach einer Vollstreckung noch die Mühe, alles wieder und wieder zu überprüfen und neues Beweismaterial zu suchen? Literatur jeder Art ist ein
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Zeitspiegel und auch in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Dabei fällt es auf, dass sich in England und Amerika ein beachtlicher Anteil der anspruchsvolleren Kriminalromanen weniger mit der Überführung des Diätes beschäftigt, als vielmehr die Vermeidung eines Justizirrtums zum Vorwurf hat.
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Man sollte sich hier an Ben Young in Franklin halten. Ein seit langem und allgemeinem Bildschirmgrundsatz lautet, es ist besser, dass 100 Schuldige entkommen, als dass ein Unschuldiger
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leide und ich wüsste nicht, dass der je widerlegt worden wäre. Ein Brief vom 14.3.1785. Und Lafayette sagt dazu, ich werde so lange die Abschaffung der Todesstrafe fordern, bis man mir die Unfehlbarkeit des menschlichen Urteils beweist.
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Das klingt wahrlich wesentlich anders, als die zynische Bemerkung, die zu mir ein alter inzwischen verstorbener Richter anäußerte. Derartige Justizirrtümer sind so selten, dass man sie als die üblichen Pannen bezeichnen muss, wie sie
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in jedem Betrieb vorkommen. Im Übrigen steht ja nicht zur Frage, wie hoch der Prozentsatz der Justizirrtümer sein darf, um die Todesstrafe noch rechtfertigen zu dürfen, ob sie als Ausnahmen zu betrachten sind oder ob sie zum Destin gehörten. Für jeden rechtlich denkenden Mensch
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schließt allein schon die vorhandene oder erwiesene Möglichkeit eines Irrtums diese Strafe ein für alle Male aus. Dass die Todesstrafe bei der Allgemeinheit, bei den Rechtsgelehrten und beim Gesetzgeber immer wieder
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ungute Gefühle errichte, kann man an den immer wieder auflebenden Diskussionen darüber ersehen, wie man sie humanisieren können. Dabei konnte nicht ausbleiben, dass ärztliche Stellungnahmen und Gutachten herangezogen wurden. Dagegen lässt sich nichts sagen. Wenn aber gefordert wird,
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dass ein Arzt schon durch eine intravenöse Injektion die Tötung ausführen solle, dann gibt es nur ein unumstößliches Nein. Würden sich dann Kranke von einem Arzt behandeln lassen, der so etwas tut? Ich glaube nicht. Sehr deutlich hat die britische Medical Association zu diesem
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Problem der tätigen Mitwirkung eines Arztes bei der und Urteilsverstreckung Stellung genommen. Keinem praktizierenden Arzt sollte zugemutet werden dürfen, sich an der Tötung eines verurteilten Mörders zu beteiligen. Die Vereinigung würde sich auf das Sterbste
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jedem Vorschlag widersetzen, der anstelle des legalen Hängens eine Hinrichtungsverfahren einzuführen versuchte, dass die Dienste eines Arztes erforderlich macht, einerlei, ob es sich um die unmittelbare Beteiligung an der Tötung oder um die Unterweisung anderer
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in der Technik des Verfahrens handeln würde. Und daran sollten auch wir alle festhalten. Folgerichtig hat man versucht, Sicherungen in das Strafverfahren einzubauen. Die eine war die Forderung, dass der Täter durch Zeugen eines Gewaltverbrechens identifiziert werde. Aber
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derartige direkte Zartzeugen gibt es nur ganz ausnahmsweise, da ja alle diese schweren Straftaten im Verborgenen ausgeführt werden. Zum anderen verlangte man, dass ein Urteil nur dann verstreckt werden dürfe, wenn der Verurteilte ohne Zwang ein volles Geständnis abgelegt habe. Aber auch das ist eine
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Utopie. Denn wer wird eine Tat zugeben, wenn er weiß, dass ihn gerade das den Kopf kostet. Dazu kommt, dass so unwahrscheinlich das auch klingen macht, immer wieder unschuldige Taten gestehen, die sie überhaupt nicht begangen haben. Das kann die
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verschiedensten Gründe haben, wie Masochismus, pathologisches Geltungsbedürfnis, aber auch Zermürrung labiler Personen durch lange Untersuchungshaft. Sie kann unschuldige in panische Angst versetzen und sie jeder Urteilsfähigkeit und Widerstandskraft berauben. Als besonders
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eindrucksvolles Beispiel für ein derartes unverständliches Verhalten macht der Fall Evans Christy Dean, der in England großes Aufsehen erreicht hat. Evans, ein Analphabet, wurde des Mordes an seiner Frau und seines Kindes bezichtigt und durch sein Hauswirt Christy schwer
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belastet. Er gestand, galt als überführt und wurde gehängt. Nach Jahren stellte sich heraus, dass Christy ein raffinierter Massenmörder war, der auch diesen Evans zulast gelegten Fall auf dem Gewissen hatte. Evans war also auf sein
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eigenes Geständnis hin unschuldig hingerichtet werden. Man sollte sich immer wieder vor Augen halten, dass kein Mensch, der ganz gleich schuldig oder unschuldig einer so schweren Entschuldigung unterworfen wird, in der Untersuchungshaft noch geistig völlig normal sein kann. Der brutale seelische Schock, dem
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er womöglich unschuldig unterworfen ist, kann ihn zusammenbrechen lassen. Er verliert dann die Kontrolle über alles, was er aussagt und tut und vernichtet sich wie Evans selbst. Der Europarat hat in seiner Umfrage an die an ihn angeschlossenen Staaten die konkrete
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Frage gestellt, wie viele nachgewesene Fehlurteile in ihn ergangen seien. Bezeichnenderweise und im Gegensatz zu anderen Punkten der Rundfrage wurde hier nur sehr ausweichend oder gar nicht geantwortet. Lediglich die Bundesrepublik gab an, dass in Deutschland unter Ausflammung der
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Justiz des Dritten Reiches in den 100 Jahren von 1853 bis 1953 27 Todesurteile ausgesportet worden sind, die aufgrund eines erwiesenen Fehlurteils zustande kamen. Drei von diesen 27 Urteilen waren vollstreckt worden. 27 als falsch erwiesene
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Todesurteile in einem Jahrhundert sind eine erschreckend hohe Zahl. Besonders dann, wenn man bedenkt, dass dann zu noch eine nicht unüberschaubare Zahl von Fällen sicher kommt, bei denen das Fehlurteil als
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solches später nicht mehr erkannt worden ist. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass nach der Vollstränkung eines Todesurteils noch immer weiter entlastendes Material gesucht oder gefunden wird, um den irrtümlich hingerichtigten Zurechtwärtchen, ist verschwindend gering. Aus historischer Sicht
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sollte man hier auch nicht vergessen, dass den meisten Hexenprozessen ein scharres Geständnis der angeklagten Frauen zugrunde lau, erzwungen durch die Folter oder die Angst vor ihr. Charles de Costa hat das in seinem Uhelspiegel erschütternd geschildert. Ich persönlich
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glaube, dass viel mehr Menschen durch eine Justiz in der Urteilung umgekommen sind, als wir wissen. Denn die Urteilsverstrengung ist eben ein näher Ausschluss. Ein sehr kritischer Punkt bei der Rechtsfindung sind Zeugenaussagen. Die Zeugen mögen noch so sehr um die
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Wahrheit bemüht sein, aber dem Einfluss des eigenen Nachgrübelns, der Pressenotiten und vieler anderer mehr gegenüber, vermacht kaum ein Gedächtnis mit Sicherheit standhaft zu bleiben. Und wie steht es mit Sachverständigen Gutachten? Im Rohrbachprozess in
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Münster wurde die Angeklagte wegen Ermordung ihres Ehemanns aufgrund eines sehr dürftigen Indizienbeweises schuldig gesprochen. Dabei spielte das Gutachten des Gerichtsmedizines eine besonders traurige Rolle. Man hatte zwar die Leiche des Ermordeten gefunden, nicht aber den Kopf. Im
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Küchenherd befindliche, verkohlte Knochen identifizierte das Gutachten als menschliche Schädelknochen. Der Kopf wurde drei Jahre später unversehrt in einem abgelassenen Feuerlöschteich gefunden. Die Frau hatte immer wieder ihre Unstrückbeteuert. Gewiss hat bei
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dieser Entscheidung der schlechte Leumund der Frau eine starke suggestive Wirkung ausgeübt. Den Bemühungen des Verteidigungsgelanges trotzdem nach drei Jahren die Beweisnis von ihr zu nehmen und sie musste freigelassen werden und lebt jetzt
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irgendwo in Deutschland unter anderem namen. Wird die Todesstrafe aus rein politischen Gründen verhängt, so wird aus dem Justizirrtum der Justizmord. So sagte Goebbels in einem Vortrag vor den Mitgliedern des Volksgerichtshofes wörtlich, es
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sei nicht vom Gesetz auszugehen, sondern von dem Schluss, der Mann müsse weg. Ich zitiere hier zu Müller-Meiningen. Der Missbrauch der Todesstrafe vor allem aus politischen Gründen hat sich noch zu keiner Zeit verhindern lassen. Besteht die Todesstrafe, so wissen wir, dass das
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Verlangen nach ihr keine Grenzen kennt. Noch nach 1945 ist in Westdeutschland die Todesstrafe für Schwarzschlachtung gefordert worden und in Österreich für dieses Delikt sogar eingeführt worden. Besonders gegen angebliche
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Verräter oder Staatsverbrecher wurde in allen Zeiten nach der Todesstrafe geschrieben. Ein verhängnisvoller Fehler im Republikschutzgesetz der Weimarer Zeit, die Todesstrafe in zu weitem Maße eingeführt zu haben. Denn auch hier bestätigte sich, es ist kein Weg kürzer, als
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der vom Galgen zum Monument. Wir müssen sehr dankbar sein, dass sich in den letzten Tagen zwölf französische Abgeordnete für die Abschaffung der Todesstrafe in ihrem Vaterland eingesetzt haben. Ein bedeutsamer Schritt im Zuge der Vereinigung
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Europas. Es wäre hier noch einiges über die Psychologie und Psychopathologie der Gewaltverbrecher zu sagen, dazu reicht die Zeit aber nicht. Aber auf eine große Gefahr der Todesstrafe muss ich doch noch energisch hinweisen, die allgemeine Verrohung der Gesellschaft.
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Erfahrungen aus dem Mittelalter und aus Staaten, in denen zur Zeit die Todesstrafe noch öffentlich vollstreckt werden, lehren, dass sich unvorstellbare Menschenmassen zu diesem Schauspiel drängen. Sie sind aber durchaus nicht der Hintergründe und Gründe dieses
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schrecklichen Dramas sich bewusst, sondern genießen geradezu mit Volos des Grauens in der Wirklichkeit, was sie sonst sich durch Goselfilme verschaffen. So berichtet ein Journalist aus dem Häuschen England. Es sind zum Beispiel die schaulichen Versammlungen vor den Gefängnistoren zur Stunde der
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Hinrichtung. Nicht nur Demonstranten gehen dorthin, sondern auch neugierige und pervertierte Typen, die ein dankhafter Kitzeln in die Nähe des Schafferts treibt. Auch der Andrang zum Amt des Henkers weist in die
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gleiche Richtung. Nach den Feststellungen einer königlich-britischen Kommission aus dem Jahre 1949 gelangen pro Woche fünf schriftliche Angebote an die Vollstreichungsbehörde, obwohl der Posten des Schafrichters nie öffentlich ausgeschrieben wird. Und am 26.11.1964
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meldeten deutsche Zeitungen, dass allein seit der Diskussion um die Todesstrafe in der Bundesrepublik 27 Bewerbungen um den Posten eines Henkers eingegangen sind. Eine genaue Untersuchung dieser Anwärter würde höchstwahrscheinlich ergeben, dass diese Personen keineswegs
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Idealisten oder Rechtsfanatiker sind, sondern dass sie die gleichen Züge von Psychopathie zeigen wie diejenigen, die zu Töten bereit sind. Bild 3. Auch für die Erschießung des Doppelmörders Gary Jillmour, durch ein
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fünfköpfiges Piloton, meldeten sich zahlreiche Bewerber, die sich die Lumpchen 100 Dollar verdienen wollten. Jillmour war vor Jahren verurteilt worden, die Hinrichtung war aufgeschoben worden, weil man immer auf das Verbot der Todesstrafe wartete. Schließlich kämpfte er
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nicht mehr um sein Leben, sondern um die Vollstreckung des Urteils. Das Bild zeigt ihn auf seinem letzten Gang. Als ich im November 1943 im Reservelazarett Brandenburg-Hafel arbeitete, wurden im Dorf den Zuchthaus täglich Hinrichtungen mit der
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Gigantine vorgenommen. Dazu musste der Standort Arztsanitätsoffiziere abstellen. Eines Tages traf auch mich dieses Schicksal. Zwei Krankenschwestern denen gegenüber ich meinen Abscheu zum Ausdruck brachte, sahen mich völlig verständnislos an und sagten mir wörtlich
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Wir würden alles darum geben, wenn wir das einmal mit ansehen könnten. Außerdem erhalten Sie doch als Sonderration eine Flasche Konjak und 100 Zigaretten. Mehr braucht man wohl dazu kaum zu sagen. Das, was ich miterleben musste, aber war grauenhaft und übertraf noch das, was mir mein Onkel erzählt hatte.
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Ich gebe es so wieder, wie es in meinen Memoiren steht. Das Richthaus des Zuchthauses Brandenburg-Görden lief in einer großen, weißgekochelten Garage, in der zwei LKWs hintereinander Platz gehabt hätten und war durch einen schweren schwarzen Zweiteil den Vorhang unterteilt.
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In dem so geschaffenen Vorhorn stand ein großer schwarz verhängter Tisch, auf dem die Akten lagen. Dahinter der Staatsanwalt und der Kriegsgerichtsrat sowie Beamte des Zuchthauses und der Arzt, vor dem geschlossenen Vorhang der Magdeburger Scharfrichter mit seinen beiden Gehilfen
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in schäbigen schwarzen Anzügen mit bläulich schimmernden Gummikragen, eben solchen Röllchen und schwarzen Schlipsen. Durch eine kleine Tür gegenüber dem Tisch wurden die mit Handschellen auf dem Rücken gefesselten Verurteilten von zwei uniformierten Beamten dem Gericht vorgeführt.
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Bekleidet waren sie mit einem auf dem Rücken offenen, grob leinen Händen, einer Drillichhose und Lederpantoffeln. Die Grausitzimmeromnie begann mit der Frage, sind sie der, die alle Verurteilten mit einem stummen Kopfnicken beantwortet?
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Während der letzten Worte des anschließend verlesenen Urteils wurde der schwarze Vorhang geöffnet und der Blick fiel auf die mit hochgezogenem Fallbeil bereitstehende Guillotine. Nach den Worten der Scharfrichter Waltensgieres Amtes ging alles in rasender Schnelligkeit.
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Die beiden Gehilfen packten den Verurteilten, streiften ihm bei den letzten Schritten das Hemd herunter und legten ihn auf das Brett. Der Scharfrichter passte schnell, aber solch fällte sich die Lünette an und zog, an dem die Sperrverrichtung auswiesend strick. Man hörte einen dumpfen Schlag. Der Körper des Hingerichteten baumte sich kurz auf, um dann wieder in sich zusammen zu sinken.
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Während das Blut ganz kurz aus den Halsgefäßen rausste, fiel der Vorhang zu. Es war jede Vorsorge getroffen, um die Nerven der Zuschauer zu schonen. Ich musste offiziell den eingetretenen Tod und die Todeszeit für das Protokoll feststellen.
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Während einer der Gehilfen die Maschine abspritzte, musste ich durch den Vorhang treten und den völlig entkleideten, ausgebluteten Leichnam ansehen, der mit dem Kopf zwischen den Beinen schon in seinem Gort gezimmerten Sarg lag. Am wurde bereits der nächste zum letzten Gang hereingeführt.
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Besonders erschüttert haben nicht die beiden letzten zwei Mennoniten Kriegsdienstverweiger aus religiösen Gründen. Noch bis zum Eintritt in die Halle des Grauens hatte man ihnen volle Begabung zusichert, wenn sie sich bereit erklärten, im Sanitätsdienst der Wehrmachtsoldaten zu werden.
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Hoch erhobenen Hauptes, wie Könige standen sie vor dem Richter. Stolz, fast feierlich gingen sie betend auf die Giotine zu und lichten sich auf das Brett. Jeden Zwang abwehren, jede Hilfe verschmähend. Zwölfmal in 22 Minuten wiederholte sich der dumpfe Schlag.
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Meine Damen und Herren, warum habe ich Ihnen all dieses Grauen so eingehend vor Augen geführt? Meine Worte galten vor allem den jungen und werdenden Ärzten. Es sind über 30 Jahre vergangen und ich weiß von meinen inzwischen erwachsenen Kindern in wie nebelhafter Ferne für ihre Generation...