Wen oder was schützt die Netzpolitik? Eine Retrospektive.
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Number of Parts | 19 | |
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Identifiers | 10.5446/51164 (DOI) | |
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XMLComputer animationLecture/Conference
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Physical lawMeeting/Interview
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Lecture/ConferenceMeeting/Interview
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Meeting/InterviewComputer animation
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Lecture/ConferenceMeeting/Interview
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Expert systemLength of stayArray data structurePlane (geometry)Lecture/Conference
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Computer animationLecture/Conference
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Sound <Multimedia>Digital filterLecture/ConferenceMeeting/Interview
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Sound <Multimedia>Computer animationLecture/Conference
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Lecture/ConferenceComputer animation
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Lecture/ConferenceMeeting/Interview
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InternetStandard deviationComputer networkComputer animationLecture/ConferenceMeeting/Interview
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Computer networkComputer networkProfessional network servicePole (complex analysis)Link (knot theory)Numerisches GitterRow (database)Lecture/Conference
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IPNetwork topologyDeutsches WissenschaftsnetzInternetTexturCommunications protocolNumerisches GitterComputer animationLecture/Conference
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InternetNumerisches GitterService (economics)InformationsgesellschaftTelecommunicationOpen setIPComputerLecture/ConferenceMeeting/Interview
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DatenautobahnInternetInternetdienstMultimediaInternetInformationsgesellschaftPerspective (visual)Service (economics)System identificationCategory of beingArchaeological field surveyTelecommunicationPhysical lawMediendiensteTelebankingHome shoppingEmailRegulator geneLecture/ConferenceMeeting/InterviewComputer animation
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InternetLecture/ConferenceMeeting/Interview
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MultimediaDatenautobahnInternetInternetdienstInternetFachmedienCoalitionLattice (order)Lecture/ConferenceMeeting/Interview
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MultimediaDatenautobahnInternetdienstInternetInformationsgesellschaftZugriffOpen setKommunikationInternetComputer animation
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WeightDigital mediaComputer animationLecture/Conference
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Löschen <Datenverarbeitung>Moment (mathematics)InternetLecture/Conference
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InternetOpen setInformationInformationsgesellschaftComputer animationLecture/ConferenceMeeting/Interview
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Digital signalSystem identificationFocus (optics)Numerisches GitterInternetMetreAutomationOrientierbare MannigfaltigkeitLecture/ConferenceMeeting/Interview
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DigitizingCircleDigital signalPerspective (visual)Scalar potentialComputer animationDiagramLecture/Conference
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InternetGrand Unified TheoryYouTubeNoten <Programm>TransmitterPhysical quantityPositionComputing platformQuantum stateZahlRoute of administrationLecture/ConferenceMeeting/Interview
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Degree (graph theory)DigitizingIdeal (ethics)InternetNorm <Mathematik>Strategy gameSoftware developerComputer animationLecture/ConferenceMeeting/Interview
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9 (number)TOUR <Programm>Computer animationLecture/ConferenceXMLUML
Transcript: German(auto-generated)
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Vielen Dank für diese Vorstellung. Also, was wir jetzt machen in der nächsten halben Stunde ist, euch unsere Befunde von einem mehrjährigen Forschungsprojekt vorzustellen, das sich mit, jetzt ist ein bisschen übersteuert hier, dass
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sich mit der Geschichte und der Entwicklung von Netzpolitik befasst. Da wir ja Akademikerinnen sind, interessiert uns immer auch das, was sich daran verallgemeinern lässt. Also, was auch für andere Politikfelder, die künftigen und die gegenwärtigen, daraus zu lernen ist.
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Wir haben uns mit diesem Auf und Ab der Netzpolitik seit den 80er Jahren beschäftigt und die, wenn man so will, der zentrale Befund, den wir daraus gezogen haben, ist der, dass ein Politikfeld, damit es Bestand haben kann, so etwas wie ein Schutzgut definieren muss. Und dieses Schutzgut
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muss so breit sein, dass es auch außerhalb der unmittelbaren Szene von Akteuren Widerhall und Anerkennung findet. Und es muss, das ist ebenso wichtig, institutionalisiert werden. Institutionalisiert im Sinne von, dass Referate in Ministerien entstehen, sich damit beschäftigen, dass eine
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gewisse Sprache entsteht, eine Fachsprache, die ein Echo findet und schließlich auch, dass es sich in Gesetzen wiederfindet. Die erfolgreichen Beispiele, die das so ein bisschen illustrieren, was wir damit meinen, sind auf jeden Fall Umweltpolitik. Da ist es gelungen, Sauberkeit von Luft,
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Wasser und Boden als Schutzgüter zu etablieren, die weit in der Gesellschaft verbreitet sind. Und das zweite Beispiel, auf das man gut verweisen kann, ist das Konzept der informationellen Selbstbestimmung, um
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das herum sich der Datenschutz irgendwann etabliert hat. Also dieses Schutzgut, das ist sozusagen in das Allgemeinwissen und auch in den Wertekanon der Gesellschaft so eingedrungen, dass man von einem Allgemeinanerkannten Wert sprechen kann. Ich werde das jetzt noch mal ein
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bisschen detaillierter beschreiben, was wir unter Politikfeldern verstehen, weil unser Verständnis von Politikfeldern unterscheidet sich in mancher Hinsicht von dem, wie Politikfelder sonst verstanden werden. In der Politikwissenschaft geht man davon aus, es gibt ein allgemeines
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ein gesellschaftliches Problem, und die Antwort auf dieses Problem ist, dass sich ein Politikfeld etabliert und ein Ministerium dafür geschaffen wird. Man hat also Umweltverschmutzung, und dann schafft man ein Politikfeld und ein Ministerium, das sich damit befasst. Wir halten dieses Verständnis von Politikfeldern aus verschiedenen Gründen
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nicht für angemessen. Zum einen ist es ja so, dass nicht alle gesellschaftlichen Problemlagen in der gleichen Art und Weise aufgegriffen werden. Nicht jedes Großproblem erhält sein eigenes Ministerium. Und zum anderen, und das ist mindestens genauso wichtig, sind Politikfelder nicht überwiegend mit dem Lösen von
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gesellschaftlichen Problemen befasst, sondern sie leisten sehr, sehr viel mehr. Politikfelder, wie wir sie definieren, sind deshalb das, was wir als umstrittene Produktionsräume verstehen. Diese Produktionsräume bringen erstens Problemdefinitionen
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hervor. Sie bringen Akteure, also Experten hervor. Diese Experten entwickeln eine gemeinsame Fachsprache, ein Vokabular. Sie entwickeln aber auch Bewertungsmaßstäbe und gewisse Konfliktdynamiken, um die sich herum immer wieder die gleichen
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Akteure zusammenfinden. Man könnte also sagen, Politikfelder sind kleine Welten. Sie sind Kulturräume in gewisser Hinsicht, die man von außen auch erkennen kann. Netzpolitikerinnen unterscheiden sich von den Akteuren anderer Politikfelder. Und sie teilen
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miteinander ein bestimmtes Verständnis der Welt, das sie auch parteiübergreifend verbindet. Das heißt, Netzpolitikerinnen erkennen sich quer zu den Parteilinien, weil sie ein gewisses Grundverständnis des Feldes und eben eine gewisse Kultur teilen. Sie wissen, wie man sich anzieht,
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wie man spricht. Und die Außenseite erkennt man daran, dass sie diese Sprache überhaupt nicht sprechen. Wenn sich Politikfelder einmal etabliert haben, dann merkt man das daran, dass das, was wir als Schutzgut definieren, selbstverständlich geworden ist. So selbstverständlich, dass es von niemanden mehr in Frage
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gestellt wird. Umgekehrt kann man sagen, wenn ein Politikfeld, wenn es an Stabilität verliert, dann wird das Schutzgut auch wackelig und wird wieder in Frage gestellt und womöglich dominiert von anderen Werte-Vorstellungen, die
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außerhalb des Politikfeldes wichtig sind. Was nun auch wichtig ist an Politikfeldern, ist, dass sie so einen Raum des Sagbaren definieren. Das, was zum guten Ton dazugehört, was man nicht sagt. Ronja und ich haben überlegt, was wäre dann
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ein Beispiel, um das zu erläutern. Und wir haben uns gedacht, wenn wir jetzt einen Vortrag für diese Konferenz vorschlagen würden, der über die Vorteile von Upload-
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und Upload-Konferenz vorliegt, dann wäre das ein Vortragstil. Also es gibt einen gewissen guten Ton und der ist auch gar nicht ausgesprochen. Es gibt Dinge, die gehören dazu und es gibt Dinge, die nicht dazu. Es gibt Dinge, die klingen vernünftig und andere nicht. Also Kultur-Politikfälle, die enthalten sehr viel mehr als konkrete Problemlösungen.
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Sie schaffen tatsächlich einen Zusammenhalt unter den Doktoren. Warum ist das nun relevant, ob etwas ein Politikfeld ist oder nicht? Da kann man exemplarisch so etwas wie das Urheberrecht anführen. Das Urheberrecht hat ein Schutzgut, das hat sich in weiten Teilen der
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Gesellschaft so verfestigt, dass es schwer infrage zu stellen ist. Und das Urheberrecht ist ein so relevanter Bereich geworden, ein so relevantes Politikfeld, dass es in der Lage ist, seine eigenen Werte auch gegenüber Technikentwicklung geltend zu machen. Ich erinnere an die frühe Auseinandersetzung
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zum Thema Privatkopie, als es darum ging, ob jetzt das Urheberrecht den Ton angibt oder die neue Technik, die ja nichts anderes macht, als beständig zu kopieren. Da hat man die Macht des Politikfeldes Urheberrecht überall zu spüren bekommen, weil es
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eine solche Definitionsmacht ausübt. Ich will sagen, Schutzgüter und Politikfelder, die diese institutionalisieren, machen einen Unterschied im Hinblick auf die materielle Politik, die stattfindet. Politikvorschläge außerhalb von Politikfeldern haben einen sehr viel anstrengenderen Kampf vor
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sich, um überhaupt etwas durchzusetzen. Insofern ist es nicht egal, ob Netzpolitik nun ein Politikfeld bildet oder nicht. Wir erzählen euch jetzt eine kurze Geschichte der
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deutschen Netzpolitik. Das könnte man jetzt natürlich auf ganz unterschiedliche Weise tun. Wir begeben uns aber sozusagen auf Schutzgutsuche und klopfen die Geschichte darauf hin ab, welche Schutzgüter der Netzpolitik sich finden lassen und ob es gelingt, sie zu etablieren.
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Dabei stellen wir jeweils bestimmte Begriffe und damit zusammenhängende Kontroversen in den Weil ob wir z.B. Cyber, Netz oder Digitalpolitik sagen, ist vielleicht auch, aber nicht nur eine Skillfrage. Würden wir z.B. sagen, wir erzählen euch heute die Geschichte der Cyberpolitik, würden wir andere Personen und Themen zu den Protagonisten
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machen oder wären vielleicht gar nicht erst ins Programm gekommen. Was folgt, ist in dem Sinne eine Begriffsschichte, die zeigt, wie sich unterschiedliche Gruppen mit ihren Deutungen des Internets durchsetzen konnten und welche Ideen hingegen unsichtbar geworden sind. Also was praktisch nicht mehr Teil des
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Möglichkeitenraumes oder dieses Space of Possibles ist. Wir begeben uns in die 80er Jahre. Denn hier liegt der Ursprung für ein netzpolitisches Schutzgut und zwar in der Frage, was ein gutes Datennetz ausmacht.
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Streitpunkte oder Alternativen waren damals die Architektur und die Standards der Netze, aber auch die Frage, für wen die Datennetze unter welcher Bedingung überhaupt zugänglich sind. Den Status Quo bildeten damals die Datennetze der Bundespost, d.h. proprietäre Netze mit nationalem Horizont. Die Post war der
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Fernmeldemonopolist und konnte damit bestimmen, wer welche Geräte zu welchem Preis ans Netz koppeln konnte. Datennetze wurden dann aber politisch bei zwei Communities den Postnetzen ihre eigenen Versionen und Visionen von Netzen entgegensetzen. Das war zum einen
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die Computersubkultur mit ihren selbstverwalteten Mailbox-Netzwerken und sogenannten Datenreisen. Das hieß, sich Zugang zu internationalen Computernetzen verschaffen, den man entweder relativ teuer bezahlen oder sich eben erhecken musste. Zu der Computersubkultur zählen die Organisationen wie den CCC oder den
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FIF, die in den 80ern entstanden und sich bis heute auf unterschiedliche Weise netzpolitisch engagieren. Die Subkultur vereinte der damals neue Gedanke, Computer emanzipatorisch zu nutzen, das heißt in Abgrenzung zu sicherheitspolitischen oder kommerziellen Zwecken und übrigens auch zu einer damals sehr technisch skeptischen Linken, für die
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Computer eher Herrschaftsinstrumenten waren. Die zweite Community mit einer neuen Netzpräferenz sozusagen waren Deutschlands Internetpioniere mit ihren Wissenschaftsnetzen. Hier entwickelte sich eher eine Art Ästhetik der offenen Netzarchitektur. Ein gutes Netz war kompatibel,
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dezentral und robust und diese Eigenschaften hat man vor allem dem Internetprotokoll zugeschrieben. Dieses Ideal offener Netze entstand als Gegenentwurf zu den staatlich verwalteten und tarifierbaren Netzen der Telekommunikationswelt. Aber dieses Ideal war natürlich völlig nischig. Es blieb beschränkt
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auf zwei kleine und voneinander getrennte Communities und war damit gar nicht politikfeldtauglich. Rückblickend lässt sich aber sagen, dass hier ein Grundstein für das Schutzgut der Netzpolitik gelegt wurde, in dem sich diese Idee, dass offene Netze etwas schützenswertes sind, in Form dieser Organisationen auch ein Stück weit institutionalisiert hat.
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Nischig war aber auch noch eine ganze Weile das Internet als Technologie selbst. Auf dem Weg zum Mainstream und in der Selbstwahrnehmung quasi vor dem Durchbruch schien 1990 die Dienste der Telekom mit zentralem Rechnersystem in Ulm und Bezahlung pro abgerufener Seite.
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Das war sogar plausibel, denn die Forschungspolitik setzte nicht auf das Internetprotokoll zunächst, sondern auf das OSI-basierte Postprodukt Datex P. Auch das Internet setzte sich dann aber gar nicht so plötzlich durch, sondern bleibt selbst in den Neunzigern erst einmal eine von vielen
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Technologien im Diskurs der Informationsgesellschaft. Im Laufe der Neunziger wird das Internet von staatlicher Seite irgendwie als neues Phänomen entdeckt. Diese Entdeckung wird aber angeleitet durch die Perspektive bestehender Politikfelder und ihre eigenen Schutzgüter. Unter der dominanten Brille
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der Informationsgesellschaft waren das vor allem wirtschaftspolitische Kategorien. Die Post verliert im Monopol, aber nicht als Errungenschaft der Befürworter freier globaler Netze, sondern als wirtschaftsliberales Projekt. Das Ziel war, ein Markt zu schaffen für vormals öffentliche Dienstleistungen. Und IT war der Dienstleistungszweig
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der Zukunft. Internet war ein Teil davon zusammen mit Tele-Shopping und Tele-Banking. Bestimmt für die Einordnung des Internets war außerdem Medienpolitik. Die medienpolitische Trennung zwischen Individual- und Massenkommunikation wurde im Netz schwierig. Internet bedeutete irgendwie Medienkonvergenz und war Teil von Multimedia. Das Wort des Jahres 1995.
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Regulatorisch wurden die Unterscheidungen aber doch beibehalten. Die Frage, ist das Internet Rundfunk oder Telekommunikation lösste erst einmal einen Zuständigkeitskonflikt zwischen Bund und Ländern aus. Das Produkt war die Aufteilung des Internets in Tele-Dienste wie E-Mail und rundfunkähnliche
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Mediendienste. Auch die Sicherheitspolitik beginnt das Internet in den Blick zu nehmen. Es gibt erst Überwachungsgesetze, die auch Internetprovider betreffen. Insgesamt sind die Neunziger ein bisschen seine Sondierungsphase, in der versucht wurde, verschiedene Technologien, Markt und Zuständigkeitsgerecht auseinander zu klamüsern.
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Und das alles unter der Brille bestehender Politikfelder. Gleichzeitig entstand aber im und über das Netz ein Diskurs gegen diese Vereinnahmung des Internets durch Regeln bestehender Politikfelder. Es wird ein erster sozusagen Autonomieanspruch einer frühen Netzgemeinde sichtbar
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durch eine kleine Fachöffentlichkeit, zu der die Computersubkultur der Achtziger zählte, aber auch erste Fachmedien wie HEISE, Netzpolitiker oder Internetverbände. Es entsteht hier so eine kleine Koalition der Internetversteher, die betont, das Internet ist ein Raum mit eigenen Regeln
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und braucht entweder internetgerechte Regeln oder am besten gar keine staatlichen Regeln. In den Neunzigern wird das Internet also schützenswert als freier Kommunikationsraum und offene Infrastruktur jenseits des staatlichen Zugriffs. Das sieht man auch daran, aber diese Idee war natürlich noch nicht mainstream oder anschlussfähig. Das sieht man auch daran,
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dass sich der Gegenbegriff der Kommunikationsgesellschaft nicht durchgesetzt hat. Vielmehr, auch wer die Prämissen des Begriffs Informationsgesellschaft ablehnte, musste sich darauf beziehen, wenn er an Debatten über das Internet teilhaben wollte.
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Ja, und dann kommen die Zweitausenderjahre und es beginnt, sich etwas grundlegend zu ändern. Bis zur Mitte der Zweitausender sehen wir eine zunehmende Gründung und Institutionalisierung von allerlei kleinen Organisationen.
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Dazu gehört AK Vorrat, Netzwerk, neue Medien, eDRI, Privatkopie, dotnet. Es entstehen sehr viele Initiativen, aber sie entstehen weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit. Das ist eine zivilgesellschaftliche Szene, so ein Mikrokosmos,
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der sich wechselseitig zur Kenntnis nimmt und auch häufig sieht, aber in der allgemeinen Öffentlichkeit eigentlich keine große Rolle spielt. Und plötzlich, Mitte der Zweitausenderjahre, ändert sich das und es ändert sich auch der Diskurs. Was da passiert, ist, dass das Schutzgut, das freie öffentliche,
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das offene Internet mit so einer, wir sagen, einer Allgemeinwohl-Rhetorik faktisch aufgeladen wird. Es wird in Verbindung gebracht mit Grundrechten, die in der Gesellschaft tief verankert sind und auf Zustimmung stoßen. Und damit passiert etwas, was in den Jahren vorher nicht so richtig gelang,
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nämlich, dass auch Leute, die mit dem Internet, seiner Technik, seinen Gepflogenheiten unmittelbar nichts zu tun haben, plötzlich das Thema Netzpolitik als ein relevantes Thema zur Kenntnis nehmen. In dem Moment wird dann auch die Piratenpartei gegründet. Sie gewinnt unglaublich viel Zulauf
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in den ersten Jahren, was dann insgesamt die anderen Parteien auch zwingt, dieses Thema zur Kenntnis zu nehmen und netzpolitische Sprecher in allen Parteien ernannt werden. Netzpolitik wird jetzt ein relevantes Thema sowohl in der Presse
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als auch in den Parteien. Und es entsteht etwas, was danach so nie wieder gelungen ist. Die Bewertungskriterien, die wichtig sind in der netzpolitischen Szene, werden für kurze Zeit hegemonial und setzen sich so durch, dass andere Parteien, nein, dass Parteien überhaupt
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sich gezwungen sehen, dieses Vokabular zu adoptieren und selber zu nutzen. Ein Beispiel dafür, sind die netzpolitischen Thesen von de Maizière von 2010. Wir finden den Begriff Netzpolitik plötzlich auch in den Namen von Referaten von Bundesministerien.
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Und das wirklich ikonische Beispiel, was diese Zeit ausmacht, ist die sogenannte Zensursula-Debatte, die um Löschen oder Sperren ging. Das war in 2009. Im Namen von Freiheitsrechten ist es gelungen,
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eine Debatte, die ministeriums- und politikersseits unter den Begriff Kinderpornografie geführt wurde, so umzudeuten, dass nicht mehr Kinderpornografie das Thema war, sondern Netzfreiheit. Das heißt, es ist hier gelungen, das Schutzgut,
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das diese Szene ausmacht, das freie, offene Internet zu einem dominanten Bewertungskriterium zu erheben, auf das sich die Presse und andere Parteien beziehen mussten. Das muss man noch einmal im Vergleich sehen zu der Phase der Informationsgesellschaft in den 80er,
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90er Jahren, von der Ronja gerade gesprochen hat. Da war es umgekehrt. Da haben Wirtschaftsministerium und Innenministerium faktisch die Agenda bestimmt und zivilgesellschaftliche Gruppen mussten sich darauf beziehen, um überhaupt zur Kenntnis genommen zu werden. Das heißt, zivilgesellschaftliche Akteure
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konnten sich nur beteiligen an der Diskussion, wenn sie das dominante Vokabular zu ihrem eigenen gemacht haben. Das war in den 2000er Jahren für eine begrenzte Zeit anders. Und dann passiert etwas, wo wir selber Schwierigkeiten haben, das für uns zu deuten, nämlich die 2010er Jahre,
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von denen man eigentlich hätte denken müssen, dass das ein Heimspiel für die Netzpolitik wird. Stattdessen passiert genau das Gegenteil. Nach den Enthüllungen von Snowden ändert sich die Windrichtung völlig und es dominieren ganz andere Themen,
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die öffentliche Diskussion. Wir nennen diese Phase die Rückkehr des Ökonomischen. Es geht um Industrie 4.0. Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschlands, um Wirtschaftswachstum und natürlich sehr um Start-ups und neue Technologien.
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Hier ist nicht mehr das Schutzgut des freien Internets dominant, sondern eher die Themen, die Wirtschafts- und Sicherheitspolitik bestimmen. Snowden also markiert ein vorläufiges Ende der Vorstellung eines freien Netzes. Zwei Reaktionen von unseren Interviewpartnern
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würde ich dazu kurz erwähnen. Jemand von der Piratenpartei sagte, dass die Snowden-Enthüllungen der verpasste Elfmeter der Piraten gewesen seien. Ein anderer, ein Mitglied des Bundestags, sagte, das war das ungenutzte Fukushima der Bürgerrechtlerin.
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Zitat, wir haben als Bürgerrechtler versagt in der Frage, weil wir es nicht geschafft haben, unser Fukushima umzusetzen. Ich will sagen, wir haben hier ein Mega-Event mit den Snowden-Enthüllungen. Und was die zivilgesellschaftliche Szene
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in der Zeit macht, ist, nicht die öffentliche Agenda zu bestimmen mit ihren Zielen in ihren Bewertungskriterien, sondern sie sammelt Ressourcen, um vor Gericht zu ziehen. Auch empirisch tut sich in dieser Zeit viel, wir haben neue Themen, nämlich Daten und Automatisierung,
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die so in den Vordergrund treten. Das unterscheidet sich von dem Fokus auf die Infrastruktur des Internets, die lange dominiert hat. Und der Begriff Netzpolitik hat augenscheinlich ein Problem, diese neuen Themen zu integrieren unter dem Dach von Netzpolitik und seinen Wertvorstellungen.
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Und es tritt so etwas auf, was Ronja auch für die 90er-Jahre beschrieben hat. Wir haben wieder so eine Sondierungsphase, wo unklar ist, um welche politischen Ziele es eigentlich geht und wie die zu formulieren wären. Wir sehen da auch so eine Phase, wo so etwas wie Sharing-Ekonomie nicht klar bewertet ist.
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Die einen sehen es als Utopie, die anderen sehen es als schiere Ausbeutung, weil es einfach keinen dominanten Diskurs gibt, der das bestimmt. Natürlich, und das ist eigentlich bis heute ein bisschen so, wir haben um diese Daten herum verschiedene Ideen, wie man die frameen kann, Datenschutz, Data Commons,
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digitale Selbstbestimmung oder Souveränität. Aber nichts davon ist wirklich dominant. Es gibt also einen gewissen Orientierungsbedarf und auch unklare Grenzziehungen zu anderen Politikfeldern.
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Wir bleiben in den 2010ern. Man kann sagen, dass eher parallel zu Cyber- und Digitalisierung etwa seit 2015 der Begriff Digitalpolitik en vogue wird. Genutzt wird er besonders,
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aber nicht nur in Regierungskreisen. Zum Teil löst Digitalpolitik Netzpolitik begrifflich ab als intuitiv weitergefasstes Politikfeldkonzept. Manchmal werden die Begriffe aber auch synonym verwendet. Viele sagen jetzt, weil das Netz durch neue Technologien überholt sei, müsse es jetzt digital heißen.
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Aber im Prinzip ist ja auch das Digitale schon alt. Mein Vater denkt z.B. bei Digital immer an CDs, und technisch gesehen ist es sogar richtig. Was ich damit sagen will, ist, dass das, was zu Netz und was zu Digitalpolitik gehört, ist eben nicht allein durch technische Entwicklungen gesetzt oder festgelegt, sondern wird immer noch in politischen Deutungskämpfen ausgehandelt.
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Wenn wir uns jetzt einmal die Netz- der letzten zwei Jahre ansehen, zeigt sich, dass das zeitweise verblasste Schutzgut freies Netz doch noch Mobilisierungspotenzial hat. Aus unserer Schutzgutperspektive
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werten wir die Proteste gegen die Urheberrechtsreform als Erfolg. Eine ganze Weile zwischen Snowden und KI schien der Claim freies Netz irgendwie retro. Die Mobilisierung unter Rette dein Internet bannern sprechen aber dafür, dass das netzpolitische Vokabular noch funktioniert
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und auch für die YouTuber-Generation anschlussfähig ist. Man sollte die Kampagne also nicht an dem ohnehin knappen Abstimmungsergebnis allein bemessen. Vielmehr hat sich das Schutzgut freies Netz als eine Art anschlussfähiger Referenzrahmen erwiesen, der bis in die CDU hinein Begründungsbedarf aufgeworfen hat.
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Zu den Erfolgskriterien der Kampagne gehört eben nicht nur die Zahl der Demonstranten oder gewonnene Nein-Stimmen im Parlament, sondern auch der bewirkte Rechtfertigungsdruck. Die Upload-Filter-Kampagne lässt sich auch einordnen in eine größere Debattenkonstellation zur Macht von Plattformen und ihrer Regulierung.
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In dieser Konstellation treten digitale Öffentlichkeiten als Schutzgut hervor. Die Chance für eine Allgemeinwohl-Anbindung in diesem Diskurs liegt darin, das Internet als kritische Infrastruktur für demokratische Öffentlichkeit ernst zu nehmen.
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Was hier auffällt, ist, dass mit dem Schutz demokratischer Öffentlichkeit ein Schutzgut der Netzpolitik mit dem Schutzgut der Medienpolitik zusammenfällt. Das merkt man z.B. auch daran, dass der aktuell diskutierte Medienstaatsvertrag netzpolitisch hochrelevant ist, sozusagen auch netzpolitisches Territorium ist.
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Wenn Netz- und Medienpolitik sich jetzt hier annähern, kann man das einerseits vielleicht als Risiko für netzpolitische Kriterien sehen, z.B. wenn Sende-Lizenzen für YouTuber zur Debatte stehen. Aber aus unserer Sicht ist die hohe Zustimmungsfähigkeit des Schutzgutes demokratischer Öffentlichkeit auch dazu geeignet, sich das netzpolitisch nutzbar zu machen.
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Benachbarte Politikfelder sind eben nicht immer nur konkurrierend, sondern es gibt sozusagen auch alliierte Schutzgüter. Trotz dieser erfolgreichen Episoden lässt sich sagen, dass die Schutzgüter der Netzpolitik heute,
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wenn vielleicht auch nicht retro, aber prekär sind. Einen Grund dafür sehen wir in der relativ schwachen und fragmentierten Verankerung netzpolitischer Schutzgüter auf Regierungsebene. Schaut man sich z.B. die ministeriellen Zuständigkeiten an, hat Netzpolitik hier eine strukturell schwache Position
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gegenüber etablierten Politikfeldern wie Sicherheit oder Wirtschaft. Daran hat auch die Einrichtung einer Staatsministerin für Digitalisierung ohne Ressource nicht viel geändert. Den zweiten Grund dafür, dass die Schutzgüter eher prekär sind, sehen wir in der Findungsphase, von der wir gesprochen haben, in der noch unsicher ist, welche Themen und Schutzgüter
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das Politikfeld langfristig auszeichnen. Die Politikfeldgrenzen sind unklarer geworden und auch die Antwort auf die Frage, was unter Netz- oder Digitalpolitik fällt. Erschwerend hinzukommen in dieser Findungsphase sind auf der einen Seite konservative Delegitimierungsstrategien,
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in denen politische Figuren als Unternehmer oder gekaufte Demonstranten diskreditiert werden, und rechte Vereinnahmungsversuche des Schutzgutes, wenn es z.B. um freie Meinungsäußerung im Netz geht. Mit Ihrem Antrag zur Freiheit im Internet macht sich die AfD per Copy und Paste netzpolitische Positionen zu eigen und stellt damit für ihr Publikum zu Dispositionen,
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was unter dem claimfreies Netz alles gefordert werden kann. Man könnte sagen, instabile Schutzgüter können leichter gekapert werden. Ja, wir fassen noch einmal knapp zusammen. Damit ein Politikfeld überhaupt existieren kann,
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muss es definieren, wofür es da ist. Es muss also ein Schutzgut haben. Dieses Schutzgut wiederum muss institutionalisiert sein. Ronja hat es gerade schon gesagt. Damit tun wir uns in diesem Land wirklich schwer. Wir haben das Thema Internet auf sehr viele verschiedene Ministerien verteilt.
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Es gibt niemanden, keinen starken Akteur in dieser Szene. Und das macht sich auch in dem Auf und Ab und dieser sehr nicht linearen Entwicklung von Netzpolitik in diesem Land unbedingt bemerkbar. Für die netzpolitische Szene ist es wichtig,
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mit starken Idealen und starken Normen zu kommen. Und dafür zu kämpfen, dass die institutionalisiert werden. Vielen Dank.