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Physical and political considerations in the construction of large particle accelerators

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Physical and political considerations in the construction of large particle accelerators
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340
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Heisenberg, WernerRoute of administrationQuantumSolar thermal collectorAtomphysikElementary particleParticleAccelerationFormerYearPhysicistVerkantungAtomic nucleusRöhr <Marke>IndustrieelektronikOrder of magnitudeApparaturAngeregter ZustandElectronMusical developmentMaterialCollisionEnergieQuantum statePhysical quantityBinding energyGasAnlage <Unterhaltungselektronik>Energy levelProcess (computing)Eintritt <Raumfahrt>Europa (record label)Theory of relativityHydron (chemistry)Hohe EnergieNeutronAtomRadioactive decayVisibilityVisible spectrumHull (watercraft)AtomhülleMonthHigh voltageTonerWasserstoffkernCold cathodeEnergiereicher StoßBond-dissociation energyHochspannungsanlageMeeting/Interview
Solar thermal collectorHeisenberg, WernerVisible spectrumAccelerationElementary particlePhysical lawPhysicistParticleYearHohe EnergieElectronic componentEnergieYearStorage ringLuftProcess (computing)Abziehen <Textiltechnik>WeightCosmic rayApparaturGround effect vehicleAngeregter ZustandRadiant fluxSAINTS <Programm>Particle physicsDammMaterialMagnetOpelSupraleitender MagnetCapacitance
Heisenberg, WernerSolar thermal collectorHalyardForceMaterial handlingPhysicistMonthEngineering technologistApparaturPlane (tool)Particle physicsYearEntwicklerAtomTakeoffMagnetic momentAccelerationGerätVisibility
Heisenberg, WernerSolar thermal collectorGround effect vehicleAccelerationMonthHochenergiephysikParticle physicsMachineYearChemical compoundAngeregter ZustandKernreaktortechnikNuclear reactorPhysicistRadiation therapyNeutronenflussDistortionForceBodenbewegungEarth's orbitEinrichtenPhysicsEnergieYearHydron (chemistry)AtomUniverseSynchrotronCoatingStorage ringPhysical quantityCollisionMeeting/Interview
Heisenberg, WernerSolar thermal collectorPlane (tool)YearPhysicistSolutionEuropa (record label)AccelerationPyramid (geometry)Elementary particleSchichtChemical compoundKathedrale <Lausanne>TombHohe EnergieStream gaugeSchließeGründung <Bauwesen>Particle physicsSpeciesFerryHydron (chemistry)Storage ringSynchrotronBeerBrunswick MumHochenergiephysikMini <Marke>Supraleitender MagnetLecture/Conference
Rother <Familie, Waldsassen>Electric power distributionComputer animation
Transcript: German(auto-generated)
Meine Damen und Herren, wir Physiker haben nicht nur mit so grundsätzlichen und wichtigen Problemen zu tun, wie sie Paul Dirac gestern uns auseinandergesetzt hat,
auch nicht nur mit den materiellen Schwierigkeiten, die der Experimentator lösen muss, um zu seinen Ergebnissen zu gelangen, so wie wir es gestern von Herrn Hofstetter gehört haben, sondern wir werden neuerdings auch oft gefragt,
besonders von der studentischen Jugend, in welcher Beziehung unsere Wissenschaft zur Gesellschaft stünde, also zu der Gesellschaft, der ja unsere Forschung direkt oder indirekt dienen soll und die umgekehrt die hohen Kosten unserer Forschungsarbeit ja auch tragen muss. Da nun immer die Gefahr besteht, dass
man sich bei der Beantwortung solcher Fragen in grundsätzliche Debatten oder ideologische Wunschbilder verliert, scheint es mir nützlich, an einem ganz speziellen Beispiel die praktische Seite dieser Problematik zu schildern. In den vergangenen Jahren ist viel von einem Großbeschleuniger gesprochen
worden, der durch die gemeinsame Anstrengung verschiedener europäischer Staaten und ihrer Techniker und Physiker demnächst errichtet werden soll. Über die Dringlichkeit des Projektes, seine Finanzierung und seinen zukünftigen Standort hat es Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen in der Öffentlichkeit gegeben. Aber schließlich hat man sich
vor einigen Monaten darauf geeinigt, dass der Beschleuniger im Europäischen Atomforschungszentrum Genf gebaut werden soll und dass sich eine Reihe europäischer Staaten, darunter Frankreich, Großbritannien, Italien, die Bundesrepublik, an der Finanzierung und der Durchführung beteiligen werden.
Alle wichtigen Entscheidungen über dieses umstrittene Projekt sind gefallen und daher besteht also auch nicht mehr die Gefahr, dass ich heute mit irgendwelchen Äußerungen in ein schwebendes Verfahren eingefangen könnte. Ich glaube, dass die Mehrzahl der
Beteiligten und damit meine ich die Physiker ebenso wie die Vertreter der mitwirkenden Regierungen in der Bundesrepublik ebenso wie in den anderen europäischen Ländern, dass die mit dem Ergebnis doch zum größten Teil zufrieden sind. Gerade deshalb aber kann es interessant sein, noch einmal die
Gesichtspunkte aufzuzählen, die bei der Entscheidung eine Rolle gespielt haben. Denn es dürfte ja auch in der Zukunft ähnliche große Gemeinschaftsprojekte geben und die gleichen Fragen über das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft über die Voraussetzung internationaler Zusammenarbeit werden dann wieder auftauchen. Man wird also aus den
Verhandlungen der letzten drei Jahre lernen können und ich möchte dieses spezielle Beispiel des europäischen Großbeschleunigers dazu benutzen, einige allgemeinere Gedanken über das Verhältnis zwischen Regierung und Wissenschaft und über die Art der hier möglichen Zusammenarbeit auszusprechen.
Zunächst ein paar Worte über die physikalischen Probleme, die mit Hilfe der Großbeschleuniger bearbeitet werden sollen. Die Fortschritte der Atomphysik in den letzten 100 Jahren sind eng mit der Konstruktion immer größerer Beschleuniger verknüpft gewesen, wobei ich das Wort
Beschleuniger jetzt in einem sehr allgemeinen Sinn verwenden möchte. Zum Beispiel in gewöhnlichen Entladungsröhren, etwa den Leuchtröhren der Lichtreklame genügt es, wenn Elektronen eine von wenigen Volt durchlaufen, um so weit beschleunigt zu werden, dass sie beim
Stoß mit einem der vorhandenen Gasatome dessen Atomhülle verändern und zum Leuchten anregen können. Ihre Energie beträgt dabei also, so drücken wir das als Physiker aus, einige Elektronen Volt. Mit solchen Elektronen hat man die Atomhüllen untersucht und schließlich die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sie gebaut sind, herausgefunden. Mit Atomhülle
ist hier die Gesamtheit der, den Atomkern umkreisenden Elektronen gemeint. Im Atomkern sind die Bindungsenergien etwa eine Millionmal größer als in der Hülle. Anfang der 30er Jahre haben Kockhoff und Walton in Cambridge eine
Hochspannungsanlage gebaut, mit der sie Protonen auf Energien von der Größenordnung eine Million Elektronen Volt beschleunigen konnten. Damit konnten sie leichte Atomkerne verändern, aus ihnen Elementarteilchen herausschlagen oder andere Elementarteilchen an sie anlagern.
Und in dieser Weise hat man im Lauf der 30er Jahre den Bau der Atomkerne zu verstehen gelernt, die, wie man seitdem weiß, aus zwei Sorten von Elementarteilchen, den Wasserstoffkern oder Protonen und den größeren Gruppe solcher Apparaturen, die man jetzt schon groß beschleuniger
nennen kann, wurde in den 50er Jahren gebaut. In ihnen sollte den Protonen eine Energie gegeben werden, die in der Größenordnung der Milliarden Elektronen Volt, der sogenannten GeV, reicht. Man konnte hoffen, mit ihnen dann auch die damals bekannten
Elementarteilchen zu verändern, sie eventuell in noch kleinere Bruchstücke zuzulegen, noch elementarere Bausteine zu finden. Auch diese Großbeschleuniger, zu denen die Apparaturen in Berkeley, Genf, Hamburg, Bruchhaven, Serbochow gehören, haben die in sie gestellten Erwartungen voll erfüllt.
Es stellte sich heraus, dass man tatsächlich Elementarteilchen verändern, sie in angeregte Zustände versetzen, ja sogar in viele Teile spalten kann. Aber, und das war das entscheidende Neue, die Bruchstücke sind dabei nicht kleiner als die Teilchen, die man hatte zusammenstoßen lassen.
Vielmehr handelt es sich nicht mehr eigentlich um den Prozess der Teilung, sondern um die Entstehung von Materie aus Energie. Und das wusste man ja aus der Relativitätstheorie, dass das möglich ist. Bei solchen energiereichen Stößen entstehen immer wieder Elementarteilchen des gleichen Spektrums.
Die Elementarteilchen sind, so kann man es ausdrücken, einfach verschiedene Formen, in die sich die Energie begeben kann, um zur Materie zu werden. Aber es gibt dann offenbar keine noch elementareren Teilchen. Das war der Stand der experimentellen Forschung vor einigen Jahren
und auf der Grundlage dieser Kenntnisse musste nun entschieden werden, ob man noch größere Beschleunigung mit Energien der Größenordnung, eigentlich 100 GV und mit den entsprechend sehr hohen Kosten bauen sollte. Für diesen Schritt sprach zunächst die einfache Überlegung,
dass bisher, so wie ich es geschildert habe, jeder Übergang von kleineren zu größeren Beschleunigern neue Erkenntnisse gebracht hat. Warum sollte es nicht so weitergehen? Der Eintritt in ein neues Energiegebiet muss zwangsläufig zu neuen, bisher unbekannten Informationen führen und niemand
kann ausschließen, dass dabei auch ganz unerwartete, überraschende und interessante Informationen herauskommen. Aber auch wenn man solche Überraschungen ausklammert, kann es wichtig sein zu erfahren, wie etwa die für die Radioaktivität
maßgebende Wechselwirkung sich bei ganz hohen Energien verhält. Denn die bisherigen Experimente gestatten darüber keine zuverlässige Vermutung und das könnte durchaus sein, dass die Kenntnis dieses Verhaltens grundsätzliche Fortschritte zum Verständnis des Spektrums der Elementarteilchen mit sich bringt. Hier bei den gründenführenden Beschleuniger ist
auch besonders die zentrale Bedeutung dieses Problemkreises für die gesamte Physik hervorzuheben. Alle physikalischen Gesetze werden wohl letzten Endes auf Gesetze für das Verhalten der kleinsten materiellen Teilchen zurückgeführt werden können. Also ist es sehr wichtig, gerade
diese Gesetze in Erfahrung zu bringen. Aber selbst wenn man die Erweiterung der Elementarteilchen Physik nicht so hoch bewertet, so wird man beim Bauer der riesigen Beschleuniger neue technische Erfahrungen machen, die in ganz anderen Gebieten praktisch wertvoll werden können.
Bei solchen Beschleunigern muss man ja an die äußersten Grenzen des jeweils technisch Möglichen gehen. Man wird also für die Praxis sehr viel lernen können. Ich erinnere zum Beispiel an die sich in diesen Jahren entwickelnde Technik der supraleitenden Magneten, die vielleicht bei einem neuen
Großbeschleuniger voll eingesetzt werden kann. Es gibt also gute Gründe, die für den Bau solcher Großbeschleuniger von Energien der Ordnung 300 GeV oder mehr sprechen. Und wenn man solche Apparaturen für einige Millionen Mark bauen könnte, so würde wahrscheinlich niemand
daran gezweifelt haben, dass man das auch tun muss. Leider gehen die Kosten aber in die Milliarden. Und daher muss man schon mit Rücksicht auf die anderen Bedürfnisse des Status fragen, ob man solche enormen Ausgaben nicht reduzieren oder wenigstens auf später
verschieben kann. Sind sie wirklich unbedingt nötig? Hier bei diesen Zweifeln wird man zunächst anführen können, dass die Gründe dafür, dass bei höheren Energien etwas grundsätzlich Neues herauskommen wird, nicht ganz stichhaltig sind. Die Natur hat uns ja gerade bei dem
Versuch, die Elementarteilchen zu teilen, eine neue und erwartete Auskunft gegeben, nämlich die, dass es sich bei diesen Prozessen gar nicht mehr um teilen, sondern um die Verwandlung von Energien Materie handelt. Das wird wahrscheinlich auch bei höheren Energien so sein.
Und daher muss man durchaus mit der Möglichkeit rechnen, dass selbst bei beliebiger Steigerung der Energie nichts grundsätzlich Neues passiert. Dazu kommt, dass man in der kosmischen Strahlung ja die Teilchen von extrem hohen Energien schon beobachtet hat, bis herauf zu etwa eine Millionen GV.
Und dass bei ihnen keine grundsätzlichen neuen Erscheinungen gefunden worden sind. Man könnte auch darauf hinweisen, dass die Speicherringe in Genf, die in diesen Jahren ihren Betrieb beginnen, jetzt vergangenen Jahren gebaut worden sind, dass die ja auch zu noch höheren Energien reichen. Es könnte also sein, dass das bisherige umfangreiche
Erfahrungsmaterial über die Elementarteilchen schon ausreicht, um die Naturgesetze in diesem Gebiet vollständig zu verstehen, dass wir die Erweiterung nach diesen höheren Energien gar nicht mehr unbedingt brauchen. In der Tat kann man sich schwer vorstellen, dass
eine zunächst hypothetisch aufgestellte Theorie zwar alle bisherigen Erfahrungen innerhalb der experimentellen Genauigkeitsgrenzen richtig darstellen, dass sie aber trotzdem im Gebiet der noch höheren Energien, das wir noch nicht kennen, dann versagen könnte. Aber selbst wenn man das Experimentieren im Gebiet der hohen Energien für absolut
notwendig hält, könnte man noch von der Hoffnung ausgehen, dass die Technik, etwa die der Supraleitenmagneten, in einigen Jahren oder Jahrzehnten so große Fortschritte gemacht haben wird und dass so neuartige Konstruktionsprinzipien gefunden worden sind,
dass man dann einen Großbeschleuniger mit einem viel geringeren Kostenaufwand wird bauen könnte. Mit solchen Argumenten konnte man also dafür plädieren, mit dem Bau des Großbeschleunigers jedenfalls noch ein paar Jahre zu warten. Sie sehen, dass die physikalischen und technischen Argumente allein kaum ausreichen konnten,
um eine klare Entscheidung zu treffen. Und daher wird man auch die wissenschaftspolitischen und die außenpolitischen Komponenten einer solchen Entscheidung sorgfältig bedenken müssen. Beginnen wir mit den Auswirkungen einer solchen Entscheidung auf die Hochschul- und
Forschungspolitik im eigenen Land. Die Beträge, die für einen Großbeschleuniger von 300 GV oder mehr ausgegeben werden müssen, sind so hoch, dass sie, selbst wenn es sich um ein internationales Gemeinschaftsprojekt handelt, nicht ohne weiteres zusätzlich
zum bisherigen Forschungsetat, etwa auf Kosten einfach alle übrigen Etaposten aufgebracht werden könnten. Dadurch entstehen für die Gesellschaft oder für die Regierung, vertritt sehr unangenehme Prioritätsfragen etwa in folgender Form. Sollen wir in Anbetracht der zu geringen Ausbildungskapazität unserer Hochschulen noch eine neue Hochschule einrichten
oder uns stattdessen an einem internationalen Großbeschleunigerprojekt beteiligen? Und dann eine andere Frage. Sollen wir im Jahr einige hundert Millionen mehr für den Umweltschutz, die Reinhaltung der Flüsse, der Seen und der Luft ausgeben oder sollen wir sie für
Elementarteichenphysik verwenden? Gerade hier in Lindau haben wir ja in der Person unseres verehrten Grafen Bernadotte einen der überzeugendsten Vertreter des Umweltschutzes unter uns. Solche Fragen sind deswegen so unangenehm, weil hier völlig unvergleichbare
Dinge in ihrer Dringlichkeit verglichen werden müssen. Auf der einen Seite steht die reine Erkenntnis über Grundfragen der Physik und der Naturwissenschaft, die später vielleicht auch, aber nur indirekt, große wirtschaftliche Auswirkungen haben kann. Auf der anderen steht
ein unmittelbar praktisches Bedürfnis des heutigen Lebens etwa die Möglichkeit, die Kinder in einer Universität später ausbilden zu lassen und ihnen gesunde Lebensbedingungen zu schaffen. Also wie soll man solche Fragen entscheiden? Die erste
Forderung, die man hier erheben muss, scheint mir die zu sein, dass auch die Physiker, die den Großbeschleuniger haben wollen und die mit ihm arbeiten wollen, sich die ganze Schwierigkeit dieser Probleme klarmachen. Es genügt nicht, die Fragen mit der Bemerkung wegzuschieben, dass es ja Sache der Regierung sei, darüber nachzudenken oder leicht hin zu
sagen, man solle die Summe für den Großbeschleuniger eben vom Verteidigungsetat abziehen. Für die Menschen, die für das Gemeinwesen die Verantwortung tragen, muss die Frage nach der Sicherheit dieses Gemeinwesens ein höheres Gewicht haben, sie muss es haben, als die
Beteiligung an einem großen Projekt zum Studium der Elementarteilchen. In anderen Worten, bei der Entscheidung über den Bau eines Großbeschleunigers kommen leider politische Fragen ins Spiel, die auch der Physiker nicht einfach ignorieren kann. Ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man sich hier verhalten kann als Physiker, haben die
britischen Physiker gegeben. Wenn ich recht unterrichtet bin, haben die britischen Physiker ihre Regierung vorgeschlagen, man möge sich zwar an dem europäischen Großbeschleuniger Projekt beteiligen, aber gleichzeitig, um die Kosten auszugleichen, den nationalen
Etat für Elementarteilchenphysik entsprechend reduzieren. Es war sogar davon die Rede, dass ein großes und angesehenes Forschungsinstitut des gleichen Gebiet, das Roosevelt Laboratorium in Cambridge stillgelegt werden könnte. Hinter einem solchen Vorschlag steht also
einerseits die Überzeugung, dass die Experimente, die man mit dem neuen europäischen Großbeschleuniger wird ausführen können, interessanter und wichtiger sind als jene, die mit den kleineren Apparaturen im Roosevelt Laboratorium angestellt werden können. Andererseits, aber auch die Einsicht, dass die Physiker in den vergangenen Jahrzehnten vielleicht
schon relativ hohe Forderungen an die wirtschaftliche Kraft ihres Landes gestellt hatten, dass man also bei noch weitergehenden Ansprüchen außerordentlich vorsichtig sein müsse. Die britischen Physiker haben also bei ihren Wünschen an die Regierung das Wohl der
Gemeinschaft, zu der sie gehören, sehr sorgfältig mitbedacht. Darf ich hier eine allgemeine Bemerkung einfließen lassen, die vielleicht nicht ganz hierher gehört? Es scheint mir eine unglückliche Entwicklung in unserer Zeit, keineswegs nur in unserem Land und ganz sicher nicht nur bei uns Physikern, dass viele in der Versuchung sind, Ansprüche an den
Staat zu stellen, ohne dafür Gegenleistungen oder Eigenopfer anzubieten. Es mag sich dabei um Anspruch auf Ausbildung, Stipendien, Mitbestimmungen, schwierigen Fragen oder auch einfach Anspruch auf viel freizeitweite Ferien, Reisen, Materie und Wohlstandhandlungen.
Immer wieder wird so fürchtig die Tendenz sichtbar, eine Rechtfertigung dieser Ansprüche durch eigene Opfer für unnötig zu halten. Aber das gute Beispiel der britischen Physiker, das ich erwähnt habe, weist auf die allgemeine Frage hin, wie denn überhaupt das Verhältnis der Physiker oder generell der Naturwissenschaftler zu ihren Regierungen
aussehen soll. Die meisten scheint darin übereinzustimmen, dass in unserer Zeit die Regierungsarbeit der Beratung durch die Wissenschaft bedarf. Wissenschaft und Technik spielen eine so große Rolle im modernen Leben, in der Wirtschaft, bei Bildungsfragen,
bei der Vorbereitung politischer Entscheidungen, dass es Beratungsgremien von Wissenschaftlern und Technikern geben muss, die der Regierung die Arbeit erleichtern. Tatsächlich sind auch überall in den modernen Industrieländern solche Beratungsgremien eingerichtet In der Bundesrepublik existieren auf verschiedenen Stufen Beratungskreise, die der Regierung bei
der Verteilung von öffentlichen Mitteln für Forschungszwecke, bei Entscheidungen über große Forschungs- und Entwicklungsprojekte, bei Hochschulfragen und so weiter zur Seite stehen. Ich erinnere etwa an die Atomkommission, an den Wissenschaftlichen Beirat des
Wirtschaftsministeriums, an den Beratungskreis für Forschung. Gerade in den letzten Monaten ist über die Neuordnung dieses Beratungswesens viel diskutiert worden. Außerdem gibt es aber, und das ist etwas völlig anderes, in der Umgebung der Regierung naturgemäß interessanten
Gruppen, die etwa von Teilen der Wirtschaft, zum Beispiel bestimmte Industriezweige oder der Landwirtschaft nach Bonn geschickt worden sind, um ihren Interessen dort mehr Gehör zu schaffen. Auch dies ist in einer Demokratie durchaus legitim, denn es ist ja gerade die Aufgabe der Regierung, zwischen den verschiedenen Interessen der Bürger des Landes einen
möglichst gerechten Ausgleich zu finden. Also ist es wichtig, dass der Staat diese Interessen kennt. Es scheint mir aber außerordentlich wichtig, dass der Unterschied zwischen den Beratergruppen und den interessanten Gruppen nicht verwischt wird. In dem Moment, in dem eine
Beratergruppe auch Interessentengruppe würde, hat sie aufgehört, eine brauchbare Beratergruppe zu sein. Denn nur eine völlig unparteiische Beratung kann der Regierung wirklich Nutzen bringen. An dieser Stelle entsteht nun ein schwieriges Dilemma, wenn es sich um die
Beteiligung der Regierung an einem großen internationalen wissenschaftlich-technischen Projekt handelt, wie zum Beispiel dem geplanten Großbeschleuniger. Denn einerseits ist es unerlässlich, dass hier eine Beratung durch Spezialisten auf dem Gebiet der Hochenergiephysik erfolgt. Denn nur sie können die Einzelheiten wirklich beurteilen.
Andererseits sind diese Spezialisten zwangsläufig auch Interessenten, da sie oder ihre Schüler später am Großbeschleuniger arbeiten wollen. Diese Schwierigkeit ist also gar nicht zu vermeiden. Sie ist auch offenbar von den britischen Physikern empfunden worden, von denen
vorhin die Rede war. Und diese Physiker haben dann versucht sozusagen auf der Interessenseite Opfer zu bringen, um die Rolle des Beraters mit gutem Gewissen spielen zu können. Aber selbst, wenn hier das vollste Verständnis aller Beteiligten erwartet werden kann, wenn alle bisherigen genannten Voraussetzungen erfüllt sind, so bleibt es immer noch eine
sehr schwierige Aufgabe, die Dringlichkeit eines solchen wissenschaftlich-technischen Projekts gegenüber anderen Projekten abzuschätzen. Wie wichtig ist wissenschaftliche Erkenntnis? Wie wichtig ist es, dass sie bald und nicht erst in 10 oder 20 oder 30 Jahren
gewonnen wird? Nun, wer sein Leben in der Wissenschaft tätig gewesen ist, der wird den Wert wissenschaftlicher Erkenntnisse hoch einschätzen. Und er wird dafür viele gute und triftige Gründe anführen können. Ein Politiker aber, der etwa, bevor er in die Politik ging, als Kaufmann oder Landwirt gearbeitet hat, wird vielleicht wirtschaftliche
Fragen oder den Umweltschutz für wichtig halten. Und er wird auch dafür viele überzeugende Argumente finden. Vielleicht wird er auch umgekehrt in Gefahr geraten, die wissenschaftliche Erkenntnis zu hoch zu bewerten, weil die Wissenschaft ihm einheimlich und fremd ist und weil er unter dem Eindruck der modernen Technik ihre
Möglichkeiten dann überschätzt. In Anbetracht dieser ganz unvermeidlichen Unsicherheit des Politikers ist es natürlich die oberste Pflicht der Berater, den Behörden ein völlig objektives, ungeschminktes Bild der wissenschaftlichen Pläne und ihrer vermuteten Bedeutung zu geben. Alle Gründe, die für, aber auch alle, die gegen
das Projekt sprechen, müssen so sachlich wie möglich vorgetragen und erläutert werden, sodass der Politiker das Maximum an Informationen erhält, das er in dem betreffenden Fall überhaupt erhalten kann. Beim Aufzählen und Erläutern der Gründe, die für oder die gegen so ein Projekt sprechen, ist auch darauf zu
achten, dass die Beweislast richtig verteilt wird. Wenn es sich um ein Milliardenprojekt handelt, dessen Angriffnahme unweigerlich Opfer an Stellen erfordert, so muss der, der ein solches Projekt befürwortet, den Beweis für die Dringlichkeit, für die zu erhoffenen Erfolge erbringen. Und es
kann nicht Sache seines Opponenten sein, zu beweisen, dass das Projekt doch nicht so wichtig sei, denn bei einem Projekt, das in wissenschaftliches Neuland vorstößt, wird es nie möglich sein, zu beweisen, dass es dabei keine neuen, überraschenden und wichtigen Entdeckungen geben kann.
Aber das allein kann ja unmöglich aus Grund dafür ausreichen, Milliarden auszugeben. Die Beweislast muss also unbedingt bei dem liegen, der so extrem hohe öffentliche Mittel in Anspruch nehmen will. Aber selbst dann wird die Entscheidung für die Politiker noch schwer genug sein. Es ist daher eine Erleichterung für Ihre Arbeit, dass entsprechende Entscheidungen ja auch
in den anderen Ländern getroffen werden müssen. Das muss sich also an dem, was die anderen sich überlegt haben, orientieren kann. Wenn es sich um ein internationales Projekt handelt, wie bei dem geplanten europäischen Großbeschleuniger, so stehen die anderen Mitgliedsstaaten, die sich
eventuell beteiligen wollen, sogar vor genaueren gleichen Problemen. Hier wird die Entscheidung also mehr oder weniger gemeinsam getroffen werden müssen. Durch den internationalen Charakter eines solchen Großprojekts kommen einige neue Aspekte herein, die ich bisher noch nicht
besprochen habe. Zunächst sind wir wohl alle darin einig, dass es für die Zukunft unseres Erdteils außerordentlich wichtig ist, dass sich aus den vielen kleinen europäischen Staaten eine echte Gemeinschaft entwickelt. Ein großes wissenschaftliches Projekt, dessen Bedeutung
von allen anerkannt wird, das aber wegen der hohen Kosten von einem einzelnen europäischen Land allein nicht mehr getragen werden kann, das stellt sozusagen einen Idealfall einer solchen Gemeinschaftsarbeit da. Denn dort, wo es sich um reine Wissenschaft handelt, spielt wirtschaftliche oder politische Konkurrenz keine wichtige Rolle mehr. Ergebnisse und
technische Erfahrungen brauchen nicht geheim gehalten zu werden. Das gemeinsame Interesse an spannenden wissenschaftlichen Problemen führt junge Physiker und Techniker aus den verschiedensten Ländern von selbst zur furchtbare Arbeit zusammen. Und ohne jede weitere Anstellung findet ein
ständiger Austausch von Meinungen und damit auch unbewusst ein Ausgleich von Interessen statt, der für das spätere Ziel, die Einheit Europas, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Man muss solche internationalen Großprojekte also eigentlich schon
deswegen fördern, weil sie international sind. Man darf in Anbetracht ihrer gemeinschaftsbildenden Kraft gegenüber den wissenschaftlichen Möglichkeiten und Begründungen nicht allzu kritisch und skeptisch sein. Tatsächlich sind in den 25 Jahren nach dem Krieg in Europa verschiedene solcher Gemeinschaftsprojekte und gemeinschaftliche Einrichtungen entstanden,
die für die Zusammenarbeit eine große Bedeutung gewonnen haben. Die beste Institution dieser Art ist wohl das Atomzentrum Zürn in Genf. Seit 1959 ist dort ein Protonsynkroton von 30 GeV in Benutzung und hat schon
eine Reihe von sehr interessanten Experimenten ermöglicht. In diesem oder im kommenden Jahr wird der große Speichering voll in Betrieb genommen werden, der hinsichtlich der Energie beim Stoß zweier Protonen einem Beschleuniger von sogar etwa 1700 GeV entspricht.
Er wird das einzige Instrument dieser Art auf der Erde sein und vor einigen Monaten ist wie gesagt der Bau eines neuen europäischen Großbeschleunigers von mehreren 100 GeV in Genf beschlossen worden. Europa wird also in der Elementarteilchenphysik oder wie es auch
heißt in der Hochenergiephysik in den nächsten 10 bis 20 Jahren eine führende Rolle spielen können, wenn diese Maschinen ebenso gut ausgenutzt werden wie bisher das Protonsynkroton in Genf. In Triest, also auf italienischem Boden, ist ein sehr erfolgreiches internationales Zentrum für theoretische Physik entstanden,
das nicht nur von europäischen, sondern auch aus europäischen Staaten getragen wird und das besonders gute Verbindungen nach Osteuropa und nach Asien unterhält. In Isbra und Lagomaggiore, ebenfalls auf italienischem Gebiet, werden im Auftrag von Euratom Entwicklungs- und Forschungsaufgaben auf dem Gebiet der Reaktortechnik betrieben.
Es handelt sich auch hier um ein großes internationales Gemeinschaftsprojekt, zu dem verschiedene europäische Staaten beisteuern. In Grenoble in Frankreich ist durch französisch-deutsche Zusammenarbeit ein Reaktor mit sehr hohem Neutronenfluss errichtet worden, an dem man wissenschaftliche und technische Untersuchungen über das Verhalten
von Materialien unter starke Bestrahlung anstellen kann. Ähnliche internationale Einrichtungen, die auch andere Gebiete, zum Beispiel die Erforschung des Weltraums, betreffen, gibt es in Belgien und in Holland. Das Interesse an internationaler wissenschaftlicher Zusammenarbeit
ist also sehr groß. Und mit den Erfolgen, die in den verschiedenen Institutionen errungen worden sind, kann man durchaus zufrieden sein. Trotzdem tauchen dann, wenn man sich dafür entscheiden will, eine weitere solche internationale wissenschaftliche Einrichtung zu gründen,
nochmals schwierige Probleme auf, die vor allem den Standort, aber auch die Finanzierung, die Verteilung der Aufträge, die Besetzung der führenden Stellen betreffen. Die Standortfrage ist hier bei Weitem am schwierigsten, weil sie in der Regel nicht nach sachlichen, sondern nach politischen Gesichtspunkten entschieden werden muss.
Zwar wird das angestrebte technische oder wissenschaftliche Ziel häufig Bedingungen stellen, die die Wahlmöglichkeit für den Standort stark einschränken. Zum Beispiel muss für einen Großbeschleuniger eine weite, ebene Fläche vorhanden sein,
die geologisch stabil ist, die sich also nicht unter Bodenbewegungen verformt oder unter Witterungseinflüssen Verzerrungen erleidet und die für die Errichtung des Beschleunigers notwendigen Erdbewegungen dürfen dabei auch nicht zu kostspielig werden. Ferner muss die geplante Einrichtung verkehrstechnisch günstig liegen.
Man muss Schulen, Hochschulen leicht erreichen können und so weiter. Es gibt also eine ganze Reihe von Bedingungen, die erfüllt werden müssen, aber es ist doch in der Regel nicht allzu schwierig, in sehr verschiedenen Gegenden Europas Standorte zu finden, bei denen alle diese Bedingungen erfüllt sind.
So bleibt schließlich eine politische Entscheidung zu treffen und man muss fragen, nach welchen Gesichtspunkten hier die wichtigste Rolle spielen. Es soll sich ja bei der Errichtung dieser verschiedenen internationalen wissenschaftlichen Zentren um eine Gemeinschaftsarbeit und um eine gemeinsame Anstrengung Europas handeln
und daraus scheint mir zu folgen, dass diese Institutionen einigermaßen gleichmäßig über Europa verteilt sein sollten. Natürlich kann man noch darüber diskutieren, was dieser unbestimmte Begriff einigermaßen gleichmäßig bedeutet. Aber ich glaube, wenn man einen Blick auf die europäische Landkarte wirft
und die räumliche Verteilung der bisherigen internationalen wissenschaftlichen Institutionen betrachtet, so erkennt man, dass die Verteilung noch ziemlich ungleichmäßig ist und in Zukunft gleichmäßiger werden sollte. Gegen dieses Argument wird gelegentlich eingewandt,
dass unser Ziel doch die Vereinigten Staaten von Europa sein müssten und dass es dann ja gar nicht mehr auf den Standort innerhalb Europas ankäme. Aber das Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika zeigt, dass dies nicht zutrifft. Was vielmehr auch in einem solchen politisch vereinigten Großraum
auf gleichmäßige Verteilung der wissenschaftlichen Institutionen geachtet werden muss. So wird zum Beispiel der jüngste amerikanische Großbeschleuniger, der etwa 400 GEV erreichen soll, in Batavia und weit Chicago errichtet, nachdem die beiden früheren Zentren für Hochenergiefysik
im Westen in Kalifornien und ganz im Osten in Boekheven entstanden waren. In Europa hat bei den Beratungen über den nun schon zu Anfang erwähnten Großbeschleuniger die Standortfrage eine wichtige Rolle gespielt. Aber die Möglichkeit, in Genf die schon vorhandene Infrastruktur des CERN-Zentrums zu verwenden
und damit die Kosten erheblich zu senken, hat schließlich den Vorrang erhalten gegenüber der anderen Möglichkeit, ein neues europäisches Forschungszentrum in einem anderen Gebiet zu schaffen, das von den bisherigen Zentren dieser Art weit abliegt. Hoffen wir also, dass zukünftige Gründungen für eine noch
gleichmäßigere Verteilung über Europa sorgen werden. Es gab noch einen anderen Grund, den neuen Großbeschleuniger wieder nach Genf ins CERN-Zentrum zu verlegen. Ein neues von Genf unabhängiges europäisches Zentrum für Hochenergiefysik hätte Tausende von Mitarbeitern an den neuen Standort
und an diese Arbeit an einen neuen großen Beschleuniger gebunden. Viele junge, begabte Physiker und Techniker hätten sich daher diesem sehr speziellen Gebiet der Elementarteilchen Physik unter beschleuniger Technologie zugewandt. Und sie wären wahrscheinlich von in diesem Gebiet
von den Problemen in den kommenden Jahren so gefesselt worden, dass es für sie schwierig geworden wäre, später in irgendeinem anderen Bereich tätig zu werden. Andererseits wird dieser spezielle Problemkreis der Elementarteilchen Physik früher oder später seinen Abschluss finden,
so wie alle anderen früheren Gebiete der Physik einmal aufgearbeitet worden und dann nur noch mit ihren Anwendungen in die spätere Technik eingegangen sind. Wenn man diesen Abschluss in Gedanken in eine unabsehbare Weiteferne rückt, wie es manche Physiker tun, so mag man dies als Rechtfertigung dafür ansehen,
dass man über die zukünftige Tätigkeit der Elementarteilchen Physiker in anderen Gebieten nicht weiter nachdenkt. Aber die Erfahrungen in Vereinigten Staaten lehren, dass dort schon Beschleuniger Stationen geschlossen, dass in ihnen Arbeiten der Physiker und Techniker entlassen worden sind.
Daraus folgt, dass man den jungen Menschen, die man für diese speziellen Gebiete interessiert hat, unrecht tut, wenn man über ihre weitere Zukunft nicht weiter nachdenken würde. Aus diesem Grund war sicher ein weiser Entschluss, den neuen Großbeschleuniger, für den man sich entschlossen hatte, wieder in Genf zu bauen, so wie früher das Protonsymkotron
und den großen Speichering. Zwar wird auch in Genf das Personal durch die neuen Aufgaben sich erheblich vermehren, aber doch wohl lang nicht in dem Ausmaß, in dem das in einer ganz neuen Beschleuniger Station geschehen würde. Man hat also die Gefahren für die ferne Zukunft durch die Wahl von Genf als Standort etwas verringert.
Schließe ich noch ein weiteres Argument, mehr nebenbei. Die räumliche Enge des Bauplatzes in Genf hat auch noch eine technische Konsequenz. Sie zwingt die Konstrukteure, die modernsten technischen Entwicklungen, zum Beispiel die Supraleitungsmagneten, mitzubenützen,
wenn man auf dem kleinen Raum so hohe Energien erreichen will. Das neue Projekt wird also zwangsläufig viel moderner werden als das früher geplante. Damit habe ich, glaube ich, die meisten der Argumente aufgeführt, die bei der schließlich gefällten Entscheidung mitgewirkt haben und ich jetzt in wenigen Worten wiederhole.
Da ist zunächst die Freude über ein sinnvolles Gemeinschaftsprojekt, aber auch die Unsicherheit über die mit dem neuen Instrument zu erwartende Erfolge. Die Frage, ob die mit den bisherigen Beschleunigern gewonnenen Erfahrungen nicht vielleicht schon ausreichen könnten, um die Welt der Elementarteilchen zu verstehen.
Dann die weitere Frage nach den Fortschritten der Technik. Könnten Beschleuniger der geforderten hohen Energie nicht vielleicht in einigen Jahren nach neuen technischen Verfahren viel billiger gebaut werden als jetzt. Dazu die Schwierigkeit, zwischen den mitwirkenden Nationen eine faire Einigung über den Standort zu erzielen
und die Notwendigkeit für jede einzelne dieser Regierungen auf gewisse Pläne oder Projekte im eigenen Land zugunsten des internationalen Beschleunigers zu verzichten. Wenn man alle diese Schwierigkeiten und Probleme bedenkt, so ist die Entscheidung, die schließlich getroffen worden ist
und die Sie kennen, eine, wie mir scheint, sehr gute Lösung. Ein angemessener Kompromiss aus den verschiedenen Interessen und ein wertvoller Beitrag zur Stärkung der europäischen Gemeinschaft. Zum Schluss muss ich aber doch aus dieser Ebene der praktischen Erwägung, der wissenschaftlichen Begründung und politischen Verhandlungen
noch in eine etwas tiefere Schicht hinuntersteigen und fragen, wieso machen wir Menschen eigentlich überhaupt so enorme Anstrengungen, einen Großbeschleuniger zu bauen? Wieso geben wir Milliardenbeträge für ein rein wissenschaftliches Instrument aus, das jedenfalls unmittelbar keinen wirtschaftlichen Nutzen verspricht?
Auf diese Frage habe ich einmal von dem amerikanischen Botschafter in Bonn die folgende Antwort erhalten. Im alten Ägypten wurden Pyramiden gebaut. Im christlichen Mittelalter prächtige Kathedralen. Und so baut unserer Zeit riesige wissenschaftliche Instrumente.
Im alten Ägypten bedeuteten die königlichen Ahnen eine Verbindung zur Gottheit. Und das Vertrauen in die Hilfe, die aus dieser Verbindung kommt, manifestierte sich im Bau dieser riesigen Grabdenkmäler. Im christlichen Mittelalter gingen die Gläubigen in die Kathedralen im festen Vertrauen darauf, dass ihnen hier Erlösung von ihren Leiden zuteil werden könnte.
In unserer Zeit vertrauen wir beinahe blindlings auf die Wissenschaft und aufs rationale Denken. Und daher bringen wir materielle Opfer, um die Wissenschaft zu fördern, um unser Wissen über die Welt zu vermehren. Dieser Vergleich, den der amerikanische Botschafter ausgesprochen hatte,
enthält sicher einen Teil der Wahrheit. Und wenn wir in einem sehr allgemeinen Sinne unter Religion das Zentrum unseres Vertrauens verstehen, von dem aus sich eine Gesellschaft ordnet, so wird man zugeben müssen, dass für den Bau dieser riesigen Beschleuniger religiöse Motive maßgebend sind.
Hier wird man aber doch den Zweifel anmelden können, ob denn die Macht der göttlichen Vernunft wirklich so groß ist, wie man es sich zur Zeit der französischen Revolution erhofft hatte. Die Erfahrung unseres Jahrhunderts scheint zu zeigen, dass diese Macht nur begrenzt ist. Und wie immer man diese Macht beurteilen mag,
als Minimum wird man fordern müssen, dass wir uns ihr nicht blindlings anvertrauen, sondern dass wir vernünftig und kritisch handeln, wenn es darum geht, riesige Mittel für große wissenschaftliche Projekte einzusetzen. Das ist im Falle des Genfer Großbeschleunigers sicher geschehen
und hoffentlich wird auch in Zukunft bei ähnlichen Großprojekten wieder ähnlich sorgfältig und gewissenhaft vorgegangen werden. Damit möchte ich schließen.