Praktische Philosophie 1a: Ethik und Moral - Begriffsklärungen
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Transcript: German(auto-generated)
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Mein Name ist Dietmar Hübner, ich bin hier in Hannover der Professor für praktische Philosophie, insbesondere Ethik der Wissenschaften und das Thema dieser Vorlesung ist passenderweise
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praktische Philosophie. Das ist die Grundvorlesung zum Modul Grundlagen der praktischen Philosophie. Sie brauchen keine Vorkenntnisse hierfür, das Ganze ist für BA Studierende konzipiert, aber wie Sie sehen auch für Gäste geöffnet. Sie sehen, ich benutze bei dieser Vorlesung die Folien zur Unterstützung PowerPoint, die können Sie auf Stud.IP als Handzettel herunterladen.
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Sie sollten aber nicht glauben, dass das ausreicht, also ich benutze diese Folien nur zur Unterstützung, es sind auch recht wenige pro Vorlesung, wenn Sie etwas mitnehmen wollen, werden Sie zusätzlich mitschreiben müssen. Außerdem, Sie haben es vielleicht schon bemerkt, diese Vorlesung wird aufgenommen, das heißt Sie können über Stud.IP diese Vorlesung auch anschauen, möglicherweise
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später auch auf iTunes University und oder auf YouTube. Keine Sorge, Sie sind nicht zu sehen oder zu hören, es sei denn, Sie werden sehr sehr auffällig, aber normalerweise sind Sie da nicht zu sehen. Ich mache in dieser Vorlesung gerne immer eine kurze Pause von ungefähr 5 Minuten, aber nicht genau in der Mitte, sondern da wo es sich anbietet, bei sinnvollen Einschnitten.
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Jetzt fragen wir uns zunächst, worum geht es in dieser Vorlesung, was ist Ihr Gegenstand? Nun, der Gegenstand der praktischen Philosophie ist eben die Praxis und das ist das griechische Wort für Praxis, Unternehmung, Tat, Handeln. Ein wichtiger Gegenbegriff hierzu ist Theoria, das ist das griechische Wort für Theorie, Betrachtung, Anschauung, Erkennen.
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Schon in der Antike war das eine wichtige Einteilung, wie sich Menschen überhaupt zur Welt, zu den Dingen verhalten können. Einmal aktiv, verändernd, eingreifend, gestaltend und einmal passiv, reflektierend, begreifend, erklärend.
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Und an diese beiden Begriffe knüpft sich eine gebräuchliche Einteilung auch der Philosophie. Die praktische Philosophie befasst sich mit dem Handeln und die theoretische Philosophie befasst sich mit dem Erkennen. Und an vielen philosophischen Instituten gibt es entsprechend Lehrstühle für praktische und theoretische Philosophie, ist hier in Hannover auch so,
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Man kann sich fragen, ob die Einteilung vollständig ist, vielleicht findet man philosophische Gebiete, die sich nicht gut dem einen oder anderen zuschlagen lassen. Man könnte sich fragen, wie es mit der Ästhetik, also mit der Kunstphilosophie
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passt die unter theoretische und praktische Philosophie oder ist sie vielleicht was Drittes. Aber es ist eine sehr weite und sehr grundsätzliche Einteilung. Sehr viele philosophische Gebiete lassen sich dem zuordnen. Die theoretische Philosophie, das ist also die, die sich mit dem Erkennen befasst. Und das kann sie zunächst einmal sehr allgemein tun, sehr grundsätzlich.
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Dann klärt sie die allgemeinen Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten, die Bedingungen oder die Grenzen, die Grundsätze und die Typen der Erkenntnis. Und dann ist das einfach Erkenntnistheorie oder Epistemologie. Sie kann sich mit spezielleren Methoden oder Inhalten befassen.
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Dann macht sie vielleicht Wissenschaftstheorie oder Naturphilosophie oder Logik. Nur noch die praktische Philosophie, das ist eben die, die sich mit dem Handeln befasst. Und jetzt ist die Frage, was genauer macht sie dann? Und die erste Idee wäre, naja gut, dann untersucht sie eben das Handeln. Sie betrachtet Handeln als eine besondere Art von Geschehenes in der Welt.
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Sie fragt also, wie beschreibt man Handlungen korrekt? Wie unterscheiden sich Handlungen von anderen Vorgängen, von bloßen Ereignissen, von bloßem Verhalten? Ja, das macht man und das nennt man Handlungstheorie. Allerdings, Handlungstheorie wird meistens nicht zur praktischen Philosophie gerechnet,
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sondern doch eher zur theoretischen Philosophie. Und der Grund ist, in der Handlungstheorie betrachtet man Handlungen eben als einen besonderen Typ von Geschehnissen, den man verstehen will. Es geht um eine besondere Art von Vollzügen in der Welt, deren Wesen, Eigenschaften, Strukturen erhält werden sollen,
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um die Erkenntnis davon zu verbessern. Handlungstheorie ist eben Handlungstheorie. Und deshalb wird sie meist doch eher der theoretischen Philosophie zugerechnet. Die Perspektive der eigentlichen praktischen Philosophie ist anders. Die will nicht nur die Erkenntnis des Handelns vorantreiben,
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sie will zur Orientierung des Handelns beitragen. Also praktische Philosophie will das Handeln nicht nur untersuchen, sondern eher anleiten. Sie will ein besseres Handeln ermöglichen, nicht nur eine verbesserte Erkenntnis des Handelns. Sie will das Handeln nicht nur beschreiben, sondern begleiten.
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Sie will es nicht nur verstehen oder erklären, sondern sie will es verbessern und unterstützen. Und es gibt zwei Hauptwege, wie man Handeln verbessern kann. Die erste Möglichkeit ist, wir sagen es soll einfach klüger werden, in einem landläufigen Sinne. Es soll eine bessere Erfolgsquote haben, eine höhere Effektivität, eine zufriedenstellendere Zielerreichung.
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Dann geht es um Rationalität, insbesondere wenn wir nicht genau wissen, was sind die Folgen meines Handelns. Und das macht man in der Entscheidungs- und Spieltheorie. Okay, aber auch die beiden werden sie selten der praktischen Philosophie zugerechnet finden.
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Und zwar, weil die inzwischen gar nicht mehr in der Philosophie beheimatet sind. Das ist eigentlich bedauerlich, denn was kluges Handeln ist, ist schon auch eine philosophische Frage. Und früher haben sich auch Philosophen da eingemischt. Allerdings ist es so, dass diese Gebete inzwischen so mathematisch geworden sind. Und die Anwendungsbereiche bevorzugt so ökonomisch,
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dass sie das fast nur noch in der Mathematik und in den Wirtschaftswissenschaften finden. Nicht in der praktischen Philosophie. Jetzt gibt es aber noch eine weitere Möglichkeit, in welchem Sinne wir versuchen können, das Handeln anzuleiten und zu verbessern, nämlich jetzt in einem moralischen Sinne. Es kann ja auch um Sittlichkeit gehen, um Tugendhaftigkeit, um Gerechtigkeit, um Verantwortlichkeit.
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Und damit wären wir dann in der Ethik. Und in der Tat, das wird meistens unter praktischer Philosophie verstanden. Es geht um Ethik. Ethik des Individuums, aber auch von Kollektiven. Thema ist Anleitung des Handelns.
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Aber nicht im Hinblick auf ein kluges, geschicktes, rationales Handeln. Sondern im Hinblick auf ein gutes, sittliches, moralisches Handeln. Im Privaten, wie auch im Politischen. Und entsprechend wird das auch das Thema dieser Vorlesung sein. Sie sitzen in einer Ethik-Vorlesung. Thema ist das moralisch richtige Handeln. Und das ist wichtig für Sie.
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Grundlagen in Ethik sind fundamental für Ihr Philosophiestudium. Das wäre an anderen Studienorten ganz ähnlich prominent. Auch da setzen Sie irgendwann in einer Grundvorlesung zur Ethik, zur Moralfilosophie, zur praktischen Philosophie. Wie immer man es nennen will. Wenn man so eine Vorlesung konzipiert, dann steht man immer als Dozent vor der Frage,
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wie lege ich sie an? Eher systematisch oder eher historisch? Und ich habe hier versucht, beides zu machen. Ich werde versuchen, Ihnen ein systematisches Grundgerüst zu vermitteln. Von Grundkategorien, von Ethiktypen. Und das dann anhand von bestimmten Autoren aber auch gehörig zu vertiefen. Konkret sieht das wie folgt aus. Wir werden folgende Einheiten haben.
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Heute machen wir Ethik und Moral. Wir klären erst einmal diese Begriffe. Orientieren uns über die Grundtypen. Dann werden wir zwei Sitzungen lang Metaethik machen. Was das ist, werden Sie heute noch erfahren. Dann kommt eine Einheit zu Tugendethik. Und da befassen wir uns dann erstmals intensiv mit bestimmten historischen Entwürfen.
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Nämlich vor allen Dingen denen von Platon, Aristoteles und Thomas von Aquin. Dann kommt wieder eine primär systematische Einheit. Handlungen kann man unterteilen danach, was war eigentlich genau der Zweck der Handlung? Was genau war das Mittel? Und was waren mögliche Nebeneffekte?
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Und diese Einteilung, was davon, was ist, was genau war der Zweck, was war nur ein Nebeneffekt, könnte für die moralische Beurteilung, für die Handlung sehr wichtig sein. Und mit dieser Frage werden wir uns in dieser Einheit befassen. Dann wenden wir uns dem zweiten großen Typ von Ethiken zu.
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Der Deontologie. Und da ist unser Gewährsmann wenig überraschend kant. Es folgt eine weitere systematische Einheit mit dem Titel Stufen der Verbindlichkeit. Da geht es darum, intuitiv würde man sagen, es gibt verschiedene moralische Normen, die unterschiedlich dringlich sein können. Manche sind offenbar dringlicher als andere. Und die Frage ist, kann man das irgendwie systematisieren?
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Gibt es da kategorische Stufungen der Dringlichkeit? Darum geht es in dieser Einheit. Und schließlich folgt der letzte große Ethiktyp, das ist die Teleologie. Und da werden wir vor allen Dingen utilitaristische Entwürfe kennenlernen, nämlich insbesondere die von Bentham, Mill und Zitschwick.
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Das sind also acht Einheiten, die verteilen sich auf zwölf Sitzungen. Teilweise ist eine Einheit auch eine Sitzung, teilweise umfasst eine Einheit auch zwei Sitzungen. Insgesamt sind es zwölf Sitzungen. Die letzte, wenn alles planmäßig läuft, findet dann am 8. Juli statt. Und eine Woche danach käme dann die Klausur. Ich habe jetzt noch ein paar Literaturempfehlungen für Sie.
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In den einzelnen Sitzungen werden Sie natürlich immer Hinweise bekommen auf die einschlägige Primärliteratur der Autoren, die wir behandeln. Und das werden wir dann auch teilweise im Tutorium vertiefen. An dieser Stelle geht es mir jetzt um hilfreiche Sekundärliteratur im Sinne von allgemeinen Einführungen.
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Ich wollte nicht zu viele Ihnen da geben, fünf neuere Titel sollten genügen. Sie brauchen nichts davon wirklich, um die Klausur zu bestehen. Sie brauchen das nicht unbedingt. Die Informationen in Vorlesungen Tutorium reichen in jedem Fall. Aber wenn Sie darüber hinaus Interesse an dem Gebiet haben, wenn Sie es auch ein bisschen abrunden wollen, Ihren Horizont erweitern wollen, dann sind die folgenden Bücher vielleicht recht empfehlenswert.
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Da gibt es zum Beispiel von Dieter Birnbacher die analytische Einführung in die Ethik. Wie der Titel schon andeutet, eine sehr systematische Abhandlung mit vielen klaren Einteilungen, Gliederungen und Übersichten. Von Michael Quante auch empfehlenswert, die Einführung in die allgemeine Ethik.
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Ist ähnlich vom Charakter her, vielleicht stärker didaktisch aufgearbeitet. Da gibt es Randspalten, Kästen und dergleichen. Ob es besser lesbar ist als der Birnbacher ist wahrscheinlich Geschmackssache. Von Frido Ricken, die allgemeine Ethik, inzwischen ein Klassiker, auch inzwischen in der fünften Auflage.
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Sehr konzis geschrieben, sehr klar. Vielleicht für Anfänger auch schon ein bisschen zu knapp, aber gut geeignet, um schnell mal was nachzuschlagen, um sich schnell zu versichern. Herr Linde Power-Studer hat eine Einführung in die Ethik verfasst bei UTB. Die ist stärker auf historische Position ausgerichtet. Die beginnt also gar nicht groß mit eigenen Einteilungen, sondern gleich mit Kant.
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Und dann schreibt sie sehr gut lesbare Referate zu. Kant zum Utilitarismus, zur Tugendethik, mit Hinweisen auf zentrale Probleme. Und schließlich, ich selbst habe diese Vorlesung, die ich ja nicht zum ersten Mal halte, inzwischen in Buchform veröffentlicht. Bei UTB ist dieses Jahr rausgekommen.
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Natürlich wäre diese Einführung in die philosophische Ethik am nächsten an den Stoffen, die wir auch hier in der Vorlesung durchnehmen. Das heißt, wenn Sie speziell Inhalte der Vorlesung nacharbeiten wollen, wird es damit am leichtesten sein. Das Buch ist aber auch nicht völlig deckungsgleich. Insbesondere habe ich zwei Einheiten, die wir hier machen, aus Platzgründen da weggelassen. Dafür sind die Einheiten, die in dem Buch sind, dort natürlich ein bisschen vertieft behandelt.
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Und damit sitzen wir jetzt in der ersten Vorlesung. Die sich befasst mit den Begriffen Ethik und Moral. Im Moment boomt Ethik, ja. Es gibt viele Lehrstühle. An jedem philosophischen Institut werden Sie einen Ethik-Lehrstuhl finden.
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Es gibt viele Forschungsprojekte dazu. Es gibt Ethikkommissionen, Ethikräte. Es gibt Grundvorlesungen wie diese hier. Es gibt praktische Philosophie als ein besonderes Modul. Das war aber nicht immer so. Vor 50 oder 60 Jahren war die Ethik nahezu tot. Da galt die nicht mehr als philosophisches Zentralfach.
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Vielleicht hätte es dann auch dieses Modul, diese Vorlesung gar nicht gegeben. Man kann sich fragen, woran das wo gelegen hat. Wenn man anschaut, welche Philosophen waren bestimmend in den verschiedenen Sprachräumen, dann sieht man, dass die eben nicht primär Ethiker waren. Im deutschen Sprachraum war Heidegger sehr dominant und auch Wittgenstein. Und das sind beides keine Ethiker.
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Im angloamerikanischen Sprachraum hat der logische Empirismus dominiert, dann die analytische Philosophie. Und auch dort herrschte lange Zeit eine gewisse Skepsis gegenüber der Ethik. Jedenfalls gegenüber wirklich inhaltlicher Ethik. Das hat sich dann geändert so in den 60er, 70er Jahren. Da haben wir plötzlich ein Revival der Ethik. Man interessiert sich vor allen Dingen auch wieder für Grundlagen der Ethik,
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aber auch für Spezialfragen der politischen Ethik und auch der angewandten Ethik, bis zu den modernen Themen der Technikethik und der Bioethik, mit denen wir uns herumschlagen. Und moderne bekannte Philosophen sind zu einem guten Teil auch wieder Ethiker. Vielleicht sogar überwiegend. Im deutschen Sprachraum Leute wie Apel, Habermas, Honett, Birnbacher, Sieb sind Ethiker.
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Im angloamerikanischen Sprachraum Leute wie Herr, Rawls, Nozick, Dworken, Nägel, Nussbaum, Ethiker. Nicht nur, aber zu einem guten Teil. Wenn wir jetzt ein bisschen Klarheit darüber gewinnen wollen, was ist eigentlich Ethik und was ist Moral,
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dann ist es sinnvoll, mal einen Blick natürlich auf die Worteherkunft zu legen. Das sind ja deutsche Wörter, die von ihrem Stamm her aber aus anderen Sprachen importiert sind. Und interessehalber sollte man mal gucken, was sie da ursprünglich bedeutet haben. Und die Worteherkunft ist ja griechisch bzw. lateinisch.
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Das deutsche Wort Ethik kommt von dem altgriechischen Ethos, mit langgesprochenem Eta geschrieben. Und dieses Ethos hieß ursprünglich so viel eigentlich wie Wohnung oder Wohnort, gewohnter Aufenthalt, gewohnter Sitz. Es hat dann aber schon in der Antike abstraktere Bedeutung angenommen.
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Und man kann zwei Hauptbedeutungen unterscheiden. Einmal hieß Ethos so viel wie Sitte, Gewohnheit, Brauch. Also etwas, was sich auf kollektive Gepflogenheiten in einem Gemeinwesen bezieht. Und dann hieß es auch so viel wie Charakter, Denkweise, Sinnesart. Also etwas, was mehr individuelle Eigenschaften von Einzelpersonen beschreibt.
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Wichtig ist, es war jeweils keine Wertung impliziert. So ein Ethos musste nicht gut sein, es konnte auch ganz, ganz schlecht sein. Die Griechen hatten auch ein Adjektiv dazu, Ethikos. Und das hat auch zwei Bedeutungen.
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Einmal konnte es wertfrei verwendet werden. Und dann hieß es so viel wie entweder die Sitte oder den Charakter betreffend. Ganz neutral. Zum Beispiel ein Problem oder eine Diskussion konnte Ethikos sein. Auch wir reden ja heute noch von einer ethischen Frage. Es konnte aber auch positiv wertend benutzt werden.
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Und dann hieß es so viel wie gesittet oder gut. Also ein Verhalten oder ein Mensch konnte auch als Ethikos bezeichnet werden. Und dann hieß es, es ist ein moralischer Mensch. Unser Wort Moral oder Moralisch kommt aus dem Lateinischen. Nämlich von dem Wort Moos. Und Moos heißt eigentlich ziemlich genau das Gleiche wie Ethos.
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Das heißt einmal auch Sitte, Gewohnheit, Brauch. Bezeichnet also wieder etwas Kollektives. Und das heißt, Charakter, Gesinnung, Wesen kann sich dann auf Individuen beziehen. Und wiederum ist keine Wertung vorausgesetzt. Sie kennen ja auch den Klageruf O tempura omoris von Cicero.
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Also Ozeiten, O Sitten. Und das war eine sicherlich schlechte Sitten, die er da gemeint hat. Auch die Lateiner haben ein Adjektiv dazu, nämlich Moralis. Und das konnte einmal wertfrei verwendet werden. Den Brauch oder das Wesen betreffend. Ein Problem, eine Frage, konnte Moralis sein.
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Oder es konnte auch positiv wertend benutzt werden. Und dann hieß es wieder so viel wie sittlich gut. Etwa ein Verhalten oder eine Person. Wenn man die als Moralis bezeichnete, hieß es, sie ist sittlich gut. Das kennen wir auch heute noch. Wir sprechen auch noch heute von einem moralischen Menschen.
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Ganz nebenbei, die Griechen haben noch ein ganz ähnliches Wort, nämlich Ethos. Mit kurzgeschriebenem Epsilon. Mit kurzgesprochenem Epsilon geschrieben. Das ist auch ganz nah an dieser Bedeutung. Die Bedeutung war aber etwas enger. So ein Ethos war weniger reflektiert. Da ging es mehr um die Befolgung gegebener Sitten. Ohne unbedingt tiefere Identifikation.
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Mehr so eine angenommen Gewohnheit als ein reflektierter Charakter. Die beiden Begriffe Ethos und Ethos konnten auch in festen Wendungen miteinander verbunden werden. Dann hieß es so viel wie Charakter und Gewohnheit. Aber in klassischen Texten zur Moralphilosophie finden Sie immer das mit dem Eta. Dem langgesprochenen Eta, Ethos. Also die ethischen Tugenden bei Aristoteles sind die Aretaeeticae mit Eta geschrieben.
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Sie sehen zwischen diesen beiden Begriffen, dem griechischen Ethos und dem lateinischen Moos, da mag es leichte Nuancen gegeben haben. Aber im Grunde ist Moos die Übersetzung von Ethos. Also wenn Cicero griechisch in Latein überträgt, dann übersetzt er eben Ethos mit Moos. Das ist das Wort, was er hat.
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Aber im modernen deutschen Gebrauch bezeichnen Ethik und Moral ganz unterschiedliche Dinge. Ganz unterschiedliche Ebenen, obwohl die Stämme fast identisch sind. Und wie definieren wir heutzutage Moral und Ethik? Wenn man nach einer kurzen, prägnanten Definition zunächst einmal für Moral sucht,
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dann ist folgender Vorschlag ganz brauchbar. Wir können Moral definieren als ein Normensystem, welches das Verhalten von Menschen reguliert und dabei einen Anspruch auf unbedingte Gültigkeit erhebt. Man kann bestimmt noch sehr viel mehr zu Moralen sagen. Das werden wir auch im Laufe dieses Semesters tun.
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Aber wenn man eine kurze, prägnante Definition will, liegt man hiermit zumindest nicht völlig falsch. Und die drei Bestandteile, nämlich Normensystem, Verhalten von Menschen und Anspruch auf unbedingte Gültigkeit, schauen wir uns jetzt ein bisschen genauer an. Fangen wir an mit, es ist ein Normensystem. Nun gibt es offensichtlich verschiedene solche Normensysteme.
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Das heißt, das Wort Moral kann ohne Weiteres im Plural stehen. Es gibt verschiedene Moralen. Und es fallen einem auch schnell verschiedene Moralen ein. In religiösen Texten finden Sie verschiedene Moralen. In den Zehn Geboten, in der Bergpredigt, im Koran, in hinduistischen, buddhistischen Texten werden Sie verschiedene Moralen finden.
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In kulturellen Strömungen werden Sie verschiedene Moralen finden. In der Antike finden Sie eine stoische Moral. Im Mittelalter eine höfische Moral. In der Renaissance eine humanistische Moral. In politischen Konzeptionen finden Sie verschiedene Moralen. Im Liberalismus, im Marxismus, im Menschenrechtsdenken.
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Bestimmte Berufsgruppen haben ihre Moralen. Ärzte, Wissenschaftler, einzelne Menschen haben ihre Moralen. Es gibt immer wieder Leute, die ihre eigene Moral entworfen haben. Propheten, Revolutionäre, Künstler, Schriftsteller. Möglicherweise sind moderne Menschen in unserer Welt ohnehin ein bisschen aufgefordert, dass jeder seine eigene Moral sich ein Stück weit aussucht und zurechtschneidet.
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Dass es so verschiedene Moralen gibt, bedeutet nicht unbedingt Streit. Manchmal werden da sehr ähnliche Grundüberzeugungen nur ein bisschen abweichend akzentuiert. Oder Sie decken verschiedene Handlungsbereiche ab. Es gibt eben Moralen für Eltern, Moralen für Politiker, Moralen für Ärzte.
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Die müssen sich nicht ins Gehege kommen. Aber manchmal passiert es natürlich. Manchmal stehen Moralen in Konkurrenz zueinander. Dann machen sie abweichende Vorschläge für genau das gleiche Themengebiet. Man streitet sich eben darum, was ist die maßgebliche Moral von Eltern, von Politikern, von Journalisten.
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Wichtig ist, auch im deutschen Wort Moral ist keine Wertung vorausgesetzt. Wenn ich etwas als Moral bezeichne, heißt es nicht, dass ich es gut finde. Ich kann ohne Weiteres von der Moral der Mafia sprechen. Ohne Zweifel. Die haben ein Normensystem, oh ja, für das Verhalten von Menschen.
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Aber ganz sicher, mit Anspruch auf unbedingte Sicherheit. Ich glaube schon. Trotzdem ist das natürlich keine gute Moral, aber es ist eine Moral. Das Adjektiv Moralisch verwenden wir im Deutschen aber meistens wertend. Meistens. Als Moralisch bezeichnet man in aller Regel ein Verhalten, das einem Normensystem entspricht, das ich, der Sprecher, jetzt auch wirklich befürworte.
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Also ich würde sagen, die Mafia ist höchst unmoralisch. Ich kann sogar sagen, die Moral der Mafia ist unmoralisch. Das ist kein Widerspruch. Völlig klar. Moralisch heißt eben so viel wie sittlich gut. Und unmoralisch eben so viel wie sittlich böse, falsch oder schlecht. Der zweite Punkt.
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Es geht um das Verhalten von Menschen. Das leuchtet ein. Zunächst wird man denken an so etwas wie, es wird immer um ein Handeln gehen, von dem andere betroffen sind als der Handelnde selbst. Spätestens da geht die Moral los. Vielleicht geht sie aber schon vorher los. Manche würden sagen, Moral betrifft gar nicht erst Handeln,
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sondern vielleicht auch schon Gedanken oder Gefühle. Manche würden sagen, auch Hass und Missgunst sind schon in sich moralisch schlecht, auch wenn ich dann gar nichts mache. Könnte sein. Andere würden sagen, es geht nicht erst los, wenn mein Verhalten andere betrifft. Es gibt auch Pflichten gegen sich selbst. Also auch mein eigenes Wohl ein Stück weit zu verfolgen,
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meine eigene Talente ein Stück weit zu entwickeln, könnte eine moralische Pflicht sein, auch unabhängig davon, dass das anderen nützen könnte. Was sicherlich nicht unter Moralen fällt, sind zum Beispiel Naturereignisse. Ein Sturmflut, ein Meteoriteneinschlag. Ja, sowas ist schlimm und bedauerlich, aber das ist nicht böse.
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Böse wird es erst, wenn Menschen dann nicht sich helfen oder sich nicht benachrichtigen. Aber die Sturmflut selber ist nicht böse. Wir peitschen das Meer nicht mehr aus. Früher ist das vorgekommen, aber das machen wir nicht mehr. Auch nach allgemeinster Übereinstimmung fallen Tiere nicht darunter. Selbst Tiere, die sehr hohe Intelligenz haben, ein sehr ausgeprägtes Sozialverhalten,
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den machen wir in der Regel keine Vorwürfe. Wir ziehen sie in der Regel nicht zur Rechenschaft. Wir erziehen sie vielleicht. Vielleicht auch aus moralischen Gründen. Man erzieht seinen Hund, dass er keinen beißt. Es hat moralische Gründe, dass wir ihn so erziehen. Aber der Hund selber wird dadurch nicht zum Moralsubjekt. Wir belangen den Hund nicht.
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Schlimmstenfalls, wenn er tollbütig ist, müssen wir ihn einschläfern lassen. Aber wir belangen Tiere nicht moralisch. Wir stellen Schweine nicht mehr vor Gericht. Das kam auch früher vor. Das machen wir nicht mehr. Es könnte aber natürlich sehr wohl sein, dass menschliches Verhalten gegenüber der Natur oder gegenüber Tieren Gegenstand der Moral ist.
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Also höchstwahrscheinlich ist der Mensch von allen Wesen, die wir im Moment kennen, der einzige Moraladressat, also der einzige, der Pflichten trägt. Aber er ist nicht unbedingt der einzige Moralgegenstand. Es könnte sein, dass wir Pflichten gegenüber Tieren oder gegenüber der Natur haben.
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Und der dritte Punkt, der Anspruch auf unbedingte Gültigkeit. Damit ist gemeint, eine Moral macht sich nicht abhängig von meinen momentanen Zielsetzungen. Die richtet sich nicht danach, was ich gerade möchte, plane, mir vornehme oder angenehm finde. Es kann zwar sein, dass eine Moral nur für einen bestimmten Lebensbereich relevant wird.
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Also Fürsorgepflichten für eigene Kinder, wahrscheinlich moralische Pflichten, die werden natürlich nur relevant, wenn ich Vater oder Mutter werde. Aber sobald das passiert ist, sobald ich diesen Lebensbereich betreten habe, kann ich die entsprechende Moral nicht einfach abschütteln, indem ich sage, jetzt habe ich keine Lust mehr.
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Sobald man Vater oder Mutter ist, hat man gewisse Fürsorgepflichten. Zumindest dann eine anständige Adoption einzuleiten, wenn man sagt, ich kann es gar nicht mehr schaffen. Aber die Pflichten haben sie erst mal am Hals. Dieser Gedanke steht hinter Kant's berühmten Ausdruck, dass Moral sich immer in einem kategorischen Imperativ zum Ausdruck bringt,
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nicht in hypothetischen Imperativen. Er meint genau das. Hypothetische Imperative machen sich abhängig von den Zielsetzungen des Handelnden. Die haben die Form, wenn du x willst, dann musst du y tun. Aber wenn nicht, dann halt nicht.
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Kategorische Imperative, die sind unabhängig von der Zielsetzung des Handelnden. Die treten auf in der Form, du sollst y tun, ohne wenn und aber. Und das, so Kant, ist genau das Charakteristikum der Moral. Diesen Unterschied müssen Sie nicht unbedingt sofort sprachlich erkennen. Also wenn Sie ein Imperativ hören wie, verbessere jetzt mal deinen Umsatz,
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dann steht da nicht explizit ein Wenn-Satz davor. Die Bedingung ist nicht explizit genannt. Man wird aber erraten dürfen, dass das ein hypothetischer Imperativ gibt. Ich soll meinen Umsatz wahrscheinlich nur dann verbessern, wenn ich ein erfolgreicher Geschäftsmann sein soll. Und wenn ich das nicht mehr will, geht mich dieser Imperativ auch gar nichts mehr an.
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Umgekehrt, es gibt Imperative, da steht ein Wenn-Satz davor und die sind trotzdem kategorisch. Zum Beispiel, wenn du Familie hast, Sorge für sie. Da haben wir jetzt einen Wenn-Satz davor. Aber in dem geht es nicht darum, was ich mir gerade aussuche, was meine momentanen Interessen sind.
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Der Wenn-Satz benennt die Situation, in der ich mich befinde. Und wenn ich mich in der befinde, dann muss ich unbedingt. Das ist also ein kategorischer Imperativ. Es geht nicht darum, dass da ein Ziel benannt wird, was ich auch ablegen könnte, sondern wird die Situation benannt, in der ich mich befinden kann. Und wenn ich mich drin befinde, dann gilt die Norm unbedingt.
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Hypothetische und kategorische Normen können auch verkettet sein. Die Norm, verbessere deinen Umsatz, gilt erstmal nur hypothetisch. Das gilt, wenn ich ein erfolgreicher Geschäftsmann sein will. Es kann natürlich sein, dass das der einzige Weg ist, um meine Familie zu ernähren.
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Dann wäre es letztlich doch wieder ein kategorischer Imperativ. Wenn es erst einmal nach so einer Verkettung von hypothetischen und kategorischem aussieht. So viel zu Moral. Und Ethik kann man jetzt sehr leicht und schnell definieren, auf dieser Grundlage. Ethik ist nämlich einfach die Wissenschaft von der Moral.
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Das ist jedenfalls im deutschen Sprachgebrauch so. Es ist eine Wissenschaft, die sich fragt, welche Moralen gibt es denn überhaupt? Wie lassen sie sich begründen? Welcher Logik folgen ihre Begriffe, ihre Aussagen, ihre Argumentationen? Ethik ist also eine akademische Disziplin, die in der Philosophie beheimatet ist.
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Als Moralfilosophie ist das gleiche. Sie gibt es aber natürlich auch in anderen Fachbereichen. Theologen machen das. Die unterscheiden auch genauer Moraltheologie und Sozialethik. In der Moraltheologie geht es um die individuelle Moral. In der Sozialethik um die Moralität von Institutionen.
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Psychologen machen es. Es gibt Moralpsychologie. Soziologen machen es. Es gibt Moralsoziologie. Kann man Ethik in den Plural setzen, wie Moral? Auf den ersten Blick scheint das nicht so gut zu gehen. Es ist ein Wissenschaftsgebiet. Und jetzt Ethik in den Plural zu setzen, klingt sperrig.
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Man redet ja auch nicht von Physiken oder von Biologien. Aber auf den zweiten Blick kann es schon gehen. Ich meine, wenn wir bedenken, Ethik wird in verschiedenen Fachbereichen getrieben und mit sehr unterschiedlichen Methoden, dann kann man natürlich davon sprechen, dass das alles unterschiedliche Ethiken sind. Philosophische Ethik und theologische Ethik sind verschiedene Ethiken.
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Das gibt es auch in der Physik und in der Biologie. Die antike Physik war auch eine ganz andere als die moderne Physik. In dem Sinne gibt es eben auch verschiedene Physiken. Und natürlich jede konkrete Ausarbeitung können Sie auch als eine Ethik bezeichnen. Also Aristoteles-Ethik, Kanz-Ethik, Milz-Ethik sind dann auch alles verschiedene Ethiken.
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Genau wie es in der Physik auch passieren kann. Newtons-Physik und Einsteins-Physik sind auch verschiedene Physiken. Also in dem Sinne, ja, klingt sperrig, aber es geht im Plural. Der Adjektivgebrauch. Na gut, wenn Ethik die Wissenschaft von der Moral ist,
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dann heißt ethisch eben zur Wissenschaft Ethik gehörig. So kann man eben sprechen von einer ethischen Frage, einem ethischen Problem, einem ethischen Begriff, einer ethischen Theorie. Genauso wie physikalisch oder biologisch. Sie merken aber auch gleich, unethisch ist dann irgendwie nicht gut verwendbar.
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Das ist ein komisches Wort, genau wie unfisikalisch oder unbiologisch. Wann würden Sie das verwenden wollen? Sie können natürlich sagen, ja, das heißt dann nicht zur Wissenschaft der Ethik gehörig. Okay, aber dann würde man auch eher nicht ethisch sagen. Dieses Un ist irgendwie eine andere Art von Verneinung. So wie bei unmoralisch.
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Ethisches Verhalten. Im Deutschen kein guter Wortgebrauch, streichen Sie das. Sagt man im Deutschen eigentlich nicht. Gemeint ist damit ja ein Verhalten, das einem Normensystem entspricht, das der Sprecher selbst befürwortet. Ja, dann muss man sagen moralisches Verhalten. Genauso ist unethisches Verhalten im Deutschen kein guter Wortgebrauch. Gemeint ist dann unmoralisches Verhalten.
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Man kann sich das merken. Ethisch und moralisch stehen im Grunde zueinander wie psychologisch und psychisch. Sie haben ein psychologisches Problem, wenn Sie sich fragen, ob Prüfungsangst mit dem Geschlecht korreliert. Das ist ein psychologisches Problem. Es gehört zur Wissenschaft Psychologie.
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Und da werden Forschungsprojekte dazu dieser Frage gemacht. Sie haben ein psychisches Problem, wenn Sie Prüfungsangst haben. Genauso ist es hier auch. Es ist ein ethisches Problem, ob Tötung von Menschen immer falsch ist. Das ist ein ethisches Problem. Da können Sie ethische Theorien zu befragen und ethische Thesen aufstellen.
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Sie haben ein moralisches Problem, wenn Sie einen umgebracht haben. Das ist ganz ähnlich gebaut. Vorsicht, das ist im Deutschen so. In anderen Sprachen kann das anders sein, zum Beispiel im Englischen. Das Englische Ethics heißt im Grunde beides. Ethics kann auch heißen, wie bei uns Ethik, die Wissenschaft von der Moral.
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Ethics kann aber auch ein bestimmtes Normensystem bezeichnen, eine Morality. Also wie das deutsche Moral. In den Sprachen können die Engländer ihr Adjektiv Ethical weitgehend wie Moral benutzen. Im Englischen kann man durchaus korrekt sagen unethical behavior.
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Das ist im Grunde so viel wie immoral behavior. Außerdem im Deutschen, wir haben natürlich auch das griechische Wort ethos direkt importiert. Wir können auch das Wort ethos im Deutschen als Fremdwort. Und ein ethos ist eine fest umrissende Form von Moral. Also eine Art von Moral, die besonders wichtig ist für die Identität, für das Selbstverständnis.
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Meistens irgendwie gewachsen, tradiert. Oft betrifft es fest umrissende Gruppen mit bestimmten Tätigkeitsfeldern. Also Wissenschaftler haben ein ethos. Das ist die Moral der Wissenschaftler. Ärzte haben ein ethos. Das ist die Moral speziell von Ärzten. Und schließlich können wir diese Wissenschaft Ethik jetzt noch ein bisschen genauer einteilen.
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Sie kann sich nämlich in unterschiedlicher Weise mit ihrem Gegenstand befassen, mit der Moral. Zum einen kann sie auftreten als deskriptive Ethik. Dann fragt sie, welche Moralen gibt es denn überhaupt? In bestimmten Gesellschaften, in bestimmten Kulturkreisen, in sozialen Kleingruppen.
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Aber auch bei Individuen, vielleicht im Laufe ihrer Entwicklungen, vielleicht je nach Herkunft und Erziehung. Diese deskriptive Ethik, der Name deutet es dezent an, wählt also eine rein beschreibende Perspektive. Sie wertet selbst gar nicht, ob diese Moralen richtig oder falsch sind, die sie da betrachtet.
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Man spricht auch manchmal von empirischer Ethik. Jedenfalls dann, wenn da ein hinreichendes Maß wirklich an Empirie, an Erhebung, an Forschung dahinter steht. Ethik kann aber auch auftreten als normative Ethik. Und dann fragt sie, wie lassen sich solche Moralen begründen?
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Oder wie lassen sie sich widerlegen? Welche ist denn die richtige? Die normative Ethik wählt also eine legitimatorische Perspektive. Die bewertet jetzt Moralen und sagt richtig oder falsch. Oder sie erarbeitet sogar ganz von selbst eine neue. Und das ist in der Tat das, was meistens unter dem Titel Ethik passiert.
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Meistens läuft das unter der Überschrift Ethik. Es gibt noch eine dritte Ebene und das ist die sogenannte Metaethik. Und die fragt, sehr abstrakt, sehr grundsätzlich, welchen generellen Status haben überhaupt moralische Begriffe, Aussagen und Argumentationen?
34:01
Was hat der moralische Begriff gut überhaupt für eine Bedeutung? Lässt er sich über andere Begriffe definieren? Oder ist das ein undefinierbarer Grundbegriff? Welche Art von Einsicht vermitteln moralische Aussagen? Können die einen objektiven Wahrheitsanspruch erheben?
34:21
Oder äußern die eigentlich immer nur subjektive Geschmacksurteile? Worauf beziehen sich moralische Argumentationen? Greifen die immer auf allgemeine Prinzipien zurück? Gibt es überhaupt sowas wie allgemeine Prinzipien in der Moral? Oder hängt es eigentlich immer an konkreten Einzelfallurteilen?
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Das ist das, womit sich Metaethik befasst, in einer sehr grundsätzlichen Perspektive. Sie fragt nicht, ist diese Handlung da richtig oder falsch? Sie fragt, was heißt überhaupt richtig oder falsch? Was für eine Art von Behauptung stellen wir damit auf? Mit welchen Arten von Begründung könnten wir sie unterfüttern?
35:01
Insbesondere ist da natürlich die Frage, ist normative Ethik überhaupt ein sinnvolles Geschäft? Denn wenn wir innerhalb der Metaethik zu dem Schluss kämen, es gibt im Moralischen überhaupt keine Begründungen. Das sind alles nur Geschmacksäußerungen. Dann könnte die normative Ethik natürlich einpacken. Denn sie will ja genau Begründungen liefern, und zwar gültige.
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Die Metaethik werden wir in den beiden kommenden Sitzungen vertiefen. Da geht es um so Fragen wie, ist das Wörtchen gut definierbar? Ist Moral wahrheitsfähig? Wohnen sie in Prinzipien oder in Einzelfallurteilen? Die normative Ethik wird dann das Hauptthema der folgenden Sitzungen sein.
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Wie gesagt, das wird meistens unter dem Titel Ethik in der Philosophie betrieben. Die klassischen ethischen Werke von Platon, Aristoteles, Thomas, Kant, Bentham, Mills, Sitchwick liegen schwerpunktmäßig auf der Ebene der normativen Ethik. Und die deskriptive Ethik werden wir heute noch ein bisschen behandeln.
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Das kann im weiteren Verlauf ihrer Arbeit durchaus nützlich sein. Es kann ihnen begegnen, auch in der Diskussion mit Vertretern anderer Wissenschaften. Es ist gut, sich da ein bisschen auszukennen. Ich werde Ihnen aber nur ein paar beispielhafte Einblicke geben können, nicht das vollständige Spektrum abdecken können. Und das geschieht dann in fünf Minuten, also um 11 Uhr. Machen wir dann weiter mit deskriptiver Ethik.
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