Solidarität: Anonyme Liebe organisieren!
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Number of Parts | 234 | |
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Identifiers | 10.5446/33154 (DOI) | |
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re:publica 201711 / 234
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Computer animationJSONXMLUMLLecture/Conference
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Link (knot theory)Meeting/Interview
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Representational state transferLink (knot theory)ArmLecture/ConferenceMeeting/Interview
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Meeting/Interview
06:09
Link (knot theory)Keim <Mathematik>StrömungSoftwareForceGebiet <Mathematik>Decision theorySoftware developerLecture/Conference
11:06
Lecture/Conference
12:48
Lecture/ConferenceMeeting/Interview
13:13
Lecture/ConferenceMeeting/Interview
13:49
Meeting/Interview
14:57
IBMLösung <Mathematik>Grand Unified TheoryPhysical quantityComputer animationMeeting/Interview
16:28
Surface of revolutionMeeting/Interview
17:56
Plane (geometry)Hausdorff spaceMathematical structureVirtual memoryComputer wormZusammenhang <Mathematik>Smart cardLecture/ConferenceMeeting/Interview
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Form (programming)Link (knot theory)Zusammenhang <Mathematik>Discrepancy theoryMobile appLecture/Conference
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Ende <Graphentheorie>EckeProfessional network serviceLecture/Conference
27:30
Meeting/Interview
27:52
Moment (mathematics)Meeting/Interview
28:18
Computer animation
Transcript: German(auto-generated)
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Hallo, schön, dass ihr da seid. Solidarität, anonyme Liebe organisieren. Als Eva und ich uns auf den Titel unseres Talks geeinigt hatten, haben wir die Sache erst mal ein paar Wochen liegen gelassen. Und als ich danach meine Notizen angeguckt habe, habe ich gedacht, anonyme Liebe organisieren,
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das klingt nach Darkroom. Und ist es nicht eigentlich genau das, was wir meinen? Menschen treffen sich an einem verabredeten Ort, sie machen Sachen miteinander, dann gehen sie wieder. Sie wissen nicht mal ihre Namen, aber sie wissen, dass es gut war. Ist es nicht genau das, was wir wollen? Es ist genau das, nur größer. Viel größer und leider auch viel
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komplizierter. Aber eigentlich ist es ganz ähnlich. Es geht um Bedürfnisse und Wünsche, um Verabredungen und um Geben und Nehmen. Aber was soll Liebe als gesellschaftliches Konzept sein? Und das in einer Zeit, in der ständig von Hass sprechen. Hate Speech, Hate Mail, Hate Crime, Rechtsradikale in
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Regierungen, Mehrheiten mit Ängsten vor Minderheiten und Minderheiten mit Ängsten vor Übergriffen. Wenn vom Rechtsruck die Rede ist, der zurzeit an vielen, vielen Orten der Welt gleichzeitig stattfindet, dann findet unter Linken zum Teil ein riesengroßes Spektakel an Selbstbeschuldigungen statt. Haben wir übertrieben mit unseren
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Forderungen nach gleichen Rechten und Respekt für alle? Haben wir die sogenannten einfachen Leute vergessen? Haben wir gedacht, wir wären eigentlich schon viel weiter in unserer linken, queeren Bubble mit Bio-Kaffee? Waren wir naiv? Waren wir arrogant? Waren wir leichtsinnig oder waren wir
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alles das zusammen? Dieser absurde Mythos, Linke, hätten sich in den letzten Jahren hauptsächlich mit Unisext-Toiletten beschäftigt und damit die Sorgen der großen Mehrheit vergessen. Das ist nichts, was sich belegen ließe, denn während wir auf unserem Unisex-Klo saßen, haben wir uns
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Gedanken gemacht. Wie sollen wir umgehen mit den Rechten, die allenthalben in Regierungen gewählt werden oder zwar nicht als erste gewählt werden, aber immerhin an zweiter Stelle landen, wie eben gerade in Frankreich? Wie sollen wir mit dem Hass umgehen, den sie verbreiten? Auf diese Fragen kann es sehr viele Antworten geben, aber
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eine ist sicher, auf Hass sollte man nicht mit Selbsthass antworten. Zweifel sind gut, aber Zweifel, die zur Selbstzermöwung führen, müssen wir umleiten, damit wir am Ende nicht genau da landen, wo die Rechten uns haben wollen, vereinzelt, misstrauisch, hoffnungslos, irgendwo am
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Rand, auf ihre Wahlpartys und Brexit-Verhandlungen starrend. Aber wenn wir da schon mal hin starren, können wir auch feststellen, Vergemeinschaftung von rechts funktioniert immer wieder gleich. In ihrem Zentrum stehen Nationalismus und die Sehnsucht nach einer vermeintlich geilen, goldenen Zeit von früher, die Sehnsucht nach
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Autorität und ohne das können sie es nicht, die Ausgrenzung von allem, was ihnen fremd erscheint und das sie deswegen verachten. Manchmal schaffen sie es, so zu tun, als wäre ihnen Freiheit wichtig, aber nur Meinungsfreiheit für die, die rassistisches Zeug reden wollen oder Gerechtigkeit, aber nur in dem Sinne,
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dass sie selbst nicht zu kurz kommen wollen, wenn neue Leute ins Land kommen. Deswegen hetzen sie vorsichtshalber gegen die Ärmsten der Armen, damit die bloß nicht zu viel bekommen oder sie sprechen von Sicherheit und meinen damit doch nur Ausgrenzung, ihre autoritätsgeilen Träume von Recht und Ordnung und eine harten Hand, die uns allen zeigt, wo es lang geht.
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Rechte schaffen es immer wieder, so zu tun, als würden sie für die Rechte, die wir haben, in Wirklichkeit und Gleichmacherei Sogar das Wort Alternativ haben die Facker uns geklaut. Sie schaffen es immer wieder, Leute zu verarschen und so zu tun, als sei die Gleichheit, die Linke meinen, in Wirklichkeit Gleichmacherei und als sei die Freiheit, die wir meinen, in Wirklichkeit Orientierungslosigkeit.
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Aber niemals, niemals werden sie es schaffen, so zu tun, als stünden sie für Liebe und Solidarität. Wenn Rechte von Liebe sprechen, dann sprechen sie von Heimatliebe, von schönen deutschen Landschaften und von Kulturerzeugnissen wie Bust, Bier, Pünktlichkeit.
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Sie müssen es so abstrakt halten, denn sie können sich nicht auf Menschen beziehen, weil sie dann ganz schnell wieder Grenzen ziehen müssten. Denn Liebe zwischen Menschen ist etwas, was sie bedroht, wenn es nicht auf dem äußerst schmalen Streifen stattfinden soll, den sie dafür vorgesehen haben. Solidarität ist etwas, was sie bedroht, denn sie leben
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von Entsolidarisierung und von Angst. Solidarität, das mag für einige erst mal verdächtig klingen und Liebe vielleicht ein bisschen kitschig. Solidarität, das klingt für einige vielleicht nach Solidaritätszuschlag, das kennen Sie von Ihrer Steuererklärung, da wird Ihnen etwas weggenommen. Und doch, dass Liebe und Solidarität genau das sind,
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was wir jetzt brauchen, das wollen wir heute zeigen. Das mit der Solidarität ist natürlich überhaupt nicht neu. Schon bei Berthold Brecht heißt es, vorwärts und nie vergessen, worin unsere Stärke besteht, beim Hungern und beim Essen, vorwärts nie vergessen, die Solidarität. Wir wollen zeigen, dass Solidarität nicht heißt, dass jemandem etwas weggenommen wird,
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sondern dass sie eine Art von Gemeinschaft herstellt, die revolutionär sein kann. Liebe und Solidarität sind exakt die Werte, bei denen die Rechten nicht mal im Ansatz zu tun könnten, als ob sie dafür stehen. Und deren Gemeinschaft, die sich durch nationale Zugehörigkeit und abgeschottete Heimat auszeichnet,
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die wollen wir nicht haben. Eure Hirsche könnt ihr behalten, wir haben unser Herz. Okay, was meinen wir mit Solidarität? Was meinen wir nun mit Solidarität? Zum Glück brauchen wir das nicht neu erfinden.
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Tatsächlich ist die Sache eigentlich die Kernidee aller linken Strömungen. Marxismus, Anarchismus, Feminismus. Aber bei Linke normalerweise besser darin sind ihre Unterschiede und Uneinigkeiten auszupacken, lohnt sich eine kleine Erinnerungstour. Im Anarchismus heißt die anonyme Liebe
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gegenseitige Hilfe. Anarchistinnen gehen davon aus, dass es das älteste Prinzip der Menschheit ist. Sogar das, was uns erst zum Mensch werden lässt. Wenn wir uns nicht vorstellen können, was andere brauchen, dann hätten wir nie mit dem Sprechen angefangen.
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Dazu muss ich mir nämlich vorstellen können, dass ihr euch auch was vorstellen könnt. Das wird übrigens auch in neuerer Evolutionsbiologie wieder vertreten. Peter Kropotkin hat im Anarchismus schon Ende des 19. Jahrhunderts ganz ausführlich über das Prinzip der gegenseitigen Hilfe geschrieben. Er versteht gegenseitige Hilfe als eine spontane Neigung,
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zusammenzuarbeiten und sich auszuhelfen. Das Spontane ist wichtig, weil Kropotkin nicht davon ausgeht, dass man erst lange drüber nachdenkt, was man davon hat, irgendwo mitzuhelfen. Solidarität ist sozusagen eine direkte Reaktion auf unsere Wahrnehmung der Welt.
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Darauf, dass wir uns vorstellen können, was jemand anderes gerade nützt oder einfach, was in einer Situation gut wäre. Kropotkin nannte die gegenseitige Hilfe ein Prinzip, weil er nicht so naiv war, zu glauben, dass Menschen immer oder von Natur aus nett wären. Sie können sich entscheiden,
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ob sie kooperieren oder konkurrieren wollen, miteinander oder gegeneinander. Oft genug ist das keine Entscheidung, die wir mit unserem Herz oder unserem Gewissen allein ausmachen. Je nachdem, wie die Gesellschaft eingerichtet ist, insgesamt wird das eine oder das andere Prinzip bestärkt.
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Dass besonders die kapitalistischen Gesellschaften das Prinzip der Solidarität ruinieren, das hat Karl Marx bis ins letzte Detail ausbuchstabiert. Das ist übrigens auch ein wichtiger Aspekt, wenn man verstehen will, warum gerade jetzt und auch gerade in den 1930ern
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der Rechtspopulismus so gut funktioniert. Er wuchert auf einem Gebiet, in dem der Kapitalismus bereits allen solidarischen Keimen das Wasser abgegraben hat. Wo es sich sowieso schon anfühlt, als ob Knappheit und Wettkampf herrschen würde, da wird das auch mit der Weithärzigkeit schwieriger.
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Recht fordert, dass wir Solidarität auch im Hungern als Stärke ansehen sollen. Wer glaubt, dass Liebe endlich ist wie ein Stück Kuchen, dem fällt das schwer. Der kommt tatsächlich schnell auf die Idee, dass man andere Ässer
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mag es dagegen, setzt mit seinem entscheidenden Grundgedanken tiefer an. Für ihn sind wir mehr als bloß Ässer. Er glaubt nicht nur, wie man immer sprichwörtlich wiederholt, dass wir die ganze Bäckerei haben könnten. Er denkt auch, dass jeder, und zwar wirklich jede von uns, zur Bäckerin taugt.
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Mehr Leute würden also auch einfach mehr und sogar raffiniertere Kuchen backen. Was aber hat jetzt Solidarität mit dem Kuchen backen zu tun? Marx unterscheidet bekanntermaßen zwischen entfremdeter und unentfremdeter Arbeit. Damit ist mehr gemeint, als dass es in kommunistischen Bäckereien
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irgendwie kuscheliger sein soll. Unentfremdete Arbeit unterscheidet sich nach Marx von entfremdeter Arbeit, weil sie eine andere Beziehungsweise ist. Man rackert nicht, um Geld zum Überleben zu haben und produziert dabei Zeug, das andere vielleicht kaufen können. Das gerade ist Entfremdung. Nein, man arbeitet direkt in Bezug auf die
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Bedürfnisse der anderen. Weil ich weiß, dass jemand Kuchen braucht und sich darüber freut, backe ich. Marx denkt, dass das ein extrem tolles Gefühl ist, für die Bedürfnisse anderer zu produzieren und zu wissen, dass sich in ihrer Tätigkeit auch meine Bedürfnisse als Ziel wiederfinden.
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Man könnte jetzt denken, damit ist so eine Art Altruismus-Kick gemeint. Aber der Witz ist gerade, dass diese Art der Arbeit uns jenseits von Egoismus und Altruismus befördern soll. Etwas für die Bedürfnisse anderer machen zu können, also Kuchen backen, Software programmieren, Vorträge halten,
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Häuser bauen, vermittelt ein Gefühl von Verwirklichung meiner Kräfte und von sinnvoller Tätigkeit. Es ist so gut, dass man mehr davon will. Bedürfnisse erfüllen können, so stellt Marx sich das vor, wird dann selbst zum Bedürfnis. Kein Unterschied mehr zwischen geben und nehmen.
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Das klingt utopisch. Aber eigentlich kennen wir das schon. Kuchen backen, Liebe machen. Wenn Marx denkt, dass unentfremdete Arbeit wie Kuchen backen und Liebe machen funktioniert, dann haben Feministinnen natürlich schon lange darauf hingewiesen, dass diese Sachen eben vor allem auch
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Arbeit sind. Und zwar leider nicht nur kapitalistisch entfremdete, sondern auch sexistisch verdorbene. In der feministischen Diskussion kommt dabei immer wieder der Begriff der Fürsorgearbeit auf, der der gegenseitigen Hilfe erstmal ziemlich verwand ist. Aber Margarete sagt gleich mehr dazu, wie die Sache mit der Gegenseitigkeit da schiefgehen kann.
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Der entscheidende Ausgangspunkt ist trotzdem erstmal, darauf aufmerksam zu machen, dass Frauen in der Gesellschaft ganz viele Sachen übernehmen müssen, die nicht so richtig als Arbeit oder als Politik oder als Ethik zählen. Ohne die aber überhaupt nichts funktionieren würde.
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Bevor irgendwer arbeiten kann, muss er gefüttert und bemuttert werden. Politik hält man nur aus, wenn man sich irgendwo davon ausruhen kann. Abwägen, wem man helfen soll, kann man erst, wenn man gesehen hat, dass da wer Hilfe braucht. Und während die einen in Ruhe abwägen,
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haben die anderen vielleicht schon längst mit dem Helfen angefangen. Die Arbeitsteilung erklärt vielleicht auch, warum es immer noch so wenige weibliche Philosophieprofessoren gibt. Weil Fürsorgearbeit dermaßen unentbehrlich ist, haben die Rechten ja auch so einen Vogel mit traditioneller Weiblichkeit. Da holen sie sich heimlich den Stoff,
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ohne den sie auch nicht können und den sie sonst niemandem gönnen. Aber erpresste Liebe ist keine Solidarität. Während feministische Politik alle Hände damit voll zu tun hat, zu ändern, dass diese Fürsorglichkeit immer an den Frauen hängen bleibt, erklärt feministische Philosophie,
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dass Fürsorgetätigkeiten die eigentliche Grundlage der Gesellschaft ist. Es bräuchte eine ganze Revolution, um sie entsprechend aufzuwerten. Wir können uns das irgendwie fast gar nicht vorstellen. So Spitzengehälter für Erzieherinnen, Krankenpflegerinnen als Rockstars, Naturschutz als geilstes Startup. So in etwa
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ließe sich aus dem unsichtbaren Bodensatz der Solidarität die Zukunft lesen. Das klingt alles sehr gut. Und man könnte fast sagen, fangen wir direkt an. Aber es gibt ein paar Probleme. Nicht allein, dass wir, die wir jetzt hier sind, nicht einfach darüber verfügen können, wer demnächst Spitzengehälter kriegt.
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Es ist alles noch viel grundsätzlicher schwierig. Wenn wir Liebe- und Fürsorgetätigkeiten als gesellschaftliche Prinzipien installieren wollen, müssen wir fragen, was genau wollen wir hier vergrößern? Wenn bestimmte Tätigkeiten, wie Eva gerade gesagt hat, gesellschaftlich gar nicht so besonders anerkannt sind. Oder für selbstverständlich gehalten werden, was vielleicht noch schlimmer ist. Welchen Anteil und welche Variante von Liebe und Fürsorge
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wollen wir vergrößern? Man kann Liebe niemandem vorschreiben. Das ist eine sehr unangenehme Situation für die allermeisten Leute. Das meinen wir nicht. Aber was meinen wir dann? Welche Möglichkeiten gibt es, Liebe als gesellschaftliches Prinzip zu etablieren?
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Wenn wir an romantische Liebe denken, kann es problematisch werden. Diese wird oft eher als nicht gesellschaftlich gedacht. Eher als ein Rückzugsort aus der Geschichte. Wir zwei gegen den Rest der Welt. Das kann schön klingen, aber ist auch ein bisschen bescheuert, weil der Rest der Welt höchstwahrscheinlich stärker ist als wir zwei. Und zweitens ist es nicht auch irgendwie unfair, der Liebe gegenüber so zu tun, als sei sie
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im Kleinen möglich, aber irgendwie inkompatibel mit dem ganzen Großen? Gibt es also eine Möglichkeit, die Idee der Liebe ins Politische zu übertragen, ohne in potenzielle Fallen zu tappen? Mit der Aufforderung make love not war, kann zum Beispiel sehr vieles gemeint sein. Die Tatsache, dass der Satz aus der Friedensbewegung stammt,
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lässt uns vermuten, dass damit nicht nur gemeint ist, ein bisschen mehr Sex zu haben als sonst, sondern etwas Größeres. Immerhin soll es einen Krieg ersetzen. Und das kann nur mit politischen Lösungen gehen und nicht mit ein bisschen mehr Intimität. Zumindest muss Intimität dann für irgendwas anderes stehen. Auf der anderen Seite lauert bei der politischen Idee von Liebe immer die sehr scheußliche
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Vorstellung vom geliebten Führer. Der, egal ob in Nazi-Deutschland oder in Nordkorea, einen faschistischen Personenkult betreiben lässt und damit definitiv eine Variante von Liebe meint, die niemals gut sein kann. Sprechen wir von der Liebe im Politischen, meinen wir also hoffentlich keines dieser Extreme. Entweder den Rückzug
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ins rein Private oder die Unterwerfungen. Trotzdem gibt es gute Gründe, Liebe im Politischen zu suchen. Viele ergeben sich bereits aus der Gegenüberstellung weiter Begriffe Liebe und Politik. Diese zeigt, dass sich beide in ihrem Wesen eigentlich sehr ähnlich sind. In der Liebe und in der Politik entsteht aus einzelnen Individuen ein Wir.
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Die Soziologin Eva Illos schreibt dazu, die Liebe bezieht ihre Macht aus der Tatsache, dass die Qua Natur das Ego steigert. Das macht politisches Handeln auch. Menschen tun sich zusammen und werden Teil von etwas Größerem. Sie vermehren sich, egal ob im biologischen oder im übertragenen Sinne. In der Liebe wie in der Politik entsteht durch solchen Zusammenhalt etwas
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Neues, das ein einzelner Mensch nie alleine schaffen könnte, seien es Kinder oder Revolutionen. So oder so ist es immer ein Wagnis, aber auch eins, das berauschend sein kann, ungefähr so wie gute Drogen. Neues wird möglich, aber auch notwendig und darin ähneln sich Politik und Liebe. Sie müssen sich immer wieder neu erfinden, immer wieder auf die Zukunft hin entworfen werden.
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Beziehungen können in Gewohnheiten ersticken und politisches Handeln muss sich immer auf neue Herausforderungen einstellen. Und weder für die Liebe noch für die Politik gibt es eine schicksalshafte Form, in der sich alles fügt, sobald wir einander gefunden haben. Wenn wir uns gefunden haben, dann geht es erst richtig los.
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Aber wie alles, was helfen kann, kann auch die Liebe Risiken und Nebenwirkungen haben. Gerade weil sie so schön ist, müssen wir aufpassen, was sich unter dem Etikett der Liebe in unsere Vorstellung reingeschmuggelt hat. Denn es ist nicht immer klar, was Liebe eigentlich sein soll, nicht mal zwischen zwei Menschen ist das klar. Leonard Cohen singt in einem seiner Lieder
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Liebe als Serviceleistung. Liebe als Serviceleistung, das scheint ein bisschen absurd, aber wenn wir genauer hinsehen, ist es ein Gedanke, an den sich viele längst gewöhnt haben. Die Aufgaben, die in heterosexuellen Beziehungen von Frauen übernommen werden, normalerweise,
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sind die sogenannten reproduktiven Tätigkeiten und emotionale Arbeit. Das ist erstens das gesamte Feld von Hausarbeit, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen. Und da hat in Deutschland, so hat kürzlich wieder eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung gezeigt, da leisten Frauen in diesen Bereichen 60% mehr unbezahlte Arbeit als Männer.
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Das kann nicht das sein, was wir einfach nur vergrößern wollen. Mit emotionaler Arbeit ist zweitens der gesamte Bereich des drüberredens gemeint. Sich einfühlen, nachfragen, Probleme ansprechen, Konflikte lösen. Natürlich tun Männer das auch. Aber wenn es darum geht, von wem es traditionell erwartet wird, dann landen wir sehr schnell bei der Frau als gute Seele des Hauses, die zufällig
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keine Hobbys hat. Im schlimmsten Fall funktioniert Liebe dann so, dass Frauen sie herstellen und Männer sie essen. Das mag hart wirken, das so zu sagen, weil Liebe doch eigentlich etwas verschmelzendes sein soll, wo man nicht genau auseinanderfummeln will, wer jetzt was gemacht hat. Aber nur weil es sich bei Arbeit aus Liebe um etwas handelt,
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das Frauen und generell Menschen manchmal auch gerne tun, haben wir es trotzdem mit Aufgaben zu tun, die von Kapitalismusstaat und Patriarchat so gewollt sind. Denn es hält den ganzen Laden am Laufen, wenn Frauen Liebe und Fürsorge schenken und andere sie nehmen und nichts dafür geben. Dabei ist Hingabe nicht schlecht und Schenken auch nicht. Hingabe ist nur dann schlecht,
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wenn sie zur Selbstaufgabe wird. Oder noch schlimmer, zur verpflichtenden Selbstaufgabe. Wenn wir auf gesellschaftlicher Ebene Liebe organisieren, dann ist Liebe nicht nur der enge Zusammenhalt zwischen zwei Menschen, sondern sie ist auch Zusammenhalt für die Einzelnen, für sich. Was wir damit nicht meinen, ist eine riesige Wir meinen eine anonyme Form von Liebe,
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die niemanden, wirklich niemanden dazu zwingt, mit mehr Leuten zu tun zu haben, als er oder sie möchte. Denn wir reden von Bedürfnisorientierung und das Bedürfnis, auch mal nichts mit Menschen zu tun zu haben, ist sehr vielen Leuten sehr wichtig. Das müssen wir euch wahrscheinlich nicht erklären, Nerds kennen das und Nicht-Nerds kennen das auch.
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Das Gute ist, wenn gesellschaftliche Strukturen erst mal etabliert sind, dann bleiben sie, auch wenn Einzelne mal zu Hause bleiben und keine Gesellschaftsprinzipen haben. Denn die Menschen müssen keinen Bock haben. Der Bundestag ist auch nicht immer voll, guckt euch mal Videos von den Plenarsitzungen an. Deutschland geht trotzdem nicht kaputt. Karl Marx hat mal geschrieben, Der Mensch ist im wörtlichsten Sinne ein Soranpolitikon. Nicht nur ein geselliges Tier, sondern ein Tier, das nur in der Gesellschaft
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sich vereinzeln kann. Das heißt, kann schon sein, dass der Mensch zu Hause bleibt, aber eine gut organisierte Gesellschaft braucht er trotzdem. Deswegen ist Solidarität als Gesellschaftsprinzip nicht so etwas wie ein stressiges Blind Date, bei dem man nicht weiß, wer die andere Person ist und wo man vielleicht am liebsten wieder nach Hause will, sondern eher wie viele einzelne Dates mit der Gesellschaft, die aber
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auch nicht böse sind, wenn wir mal doch nicht kommen. Oder um endlich mal aus diesem Beziehungsbild rauszukommen, es ist so wie Wichteln ohne Namen, aber so, dass alle Schenke geil sind. Kein Schrottwichteln, Solidarität ist geiles Wichteln. Das ist noch etwas abstrakt, aber genau diese Form von Solidarität als anonyme Liebe führt
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uns mitten ins Revolutionäre. Wie das gehen soll, können wir anhand von einem Zitat von Rosa Luxemburg sehen. Rücksichtslose revolutionäre Tatkraft, so schreibt sie, und weitherzigste Menschlichkeit. Dies allein ist der wahre Odem des Sozialismus. Eine Welt muss umgestürzt werden, aber jede Träne, die geflossen ist, obwohl sie abgewischt werden könnte, ist eine Anklage. Und ein zu wichtigem Tun eilender Mensch,
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der aus Ruhe und Unachtsamkeit einen Wurm zertritt, begeht ein Verbrechen. Das heißt, Solidarität ist eine Form von Zusammenhalt, die nicht duldet, dass auf dem Weg zu gemeinsamen Zielen sinnlos gelitten wird. Sie hat radikale Ziele, aber nicht auf Kosten derer, um die es geht. Solidarität ist hier das Bindeglied, das beide Ebenen
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verknüpft. Die Tatkraft, wie bei Rosa Luxemburg, die großen Ideen und Utopien und die Menschlichkeit, in dem Sinne, dass es um die Bedürfnisse derer geht, von denen wir sprechen im Hier und Jetzt mit allen ihren Unterschiedlichkeiten und auch mit ihren Widersprüchen. Okay, aber was sollen wir jetzt genau tun? Wie können wir uns
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verabreden, um anonyme Liebe zu organisieren? Welche Formen kann das annehmen? Gibt es schon Beispiele, die mehr sind als nur der Bodensatz, den Kapitalismus braucht und ständig aufsaugt? Zum Glück gibt es Wikipedia und manche wirklich freie Open-Source-Software. Die wird jetzt schon
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bedürfnisorientiert produziert. Ich stelle mir manchmal vor, wie es wäre, wenn alle durch die Welt gingen und so, wie sie jetzt Pokemons fangen, suchten sie dann nach Möglichkeiten zu solidarischer Kooperation. Keine Ahnung, kann vielleicht mal jemand eine App entwickeln. Wo immer ein Problem ins Visier kommt, wird gemeinsam eine Idee entwickelt, mit welcher
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Infrastruktur und welchen Ressourcen sich die Sache lösen ließe. Ganz kleine, ganz alltägliche Probleme, so CO2-Ausstoß, Nazi-Demos, leerstehende Häuser, Genmais, No-Goes, Areas, Grenzen, Google, das braucht doch niemand. Das kann man doch alles anders organisieren.
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Die Linke ist immer dann besonders effektiv, wenn es ihr zumindest gelingt, sich selbst solidarisch zu organisieren. Ein grandioses Beispiel bedürfnisorientierter Politik ist das Black Panther Breakfast Program. Parallel zu ihrem Militantenkampf haben die Bürgerrechtsaktivisten 1969 ausgehend von Oakland, Kalifornien in
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US-amerikanischen Großstädten selbst organisierte Kantinen eingerichtet, in denen Kinder aus ärmeren schwarzen Familien ihre erste Tagesmahlzeit bekamen. Und zwar 10.000. Jeden Morgen. Das entspricht ungefähr einer Idee, die schon Kropotkin hatte, dazu,
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wie man effizienter und gerechter Hausarbeit in größeren Zusammenhängen neu organisieren kann. Gerechter war nicht zuletzt, dass bei den Panthers vor allem die Männer das Frühstück gemacht haben. Im politischen Alltag heißt Solidarität oft, dass man sich auf die Seite derer stellt, die unter Unrecht leiden. Aus aktuellem Anlass, zum Beispiel auf die Seite derer,
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die in der Türkei im Knast sitzen, so wie Margaretes Freund und Kollege Dennis Yücel. Etwas an dieser Form der Solidarität ist sehr traurig. Caroline Emke hat bewegend über die Diskrepanz geschrieben, in Deutschland den türkischen Wetterbericht zu checken und dabei zu wissen, dass jemand, den man kennt, in einer ungeheizten Zelle sitzt. Gerade deshalb ist es so wichtig, nicht aus dem Blick zu
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verlieren, dass Solidarität nicht nur Parteilichkeit ist. Man ist nicht einfach nur auf derselben Seite. Solidarität ist auch ein Organisationsprinzip. Man zeigt, dass die Seite, auf der man ist, die bessere ist, dass man sich hier anders aufeinander bezieht. Etwa, dass einem das Frieren der anderen auch etwas angeht.
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Ein weiteres Vorbild dafür, wie sich eine Bewegung selbst nach dem Muster der Solidarität organisieren kann, bietet die Bezugsgruppenstruktur bei Act Up. Die Aktivistinnengruppe, die Ende der 80er Jahre in New York entstand, um gegen die homophobe Regierungspolitik in der AIDS-Krise zu protestieren, war in basisdemokratische Zellen
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eingeteilt und stimmte alle ihre Aktionen auf den legendären Montagspläner ab. Also da wurde nebenbei auch anonyme Liebe organisiert. In den Bezugsgruppen wurden nicht nur Transparente gemalt, sondern sie funktionierten auch als Wahlverwandtschaftsnetzwerke,
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als Pflege, Hospiz und Trauerzusammenhänge. Solche basisdemokratischen Elemente arbeiten einerseits autoritärer Fremdbestimmungen und Paternalismus entgegen. Sie erlauben aber auch, Bedürfnisse überhaupt erst mal zu äußern. Sie schaffen das Forum, um sich verabreden zu können. Hannah Arendt hat immer wieder beschrieben, dass Politik
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da geschieht, wo wir uns versammeln und fragen, wie wir zusammenleben wollen. In Räten etwa, aber auch in ganz kleinen Kreisen, wie beim Consciousness-Racing. Solidarisch wird das Ganze, wenn wir uns dann auch noch fragen, was wir brauchen, um so zu leben, wie wir es wollen. Und wo wir das Zeug herkriegen, das wir brauchen.
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Wie wir es herstellen oder wie man so schön sagt, wie wir es uns organisieren. Nun ist es aber leider nicht so, als würde schon in nächster Zukunft eine feministisch informierte Rätevollversammlung über das Schicksal der Menschheit entscheiden. Im Grunde kann man schon froh sein, wenn die Institutionen, die jetzt schon so einen Ansatz von Solidarität verkörpern,
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so Sozialsystem, Gesundheitsversicherung, freie Bildung, nicht komplett den Bach runtergehen. Trotzdem schlagen wir vor, dass wir mehr wollen sollten. Dass wir an allen möglichen Ecken und Enden anfangen sollten, Knappheit und Ignoranz den Boden zu entziehen, indem wir genau diese sämtliche Ecken und Enden
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anders organisieren, nach Maßgabe anonymer Liebe. Das klingt nur so lange naiv, wie man sich nicht vorstellt, dass jedes bisschen Welt, das wir auf diese Weise umfunktioniert haben und dann verteidigen, bereits eine Ressource zum weitermachen ist.
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Die Frage, ob etwas revolutionär ist, entscheidet sich manchmal nicht an der Größe, sondern an der Ausdauer. Das wiederum heißt, dass auch sehr kleine Dinge bereits der Anfang einer größeren Revolution sein können. Das hat die schwarze Feministin Francis Beer perfekt auf den Punkt gebracht, wenn sie sagt,
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We must begin to understand that a revolution entails not only the willingness to lay down our lives on the firing line and get killed. In some ways, this is an easy commitment to make. To die for the revolution is a one shot deal.
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To live for the revolution entails the much more difficult commitment of changing our day to day life patterns. Für die Revolution zu leben und damit die Revolution zu leben, damit anzufangen ist in jedem Moment möglich. Wirklich in jedem. Deswegen endet das aktuelle Album von Kate Tempest in
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einer nicht besonders schönen stürmisch kalten Nacht in London mit diesen Zeilen. I'm out in the rain. It's a cold night in London. I'm screaming at my loved ones to wake up and love more. I'm pleading with my loved ones to wake up and love more. Danke schön.