Vom Reden im Netz
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Formal Metadata
Title |
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Title of Series | ||
Number of Parts | 234 | |
Author | ||
License | CC Attribution - ShareAlike 3.0 Germany: You are free to use, adapt and copy, distribute and transmit the work or content in adapted or unchanged form for any legal purpose as long as the work is attributed to the author in the manner specified by the author or licensor and the work or content is shared also in adapted form only under the conditions of this | |
Identifiers | 10.5446/33151 (DOI) | |
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Abstract |
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re:publica 201713 / 234
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TwitterTwitterSpeciesComputer animationJSONXMLUMLLecture/Conference
02:09
Perspective (visual)VibrationPasswordLecture/ConferenceMeeting/InterviewComputer animation
05:25
InternetZahlSoftware developerNumberSicker <Programm>BootingSeries (mathematics)Lecture/ConferenceMeeting/Interview
08:18
VibrationStreaming mediaVibrationScale (map)Hydraulic jumpLecture/ConferenceMeeting/InterviewComputer animation
10:23
EmailLecture/Conference
11:18
Software developerForceLecture/ConferenceMeeting/Interview
12:30
Digitizing
13:52
Lecture/ConferenceMeeting/Interview
14:50
InternetPrinciple of maximum entropyPhysical quantityOnline chatTwitterComputer animationLecture/ConferenceMeeting/Interview
15:48
VibrationFacebookLecture/ConferenceMeeting/Interview
17:09
PositionVibrationPositionInternetWordLecture/ConferenceComputer animation
18:44
Coordinate systemDirection (geometry)Sound effectLecture/ConferenceComputer animation
20:33
KanteComputer animationLecture/ConferenceMeeting/Interview
21:57
ProblemanalyseHeuristicOnline chatBlogFacebookMeeting/InterviewLecture/ConferenceComputer animation
22:58
Wind waveFacebookEigenvalues and eigenvectorsLecture/ConferenceComputer animationXMLUML
24:11
SequenceZusammenhang <Mathematik>Lecture/Conference
25:19
Partition of a setSocial softwareLecture/ConferenceMeeting/InterviewDiagram
27:18
Moment (mathematics)InferencePerspective (visual)Lecture/Conference
28:22
InternetFacebookGrößenverhältnisOnline chatWordLecture/Conference
29:42
MEGAVibrationLecture/Conference
30:40
Point (geometry)PositionWordFacebookMoment (mathematics)Lecture/ConferenceMeeting/Interview
32:39
DataflowPlane (geometry)Perspective (visual)VibrationLecture/Conference
33:36
Lecture/Conference
34:31
makeSteinbach, ErikaPositionComputer animation
35:56
PositionLecture/Conference
36:49
FacebookWordLecture/ConferenceMeeting/Interview
38:16
SummationLecture/ConferenceMeeting/Interview
39:56
MassRandPhysical quantityLecture/ConferenceComputer animationMeeting/Interview
40:49
Hand fanKommunikationLecture/Conference
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User interfaceMoment (mathematics)Lecture/ConferenceMeeting/Interview
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Mathematical analysisMultiplicationContent (media)RollbewegungParameter (computer programming)Lecture/ConferenceMeeting/InterviewComputer animation
44:26
Computer wormKOP <Programmiersprache>TwitterSturm's theoremLecture/ConferenceMeeting/InterviewXML
46:16
DataflowLecture/ConferenceMeeting/InterviewComputer animation
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InternetTouchscreenPhysical quantityMetreNormal (geometry)InternetLecture/ConferenceMeeting/Interview
49:28
Meeting/InterviewLecture/Conference
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Keim <Mathematik>TwitterWordLecture/ConferenceMeeting/InterviewComputer animation
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Valuation using multiplesLink (knot theory)PositionLecture/Conference
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DemosceneKanteLecture/ConferenceMeeting/Interview
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InternetPhysical quantityKanteNumberNewton's law of universal gravitationMeeting/InterviewLecture/Conference
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Data modelFacebookOutlookWorld Wide WebInformationLecture/Conference
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Sound effectCorrelation and dependenceDistortionVariable (mathematics)InformationSound effectCorrelation and dependenceBlind spot (vehicle)Lecture/ConferenceComputer animation
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Heat waveCorrelation and dependenceEmoticonTouchscreenSeries (mathematics)Heat waveSound <Multimedia>Moment (mathematics)Lecture/ConferenceMeeting/InterviewComputer animation
01:00:58
Pascal, BlaisePascal, BlaisePascal, BlaiseParameter (computer programming)Point (geometry)Lecture/ConferenceMeeting/Interview
01:02:17
Lecture/ConferenceMeeting/Interview
01:03:29
Lösung <Mathematik>Lecture/ConferenceMeeting/Interview
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Digital object identifierPDF <Dateiformat>Direction (geometry)ADELE <Programm>Durchschnitt <Mengenlehre>Computer animation
01:05:17
Wireless LANComputer virusVersion <Informatik>PositionValue-added networkLecture/Conference
01:06:47
World Wide WebLecture/Conference
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WordLinieKanteLecture/ConferenceMeeting/Interview
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Computer animation
Transcript: German(auto-generated)
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Es ist immer wieder sehr schön hier herzukommen, wie eine Familie mit dem strengen Stiefvater,
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der fragt, warum das Studium noch nicht zu Ende gemacht worden ist. Der Erwartungsdruck ist sehr, sehr groß, auch für mich. Ich möchte aber anfangen mit etwas, was mir wichtig ist und euch hoffe ich sehr.
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Auch was eigentlich mit allem zu tun hat, ich möchte anfangen damit. Ich verzeihe euch euren eher höflich als engagiert klingenden Applaus
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und möchte hinzufügen, dass es natürlich nicht nur für Dennis Yücel gilt, sondern auch für alle anderen, die gefangen sind für ihre aufklärende Arbeit. Heute ist ein besonderer Tag und zwar auf mehrere Arten und Weisen.
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Zunächst vielleicht etwas Persönliches. Ich bin exakt heute zehn Jahre auf Twitter. Das hört sich heute komisch an, aber damals hatte ich das Gefühl,
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ich sei einer der allerletzten. Ich weiß also ungefähr, wie man sich so als Nachzügler fühlt. Das ist ja immer eine Subjektive. Und wenn ihr genau hinschaut, dann seht ihr, dass man in allererster Tweet nur 20 Fafs bekommen hat und fünf Retweet. Ich kann mich also in euch ziemlich gut reinfühlen.
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Und trotzdem wird das natürlich heute überhaupt keine Beschimpfung. Das schicke ich voraus. Ich habe gesagt, heute ist ein Multiple, ein mehrfach besonderer Tag, denn heute ist auch und das möchte ich aus historischen Gründen niemals vergessen, der Tag der Befreiung,
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von dem ich finde, dass er ein Feiertag sein sollte. Ich habe irgendwo gelesen, dass Bayern ungefähr 47 Feiertage im Jahr hat und Berlin und Hamburg nur drei.
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Aber den sollen die Bayern auch kriegen. Ich bin da großzügig, ich bin eh selbstständig, mir sind Feiertage egal. Aber ich möchte das als Steilvorlage benutzen, den Tag der Befreiung, der 8. Mai, in diesem Kontext der 8. Mai 1945, um überzuleiten, eine sensationelle Überleitung,
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wie ich finde, nämlich zur Rekapitulation. Was bisher geschah, Previously on Earth würde man vielleicht sagen, das erste Verstörende seit meiner letztjährigen Rede zur Lage der Nation, das ist ja mal so der Untertitel, auch wenn ich das nicht dazuschreibe,
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das erste Verstörende für die Welt muss wahrscheinlich sein, dass wir jetzt in einer Zeit leben, wo man mit nichts als der Qualifikation seiner Frisur auch US-Präsident werden kann und ich weiß, das findet ihr noch etwas seltsamer als ich.
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Wir leben jetzt auch in einer Zeit, um das ganz präzise zu sagen, in der wir rausfinden müssen, dass man sich, das wissen wir dank Brexit, mit Anlauf ins Knie schießen kann, das galt vorher als anatomisch vollkommen unmöglich
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und wir leben ebenso in einer Zeit, wo man sich offenbar freuen muss, wenn nur 33% wie in Frankreich oder nur 49% wie in Österreich der Wähler rechtsradikal wählen. Nur, ja, das sehr verhaltener Applaus,
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das übersetze ich mal, ihr seid ja mehrheitlich Nerds oder wollt welche sein, weil das inzwischen hip ist, das ist ungefähr so, als müsste man sich darüber freuen, dass man 67% des Wählernpassworts kennt. Das ist die Ausgangslage aus meiner Perspektive
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und diese Perspektive beziehe ich erstmal auf mich selbst. Ich bin da genau wie ihr, bloß sage offener, dass ich egozentrisch bin und dauernd Selfies verschicke im Netz. Ich spüre etwas und das ist nichts Schönes, ich spüre eine Erschütterung seit einiger Zeit.
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Es hat sich irgendwas verändert und diese Veränderung hat etwas mit mir gemacht. Ich beschäftige mich seit ungefähr Ende 2014 mit diesem Prozess, hauptsächlich, weil damals Pegida groß geworden ist als die erste echte politische Online-Offline-Bewegung
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in Deutschland. Da war also in Hochzeiten 160.000 Mann und Frau, aber eher Mann, starke Facebook-Seite, die es geschafft hat, immer und immer und immer wieder bis zu fünfstellige Zahlen von Menschen auf die Straße zu bekommen. Und das hat sich gegenseitig und miteinander verstärkt.
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Dazu kamen Entwicklungen wie AfD und die internationalen Entsprechungen, die ich in den sozialen Medien, vor allem in den sozialen Medien, seit Ende 2014 beobachte. Und jetzt ist es ja kein Geheimnis, dass ich schon länger mich in Bereichen des Netzes rumtreibe,
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die jetzt nicht zu den höflichen der Welt zählen. Man könnte quasi sagen, das Nichtschwimmerbecken der Etikette im Netz. Aber es hat sich auch was verändert, weg vom Trollen hin zu etwas, was ich mal spontan mit dem Begriff Hassrede umschreiben möchte.
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Ich zitiere mal eine Mail, die ich in dem Kontext bekommen habe, im Sommer 2015 anlässlich eines Artikels, wo ich relativ unverblümt gesagt habe auf Spiegel Online, dass ich es nicht richtig finde, Boote mit Flüchtlingen im Mittelmeer abzuschießen.
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Ich dachte eigentlich, das wäre so eine Minimalforderung, auf der sich die meisten Leute einigen können. Habe ich so aber offenbar falsch eingeschätzt. Die Mail sieht so aus. Danke für den Artikel. Einen besseren Beweis für die Notwendigkeit staatlicher Entsorgungsbetriebe für Volksschädlinge
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kann es nicht geben. Mal ganz im Ernst, so ein krankes und entartetes Stück Scheiße wie dich muss SICK man vergasen. Eigentlich noch viel zu human, aber man ist ja kein Unmensch. Dauert bestimmt auch nicht mehr lange, bis du und der restliche Menschenmüll bei Spon fällig bist. Gibt genug Leute, kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat.
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Also gut aufpassen, du widerliche Missgeburt, der Wind dreht sich. Ich empfinde mich nicht, auch wenn das vielleicht komisch ist, als Opfer, ehrlich gesagt. Im Gegenteil, ich habe eine ganze Reihe von Privilegien, zum Beispiel das Privileg, dass ich seit über 10 Jahren
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konfrontiert werde mit Hass im Netz. Zuerst in Form von Treuen oder irgendwelchen Beschimpfungen. Später in Form von irgendwelchen Leuten, die bei mir vor der Tür standen, angetrunken. Aber ich habe eine gewisse Übung da drin, wie man mit Leuten umgeht, die einen beschimpfen.
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Und trotzdem ist hier etwas anders. Und nicht nur die Heftigkeit der Beleidigungen, sondern auch etwas, was man am Anfang so spürt, was dahinter steht. Und wie gesagt, ich bin hier nicht das Opfer. Es gibt viele Menschen, die viel dramatischere Sachen aushalten müssen und eben die nicht das Training haben, das ich in diesem Kontext habe.
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Aber es ist ziemlich bezeichnend, dass diese Form von Hassrede in den meisten Fällen von einer Gruppe auszugehen scheint. Einer Gruppe, einer gesellschaftlichen Gruppe, die zumindest selbst glaubt, dass sie immer wichtiger wird. Der Wind dreht sich, gibt genug Leute. Diese Erschütterung hat sich im letzten Jahr
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natürlich intensiviert. 2015 habe ich angefangen, damit umzugehen. Viele andere ja auch. Diese Erschütterung hat sich intensiviert. Vom Pegida FD hin zu Österreich, Brexit, Trump, Erdogan. Und immer ist ein bisschen mehr
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Erschütterung dazugekommen. Immer ist auch ein bisschen mehr Ermüdung dazugekommen. Ziemlich interessant in diesem Kontext fand ich, dass bei den viel letztgenannten Österreich, Brexit, Trump und Erdogan die Verteilung bei den
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jeweiligen Wahlen so aussah, nach dem Muster 51 zu 49. Eine ganz leicht vereinfachte, idealisierte Zählweise. Ich habe immer die Maßstäbe genommen, die mir in den Kram gepasst haben. Aber trotzdem könnte man auf den ersten Blick denken, als Nebenbeibeobachtung, dass es hier um maximale Polarisierung
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geht. Also die eine Hälfte gegen die andere Hälfte. Und vermutlich ist das auch gar nicht falsch. Die Frage übrigens und Frankreich, die man seit gestern beantworten kann, wieso jetzt in Frankreich nur ein Drittel? Die New York Times hat darauf vorhin eine Antwort gefunden.
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Und diese Antwort heißt, dass es kein Fox News in Frankreich gibt. Zumindest zum Teil. Zum anderen Teil, weil offenbar in Frankreich, als unmittelbar vor den Wahlen das Leak von Macron
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geleakt worden ist, dass da einfach schon eine News-Sperre rund um die Wahl in Gang war. In dem Kontext ist es ziemlich interessant, mal Herrn Assange zu beobachten und die Verbindungen, die er so eingeht. Ich habe mir mal ganz genau angeschaut, wann die Clinton-E-Mails angefangen
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wurden zu Leaks bzw. wann die Leaks rund um die Clinton-Mails angefangen haben. Das war exakt eine halbe Stunde nach dem Bekanntwerden von Trump's Grab Them By The Pussy. Nur mal so als Einordnung. Wir haben jetzt also eine Situation,
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die ich mal ein bisschen zusammenfassen möchte, dass The New York Times sagt, wir haben kein Fox News in Frankreich und deswegen konnten diese Leaks nicht wahlentscheidend werden. Eine Einschätzung, die man teilen kann oder auch nicht. Aber es ist schon interessant, das habe ich hier mal sehr vereinfacht aufgezeichnet, dass überall dort, wo traditionelle Medien
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mit einstimmen in so eine spezielle Form der Radikal-Boulevarderie, offenbar diese ziemlich starke Polarisierung in Kraft geht. Ich bin jederzeit gern mit dabei und schreibe darüber jeden ganzen Tag eigentlich, die sozialen Medien für alle möglichen Entwicklungen
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mitverantwortlich zu machen. Aber hier darf man auf keinen Fall in meinen Augen die redaktionellen Hetzmedien vergessen, die häufig mit den sozialen Medien ein Amalgam der Boshaftigkeit bilden. Und genau
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deswegen glaube ich, dass das, was ich hier versuche, eigentlich eine Instrumentalisierung der sozialen Medien im positiven Sinn ist. Mein Vortrag heißt Vom Reden im Netz Serviervorschlag zur Stärkung
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der liberalen Demokratie mithilfe der sozialen Medien. Aber zunächst mal eine Beschreibung von dem, was ich so gemacht habe in dem letzten Jahr. Ich war das letzte Jahr hindurch extrem beschäftigt. Ich hatte bis in die Details extrem viel
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ausgiebig zu tun, musste mich kümmern um verschiedene Dinge und habe aber gleichzeitig wie eben bei der Einführung schon gesagt worden ist so ein bisschen versucht die Diskussionen nicht aus dem Blickfeld geraten zu lassen. Vorausschicken muss ich dem ganzen Vortrag eine
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persönliche Verortung. Ich glaube, dass wir in einer Zeit leben, wo eine Transparenz, die im 20. Jahrhundert noch als absurd galt, heute für jeden, der in der Öffentlichkeit eine Stimme, eine laute Stimme hat, geradezu Pflicht ist. Meine persönliche Verortung ist deshalb, dass ich mich empfinde als linksliberaldemokratischer
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Verfassungspatriot, überzeugter Europäer, Globalisierungs- und Digitalisierungsgewinner und dass ich versuche Arbeit für digitalgesellschaftliche Aufklärung zu machen. Das heißt alles, was ich jetzt sage, meine Beobachtung, meine Einschätzung, meine Analysen, meine Anleitungen, die sind immer unter diesem
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Blickwinkel zu sehen. Wenn man andere politische Auffassungen hat, wenn man zum Beispiel sagt Verfassungspatriot, was soll das sein, dann antworte ich naja, wir leben in einem Land, wo unsere Großeltern und Urgroßeltern viele Millionen Menschen ermordet haben. Wir müssen uns dazu ja irgendwie verhalten und die überbordende Freude will mir jetzt nicht so
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sehr aus dem, also benutze ich dieses schöne Konzept des Verfassungspatriotismus, in dem ich total stolz auf unser Grundgesetz bin und die Werte, die darin verankert sind und jedes Mal, wenn ich irgendwie für die Nationalmannschaft schreie, auch ein bisschen an das Grundgesetz denke.
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Ich gebe zu, das ist eine sehr an den Haaren herbeigezogene Begründung, aber das ist meine Spezialität. All die Jahre habe ich im Internet genau wie ihr Millionen von Memen vorbeiziehen, sehen,
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aber erst in den letzten zweieinhalb Jahren, eigentlich sogar erst 2016, konnte ich genau verstehen, was eine von diesen Zitaten bedeutet hat, nämlich das Zitat von Churchill, als er sagte Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen, abgesehen von allen anderen Regierungsformen,
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die wir ausprobiert haben. Also Churchill, der große Twitterer, bevor Twitter, dieses Zitat konnte man ja wirklich sehr oft neben Fotos von Benjamin Franklin lesen. Und man kann es so vorbeiziehen lassen und denken, ja ist einfach ein witziges Zitat, jeder hat mal was Kluge gesagt und manchmal was Dummes und dann bleibt es in der Nachwerte erhalten oder auch nicht.
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Aber was das genau bedeutet, findet sich vielleicht in der Überschrift wieder, Schmerzen der Demokratie. Und bei mir haben sich diese Schmerzen manifestiert, in der vorher schon erwähnten Erschütterung. Und für diese Erschütterung hat eine Frau einen perfekten, einen ganz
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kleinen Satz gefunden, der diese Erschütterung, der meine Erschütterung hervorragend umreißt. Es handelt sich um Anja Meyer, sie ist bei der Taz als Parlamentskorrespondentin und sie hat schon 2013 im Kontext von Flüchtlinge und Facebook, weil sie in einem Brandenburger Dorf wohnt,
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geschrieben, ich dachte, wir wären weiter. Ich glaube, dass es wichtig ist, sich seine eigene Erschütterung einzugestehen. Ich dachte wirklich, wir wären weiter.
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Ich habe da in die Köpfe geguckt in Facebook und habe Sachen gesehen, von denen ich nicht gedacht hätte, dass sie jemand so einfach sich traut zu veröffentlichen. Diese Erschütterung hat mich eigentlich persönlich nicht so stark getroffen, dachte ich zunächst, wie so ein Weltempfinden, so ein Gesellschaftsempfinden. Aber je stärker
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ich nachgeguckt habe, je mehr ich in mich reingeschaut habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass diese Erschütterung zwar doch einige Leute teilen, gerade in meinen linksliberaldemokratischen Medienpeople-Zirkeln und den Internet-Leuten, die alles schon vorher ganz genau wussten, wie es danach ist,
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aber ich habe trotzdem gemerkt, da ist etwas, was diese Erschütterung über mich sagt. Ich habe deswegen eine Analyse der Erschütterung versucht, habe gesagt ok, Trump, ja, kann man Ungut finden, ist total richtig, ist auch Ungut. Aber welchen Anteil habe
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ich eigentlich selbst an meiner Erschütterung? Worum bin ich ein bisschen zu weit, ganz offenbar etwas zu weit gelaufen und wurde jetzt so zurückgehalten? Ich habe zum Beispiel gemerkt, dass ich ein Eingeständnis machen muss, was meine eigenen politischen Diskussionen der letzten Jahre angeht. Ich habe nämlich
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bei meinen Positionsbestimmungen in den letzten Jahren viel zu viel Selbstvergewisserung betrieben. Ich habe bei allen oder fast allen oder doch mindestens vielen Dingen, die ich so in die Welt rausgeschrien habe, habe ich nicht nur der Welt meine Position erklärt, sondern immer auch ein bisschen mir. Und ich habe häufiger versucht,
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mich selbst davon zu überzeugen, dass es wirklich richtig ist, indem ich besonders harte und besonders klare Worte gewählt habe. Das ist jetzt nicht unbedingt die Art und Weise, wie man sich im Internet nur Freunde macht. Gerade bei Diskussionen, die ein bisschen delikater sind.
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Das ist ein Eingeständnis, das nicht meine politischen Positionen durcheinander wirbelt, aber vielleicht die Art und Weise, wie ich mit meinen politischen Positionen umgehe. Und das ist der erste Schritt in diese Richtung, die ich aufzeigen möchte. Und leider habe ich auch etwas anderes an mir bemerkt. Ich versuche so ein bisschen so eine schonungslose
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Selbstschau zu betreiben. Ich bin nämlich weniger tolerant geworden. Ich glaube, dass man in einer Demokratie auch schwierige, unangenehme und sogar auch kreuzdämliche Meinungen aushalten muss. Zumindest weitgehend, zumindest dann, wenn sie nicht direkt Hetze sind. Und ich glaube
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aber auch, dass die Grenze zur Menschenverachtung nicht besonders leicht zu ziehen ist. Und genau dabei zu sagen, ist das schon Menschenverachtung? Oder ist das noch sehr, sehr doof? Dabei bin ich weniger tolerant geworden. Vor allem, weil doof
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hier ja nur für doof in meinem Koordinatensystem steht. Das kann aus Sicht von anderen Menschen undoof oder vielleicht sogar klug sein. Ich habe gemerkt, dass ich sehr viel schneller wütend geworden bin. Und habe mich gefragt, warum eigentlich? Warum bin ich wütender geworden und weniger tolerant?
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Ich glaube, dass das auch ein Effekt von sozialen Medien sein kann. Soziale Medien als völlig vermeintes Gelände. Ich glaube nämlich, dass wenn man den ganzen Tag mit diesen vielen Meinungen in sozialen Medien konfrontiert wird, dann verliert man irgendwann
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die Geduld in diesem Meinungshagel. Denn andere Menschen haben ja diese unangenehme Eigenschaft, manchmal eigenständige Meinungen zu haben. Ihr kennt das Problem sicherlich. Das hat eine Rückwirkung auf mich, dieses Sauerwerden, das wütend werden. Und es hat natürlich bis zu einem bestimmten Punkt auch Einfluss auf meine Arbeit, nämlich
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die Arbeit für digitalgesellschaftliche Aufklärung. Wenn ich also meinen Weltverbesserungsansatz sehen möchte, dann muss ich den feinjustieren. Meine Arbeit für digitalgesellschaftliche Aufklärung muss natürlich auch sich an Ergebnissen messen lassen. Und das ist
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natürlich nicht nur meine Arbeit, das wäre jetzt ein bisschen sehr größten Wahnsinn, sogar für mich. Aber das, was ich versucht habe zu tun, dieses Aufklären, das immer wieder sagen und diese klare Kante und harte Grenzen ziehen, das hat jetzt auch in anderen Ländern nicht so rasend gut geklappt. Ich hab ja Teile meines Ansatzes mir einfach abgeschaut, zum Beispiel
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aus den Vereinigten Staaten. Wenn also die Wirkung meiner Weltverbesserungsmethode, diese Arbeit für digitalgesellschaftliche Aufklärung, wenn die also nicht so funktioniert, wie ich mir das erhofft habe, dann benutze ich den einfachen Schluss, change a losing team und versuche die Wirkung
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weiterzuentwickeln. Und das Wichtige ist, es geht hier um die Methode. Es geht hier nicht um das Ziel, es geht nicht darum zu sagen ach, irgendwie liberale Demokratie war doch doof, ich werde Nazi. Obwohl man mit meiner Frisur inzwischen auch narzt, aber das ist was, es geht also
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darum seine Methodik weiterzuentwickeln, aber dazu muss ich erstmal eine Problemanalyse betreiben. Was ist überhaupt falsch? Was läuft hier gerade schief gesellschaftlich? Ich habe dafür seit ungefähr Januar 2016 eine Privateuristik betrieben.
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Privateuristik ist ein Wort, das ein bisschen klüger erscheint, als ich habe versucht zu spüren und zu raten und ganz viel zu lesen. Wie habe ich das getan? Ich habe ungefähr ein Jahr mich in Diskussionen
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hineingestürzt. Genauer gesagt habe ich auf Facebook, in verschiedenen Blogs und auch in Chats mit ungefähr 100 von mir als rechtsrechtsextrem empfundenen Personen, so wie mit 20 Personen aus dem weiteren Bekanntenkreis, die mir irgendwie an der liberalen Demokratie zu zweifeln schienen, angefangen zu diskutieren.
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Das war jetzt also der verhaltenste Applaus des Abends. Interessanterweise ist das nicht unbemerkt geblieben. Ich musste irgendwann etwas clandestiner und auch nicht immer unter meinem
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eigenen Namen operieren. Anfang des Jahres hat die Süddeutsche Zeitung darüber einen Artikel geschrieben, Max Czarnik, am 11. Januar die Rückkehr des Gentlemen, wo ausgerechnet ich als Beispiel dafür genannt worden sind. Nur weil er gesehen hat, dass ich in einer Diskussion mal nicht zurückpöbele, sondern versuche zu ordnen. Diese
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Diskussionen waren aber nicht nur welche, die ich selber geführt habe. Ich habe auch beobachtet unter anderem die Facebook-Gruppe Ich Bin Hier, deren Wirken ich sehr vorbildlich finde, wo man ganz fantastisch sehen kann, wie welche Diskussionsmechaniken funktionieren und welche eben nicht.
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Ein wichtiger Punkt in diesen Jahrdiskussion ist allerdings eine Formulierung auf einer Folie eben, wo ihr vielleicht die Stirn gerunzelt habt, aber euch nicht laut genug geräuspert habt. Ich habe
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nämlich geschrieben, dass ich mit rund 100 von mir als rechts- oder rechtsextremen empfundenen Personen diskutiert habe. Das ist ja vergleichsweise subjektiv empfunden. Diese Subjektivität habe ich aber in Kauf genommen
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und habe sie ganz konkret adressiert und habe versucht, mich daran zu empfinden. Rechts, rechtsextrem. Eine der Folgen ist übrigens, dass ich inzwischen nicht mehr rechtspopulistisch oder Rechte sagen, sondern Rechte und Rechtsextreme, damit sich alle gemeint fühlen und jeder weiß schon den Begriff, in dem er sich wiederfindet.
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Ich bin dabei auf verschiedene, in sozialen Medien verschiedene, sehr interessante Zusammenhänge gestoßen. Das erste ist, dass es nicht nur Rechte und Rechtsextreme gibt, sondern Leute, wo man sagen muss, dass die irgendwie eine Art fehlendes oder lediertes Immunsystem gegen rechts haben.
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Rechtsoffene habe ich das mal genannt. Der Begriff ist nicht von mir. Ich habe ihn mir geborgt. Ich weiß nicht, wie er offiziell definiert ist. Aber tatsächlich gibt es Menschen, die sagen, ja, okay, da vorne ist jemand, der meint, wir sollten alle syrischen Flüchtlinge sofort an der Grenze ermorden. Das finde ich falsch, aber ich demonstriere trotzdem
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mit ihm zusammen. Also Leute, die irgendwie Schwierigkeiten in der Abgrenzung haben. Vorsichtig gesagt. Nee, das war doch nicht der verhaltenster Applaus vorhin. Der war jetzt da. Diese Leute, die ich also irgendwie als
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rechts- oder rechtsextreme empfunden habe und wo ich mal auf Spiegel Online gesagt habe, man kann die Nazi-Keule ruhig fleißig benutzen, einfach nur auch zur Abschreckung. Diese Leute, mit denen habe ich angefangen zu diskutieren und bin mit ihnen ins Gespräch gekommen und habe versucht, sie ein bisschen näher einzuschätzen. Ich habe also angefangen, sie zu unterteilen.
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Als Rechtsempfundene in sozialen Medien und zwar von mir empfundene. Darunter waren natürlich ganz normal, also Rechte und Rechtsextreme waren auf jeden Fall sehr eindeutig dabei. Auch so ganz klassische Nazis waren dabei. Aber in meinen Unterhaltungen, wo ich immer ein bisschen näher rangekommen bin, wo ich angefangen habe
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mit verschiedenen Menschen darüber zu sprechen, warum sie gerade etwas gesagt haben, warum sie zum Beispiel gerade gefordert haben, Menschen zu ermorden, habe ich gemerkt, dass diese Unterteilung vielleicht nicht immer ganz richtig ist, die ich bisher hatte, so Rechte, Rechtsextreme, Rechtsoffene, ein großer Topf, sondern das offenbar
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ein Teil zum Beispiel einfach Trolle und temporäre Ersche waren. Es scheint mir sehr häufig passiert zu sein, dass ich Menschen draußen als Nazi beschimpft habe, die in Wirklichkeit Ersche waren. Man kann das nicht ganz leicht
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nachvollziehen, aber das Wichtige daran ist dieses Temp, also temporäre Ersche, denn es ist relativ offensichtlich, dass manchmal die Einschätzung, die man hat, getrieben ist von genau dem Moment, in dem man sich bewegt. Und wir werden später noch sehen, dass der Moment manchmal falsche
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Schlüsse zulässt. Zusätzlich zu den als Rechtsempfundenen, die Rechtsextrem sind und zu den Trollen und Erschen, die einfach so, weil sie dachten, das sei cool oder witzig, irgendwelchen rechtsextremen Kram zum provozieren gemacht haben, zusätzlich
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kamen dazu die wütenden, die sehr wütenden und die sehr, sehr wütenden. Leute, also, wenn man die direkt angesprochen hat, die dann so gar nicht mehr in irgendeinem zurechnungsfähigen Modus waren. Aus meiner Perspektive ist es wichtig,
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das so zu unterscheiden, denn ich kenne mich selbst, wenn ich sehr, sehr wütend bin. Ich sage dann manchmal auch Sachen zu den Katzen, die ich eigentlich so nicht meine. Ebenfalls habe ich von mir als rechts- oder rechtsextrem empfundene Person kennengelernt als
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ängstliche Besorgte mit den falschen Friends. Da kommt zum ersten Mal diese sozialen Begegnung zum Tragen, wo Menschen mir in einem Chat auf Facebook gesagt haben, ja, das habe ich jetzt nur so gesagt, weil irgendwie kommt das auch bei meinen Friends ganz gut an.
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Ich verdichte das jetzt etwa. Auf keinen Fall verschweigen darf ich das, die ich als rechtsempfunden habe, mit einem Mal zwischendurch auch ganz normale Konservative waren, wo ich mich einfach in der Einschätzung so ein bisschen geirrt hatte, wo Menschen vielleicht
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mal was missverständlich gesagt haben, die waren ja eben konservativ und nicht rechts- oder rechtsextrem. An dieser Stelle ist es ziemlich wichtig nochmal ganz deutlich zu sagen, diese Größenverhältnisse sind so subjektiv, dass man sie eigentlich als zufällig betrachten muss. Sie hängen auch mit der Ausdehnung der einzelnen Worte zusammen.
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Das ist also eine Symbolverteilung. Die Konservativen gab es zum Beispiel einigermaßen oft und es gab auch Kombinationen. Also Menschen, die eben noch wahnsinnig wütend waren und die was gesagt haben, wo ich sagen würde, klare Nazi-Kiste und die danach sagen, ja, war vielleicht ein bisschen harsh,
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gleich allen den Tod zu wünschen. Aber diese Konservativen gab es tatsächlich, wenn ich näher rangekommen bin. Und schließlich als vorletzte Gruppe gab es die irritierten und verstörten, also Leute, die jetzt, nicht, also verrückt ist ein gemeines Wort. Das möchte ich so nicht benutzen. Das habe ich komplett ausgeklammert. Aber Leute,
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wo man gemerkt hat, da ist eine tiefe Irritation. Vielleicht so was ähnliches wie meine Erschütterung bloß spiegelverkehrt. Und schließlich gab es auch einige, da muss ich ganz offen sagen, da habe ich nicht die geringste Ahnung, wie die drauf gewesen sind. Diejenigen also, die ich vorher noch als
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rechtsrechtsradikal und eigentlich komplett über die Grenze des gerade noch erträglichen Fakten herausgehend empfunden habe, haben sich, je näher ich gekommen bin, jetzt vielleicht nicht in allen Punkten als total schnaffte Kollegen erwiesen, mit denen man endlich mal ein Bier trinken gehen kann und dann nochmal über den Holocaust, sondern
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sie haben sich als Menschen erwiesen, die schon eine gewisse Facettierung haben und die in diesen Diskussionen manchmal so was ähnliches wie sogar aus meiner Position Vernunft gezeigt haben, auch wenn sie eine sehr, sehr andere Meinung hatten. Und das hat etwas mit mir gemacht, das möchte ich ganz
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offen bekennen. Denn ich habe versucht diese Leute zu verstehen und irgendwie, ist es komisch, aber schon vom Wort her, hängt Verstehen und Verständnis miteinander zusammen und zwar etwas stärker, als ich gehofft hatte. Noch mal ganz genau gesagt, dass ich häufig Leute für Nazis gehalten habe, die eigentlich nur genau in diesem
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Moment Ärsche waren und ich war auch schon mal ein Arsch. Das soll jetzt nicht sagen, es ist völlig okay, auch mal ein bisschen Nationalsozialismus auf Facebook rauszulassen. Es soll aber schon die Erklärung dafür, oder zumindest eine Erklärung anbieten. Leider habe ich jetzt nicht mehr weniger Angst, sondern mehr. Immerhin kann ich sie
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besser bewältigen und ich glaube, eine Art Gegenmittel zu sehen. Ich hoffe eigentlich, eine Art Gegenmittel zu sehen. Und dazu muss man diesen Erklärungsansatz natürlich nicht nur what the fuck is wrong, sondern auch how the fuck is what the fuck wrong aufbohren. Ich bin
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als Erklärung auf eine Metapher gekommen, die mir am Anfang total einleuchtend erschien. Je länger ich sie benutzt habe, wurde sie immer wirrer. Irgendwann war sie eine totale Katastrophe, hat gar nicht mehr funktioniert und dann dachte ich aber irgendwie, ne, doch, ich mute sie euch zu. Und zwar
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habe ich irgendwann gedacht, dass die politische Ebene der liberalen Demokratie, dass das eine Insel ist, eine Insel der liberalen Demokratie, auf der wir stehen, mit unseren Haltungen und Meinungen. Das Inselgleichnis. Und diese Insel schwimmt in einer bräunlichen
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Brühe, wie man sieht. Das ist nicht etwas Scheiße, sondern das Meer des Autoritären, vielleicht also ein bisschen doch Scheiße. Diese Insel der liberalen Demokratie und das Meer des Autoritären drumrum, das kommt auch so ein bisschen durch diese Erschütterung, dass ich gemerkt habe,
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ich bin von Selbstverständlichkeiten ausgegangen, dass da draußen ganz viele Leute sind, die im Zweifel vielleicht doch so eine gewisse Vernunft mitbringen. Und ich musste feststellen, aus meiner Perspektive ist das nicht voll tragbar. Und zwar nicht deswegen, weil die Leute nicht vernünftig sein, sondern weil die auf eine andere Art vernünftig sind als ich
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oder manchmal eben auch gar nicht. Die Insel der liberalen Demokratie, die könnte man ungefähr so betrachten, dann ist auf der einen Seite eben so die politische Meinung A und auf der anderen Seite die politische Meinung B. Ich habe jetzt mal eine schwarze und eine rote Fahne gemacht. Einfach zufällig politisch als gegensätzliche Lager.
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Und jetzt haben wir aber die Situation in den letzten Jahren auch messbar für mich, dass man so rein vom Gesellschaftsempfinden mit dem technologischen Fortschritt damit einhergehend auch einen gesellschaftlichen Fortschritt bekommen hat. Und zwar zum Glück. Ich freue mich sehr über diesen gesellschaftlichen Fortschritt. Mir war sogar an vielen
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Stellen zu langsam und ich bin ziemlich sicher, dass er euch vermutlich auch zu langsam war. Aber das gilt ganz offenbar nicht für alle Leute. Was gesellschaftlich akzeptabel ist, hat sich immer Stückchen für Stückchen weiter ins Liberale verschoben. Und da sogar tendenziell ins
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Linksliberale, auch wenn wir das vielleicht nicht so sehen. Aber wir haben ja dafür gekämpft. Ich habe auch dafür gekämpft, dass es eine Veränderung gab. Eine positive Veränderung. Aber tatsächlich gab es Mechanismen dabei, wo nicht alle Leute mit gekommen sind. Das hier ist ein Tweet aus dem Jahr 2016.
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Trying to make a joke that doesn't offend anyone in 2016. Und wenn man das sich auf der Zunge zergehen lässt und sich ziemlich genau anguckt, was passiert es in den letzten 20 Jahren, dann findet man zum Beispiel heraus, dass man noch 1997
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gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe stimmen konnte, wie das Norbert Blüm, Peter Ramsauer, Theo Weigel, Friedrich Merz, Dagmar Wörl, Horst Seehofer und völlig überraschend auch Erika Steinbach getan haben. Das ist 20 Jahre her.
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Eine Position, die man heute als mindestens rechtsradikal betrachten würde. Und trotzdem haben sich Menschen, die eigentlich doch liberal sind, enthalten, wie Autograf Lambsdorff, Hermann Otto Solms, Wolfgang Gerhardt und sogar Guido Westerwelle. Zu einem Thema, wo man heute nicht mehr
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geteilter Meinung sein kann, war man damals offenbar geteilter Meinung. Und es gab zwar so ein bisschen Aufregung und auch Beschimpfung, aber das war eine Position, die sich im Parlament wiedergefunden hat. Und gleichzeitig ist das ja nicht nur parlamentarisch so,
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sondern eben auch bei den Leuten selbst. Hier sieht man die Reaktion, als Peter im Freundeskreis einen sexistischen Witz erzählt hat, 1987. Und hier sieht man die gleiche Situation. Peter erzählt einen sexistischen Witz 2017. Und er kriegt
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einen Kick, von dem ich nicht weiß, wie er heißt, mit einem brennenden Fuß. Das, was auffällt, ist hier zum Beispiel der Begriff Friendeskreis, den ich absichtlich gewählt habe. Denn natürlich steht etwas dahinter, was direkt mit den sozialen Medien zu tun hat. Denn es verschwimmen privates Umfeld und Öffentlichkeit. Auf einmal gelten im
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Digitalwohnzimmer, im gefühlten der großen Öffentlichkeit. Da kriegt man auf einmal in die Fresse das, was man seit 30 Jahren am Stammtisch sagt. Sagt man jetzt am digitalen Stammtisch. Und auf einmal kommt die Schwester von der Arbeitskollegin, die das in die Timeline gespült hat, bei Facebook und sagt, bist du
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bescheuert? Und so weiter. Und meldet das beim Arbeitgeber und so weiter und sofort. Da ist natürlich auch viel Symbolik im Spiel. Und zwar genau dann, wenn Worte, die man selber schon gesagt hat, als eine, sagen wir mal so, mittelsexistische
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Person. Wenn die auf einmal bei anderen öffentlich sanktioniert werden. Wenn man also sieht, der hat sowas gesagt und der wird dafür gerade scheinbar gekreuzigt. Aber ich habe ja gestern auch sowas gesagt. Das muss ich schnell löschen. Versteht mich nicht falsch. Ich betreibe diese Sanktionierung aktiv mit und ich glaube auch, dass sie nicht ganz falsch ist.
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Ich glaube, dass es richtig ist, Menschen darauf hinzuweisen, wenn sie die sexistischen oder antisemitischen oder rassistischen direkt posten. Aber die Art und Weise, wie das geschieht, führt schon zu, dass diese Leute sagen, früher konnte ich das noch sagen und heute kann ich das nicht mehr sagen, ohne in die Fresse zu bekommen. Da ist also
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ein Wandel in den Köpfen. Und ich glaube, dass der Teil dieser Problematik ist. Und ein anderer Teil dieser Problematik ist, dass diese braune Brühe in der liberalen Demokratie immer so ein bisschen weiter ansteigt durch eine sehr komplizierte
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Verkettung von Ursachen, die ich mich nicht getraut habe, zu Ende zu analysieren. Und während diese braune Brühe so ein bisschen ansteigt und man diesen gesellschaftlichen Fortschritt vorantreibt, wird der Raum auf der Insel selbst immer enger. Ganz klar, man rückt näher zusammen.
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Im Vergleich zu 20 Jahren, als man noch als CSU-Mitglied konnte man noch, als CDU-Mitglied konnte man auch noch gegen die Vergewaltigung in der Ehe, die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe sein, könnte man heute so nicht mehr. Also es wird so ein bisschen enger. Und ich finde das
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gleichzeitig sehr gut, dass es enger wird, aber es hat auch schlechte Elemente. Ich glaube nämlich, dass diejenigen, die nicht so mitgekommen sind mit unserer gesellschaftlichen Entwicklung, dass die jetzt auf einmal, weil sie nicht näher rangegangen sind, so mit den Füßen schon in der seichten braunen Brühe stehen und sich
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so ein bisschen wundern, warum sie nass werden und vor allem, warum jemand auf sie zeigt, jemand wie ich, der ist schon an der Grenze, der ist nass. Ich glaube, dass wir deswegen um diese Insel kämpfen müssen. Und das ist nicht nur meine Meinung, sondern das ist auch die Meinung von Herrn Habemaas,
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der eine demokratische Polarisierung fordert. Also eine Polarisierung auf der Insel. Wir brauchen wieder eine größere Insel. Meinungen, also die zwar sehr weit auseinandergehen, aber trotzdem noch mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
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Da gibt es also nicht nur die Polarisierung 49 51, von der ich vorher sprach, die falsche Polarisierung, sondern ganz offenbar gibt es auch eine richtige Polarisierung. Und wie kämpft man um die in den Grenzbereichen von dem, was gerade noch okay ist, was vielleicht ein bisschen
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eklig klingt, aber demokratisch noch okay ist. Wir kämpfen also an den Rändern. Und für diesen Kampf habe ich eine Art kleine, naja, so eine halbe Kommunikationstheorie aufgestellt. So eine Na-Ja-Kommunikationstheorie nenne ich. Ich bin kein Wissenschaftler,
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ganz explizit nicht. Ich bin nur Beobachter von Phänomenen. Also bitte ich bitte die Kommunikationswissenschaftler jetzt aus meinen Na-Ja-Kommunikationstheorien eine echte zu schnitzen oder diejenige zu finden, die das längst beschreibt und die ich bloß übersehen habe. Aber als ich mir diese Kommunikation genauer angeguckt habe, habe ich zum Beispiel gesehen,
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dass sich, im Gegensatz zu früheren Kommunikationen, soziale Medien auf einer ständigen Bühne abspielen. Man diskutiert nicht mehr ganz normal, sondern es ist immer ein Publikum dabei, verpflichtend ein Publikum und potenziell sogar ein Publikum, was mehr oder weniger weltweit groß sein kann. Und daher redet man, wenn man
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das spürt, und das spürt jeder, daher redet man eben nicht nur mit seinem Gegenüber, sondern auch mit den unsichtbaren Dritten, mit den Friends. Alles, was ich sage, ist nicht nur auf die Person dort gerichtet, sondern immer auch ein bisschen auf meine Friends gerichtet. Und das wiederum trägt zur Selbstvergewisserung bei,
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zur schlechten Polarisierung. Und das weiß jeder, der schon mal geantwortet hat auf einen komischen oder doofen Kommentar, mit eigentlich keinem anderen Ziel, als ein paar Likes von seinen Friends zu bekommen. Das ist das Gegenteil von der Diskussion, die ich eigentlich wollte. Das wird übrigens auch gerade intensiver
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erforscht. 2016 hat dazu jemand in Nature etwas veröffentlicht. Third-Party-Punishment as a costly signal of trustworthiness will sagen die Essenz daraus. Es scheint ganz offenbar so zu sein, dass man gegenüber den eigenen Gruppen ganz besonders
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trustworthy, vertrauenswürdig wirkt, in dem Moment, wo man viel Zeit investiert, um diejenigen zu beschimpfen und zurechtzuweisen, die sich schlecht verhalten, im Sinne der Gruppe. Der zweite Punkt der sozialen Medien in meiner kleiner Jahrtheorie ist die
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Hyper-Emotionalisierung. Das Ziel sozialer Medien ist, Gefühle zu wecken. Sie nennen es Engagement, je nachdem. Und diese Hyper-Emotionalisierung kann schnell erschöpfend auf Einzelne wirken. Dieser Facebook- Algorithmus, von dem man so viel hört, der verursacht ja geradezu, dass das nach oben gespült wird,
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unabhängig von irgendwelchen Filterblasen, wo die Menschen am intensivsten reagieren. Also wird immer das Emotionalste nach oben gespült. Und das hat eine erschöpfende Wirkung, auch auf mich, speziell auf mich gehabt. Und gleichzeitig kann es auf besonders heterogene Gruppen, wo sich die Menschen unterscheiden, entzweiend wirken. In dem Kontext ist es interessant,
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dass genau diese Gefühle im sozialen Kontext dazu führen können, dass Leute trollen. Wir haben vorher bei den Rechten auch so ein Troll-Element gesehen, temporäre Arschlöcher gewissermaßen. Und tatsächlich scheint es so zu sein, dass man aus einer schlechten Laune heraus anfangen kann zu trollen, quasi um dagegen
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zu schießen. Oder weil mir die Diskussion zu entgleiten scheint, weil der andere irgendwie ein clevereres Argument bekommen hat. Oder weil ich mich ausgeschlossen fühle. Da ist Trollen quasi die Gegenmaßnahme dazu. Und schließlich, als dritten Teil dieser Kommunikationstheorie, die
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Empörung und Begeisterung. Und Empörung muss nichts Schlechtes sein. Natürlich nicht. Empörungsstürme können ja sogar richtig ein Abwehrsystem sein. Ich lehne diesen Begriff Shitstorm tendenziell ab, weil er diese Empörung diskreditiert. Aber genau diese Hyper-Emotionalisierung, dass immer das
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Emotionalisiertes nach oben kommt. Und diese Empörungsstürme, die können sich ziemlich kompliziert aufschaukeln. Und ich habe mir das im Detail angeschaut, was Hassreden und Empörungsstürme angeht. Ich habe mir das anhand von Twitter angeschaut. Und einer Person, die erstmal sieht, dass irgendwas gerade passiert, und zwar ein Anlass X.
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Eine Person eins, die sagt hm, äh, und was soll das? Die so ein bisschen erstmal verwirrt es zu einem Anlass, sagen wir mal ein politischer Anlass. Jemand, der sich irritiert äußert. Dann haben wir zu dem gleichen Hashtag, wenn wir auf Twitter sind,
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jemand anders, der sich sehr viel dramatischer äußert. Person zwei, er so Hass, Hass, Hass, die sterben, du Wurm, neuen Ausrufezeichen, auch getagt mit Anlass X. Soweit, so normal, es gibt eben Leute, die so leichte Irritation äußern, und Leute, die so eben sehr schwere Irritation äußern, bis hin zum schieren Hass.
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Aber jetzt sieht man den Empörungssturm in der Außenansicht, und der sieht so aus. Oben kommt Person zwei mit seinem Hass, unten ist Person drei, die das alles total unsinnig findet, und in der Mitte ist Person eins. Eben war das noch ein relativ harmloser Tweet. Und auf einmal ist in der Außenansicht
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durch die Kombination mit den anderen die Illusion hergestellt, er nehme aktiv an einem Empörungssturm teil. Ich habe das an mir selber auch schon gemerkt. Ich war, das ist vielleicht euch nicht bekannt, aber ich war schon mal im Zentrum von solchen Empörungsstürmen,
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zum Beispiel 2009, und war wahnsinnig beleidigt, als bei meinem Auftreten in einem Werbespot der Firma Vodafone, auf einmal auch ganz viele Freunde von mir, oder Leute, von denen ich dachte, dass die Freunde sind, irgendwie so mithacken. Menschen, von denen ich es nie erwartet hätte. Ein paar haben einfach wirklich mitgehackt, die Herrsche sofort geblockt,
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aber ein paar hatten sich einfach nur mit diesem Hashtag dazu geäußert. Und auf einmal habe ich die in einem riesigen Sturm als teilnehmend empfunden, in der Außenansicht, während es in der Innenansicht überhaupt nicht so rüber kam.
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Die Innenansicht nämlich ist, dass eine Person sagt, was soll das? Und dann kommt irgendjemand als Person 4, der diesen Sturm mitkriegt und denkt, den kenne ich doch. Ausgerechnet du pübelst mit, bist du bescheuert? Erhöhen das Aggressionslevel? Und auf einmal sagt Person 1 eben noch im harmlosen Nachfrage- Irritationsmodus, wie aggro bist du denn
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drauf? Und auch hier sieht man, dass diese soziale Verknüpfung Innensicht, Außensicht bei solchen Empörungsstürmen zu einer Beschleunigung führen. Das alles hat mich so umgetrieben, dass ich nicht anders konnte, als einen Film zu drehen, und zwar mit ZDF NEO,
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mit der Produktionsfirma Doglights, der am 18. Mai um 23 Uhr im TV kommt. TV, das wissen vielleicht viele hier nicht, ist wie YouTube, bloß dass man nicht selbst am Screen sitzt, sondern jemand anders für einen auswählt, was man sehen muss. Ein kurzer Ausschnitt da aus diesem Film. Ich bin dafür nämlich auch
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auf eine Demonstration gegangen, wo genau diese Leute, mit denen ich bis dahin nur diskutiert hatte, live zu sehen war. Das sieht hier ein bisschen bedrohlicher aus, als es tatsächlich war. Um mich herum standen mehrere vier Meter große
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Polizisten. Dieser Film ist sozusagen das, was ich euch heute sage noch mal für den normalen Fernseh Ausschauer. Und das, was dahinter steht, wird man auch auf der Debattenseite zum Film sehen können, manipuliert.de, wo ab nächsten Montag um 15 Uhr
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darüber diskutiert werden kann und muss. Und hier kommt die Aufgabe, die ich euch mitgebracht habe, die dazu führen wird, dass ich zwei, drei Minuten vielleicht überziehe. Denn endlich der alte Traum. Ich hoffe, dass wir alle die an der liberalen Demokratie
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interessierten Internetpeople Weltverbesserung vom Sofa aus machen können. Politik machen ohne Hose optional. Und zwar nach dem Motto
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Reden mit rechts gegen rechts. Warum jetzt noch mal genau, kann man natürlich fragen. Kann man mit Nazis überhaupt reden? Mit Nazis vielleicht nicht, aber da drum haben wir vorher gesehen, sind viele Leute, die vielleicht nicht immer Nazis sind oder auch einfach anders drauf oder die man missverstanden hat. Und das ist tatsächlich so, wie ich mich überzeugen konnte. Und trotzdem, warum
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sollte man reden, schon um rauszufinden, ob das wirklich Nazis sind oder eben noch eigentlich nur die Füße in diesem braunen Autoritätsgewässer der Insel. Das hat uns zum Beispiel Megan Phelps-Roper zu sagen. Eine Frau, die bei der Westboro Baptist Church aufgewachsen ist und die quasi schon als Kind mit diesem Zeichen
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Kind. Und das ist das, was ausgesprochen ist. God hates facts. God hastschwuchteln. Die Enkelin des Kirchengründers übrigens, das waren diese Leute, die tatsächlich auf Beerdigung von schwulen Soldaten gegangen sind, um dort zu schreien, dass sie der Meinung sind, dass Schwule die Todesstrafe verdient
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hätten. Aber nicht nur Schwule, sondern zum Beispiel auch Juden. Die Westboro Baptist Church hat einen sehr ausgeprägten Antisemitismus. Und das, warum ich das zeige, ist ein Vortrag von Anfang des Jahres von dieser Megan Phelps-Roper, die nämlich angefangen hat, über Twitter zu
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diskutieren mit Leuten, die nicht der Meinung waren, dass Schwule die Todesstrafe verdienen. Mit ein paar ist sie näher ins Gespräch gekommen, und sie ist aufgewachsen in diesem unfassbaren Hass. Aber irgendwann haben sie angefangen, und zwar sie beide, ihr Gesprächspartner und sie, sich gegenseitig als menschliche Wesen
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zu sehen. Und das veränderte die Art, wie wir miteinander sprachen. Genau so ist irgendwann ein Zweifel in ihr gesät worden. Und ich glaube, dass dieser Zweifel von uns gesät werden kann in vielen Köpfen. Wir sind hier vielleicht nur 3.000, aber ihr könnt
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versuchen, das weiterzutragen und über diese Form von Gesprächen immer mehr Zweifel zu sehen. Und deswegen habe ich versucht, rauszufinden, wie genau das geschieht. Wie kann man Menschen von einer zu hasserfüllten Meinung in eine vielleicht noch auf der Insel befindliche, eventuell doofe oder eklige oder als doof und eklig empfundene
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Meinung bringen? Wie kann man sie also aus diesen Gewässern wieder auf die Insel schiften? Meiner Meinung nach, dabei nicht richtig ist dieser Ansatz. Ich schätze Dunja Hayali sehr, aber das halte ich für hoch problematisch, denn mit rechten und rechtsextremen Reden bedeutet nicht, mit ihren Funktionären,
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Multiplikatoren und Zentralorganen zu reden. Und zwar aus einem einfachen Grund, nämlich dem Grund der Normalisierung. Die Normalisierung ist eine eindeutige Falle bei diesem Vorhaben.
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Irgendwann zu sagen, ach, man muss mit allen reden, auch mit denen, die offen Menschenfeindlichkeit propagieren, auch dann noch, wenn man dreimal nachfragt und ausgeschlossen hat, dass sie jetzt bloß gerade ein bisschen wütend sind. Es gibt einen sehr bösen, sehr schwarzen, sehr dunklen Witz. Der amerikanischen Linken
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über die Debatten in den US-Medien, der geht so, ein Nazi schreit, tötet alle Juden, ein Linker, nein, der Moderator sagt, das sind also die beiden Extrempositionen und jetzt versuchen wir eine ausgewogene Mittelposition zu finden. Diese Falle der Normalisierung,
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der kann man besonders dann erliegen, wenn man eben nicht mit den Leuten selbst diskutiert, sondern sich zu symbolisch auf die Bühne steht, um die Gegenseite zu adeln. Und gleichzeitig ist das natürlich richtig, aber leider ist, ich bin hier, so gut es ist, und ihr solltet alle Mitglied werden und mitdiskutieren,
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inzwischen nicht mehr nur ein Erkennungszeichen für diejenigen, die dagegenhalten, freundlich und höflich, sondern leider auch eine Art Einladung zur Ausblendung, dass Menschen, wenn die nur das Hashtag sehen, schon gar nicht mehr schauen, was da passiert. Ich glaube deswegen, dass wir eine neue Strategie brauchen. Wir sind viele und große Überraschung, wenn man viele ist, hat man den
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großen Vorteil, dass man ein gemeinsames Ziel erreichen kann, ohne, dass alle das Gleiche tun müssen. Und das heißt, bei dieser Merkel muss weg Demo, wo ich mich ins rechte und rechtsextreme Getümmel gestürzt habe, gab es natürlich auch eine Gegendemonstration. Und ich glaube, dass zusätzlich zu der Diskussion, die man führen muss,
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genau diese Gegendemonstration jede Liebe dieser Welt verdient hat. Sie ist extrem nötig. Und warum? Weil ich glaube, dass wir eine Zangenstrategie brauchen. Auf der einen Seite die klare Kante zu zeigen, bis hier hin und nicht weiter. Und auf der anderen Seite aber auch Leute, die die Hand ausstrecken und
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versuchen zu diskutieren. Ich rede also nicht dafür, dass wir alle jetzt losgehen und die große Verständniskiste auspacken. Ich rede dafür, dass wir beides machen müssen. Verhalten, Applaus, Gegenargumente. Aber ich glaube
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eben, dass es so wie bisher mit der Ausgrenzung, die ich auch vertreten habe, nicht ganz so gut funktioniert hat. Und weil diese Zangenstrategie, klare Kante und Diskussion aus meiner Sicht so wichtig ist, schaue ich mir erstmal die Hindernisse für diese Debatte an, bevor ich auf die konkreten
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Instrumente zu sprechen komme. Da ist zum einen das Medienmisstrauen, was ich für eine Immunisierung gegen Pluralismus halte. Menschen, die Lügenpresse sagen, die Lügen Presse schreien, meint ja nicht die Lügen dauernd. Vielmehr stellt er sich selbst einen Freibrief dazu aus, selektive Wahrnehmung zu betreiben. Das stimmt, da
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ist dem Zensor malweils durchgerutscht und das stimmt nicht. Und wie weit dieses Medienmisstrauen geht, bis in welche Sphären es kommt und wie die selektive Wahrnehmung funktioniert, das hat die Washington Post gezeigt Ende Januar. Sie hat nämlich Menschen in Vereinigten Staaten diese beiden Fotos gezeigt. Foto A und Foto B.
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Ein Foto von der Amtseinführung von Trump und ein Foto von der Amtseinführung von Barack Obama davor. 40% der Menschen, die Trump gewählt haben, haben gesagt, Foto B ist natürlich von Trump, weil es sind ja viel mehr Leute.
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Das ist für mich gar nicht so problematisch, weil wer erstmal glaubt, dass es mehr Leute, weil es hat ja der Trump gesagt, da kommt man eben da drauf. Viel problematischer waren 15% der Menschen, die gesagt haben, ja, Foto A ist von der Trump- Einführung, aber da sind mehr Menschen drauf, als auf Foto B.
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Das haben die wirklich gesagt. Und das ist für mich ein Zeichen, dass dieses Medienmisstrauen sehr, sehr viel tiefer geht. Die Frage hat man auch versucht, wissenschaftlich zu klären, warum glauben Trump-Unterstützer in den Vereinigten
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Staaten eigentlich so wahnsinnig viele Sachen, die total verrückt und bekloppt und falsch sind. Das Interessante ist, dass da wissenschaftliche Untersuchungen dazu bestehen, von einem Mann namens Dan Kahan, ein Professor aus Yale,
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der das Cultural Cognition Project betreibt. Das Interessante daran ist, dass diese Menschen Informationen in den sozialen Medien teilen, nicht weil sie richtig sind, sondern weil sie sich damit als Mitglied der Gruppe beweisen wollen. Sie wollen damit zeigen, hey, ich bin
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ein gutes Mitglied dieser Gruppe. Und für diese soziale Funktion der Nachrichten ist es völlig egal, ob sie falsch sind oder nicht. Das zweite Hindernis, das große Hindernis, sind die kognitiven Verzerrungen, Wahrnehmungsfehler in den sozialen Medien, Wahrnehmungsfehler übrigens, die
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auf uns alle wirken, nicht nur auf Recht und Rechtsextreme, sondern Wahrnehmungsfehler, die bis in die Details hinein unsere Wahrnehmung der Welt verändern. Hier eine kurze Übersicht, der Mitläufer-Effekt, dass man tatsächlich anfängt,
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der Mehrheit einen gewissen Wahrheitsgrad zuzusprechen, der Bestätigungsfehler, dass man sich genau die Informationen raussucht, die das eigene Weltbild bestätigen, der Attributionsfehler, dass man Menschen in Gruppen packt und denen viel mehr Wirksamkeit der Gruppenzugehörigkeit zustreibt, der Anker-Effekt, das das
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letzte große Ding, an das man sich gerade erinnert, ausschlaggebend ist für die Wahrnehmung, der Framing-Effekt, der Informationen so verpackt, wie man es zur Beeinflussung gerne hätte, der Wahrheitseffekt, der blinde Fleck, der Untergangsglauben, Muscle of Hammer, illusorische Korrelation und so geht es weiter und weiter.
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Eine Vielzahl von verschiedenen Effekten und psychologischen Mechanismen verändern unsere Wahrheit bis hin ganz zum Schluss der Virtualität. Ich glaube, dass noch immer dramatisch unterschätzt ist, wie sehr die Distanz über einen Screen unsere Wahrnehmung verändert und wie wenig eigentlich von den Zwischenpönen über die digitale
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Welt mitkommt, obwohl wir inzwischen Emoticons haben. Aber wie denn jetzt? Wir sehen eine ganze Reihe davon von Mechanismen, die im Weg stehen und jetzt ist die Frage, wenn es so nicht geht, wenn man sowas mit
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berücksichtigen muss, wie geht es denn dann? Ich habe fünf Punkte herausgefunden, die ich euch mit auf den Weg geben möchte. Das erste ist wenig überraschend und ungefähr das, was man auch bei der Beobachtung von Ich Bin Hier sehen kann. Nämlich Ton und Mechanik sind absolut zentral.
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Man muss höflich bleiben. Die ganze Zeit das Gegenüber speit Gift und Galle und man versucht und man muss höflich bleiben und geduldig zurückhalten, trotz der allgemeinen Hitze. Echte Fragen stellen. In dem Moment, wo man eine Frage stellt, gibt man dem Gegenüber Gelegenheit, sich ein bisschen neu...
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zu positionieren. Bist du wirklich der Meinung, dass man alle Flüchtlinge ermorden sollte oder vielleicht nur einen Teil? Nein, das müssen natürlich echte Fragen sein. Ganz simpel auch Meinungen zu trennen von den Meinungsinhabern, dass man also versucht nicht zu sagen du bist Nazi, sondern diese Meinung scheint mir die eines Nationalsozialisten
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zu sein. Ich überzeichne etwas. Verständnis für die Begründung zeigen, warum jemand so meint. Das ist ziemlich schwierig. Ich habe das versucht, aber es scheint tatsächlich so zu sein, dass wenn man anfängt zu sagen, okay, das ist vielleicht deine Haltung, weil du ein temporäres Arschloch, also das ist jetzt ein Beispiel, aber und nicht zuletzt
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auch eigene Schwächen anführen. Genau das führt auf den nächsten Punkt, wie man mit Menschen diskutieren kann und wie man versuchen kann, sie im Rahmen dieser Zangenstrategie ein bisschen weiter auf diese Insel zu ziehen. Überraschend nämlich nach Blaise Pascal partiell loben. In seiner Schrift Gedanken von ungefähr ab 1657
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hat Blaise Pascal etwas gesagt, was eigentlich aus heutiger Sicht total logisch scheint, aber damals für die Überzeugungsmechanik revolutionär als Entdeckung war noch, bevor die Psychologie überhaupt erfunden worden ist, so recht. Nämlich, dass wenn
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man sagt, du hast nicht recht, dass die Leute dann abwehrend reagieren. Wenn man aber sagt, du hast in 9 von 10 Punkten total recht, aber in diesem einen, dass man alle ermorden sollte, da liegst du vielleicht nicht ganz richtig. Und da
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tatsächlich versuchen, die richtigen von den falschen Argumenten zu trennen, indem man auch mal was lobt, was so eher, sagen wir mal, sphärisch richtig ist. Ich würde jetzt nicht so weit zu gehen, zu sagen, hey, Top-Rechtschreibung in deiner Holocaustleugnung, fände ich falsch. Aber die Tendenz überhaupt erst mal anzuerkennen, dass es da ein Problem
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gibt und zu sagen, ja, du hast ein Problem erkannt. Wir sind bloß ziemlich unterschiedlich in der Lösungsansatz, ist ziemlich gut funktionierend. Der dritte Punkt, den ich
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ärgerlicherweise als zweiten, zweiten Punkt ausgezeichnet habe, ist faktenpassenderweise und die Diskussion darüber. Es gab vor vielen Jahren nämlich in 1975 ein ziemlich
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spannendes Experiment und dieses Experiment, das hat ganz einfach funktioniert. Man hat einer Gruppe von Menschen bzw. zwei Gruppen von Menschen Selbstmordbriefe gezeigt. Also Briefe von Menschen, die Selbstmord gemacht haben sollen und Briefe, die
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von Leuten, die gefälscht worden waren. Also Abschiedsbriefe gefälscht und echt. Der eine Gruppe hat man gesagt, wow, du hast von 24 Abschiedsbriefen alle 24 richtig erkannt. Du bist ein Genie. Der andere Gruppe hat man gesagt, sorry, du warst grauenvoll. Du hast
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nicht mal 10 Abschiedsbriefe richtig erkannt. Das ist noch schlechter, als wenn du nur geraten hast hättest. Dann hat man den Menschen gesagt, das war alles ausgedacht. Stimmt ihr nicht? Euer Lösungsverhalten war falsch. Und indem man es einfach nur gesagt
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hat, hat sich fast nichts verändert. Die Menschen waren nach wie vor davon überzeugt, dass sie wahnsinnig gutes Gespür dafür haben, einen richtigen Brief von einem falschen Abschiedsbrief zu unterscheiden. Das bedeutet, die bloße Erwähnung, dass etwas ausgedacht hat, hat nicht ausgereicht. Das, was ausgereicht hat, war genau das. Die Diskussion darüber,
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dass man also angefangen hat zu sagen, das ist nicht nur ausgedacht, sondern auch erklärt hat, warum es ausgedacht ist, wie es dazu gekommen ist, dass man es angefangen hat, sich auszudenken und schließlich als vierten Fakt Empathie schüren und
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Zweifel wecken. Und das wiederum funktioniert sensationell gut, übrigens auch wissenschaftlich belegt. Diese Aufforderung, diese schlichte Aufforderung, sich in andere Menschen hinein zu versetzen und dabei Beispiele und plastische Schicksale auszuwählen, die es dem Gegenüber
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leichter machen, sich zu identifizieren, die hat seit letztem Jahr eine Art wissenschaftliche Adelung in dieser Form, und zwar was Transphobie angeht. Da sind Menschen von Tür zu Tür gezogen und haben versucht, sie gegenüber zu beeinflussen, die Richtung, dass sie
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nicht mehr ganz so transphob sind. Das wurde gemessen. Und diese nicht mal zehnminütige oder am Durchschnitt zehnminütigen Gespräche haben tatsächlich, wenn man es gesellschaftlich betrachtet, eine Dekade der Veränderung. Das, was wir vorher als gesellschaftlichen Fortschritts geziert haben, in zehn Minuten erreicht. Da konnte man also im direkten Gespräch,
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im direkten Austausch Leute davon überzeugen, durch diese Art von Empathie Zweifel zu wecken an dieser Position, konnte man Leute davon überzeugen, nicht mehr ganz so ablehnend zu
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sein. Und das hielt sogar noch drei Monate später an. Der fünfte Trick schließlich, oder Trick ist das falsche Wort. Der fünfte Instrument ist sogar eine Form von Impfung. Ein Papier, das ich gefunden habe zum Thema Klimawandel, und die Leute haben schon eine
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ganze Zeit mit einer Armada von Falschinformationen zu tun. Ein Papier zum Thema Klimawandel hat sich damit beschäftigt, wie man menschenregelrecht impfen kann. So heißt es, dieses Papier von Sander van der Linden, Anthony Leiserowitz, Seth Rosenthal und Edward
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Maybach, um die auch mal mit Namen zu würdigen. Und das interessante daran ist, dass sie die These haben, dass Impfen, was die Diskussion angeht, genau funktioniert, wie Impfen, was die Gesundheit angeht. Sie sagen nämlich, dass man nicht nur Debunking
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betreiben muss, also die falschen Fakten aufzuklären, sondern auch Pre-Bunking, also vorher abgeschwächte falsche Fakten zu verbreiten, inklusive der Erklärung, warum sie falsch sind. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass man Menschen gegen solche
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Fake News, gegen falsche Fakten und sogar gegen radikale falsche Fakten impfen kann, indem man ihnen versucht zu erklären, wie genau das funktioniert an einem abgeschwächten Beispiel. Und mit diesem Schlussakkord möchte ich verweisen auf einen Screenshot vom 18.
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April diesen Jahres, wo jemand, mit dem ich lange diskutiert habe, jemand, der Zweifel hatte an der liberalen Demokratie aus meinem erweiterten Umfeld, jemand, dessen Namen
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ich auf keinen Fall jemals verraten werde, mir etwas geschrieben hat, was bei mir tatsächlich eine Träne, ganz ungelogen eine Träne verursacht hat. Mitten in meine Bemühungen hinein hat er nämlich genau das geschrieben und es ist nicht gefälscht, weil ich hier immer so viel rummecke, hier mal eine Gedanke, der dich vielleicht freuen wird. Ich glaube, unser
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Gespräch hier hat verhindert, dass ich völlig nach rechts wegkippe. Es bleibt alles kompliziert, aber danke dafür. Nein, danke dafür, dass du das geschafft hast. Ich
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weiß nicht, ob wir wirklich was bewirken können. Ich ahne zwar, dass das stimmt, dass wenn wir rausgehen und anfangen zu diskutieren mit den Leuten, ohne die
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Zangenstrategie zu vergessen und die Gegenposition, die klare Kante, die rote Linie immer deutlich zu machen. Aber ich kann nicht garantieren, dass das so kommt. Aber wenn wir was gelernt haben in den letzten Monaten und Jahren, dann doch, dass irgendwie eine Macht des Wortes immer noch besteht. Man hat auch richtig gesehen, wie ganze Debatten
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nach rechts gekippt sind, mit fast nichts anderem als Worten. Wir haben gesehen und das ist auch dieses Steigen des Autoritarismus, der Autoritären, dass Debatten eine Wirkmacht haben und wenn das das einzige ist an positiven
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Dingen, die dieses steigende Meer des Autoritären mit sich gebracht hat, dann doch genau das. Worte haben eine Wirkung, Debatte haben eine Macht. Deswegen rufe ich euch dazu auf, diese Wirkung umzukehren, rauszugehen, zu reden und zu diskutieren. Und wenn wir nur ein kleines bisschen
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schaffen, wenn nur jeder von uns es schafft, eine solche Rückmeldung zu bekommen, dann kann es sein, dass es reicht, um diese Insel der liberalen Demokratie so groß zu machen, dass die Mehrheit der Leute wieder drin steht. Danke für eure Aufmerksamkeit.