Die Emanzipation der Gutmenschen
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Formal Metadata
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Number of Parts | 234 | |
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Identifiers | 10.5446/33133 (DOI) | |
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Abstract |
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re:publica 201719 / 234
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Pauli exclusion principleComputer animationJSONXMLUMLLecture/Conference
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Internet
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Lecture/ConferenceMeeting/Interview
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StatistikerNumberLecture/ConferenceMeeting/Interview
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Physical quantitySage <Programm>Sturm's theoremLecture/Conference
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Lösung <Mathematik>Lecture/ConferenceComputer animation
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Lecture/Conference
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Lösung <Mathematik>Meeting/Interview
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Content (media)Meeting/InterviewLecture/Conference
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InternetWord
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FacebookGoogleAlgorithmLecture/Conference
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InternetRun-time systemNorm <Mathematik>Source codeMeeting/InterviewLecture/Conference
08:48
BlogForestHuman migrationWeb pageMeeting/Interview
10:18
Parameter (computer programming)Lecture/Conference
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PositionMeeting/Interview
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Schwarz lemmaWordInfinityLecture/ConferenceMeeting/Interview
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Dynamic rangeService (economics)CryptanalysisEnergieComputer animation
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Lecture/Conference
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Lebendigkeit <Informatik>Eigenvalues and eigenvectors
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Eigenvalues and eigenvectorsContent (media)Standard deviation
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Moment (mathematics)Lecture/ConferenceMeeting/Interview
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World Wide WebQuoteLösung <Mathematik>Meeting/InterviewLecture/Conference
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FactorizationLecture/Conference
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MISSLecture/Conference
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Lecture/Conference
17:28
Total S.A.
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Eigenvalues and eigenvectorsMeeting/Interview
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Lecture/Conference
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Motion (physics)
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Mathematical structureIdeal (ethics)Lecture/Conference
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Lecture/Conference
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Meeting/InterviewLecture/Conference
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Lecture/Conference
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Component-based software engineeringGoogle BloggerLecture/Conference
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Lecture/Conference
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InternetLecture/Conference
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InternetPerspective (visual)TwitterFacebookInstanz <Informatik>Lecture/Conference
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Lecture/Conference
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WordLecture/ConferenceMeeting/Interview
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HypermediaLecture/ConferenceXMLComputer animation
Transcript: German(auto-generated)
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Ich habe diesmal mein eigenes Taschenduch dabei, aber nicht weil ich heulen möchte, sondern weil ich etwas die Nase verstopft habe.
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Ich bin so dankbar, dass ihr da seid und habe eine Message, die über das letzte Jahr herausgereift ist, weil ich gemerkt habe, dass die Mehrheitsgesellschaft Fehler wiederholt, die wir als politisierte Gemeinde,
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als Muslime, als People of Color, als Menschen mit Migrationshintergrund seit vielen Jahren tun. Und das hat mich sehr enttäuscht und auch traurig gemacht. Aber ich denke, es ist nichts, was man nicht verändern kann, sondern etwas, woran wir arbeiten können.
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Und das möchte ich mit euch heute teilen. Ich möchte über die Emanzipation der Gutmenschen oder des Gutmenschen sprechen. Und es gibt viele hier in diesem Rahmen, die sich wahrscheinlich nicht so sehr identifizieren, aber wissen, dass sie damit gemeint sind. Und ich finde, wir sollten das reclaimen. Ich habe kein Problem, damit gutmenschend zu sein.
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Ich möchte aber selber definieren, was ich damit meine. Und darum soll es heute gehen. Ich bin eine intellektuelle Putzfrau. Vielleicht haben das einige mitbekommen. Letztes Jahr habe ich meinen Job aufgegeben. Also ich war eine intellektuelle Putzfrau. Als ich im letzten Jahr hier auf der Bühne stand, war Brexit noch nicht entschieden. Trump noch nicht Präsident.
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Der Putschversuch in der Türkei und die darauffolgende Massenhaft in Haftjürgen von Journalistinnen und Beamten noch nicht geschehen. Die Gefahr, autoritäre Regime erschienen, fielen wie ein abstraktes Konstrukt. Weit entfernt, nicht persönlich, weil sie keine Familienmitglieder hatten, die in den jeweiligen Ländern lebten und litten.
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Es war für diese Menschen einfach, die Haft tiraden im Internet, das Aufstreben von rechtspopulistischen Gruppen zu ignorieren, weil sie nicht betroffen waren, weil sie hierzulande nicht zu einer marginalisierten Gruppe gehörten, weil sie den Luxus hatten, zu ignorieren, nicht zu sehen, weil ihre Existenz nicht in Frage gestellt wurde.
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Musliminnen, Schwarze, sexuelle Minderheiten, ethnische und anderes Minderheiten hierzulande hatten diesen Luxus nicht. Derweil brodelte in mir die Frust über die Ignoranz derer, die sich Ignoranz leisten können. Viele der betroffenen Menschen resignierten in den letzten Jahren. Sie zogen sich zurück, sie fragten sich, was ihr Platz in einer Gesellschaft ist,
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in der eine Partei ihr gesamtes Programm auf die Diskriminierung einer religiösen Minderheit aufbaut. Andere Betroffene machen tapfer weiter, versuchen Besonnenheit einzubringen, griffen nach Zahlen, Statistiken, erklärten und erklärten. Doch dabei legitimierten sie, legitimierten wir genau diese Fragen.
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Die Betroffenen, wir, engagierten uns. Und mit unserem Engagement legitimierten wir eben diese Diskussionen, die unsere Existenz in Frage stellten. Wir haben mitgeholfen, die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, zu einer legitimen Frage zu machen, wohlwissend, dass die Antwort auch irgendwann lauten kann,
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nein, der Islam gehört nicht zu Deutschland. Wohlwissen, dass es dann noch ein kleiner Schritt ist zu Muslimen, die nicht zu Deutschland gehören. Wir antworteten auf die absurdesten Fragen, wir distanzierten uns von Gräueltaten, obwohl schon die Unterstellung, man könnte dem Morden, dem Blutverguss, dem Leiden, der Gewalt, der Brutalität, der Abscheulichkeit auch nur in irgendeiner Hinsicht zustimmen, entwürdigend ist.
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Uns unserer Würde beraubt. Nimm das nicht persönlich. Sag nicht so emotional, sagte man zu uns. So schalteten wir unsere Emotionen aus. So schaltet ich meine Emotionen aus. Jahrelang. Doch ich hatte letztes Jahr genug davon, dass ich mich mit Leichtigkeit in Diskussionen beteiligen kann,
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in denen man die Grundlagen meiner Existenz infrage stellt. So zu tun, als hätte ich kein Problem damit, mit Rassisten auf einer Bühne zu debattieren, ob Muslime genetisch stümmer sind als andere oder nicht. Ich hatte es satt, satt der Gesellschaft wie eine intellektuelle Putzfrau hinterherzuräumen, Dinge gerade zu rücken, versuchen, größeren Schaden abzuwehren und immer auf Abruf bereit zu sein
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für den nächsten Hirnriss, den man als intellektuellen Diskurs oder legitime Islamkritik verkauft. Am Morgen meines Vortrags zum letzten Jahr schrieb ich mein ganzes Manuskript im Hotelszimmer um. Ich las ihn mir immer wieder vor, in der Hoffnung, die Wahrheit zu sprechen, würde weniger weh tun und ich könnte auf der Bühne stehen, ohne Emotionen zu zeigen.
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Sachlich bleiben. Neutral. Und so stand ich auf der Bühne und halte Rotz und Wasser. Dann war ich überwältigt. Mich überwältigten die positiven Reaktionen und der Zuspruch. Mich überwältigte aber auch die Frage, wie dann nun Liebe zu organisieren sei. Dabei wollte ich diese Frage nie alleine beantworten.
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Mein Ziel war, viel mehr zu zeigen. Das, was derzeit passiert, ist nicht normal. Es tut weh. Es macht Angst und wir müssen dem etwas gemeinsam entgegensetzen. Gemeinsam Lösungen entwickeln. Aber was diese sind, das wollte ich und kann ich nicht vorgeben. Dann geschah Brexit. Der Putsch versucht Trump.
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Und während sich in vielen Betroffenen die Verzweiflung mehrte, die Hoffnung schwand und sie langsam die Augen schlossen, zeitgleich wachten mehr und mehr Menschen auf. Denn das vergangene Jahr war das Jahr, in dem viele erstmals etwas fühlten, was sie schon immer wussten, was wir schon immer wussten.
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Wir wussten, dass wir hier in Deutschland die letzten Jahrzehnte in einer historischen Ausnahmesituation gelebt haben. Wir wussten, dass es noch nie so lange relativ Frieden in Westeuropa gab, aber es ist etwas fundamental anderes, etwas zu fühlen, als es bloß zu wissen. Mehr und mehr Menschen fühlten also, dass wir in einer historischen
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Ausnahmesituation gelebt haben. Sie fühlten, nichts garantiert uns, dass die Zukunft eine bessere wird, als die Vergangenheit. Nichts. Ich muss etwas tun, schreiben viele, aber ich weiß nicht was. Erst die Pluralität an Lösungen, erst die Pluralität an Lösungen wird langfristigen Wandel bringen.
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Doch um Lösungen erarbeiten zu können, hilft es, das Problem zu verstehen, zu begreifen und die eigene Rolle zu reflektieren, das eigene Verhalten zu reflektieren. Denn manchmal ist man auch Teil des Problems, doch nichts verwehrt uns, Teil der Lösung zu werden. Also was ist die Strategie von Rechtspopulisten? Es ist die Diktatur. Die Diktatur der Inhalte, mit dem wir uns
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beschäftigen sollen, die Diktatur der Form, in der wir uns miteinander beschäftigen sollen. Die Diktatur der immerwährenden Wiederholung dieser Beschäftigung, immer und immer wieder, bis wir das glauben, womit sie uns beschäftigen, bis wir uns selbst dabei vergessen. Aktuell sehe ich im Netz eine Kultur dominierender, deren einziges sinnstiftendes Element, die Suche nach Fehlern an anderen ist.
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Die Kritik, die Helme an anderen ist zu digitalen Währungen verkommen. Damit steigt die Prominenz, darüber profiliert man sich. Wie schnell können wir sein im verdammten anderen Personen? Wie geschickt können wir Menschen diffamieren? Wie gekonnt Menschen digital abschießen, uns moralisch über sie stellen und von unserer erhobenen Tastatur aus auf die Menschen herabblicken, die wir mit unseren
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Worten treten. Im Echo Chamber des Internets schreiben wir uns alle unsere Meinungen aus dem Leib und hören aber nur jene, die uns wiederholen, uns bestätigen. So driften wir auseinander, weiter und weiter. Und so mancher radikalisiert sich hierbei. So wird das Internet zu einem fantastischen Nährboden für eine Ein-Dimensionale-Sicht auf diese
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Welt. Ein Paradies für Meinungsfanatiker, für Extremisten a la Couleur. Sind wir uns dieser Gefahr bewusst? Was passiert, wenn wir nur diejenigen Meinungen lesen und rezipieren, die uns in unserem Weltbild bestätigen und wenn die Algorithmen auf Google und Facebook ihr Übriges tun, indem sie uns mal wieder das zeigen, von dem sie meinen, was wir lesen wollen?
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Sind wir uns dieser Gefahr bewusst? Was macht es mit einer Gesellschaft, in der jeder und jede eine Gesellschaft so stark verzerrte Wahrnehmung der Realität hat, so verzerrt, dass sie sich voneinander abkoppeln? So stehen wir manchmal vor Menschen und sprechen mit ihnen vermeintlich die gleiche Sprache, aber wir können nicht zueinander durchdringen, denn obgleich die Sprache die gleiche ist,
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wir sprechen nicht mit den gleichen Bedeutungen. Es gibt keinen gemeinsamen Boden, auf den wir unsere Konversation aufbauen und zueinander annähern können. Wie können dann noch Normen und das Miteinander unserer Zukunft konstruktiv gemeinsam gestaltet werden? Wie sieht unsere Zukunft aus? Welchen intellektuellen
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Nährboden, welche Umgebung bietet das Internet für die jungen Menschen? Wie sehen die Meinungsmacherinnen und Macher von morgen aus? Und was ist mit denjenigen, die bei all diesen Szenarien das Publikum bilden, die den Hass sehen, auf ihn hin und wieder reagieren? Schaut euch um. Allein die Wahrnehmung dieser Szenarien,
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sie verändert uns. Sie hat uns verändert. Wie oft hörte ich in den letzten Monaten in den Diskussionen um Hass in dieser Gesellschaft Islam, Rassismus, Frauenrecht und Feminismus, Migration und Geflüchtete, das sind halt Themen, die polarisieren. Nein, diese Themen sind nicht per se polarisierend.
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Sie werden es erst, indem einschlägige Blogs, Foren und Webseiten, wozu diesem Thema gehetzt wird, unsere Kommentarspalten fluten und auf unsere öffentliche Debatte einen starken Einfluss nehmen. Denn ich kann es nicht oft genug sagen. Der Hass in den Kommentarspalten ist nicht rein zufällig organisch entstanden. Wir glauben, die Kommentare in den Kommentarspalten würden die gesellschaftliche Meinungsvielfalt
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widerspiegeln. Dabei werden diese Einträge oder vielmehr Massenkommentare in Einschlägen, Foren und Blogs von rechtspopulistischen Gruppen organisiert. Sie schreiben gezielt an Redaktionen und kommentieren unter ausgewählten Artikeln, um den Eindruck zu erwetten, dass bestimmte Themen wie Migration, Frauen und Geflüchtete und so weiter
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gesellschaftlich nicht tragbar seien, zu marginal, zu provokant für die Mitte unserer Gesellschaft. Sie verschieben unsere Wahrnehmung dessen, was normal ist. Es ist nicht nur ein Versuch, die engagierten Mundtote zu machen, zum Schweigen zu bringen, sondern auch das Publikum zu verändern. Um das mal zu verdeutlichen, stellen Sie sich vor, Sie sitzen hier im
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Publikum, sollte nicht so schwer sein, und stimmen dem, was Sie da hören, eigentlich zu. Aber neben Ihnen sitzt jemand und schüttelt unentwegt den Kopf und womöglich schreit die Person gar dazwischen. Und obwohl Sie die Argumente dieser Person nicht unterstützen, es dauert nicht lange und dann denken Sie auch, ja, ist eigentlich streitbar.
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So wird das Streben nach einer gerechteren Gesellschaft streitbar. Genau das ist, worauf die Kommentatoren in diesen Foren abzielen. Nicht nur die Einschüchterung der Schreibenden, sondern vor allem die Beeinflussung derer, die mitlesen. So erst werden rassistische, xenophobische, antisemitische und
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islamfeindliche Positionen salonfähig. Und weil wir in den vergangenen Jahren auf kalkulierte Provokationen hereingefallen sind, wir sind über jedes Esschen gesprungen, das Sie uns hingehalten haben. Jede Ihre Provokationen haben wir bereitwillig angenommen und in den Talkshows, in den Radiosendungen, in den Zeitungen und Magazinen rauf und runter diskutiert. Damit haben Sie unsere politische
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Debatte, unsere politische Agenda bestimmt diktiert. Wir haben die AfD so groß gemacht, wie sie es heute ist, weil wir ihre Diskussionen und Provokationen durch unsere extensiven, unendlichen Diskussionen legitimierten. Weil wir nach Gaulands Worten über Boateng tatsächlich tagelang darüber diskutierten,
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ob ein Schwarzer ein guter Nachbar sein kann in Talkshows. Welch Armutszeugnis. Das Interessante, nein, das Enttäuschende, das Bittere ist, ich kenne diese Dynamik aus
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muslimischen Gemeinschaften in Deutschland, die insbesondere nach dem 11. September 2001 all ihre Energie in die Verteidigung und Reaktion auf Angriffe von außen gesetzt haben. Die klügsten und engagiertesten unter uns schickten wir hinaus in die Welt, um uns zu erklären, zu verteidigen, zu verhindern, dass man in uns nur Terrordiener sieht. Und jetzt,
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16 Jahre später, wenn ich zurückblicke, sehe ich, wie die ewige Verteidigungshaltung dazu führte, dass wir innerislamische Diskussionen vernachlässigten, bis wir sie irgendwann mehr und mehr nicht mehr führen konnten, bis sie erschwert worden sind. Wir konnten öffentlich nicht meist innerislamisch diskutieren vor Angst, man würde
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diese Diskussion von außen instrumentalisieren, vor Angst, Öl ins Feuer zu gießen. So sind es mittlerweile Islamkritiker, die am lautesten über die Probleme in den muslimischen Gemeinschaften sprechen, nicht die Muslime selber. Ich sehe nun, wie sich eben dieses gleiche Muster in der Mehrheitsgesellschaft wiederholt. Dadurch, dass wir uns
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in unsere gesellschaftliche politische Agenda von Rechtspopulisten diktieren lassen, vernachlässigen wir alle die Diskussion unserer eigenen Themen. Nur eine einzige Talkshow-Sendung beschäftigt sich im letzten Jahr mit dem Thema Bildung. Wir vernachlässigen es, eigene, konstruktive Diskussionsstandards zu setzen, weil wir unentwegt überlegen, wie denn nun auf die Hassenden
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zu reagieren sei. Es ist zum Verrücktwerden eine Self-fulfilling Prophecy. Irgendwann wird der Vorwurf, die naiven, blinden, dumpfen Gutmenschen würden kritische Themen unterschlagen, stimmen. Das soll nicht heißen, dass wir nun auf deren Zugauden springen und selber Devils Advocate spielen sollen, sondern vielmehr, dass es unsere
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Aufgabe ist, eine eigene Agenda zu setzen, mit eigenen Inhalten, mit eigenen Diskussionsstandards, konstruktiv und lösungsorientiert. Wir können über den Sexismus in muslimischen Gemeinschaften diskutieren, ohne in rassistische Fallen zu tappen. Wir müssen es vorleben, so schwer es fällt. Deshalb habe ich drei Wünsche.
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Erstens, die Emanzipation der Gutmenschen. Wir müssen uns emanzipieren von den Debatten, die uns auferlegt werden. Wofür würdest du uns, meine ich als ernste Frage, wofür würdest du einstehen, wenn es diesen lauten Hass nicht gäbe in unserer Gesellschaft?
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Wofür bist du? Ich habe mir im vergangenen Jahr diese Frage gestellt, wie wäre ich, was würde ich tun, worüber würde ich schreiben, wenn es keinen Rassismus, keinen Hass in dieser Gesellschaft gäbe? Und im ersten Moment hatte ich keine Ahnung, keine Antwort. Ich möchte kurz vom Anfang noch ein Zitat wiederholen. Die Diktatur der
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immerwährenden Wiederholung dieser Beschäftigung ist ihre Strategie, immer und immer wieder, bis wir das glauben, womit sie uns beschäftigen, bis wir uns selbst vergessen. Ich hatte mich selbst vergessen. Frag dich. Wofür würdest du dich einsetzen? Was meinst du, was die Lösungen für eine bessere Gesellschaft sind?
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Chancengleichheit im Bildungssystem, die Bekämpfung von Altersarmut, das bedingungslose Grundeinkommen, Quoten einer Revolution des Arbeitsmarkts, ein Neudecken unseres Umgangs mit der Umwelt des Konsums, offene und inklusive Orte zum Denken, was es auch immer ist, setze dich dafür ein, thematisiere die Themen, die du wichtig findest,
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nachhaltig und konstruktiv und begeister andere dafür, sprich darüber, diskutiert untereinander, denkt gemeinsam nach und fragt auch mal Parteien, wie sie zu diesen Themen stehen, setz neue Wahlprüfsteine, damit nicht der Umgang mit geflüchteten Muslimen und den anderen der ausschlaggebende Wahlfaktor ist, sondern Ideen und Visionen für eine bessere Zukunft,
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damit wir für eine bessere Zukunft wählen gehen und nicht gegen eine schlechtere. Unterhaltung ohne Haltung? Aber was kann man gegen diese Stereotypisierung,
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gegen die Entmenschlichung von Menschen tun? Diese Frage treibt viele an. Ich finde, hier stehen Kunst, Kultur, insbesondere die Populärkultur in der Verantwortung, denn Unterhaltung und Erhaltung ist in dieser Zeit verantwortungslos. Wenn bestimmte Menschengruppen in unserer Mainstream Kultur immer nur im Kontext von Problemen und Missständen
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auftauchen, dann existieren sie in den Augen der anderen nur als Probleme und Missstände. Sie werden zu einem Klischee. Und das Problem mit Klischees, das sagt die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, das Problem mit Klischees ist nicht, dass sie unwahr sind, sondern dass sie unvollständig sind. Sie machen eine Geschichte zur einzigen
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Geschichte. Und sie erzählt, wie die singuläre Geschichte den Menschen ihrer Würde beraubt. Ein Beispiel, das sie gibt, ist, als sie an der Universität in den USA unterrichtet als Dozentin und ein Student auf sie zukommt, der zuvor ein Buch von ihr gelesen hat, ein Roman, wo eine Vaterfigur drin ist, der gewalttätig ist. Und er sagt dann zu ihr,
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sei so schade, dass afrikanische Väter so gewalttätig seien. Und sie sagt dann, ja, ich habe auch kürzlich ein Buch gelesen, American Psycho, und es sei so traurig und schade, dass amerikanische Männer reinweise zu Serienmördern werden würden.
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Warum nehmen wir American Psycho nicht teil vertreten für die gesamte amerikanische Gesellschaft? Weil wir wissen, wie es ist in den USA geboren zu werden, zu sterben, aus den Toten zu erwachen, sich zu verliehen, zu entliehen, betrogen zu werden. Wir kennen alle Facetten des Lebens. Aber wie viele Facetten, wie erfahrbar sind andere Menschen für uns? Andere Gruppen in unserer Gesellschaft,
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wie erfahrbar und divers und vielschichtig sind unsere Geschichten, die wir mit marginalisierten Gruppen verbinden. Damit wir einander nicht nur als Kollektiv wahrnehmen, sondern als Menschen, als Individuen, müssen wir Menschen in ihrer Vielschichtigkeit wahrnehmen können, in ihrer Komplexität. Nicht nur ein simples Schwarz-Weiß-Bild, sondern ein vielschichtiges, buntes, vielseitiges Bild.
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Nur das wird der Würde des Menschen gerecht. Denn Rassismus und Diskriminierung funktionieren über die Dehumanisierung, die Entmenschlichung der Betroffenen. Erst, wenn marginalisierte Gruppen in unserer Populärkultur auftauchen, in unseren Vorabendserien, in unseren Videos, in unseren Musikvideos, überall, mit Makel und Eigenheiten,
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vor allem als Individuen und nicht als Sprecher ihres jeweiligen Kollektivs. Dann werden sie auch in den Augen derer, die sie nicht kennen, zu Menschen. Nummer drei, ich wünsche mir Wohlwollen. Es gab in den vergangenen Monaten die verschiedensten Initiativen, Lösungsansätze
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und ich sah, wie Menschen, die sich für das Gute einsetzten, einander zerrissen. Weshalb können wir nicht die Pluralität an Lösungsansätzen tolerieren, einander Fehler machen lassen, einander erlauben zu lernen, zu leben. Mir ist klar, welchen Druck diese Erwartung, diese Ideale, diese Anspruch auslöst, mit all den Dingen, die wir potenziell falsch tun
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können, all die Minderheiten, die wir potenziell verletzen können, drohen wir manchmal handlungsunfähig zu werden. Irgendwann drohen wir Angst zu haben vor dem Schreien, dem Sprechen, dem Handeln, dem Machen, dem Tun, dem Bewegen. Angst davor, das Spielfeld des Lebens zu betreten und nicht nur auf der Tribüne zu sitzen und zuzuschauen. Damit uns die Erwartung und Ansprüche
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nicht verkrampfen und lethargisch machen, brauchen wir Wohlwollen. Wohlwollen für diejenigen Menschen, die sich den gleichen Werten verschrieben haben, wie man selbst. Wohlwollendes Diskutieren,
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verletzten und verletzt werden, rassistisches, homophatliches, sexistisches, transphatliches, antisemitisches, ableistisches und was weiß ich, was wir alles in jedem langen Tag lang sagen
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und tun werden, hoffentlich unbeabsichtigt und hoffentlich mit der Absicht zu lernen. Der Weg ist das Ziel, denn das Ziel, eine tatsächlich geschlechtgerechte, inklusive Gesellschaft, frei von Diskriminierung und Extremismus jeglicher Art, werden wir nicht in naher Zukunft erreichen. Und ich habe mich, um ehrlich zu sein, auch damit gefunden, dass es zu leb sein nicht klappt. Denn es ist doch letztlich so,
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niemand schafft es in seinem eigenen Leben, zu jeder Sekunde des Alltags gegen alle diskriminierenden Strukturen sich zu wehren, zu kämpfen und all diese Ideale umzusetzen, denn sie sind Ideale. Ideale. Jede Handlung, die wir vollziehen, ist ein Kompromiss zwischen
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unseren Idealen und der Realität, in der wir uns befinden. Anders können wir nicht handeln. Niemand ist perfekt. Es gibt Menschen, die sind konsequenter in ihren Ansprüchen und Idealen, vielleicht weil sie stärker und mutiger sind, aber auch weil sie privilegierter sind,
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weil sie bestimmte andere Kämpfe nicht austragen müssen. Manchmal tut es auch einfach gut, sich einzugestehen, dass man kein personifiziertes Ideal ist und auch nicht sein muss. Dass man das Unmögliche versucht und jeden Tag ein bisschen Erfolg hat, aber auch jeden Tag immer ein bisschen scheitert. Am schönsten formulierte es die Feministin und intellektuelle Roxane Gay in
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ihrem Buch Bad Feminist. Ich zitiere, I embrace the label of bad feminists because I'm human. I am messy. I'm not trying to be an example. I'm not trying to be perfect. I'm not trying to say I have all the answers. I'm not trying to say I'm right. I'm just trying. Trying
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to support what I believe in. Trying to do some good in this world. Trying to make some noise with my writing while also being myself. Wir versuchen alle. Wir geben unser Bestes und das Beste muss manchmal auch genug sein dürfen. Lasst uns nicht nur gegen die Diktatur
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das Rechtspopulismus rebellieren, sondern vor allem für das Werben wofür wir einstehen, indem wir miteinander denken, zweifeln und streiten, aber wohlwollend. Indem wir uns selbst nicht vergessen. Damit wir uns selbst nicht vergessen. Dankeschön. Dein Applaus. Vibra Gemischei.
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Mensch. Achso, ja, ich dachte wir haben noch Zeit für Q&A, nein? Ja, genau, doch wir haben noch Zeit für Q&A. Aber du warst gerade so aufgeregt, dass du mir das muss ich kurz setzen lassen. Ich war mega aufgeregt, ehrlich gesagt, weil ich dachte, so nach so viel Liebe kommt bestimmt das.
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Okay. Wir haben zwei Mikrofone im Saal und gibt es denn Fragen oder Anmerkungen? Jetzt traut sich keiner. Außer, dass ich zu schnell gesprochen habe. Das höre ich so oft, das weiß ich schon. Kann man sich alles noch mal nachher ansehen in aller Ruhe. Gut, du möchtest eine Frage stellen, bitteschön.
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Wir haben ein Mikrofon da hinten, das kommt zu dir schon gerannt. Auch noch mal kurz Applaus für unsere beiden Voluntäre, die das alles den ganzen Tag mit begleiten. Stell dich bitte kurz vor, dass wir wissen, wer du bist. Ja, ich bin Ibu, ein Blogger. Danke für deine sehr persönliche Präsentation. Das fand ich schon sehr erstaunlich. Eine ganz einfache Frage. Ich denke ja auch viel über
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diese Themen nach. Was kann man denn der schweigenden Mehrheit empfehlen? Weil es gibt ja auch legitime Kritik und wie schaffst du es, den Leuten zu sagen, nicht alles, was du kritisch siehst, muss unbedingt jetzt Menschenfeindlichkeit sein. Ich denke, das Problem ist, dass wir nicht
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ausreichend Orte schaffen, in denen wir untereinander diskutieren können und nicht nur jetzt zu diesen Themen Migration, Geflüchtigung und Co. Ich frage mich allgemein, wo sind die Orte in unserer Gesellschaft, wo wir die Ideen aussprechen können, die noch nicht zu Ende gedacht sind? Wo sind die Orte, wo wir Zweifel ausdrücken können? Wo sind die Orte,
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wo wir untereinander diskutieren und Dinge sagen können, ohne uns über das Gesagte profilieren zu wollen, wo wir einander wirklich zuhören und den Gedanken des anderen weiterdenken? Und das ist ein insgesamt strukturelles Problem, das wir haben. Als ich vor zwei Jahren nach Deutschland zurückkam, dachte ich, dass ich einfach noch nicht Zugang habe zu diesen Orten und habe angefangen herumzufragen, wo denkt ihr? Wo trefft ihr euch zum Denken?
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Weil früher war das Internet für mich ein Ort, wo ich denken durfte, weil im Internet durfte man damals noch wachsen. Heute habe ich nicht den Eindruck, im Internet wachsen zu dürfen. Das Internet ist nur noch zu dem Ort verkommen, wo man die Gedanken präsentiert, die zu Ende gedacht worden sind. Und danach habe ich mich gesehen und ich habe festgestellt, dass es diese Orte nicht mehr gibt. Natürlich werden
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durch Twitter und Facebook natürlich bestimmte Incentives gesetzt. Wir neigen dazu, uns über das Gesagte zu profilieren, weil das ist eine Art Visitenkarte unserer Meinung, unserer intellektuellen Perspektive auf die Welt und wie cool wir denken können,
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wie toll reflektiert wir sind. Aber mich interessiert eigentlich all die Dinge, die wir nicht aussprechen. Und ich frage mich, wie eine Demokratie funktionieren kann, wie eine Gesellschaft funktionieren kann, wenn es nicht Orte gibt, wo wir Dinge noch mal fundamental hinterfragen können, wo wir Fragen stellen können, ohne für die Frage verurteilt zu werden. Und ich glaube, dieser Mangel an diesen Orten, vor allem. Und ich glaube, der Mangel an diesen Orten, der Mangel an Orten,
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wo wir ohne einander zu verurteilen, ohne einander sofort etwas Besseres zu sagen oder einander zu reagieren, ohne aufgrund des Mangels der Orte, in dem wir nicht weiterdenken,
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was der andere gesagt und gedacht und gemacht hat, kommen wir zu diesen Situationen, wo wir das Gefühl haben, Missstände nicht ansprechen zu können. Ich war in den vergangenen Jahren unterwegs in ganz Deutschland und habe dann bei vielen Parteien, die so eher grüne Farben haben, zum Beispiel erlebt, dass dann Leute in der Lokalpolitik das Gefühl hatten, bestimmte Missstände nicht ansprechen zu können. Und dass es sie sehr eingeschränkt
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in ihrem Handeln und diesen Bedürfnissen müssen wir nachgehen. Und ich denke, wenn wir viel sprechen, viel diskutieren, viel nachdenken, dann löst sich das auf und es gibt nicht mehr diese großen Zwänge, weil wir uns nicht nur immer nur in Relation zu Hass sehen, sondern weil wir eigene Diskurse fühlen, weil wir voneinander reagieren und
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weiterdenken. Und das müssen wir generieren. Orte zum Denken, Orte zum Zweifeln, Orte für Ideen. Gibt es weitere Fragen aus dem Publikum? Dann glaube ich, hast du sehr wichtige Worte
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gesagt gerade eben und Sie können sie einfach so stehen lassen und runter twittern und noch mal sharen und teilen. Vielen Dank für diese großartige Rede. Danke auch.