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Reflexion: Love out Loud

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Reflexion: Love out Loud
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Number of Parts
234
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CC Attribution - ShareAlike 3.0 Germany:
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Abstract
Friedensbuchpreisträgerin Carolin Emcke eröffnet die re:publica 2017 mit einer Reflexion über Liebe und Empathie, on-und offline.
18
166
Musical ensembleOrder of magnitudeComputer animationJSONXMLUMLLecture/Conference
PowerPointDirection (geometry)Lecture/ConferenceMeeting/Interview
Direction (geometry)Musical ensembleLecture/Conference
Direction (geometry)Lecture/Conference
Lecture/ConferenceMeeting/Interview
Form (programming)HöheImperative programmingLecture/Conference
Norm <Mathematik>Lecture/Conference
Series (mathematics)File formatMeeting/InterviewLecture/Conference
MikrophysikLecture/Conference
Family of setsLecture/Conference
Context awarenessLecture/Conference
Decision theoryLecture/ConferenceMeeting/Interview
Decision theoryLecture/Conference
Escape characterNorm <Mathematik>Noten <Programm>Meeting/InterviewLecture/Conference
Noten <Programm>Field (mathematics)Time zoneASSIST <Programm>Lecture/Conference
Lecture/ConferenceMeeting/Interview
Lecture/ConferenceMeeting/Interview
Dynamic rangeHomogenisierung <Mathematik>Form (programming)Identity managementFreezingCodeLecture/Conference
Direction (geometry)Lecture/Conference
Direction (geometry)Moment (mathematics)Lecture/Conference
James <Programm>Large eddy simulationMonster groupLecture/Conference
Hasse diagramExpression
Mach's principlePositionLecture/Conference
Programmer (hardware)Mathematical structureFamily of setsLecture/Conference
Dynamic Host Configuration ProtocolLecture/Conference
Lecture/Conference
James <Programm>
Lecture/ConferenceMeeting/Interview
Noten <Programm>Lecture/Conference
Noten <Programm>Structural loadSMART <Compiler-Compiler>Lecture/Conference
Lecture/Conference
Mechanism designLecture/Conference
Mechanism designWirkung <Physik>Bounded setLag
PositionLecture/Conference
PositionParameter (computer programming)Lecture/Conference
Maus <Datentechnik>Form (programming)Lecture/ConferenceMeeting/Interview
Lecture/Conference
PowerPointMeeting/Interview
HypermediaPowerPointLecture/ConferenceMeeting/InterviewComputer animation
Transcript: German(auto-generated)
Ja, hallo. Ich muss sagen, ich muss mich immer noch an die Größenordnung etwas gewöhnen. Schön, dass Sie alle da sind. Ich bedanke mich sehr bei den Veranstaltern, dass ich heute hier sprechen darf. Ich war letztes Jahr schon da und es war ein ziemliches Desaster, ehrlich gesagt. Ich hatte meinen schönen Vortrag so ganz ausgeschrieben und den ganzen Text mitgebracht,
um kurz vor der Veranstaltung mit so einer Gruppe von Republikaveteranen zusammenzusitzen, die sich darüber unterhielten, wie extrem uncool es sei, noch mit fertigen Texten anzukommen.
Das lief so mittelgut und ich war ungeheuer stolz, dass ich zum allerersten Mal in meinem Leben überhaupt so etwas wie eine Powerpoint-Präsentation dabei hatte, die maskieren sollte, dass ich einen ausgeschriebenen, fertigen Text hatte. Dieses Jahr ist das anders.
Ich weiß ja jetzt, was cool und was total unhip ist und habe deswegen einen ausgeschriebenen, fertigen Text mitgebracht. Ein Denken, das zuerst noch nicht um die Richtung besorgt ist.
Ein Denken, das Erkenntnis will und mit der Sprache und durch Sprache hindurch etwas erreichen will, nennen wir es vorläufig Realität. So schrieb Ingeborg Bachmann in den Frankfurter Poetikvorlesungen.
Ich bin nicht sicher, ob das gelingt, aber das soll die Aufgabe sein. Zu denken, ohne schon um Richtung besorgt zu sein. Das Motiv Love Out Loud langsam zu betrachten, in verschiedene Formationen aufzufächern,
in Variationen von Deutungen zu bedenken und sie zu prüfen. Vielleicht ist das etwas unüblich, aber ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, was üblich ist auf der Republik. Und ich verstehe diese Tage immer auch als eine Möglichkeit, etwas auszuprobieren, etwas Unfertiges zu testen.
In diesem Fall keine ganze Theorie, sondern nur einen einzigen Satz, ein Motto, um zu sehen, was geschieht, wenn man es ernst nimmt. Alles andere wäre schließlich auch merkwürdig.
Es gäbe bei einer solchen Zusammenkunft eine Vorgabe und man nehme sie nicht auf und buchstabierte sie nicht aus. Was also sollte, was könnte Love Out Loud heißen? Kann ich das? Will ich das? Wer wäre ich, wenn ich es täte? Wer wäre ich, wenn ich es sagte? Wen oder was?
Wer wären wir, wenn wir es sagten oder umsetzten und welches Wir wäre da gemeint? Und wer wären die anderen auch? Wir oder andere?
Love Out Loud, also das möchte ich ganz gern versuchen, ein Motiv in vier Variationen. Eins. Ein Imperativsatz ist ein Satz, der einen Befehl, eine Aufforderung, eine Bitte ausdrückt.
Das erste, was auffällt, ist die grammatikalische Form. Love Out Loud ist ein Sprechakt im Modus des Imperativs. Eine Aufforderung, ein Befehl, eine Einladung. Es heißt nicht Loving Out Loud, nicht I want to Love Out Loud oder Let's Get Loud.
Ist das möglich? Lässt es sich auffordern zu lieben oder lässt sich die Lautstärke, in der zu lieben sei, verordnen?
Ist zu lieben eine Tätigkeit wie jede andere, wie Gehen, Sprechen, Springen, zu der sich Imperative bilden lassen? Lieb. Das klingt schon seltsam. Liebe laut und gefährlich klingt wie ein verunglückter Werbeslogan. Aber vor allem bleibt etwas darin paradox.
Der Liebe, so wie dem Glauben auch, ist etwas Unverfügbares zu eigen. Es lässt sich nicht beschließen zu lieben, ganz gleich wie wunderbar das Gegenüber auch sein mag,
so wie sich nicht beschließen lässt, nicht mehr zu lieben. Ganz gleich wie groß das Leiden an der Liebe auch sein mag. Die Liebe wie die Lust ist zu fragil, sie ist zu intim, als dass sie sich kontrollieren ließe. Sie liegt in einem und gehört einem doch nicht.
Vielleicht besteht eben darin die Magie von Liebe und Begehren, dass wir sie uns nicht verordnen können, dass wir zu ihnen nicht aufgefordert werden können oder anders gesagt, dass kein Befehl und keine Aufforderung uns dazu bringen kann, sie zu empfinden oder zu leben.
So wie sich die Liebe oder die Lust nicht verbieten lässt. Keine Anordnung, kein Gesetz, keine Normativierung kann uns dazu bringen, nicht zu lieben, wie wir lieben. Das verstehen diejenigen nicht, die queere Menschen kriminalisieren oder pathologisieren wollen.
Das verstehen diejenigen nicht, die uns unsichtbar oder unhörbar machen wollen. Unsere Liebe lässt sich so wenig erzwingen, wie sie sich verleugnen oder verändern oder auflösen lässt.
Zu lieben oder nicht zu lieben überschreitet jeden Zwang. Insofern regt sich zunächst einmal Widerspruch gegen die Form der Vorgabe, weil sie etwas verlangt, das sich nicht verlangen lässt.
Zwei, nicht aus Scham, sondern um niemanden zu verletzen, verberge ich manchmal mein Elend. So tun wir es oft mit der Wahrheit, sagt Richard Krenitzky in seinen Gedichten.
Nun verschiebt sich die Bedeutung der Aufforderung etwas, wenn die Betonung auf Out, Loud liegt. Nicht das Lieben selbst wird verordnet, sondern die Art diese Liebe auch zu artikulieren. Von welcher Liebe ist da die Rede?
Die Liebe zu einer Person, zu einer Überzeugung, zu einer Form in der Welt zu sein. Die Liebe zu einer Vision von einer gerechteren, inklusiveren, offeneren Gesellschaft. Die Liebe zu einer Passion wie der Musik oder dem Billard-Spielen oder die Liebe zu einer Region. Für diejenigen wie mich, deren Art zu lieben und zu begehren, immer noch vielerorts als pervers, als krank, als gestört,
als minderwertig, als sündig, als wieder natürlich oder als gottlos gilt. Für uns ist es eine historische Kontingenz, ob wir in einem Staat leben, in dem unsere Lust und unsere Körper kriminalisiert werden.
Es ist ein fragwürdiger Zufall, ob wir in einer Gegend aufwachsen, in der wir damit rechnen müssen, dass uns staatliche oder nicht staatliche Schergen auflauern,
in der wir kalkulieren müssen, dass uns offizielle Beamte oder nur Meuten aus herumlungenden Schlägern einschüchtern, demütigen, vergewaltigen oder töten. Auch wenn es der Zufall will, dass wir in eine Gesellschaft geboren wurden, in der
es staatlich organisierte Gewalt gegen unsere Liebe und unsere Lust und unsere Körper nicht mehr gibt, so bleibt die über Jahrhunderte eingeübte Angst vor dem, was die anderen denken, dass man sei, und die Angst vor dem, was sie denken, wozu sie dieses Wissen ermächtigt.
Diese Verkopplung von dem Begriff, dem Label, dem Bild, das einem zugedacht wird, und der Ermächtigung zu Spott und Hohn. Die Legitimierung von Herablassung oder Ekel, Demütigung oder Ausgrenzung ist nicht individuell, und
sie geschieht natürlich nicht nur mit Menschen, die anders lieben als die Norm. Sie wird geprägt und geformt in den Bildern und Geschichten, die über uns erzählt werden, in den Illustrationen, die die Nachrichtensendungen auswählen, wenn über eingetragene Partnerschaft oder den CSD berichtet wird,
in den fiktionalen Formaten, den Serien oder Spielfilmen, in denen wir nur auftauchen, wenn die Schauspielerinnen tatsächlich schwul oder lesbisch sind und eine heterosexuelle Figur ihnen schon nicht einmal mehr zugetraut wird.
Die Verkopplung von Begriff und Stigma, die Mikrophysik der Entwertung, formt sich auch in den Lücken, in dem, was fehlt, in der Negierung, in den Auslassungen. Überall dort, wo wir nicht auftauchen, finden wir uns auch. Wir sind
die, die verschluckt werden, die unsichtbar sind. Wir sind die schamhafte, peinliche Stille. Wir sind die, vor denen Kinder möglichst nichts wissen sollen. Wir sind die, die nicht zumutbar sind, nicht zu früh jedenfalls. Wir sind die, vor denen vielleicht nicht mehr gewarnt wird, aber von denen zu wissen, doch angeblich auch belastend oder befördernd sein soll.
Das ist im Übrigen noch die günstige Variante. An anderer Stelle, an anderen Orten werden wir sichtbar, aber eben nur als dämonische Andere des richtigen, echten, natürlichen, traditionellen Familienmodells.
Diese Mechanik trifft nicht nur Menschen, die anders lieben als die Norm, sondern auch Menschen, die anders aussehen, Menschen, die anders glauben, die anders trauern oder andere Körper haben. Das trifft auch Menschen, die einfach arm sind, ohne Arbeit, die in prekären Verhältnissen
leben, denen die gesellschaftliche Entwertung auch noch eine vermeintliche Schuld am eigenen Elend diktiert. Manche aus der älteren Generation, die noch die Furcht vor dem Lager und vor dem Gefängnis unter der Haut tragen, sprechen noch heute vom Untermieter, wenn sie die Liebe ihres Lebens meinen.
Sie können noch heute das Wort, das sie beschreiben könnte, schwul oder lesbisch oder homosexuell oder queer, nicht aussprechen, als wäre mit dem Wort die Wahrheit, die sie leben, endgültig in der Welt und damit eben auch unumkehrbar.
Aber auch manche von uns Nachgeborenen versuchen immer oder nur in bestimmten Kontexten und Situationen durchzugehen als etwas anderes.
Sich zu verstellen, sich zu maskieren, sich zu verleugnen, sich anzupassen ist kein einmaliger Akt. Keine Schwelle, die es nur einmal zu überschreiten gäbe, so wenig wie das Coming Out, das Love Out laut ein einmaliger Akt sein kann.
Sondern es verlangt permanente Entscheidungen, wann zu schweigen, wann zu sprechen und wann zu widersprechen ist. Diese Entscheidungen, sich selbst zu verleugnen oder sich zu sich zu stellen
und die eigene Liebe auch zu artikulieren, verlangen aber nicht von jedem dasselbe. Wer weiß ist und christlich, wer aus einer Mittelschichtfamilie stammt, wer über ein gesichertes Einkommen verfügt, wer soziale oder ökonomische Privilegien kennt, weiß sich weniger angreifbar.
Wer symbolischen oder institutionellen Status als Schutz bei sich weiß, ist der sozialen Missachtung weniger ausgeliefert. Die Vielschichtigkeit von Bezügen und Markierungen, die Intersektionalität von Personen nicht zu bedenken, ist eine eigene Technik der Marginalisierung.
Natürlich ist es leichter, das eigene Deviantebegehren auch sichtbar und hörbar zu machen, wenn nicht noch andere Devianten von anderen Normen hinzukommen. Und doch, und doch, und doch oder gerade deswegen ist es so dringend nötig,
offen zu sein, sich eben nicht zu maskieren, sondern die Maskierungen der Normen zu entlarven, sich zu zeigen als Liebende, als Begehrende, als uns zu zeigen. Ohne Scham, ohne Verstellung, ohne Not.
Ich vermühte übrigens trinken aus der Flasche, gehört auch zu dem Kuhnisfaktor.
Das mag ich jetzt einfach so mit. Dieses sich zu zeigen hat nicht nur in designierten Zonen statt, nicht nur in geschlossenen Räumen,
nicht nur im privaten, wie es die neuen Rechten, nicht nur von anderen, sondern anscheinend neuerdings mindestens bei der AfD, sondern auch von sich selbst verlangen. Homosexualität ist nichts, das ich mal eben ablegen ließe. Kein Requisit meines Körpers, kein Accessoire meiner Innerlichkeit, sondern meine Liebe und meine Sexualität gehören zu mir,
so selbstverständlich und unaufgeregt wie meine Rechtshändigkeit oder meine Musikalität. Das Thema Begehren ist nicht immer relevant und es ist schon gar nicht der relevanteste Aspekt meiner Person.
Gelegentlich scheint Homosexualität vor allem für Homophobe relevant zu sein, sowie der muslimische Glaube oder das Kopftuch für Islamfeinde eine regelrechte Obsession geworden zu sein scheint. Vielleicht ist es deswegen wichtig, beides zu betonen.
Die Selbstverständlichkeit, mit der ich lieben möchte, wie ich liebe, die Selbstverständlichkeit, mit der ich auch von dem Glück sprechen möchte, dass es mir bedeutet, dieses queere Leben und Begehren, die politischen Reflexionen auf all die Techniken und Mechanismen der Ausgrenzung und Stigmatisierung hier und anderswo
und meinen Wunsch, mir auch die Freiheit zu erhalten, in anderen Bezügen zu denken. Ich möchte es nicht sein, andere Allianzen, andere Verbindungen, lokale und internationale zu betonen.
Ich möchte wachsam bleiben für die identitären Verklumpungen, die Dynamiken zur Homogenisierung auch innerhalb verschiedener marginalisierter Lebensformen oder politischer Bewegungen. Ich möchte mir meine Selbstzweifel erhalten, meine Vorsicht, nicht bloß neue Formen einer vermeintlich authentischen Kultur zu reproduzieren,
nicht selber wieder Techniken der Distinktion von anderen zu generieren. Ich möchte auch die eigenen kollektiven Rituale, die Sprachspiele und Codes befragen können, ob sie uns womöglich eher einschließen und festschreiben, anstatt uns zu öffnen und zu dynamisieren.
Ob sie nicht selber wieder symbolisches Kapital anhäufen, das die einen auszeichnet und andere herab setzt. Das ist keine Anklage, sondern eben nur eine Frage an mich selbst.
Und es sind diese Fragen, die ich nicht verlieren möchte. Ich möchte nicht im politischen Gestus erstarren, ich möchte nicht, dass die Pflicht des Outloud mir die leiseren, poetischeren, zarteren Begriffe und Gesten überformt.
In Abwandlung eines Zitats von Claude Lévi-Strauss in Identitäten lässt sich fortbewegen, aber nicht leben. Vielleicht macht mir das am meisten Sorge bei dem Motto des Outloud.
Ich bin ja nicht queer geworden, um mich wieder in anderen Schablonen des Denkens, Sprechens und Handelns zu richten zu lassen. Ich schreibe ja nicht, um nur mehr andere Parolen zu produzieren, die wiederum andere herabsetzen oder lächerlich machen, sondern ich schreibe, um die Mechanismen der Ausgrenzung zu entlarven, aber vor allem auch um Räume zu öffnen,
in denen wir atmen und denken können, vor allem andere Vokabeln, andere Begriffe, andere Bilder, andere Erzählungen zu schaffen, in denen dann andere Allianzen, andere Bezüge, andere Hoffnungen sichtbar werden können.
Ich schreibe auch, um den Schmerz und die Trauer jener zu beschreiben, die ausgeschlossen oder eingeschlossen werden, denen Missachtung oder Gewalt angetan wird. Ich schreibe eben auch, um das, was beschwiegen oder vergessen werden soll, das, was unter dem Trauma der Gewalt verborgen liegt, wieder vorsichtig, langsam, bruchstückhaft zu heben.
Das geht nicht laut. Dazu braucht es das leise Sprechen oder Murmeln, das behutsame, unsichere, tastende Denken und Schreiben,
das noch nicht um eine Richtung bemüht ist. Dazu braucht es vor allem das geduldige Zuhören. Wir müssen aufpassen, dass wir das nicht verlernen, dass wir nicht vor lauter politischer Dringlichkeit, vor lauter Verzweiflung auch,
vor lauter Schmerz, vor lauter notwendigem Widerstand gegen die Anfeindungen, nur noch die laute politisch eindeutige Diktion, nur noch die Gegenpropaganda beherrschen. Wir müssen aufpassen, dass uns nicht das leise, ironische, ambivalente, dynamische Moment des politischen und des Begehrens verloren geht.
Ich erinnere mich, dass eine der Gründe, warum die Menschen so stupend an den Schmerz klingen, ist, dass sie merken, dass, wenn der Schmerz weg ist, sie werden gezwungen, mit Schmerzen zu handeln. James Baldwin in Notes of a Native Son.
Love Out Loud, das kann natürlich auch als Widerstand gegen den Hass gemeint sein, gegen den allgegenwärtigen Rassismus,
gegen das Ressentiment, die Missachtung, die seit einer Weile schon nicht mehr nur heimlich, sondern eigentümlich stolz und exhibitionistisch daherkommt. Dem Extremismus, der sich nicht mehr ranständig und tabuisiert, sondern in der bürgerlichen Mitte und normalisiert weiß, ist die Scham abhanden gekommen.
Gehasst wird jetzt hemmungslos und selbstbewusst und eben laut. Die Einladung des Hasses, sich ihm anzuverwandeln, gilt es auszuschlagen.
Und insofern zunächst einmal ja, Love Out Loud against Hatred. Wer dem Hass mit Hass begegnet, hat sich schon verformen lassen. Den Triumph sollten mit den Fanatikern der Reinheit, den nationalistischen und pseudo-religiösen Dogmatikern, diesen Spiegelfiguren nicht überlassen.
Jede Komplizität mit dem apokalyptischen Szenario eines Bürgerkriegs, mit der Fantasie der Auflösung aller Zivilität und Gewalt wäre fatal.
Wer eine inklusive, gerechte, offene Demokratie ersehnt, wer den Rechtsstaat schützen möchte, darf sich nicht in den Strudel aus Aggression und Gewalt ziehen lassen. Die Religionsfreiheit für Muslime lässt sich nicht schützen, indem nur noch Atheismus für salonfähig erklärt wird.
Wenn wir es ernst meinen mit der Religionsfreiheit, dann kann nicht jedes Zeichen von Frömmigkeit, ganz gleich ob muslimisch oder christlich oder jüdisch, als rückständig oder undemokratisch abgewertet werden. Die repräsentative Demokratie lässt sich nicht verteidigen, indem die Geschäftsordnung im
Bundestag geändert wird, nur damit ein missliebiger Abgeordneter als Alterspräsident verhindert wird. Wenn wir es ernst meinen mit der parlamentarischen Repräsentation, wenn eine Partei als verfassungskonform eingestuft wird, dann stehen ihr auch dieselben Rechte und Gelder zu wie allen anderen.
Dann müssen wir uns auf alle anderen Instrumente der Kritik und der Auseinandersetzung verlassen, die uns das Gesetz erlaubt. Auch das öffentliche Dämonisieren von Sexarbeiterinnen ist nicht statthaft,
nur weil damit vorgeblich politische Gegnerinnen als Heuchlerinnen entlarvt werden. Es mag überflüssig sein, das ausdrücklich zu betonen, aber auch das Abfackeln von Autos, das Verwüsten von Büros ist nicht politischer oder gesitteter,
nur weil es sich gegen Personen richtet, deren politische Positionen menschenverachtend sind. Eine Kritik des Essentialismus, der neonationalistischen Ideologien, die selbst auf essentialistische Methoden zurückgreift, reicht nicht.
Eine Kritik an der Menschenverachtung von rechtsradikalen Programmen, die selbst nur mit der Verachtung der Menschen reagiert, die diese Programme vertreten, diese Kritik widerspricht sich selbst. Wer die Mechanismen von Hass und Gewalt aufbrechen und überschreiten will, muss
die Mechanismen und Strukturen analysieren und kritisieren, nicht die Personen diffamieren oder angreifen. Insofern stimme ich zu, ja, gegen den Hass muss sich etwas anderes auffahren lassen als Hass. Dem Populismus lässt sich nicht mit intellektueller Selbstverschlichtung beikommen.
Dem Dogma des Reinen lässt sich nur mit einem Pädoyer für das Unreine antworten. Dabei gibt es keinen Grund, sich in die Defensive drängen zu lassen. Es gibt keinen Grund, sich einschüchtern zu lassen, denn die eigene Vision einer offenen, inklusiven, pluralen Gesellschaft ist nicht nur schöner oder gerechter, sie ist auch pragmatischer.
In ihr können sich mehr Menschen wiederfinden, weil in ihr auch die unterschiedlichsten Entwürfe vom guten Leben sein dürfen. Dafür braucht es allerdings keine Liebe zueinander oder füreinander.
Eine pluralistische, heterogene Gesellschaft gelingt nur dann, wenn keine zu hohen, affektiven Anforderungen aneinander gestellt werden. Wir brauchen nicht geliebt zu werden, wir wollen nur gleiche Rechte. Wir brauchen keine Liebe, uns reicht schon Respekt und ehrlich gesagt, wenn
Sie mich fragen, in den meisten Fällen höfliche Gleichgültigkeit wird es auch tun. Wir brauchen nicht geliebt zu werden und ich bin auch nicht in der Lage, alle Menschen oder alle Praktiken und Überzeugungen gleichermaßen zu mögen.
Es stimmt schon, manche Neigungen, manche Eigenschaften, manche Gewohnheiten oder Rituale sind mir vertrauter. Manche erscheinen mir komplett abstrus, manche traurig, manche verlogen, manche spießig, manche nötigen mir nur ein Staunen ab, manche ein Lachen. Übrigens staune ich ja nicht nur über die Leben von Fremden, sondern auch über die Leben von Freunden und vor allem über mein eigenes.
Eine plurale Gesellschaft wirklich zu wollen heißt auch, vielfältige Differenzen und Distanzen auszuhalten und zu respektieren.
Alles andere wäre kollektivierter Narzissmus. Respekt, Anerkennung, gleiche Rechte, das braucht es so wie Widerspruch und Kritik an den Mechaniken der Exklusion. Und es braucht nicht zuletzt Zuspruch und Solidarität mit denen, die ausgeschlossen werden, weil sie als anders markiert sind.
Was damit gemeint ist, was das konkret heißen soll? Wer gedemütigt und verletzt wird, wer verachtet und angegriffen wird, soll sich nicht selbst wehren müssen.
Ich würde das gerne nochmal wiederholen. Wer gedemütigt und verletzt wird, wer verachtet und angegriffen wird, soll sich nicht selbst wehren müssen. Es braucht andere, die einstehen für die Würde jeder einzelnen Person. Es braucht andere, die widersprechen. Die, die nicht gemeint sind, die sich aber gemeint fühlen.
Diejenigen mit Arbeit müssen Rechte und Umverteilung einklagen, für diejenigen ohne.
Die, die nicht glauben, müssen die Räume verteidigen, für die, die glauben. Und umgekehrt. Eine Gesellschaft, in der alle nur sich selbst retten und schützen wollen, ist keine. Das ist neoliberalistische Spektakel, sonst nichts.
Es braucht stattdessen einen Diskurs, der Anerkennung und Solidarität zusammen denken kann, in dem die sozialen Fragen nicht ausgespielt werden gegen die politischen, in der die Rechte der Arbeiterinnen und die Rechte von anders marginalisierten,
von Frauen, Schwarzen oder queeren Menschen nicht hierarchisiert werden, als gäbe es einen Vorrang, als seien die einen Fragen der Not und des Elends und die anderen Luxusfragen. Das ist ein falscher Gegensatz.
Niemand, der arm ist, empfindet das ausschließlich als eine ökonomisch depravierende Situation, sondern die Armut geht mit politischer Unsichtbarkeit anher. Wer arm ist, ist nicht bloß ökonomisch benachteiligt, sondern diese Armut wird gleichzeitig tabuisiert und stigmatisiert.
In einer Gesellschaft, in der über soziale Klassen kaum mehr gesprochen wird, liegt die Last und damit die Scham der sozialen Not auf einem Selbst. So wie die soziale Frage eine politische ist, die existenziell mit Anerkennung verknüpft ist,
so ist für Schwarze oder LGBTI die politische Missachtung eben eine, die ökonomische Konsequenzen hat. In der Auseinandersetzung um Gleichberechtigung, die Feministinnen oder die Black Lives Matter Bewegungen, die Migrantinnen oder die Queer Bewegungen und andere führen, geht es nie allein um kulturelle oder politische Ausgrenzung und Benachteiligung.
Da geht es nicht um Sprachspiele im luftleeren Raum, sondern da geht es ums soziale Überleben. Da geht es um die Angst, auf die Straße zu gehen oder in die Schule. Da geht es um Schmerzen am und im Körper, um die Schutzlosigkeit, weil der eigene Körper die eigene Sprache weniger zählt.
Da geht es um Jobs, um Wohnungen, um Ausbildungen, die weniger verfügbar sind für diejenigen, deren Namen oder Körper abgelehnt werden. Nein, die politischen und die sozialen Fragen gehören zusammen und wir lassen uns nicht die Gegensätze diktieren, die den Diskurs aufspalten wollen.
Wenn von Respekt und Solidarität die Rede ist, dann muss immer beides zusammen gedacht werden. Ökonomische und politische Ausgrenzung, soziale und kulturelle Anerkennung und eine universalistische und zerstörbare Kategorie menschlicher Würde.
Es gehört zum Mechanismus der Herrschaft, die Erkenntnis des Leidens, das sie produziert, zu verbieten, sagt Theodore W. Adorno in der Dialektik der Aufklärung.
Zuletzt möchte ich noch auf eine Beobachtung der letzten Monate eingehen, die mich umtreibt. Kaum einen Satz habe ich häufiger gehört als den, aber was können wir denn tun? Anfangs hat es mich vor allem beeindruckt, wie viele Menschen sich engagieren wollen.
Meistens sind es die ohnehin schon Engagierten, die mehr tun wollen. Das ist ungeheuer berührend. Aber nach und nach fiel mir auf, dass unter oder neben dem, was können wir denn tun, noch etwas anderes lag.
Es verkoppelte sich mit, die anderen sind lauter oder sichtbarer oder mit, wir erreichen die ja ohnehin nicht. Je nach Kontext gesellte sich dazu häufig der Hinweis auf die Beschränktheit des eigenen Wirkungs- oder Denkfeldes. Neuerdings heißt das Filterbubble. Je länger ich dem zuhörte, umso mehr schwand meine Rührung.
Nach und nach hörte ich auch die Ohnmacht heraus, die darin lag, oder die zugeschriebene Ohnmacht. Es ist auch eine Form der Selbstentmächtigung, sich beständig zu fragen, was das eigene Engagement denn erreichen kann.
Es ist eine bittere Form der Selbstentmündigung, die eigenen Positionen dadurch zu entwerten, indem man sich selbst vorwirft, dass sie nicht die Position von anderen oder von der vermeintlichen Mehrheit sein.
Mehrheiten oder hegemoniale Positionen kann man sich erarbeiten und erobern, nicht indem man ständig auf die anderen schaut und sie stärker fantasiert als sie sind,
sondern indem man sich selbst vernetzt und verbindet, indem man die eigenen Argumente, die eigenen Geschichten, die eigenen Utopien prüft und womöglich verbessert und indem man gemeinsam Fantasien entwickelt, wie wir leben wollen. Das geht nicht schnell. Das ist mühsam.
Das verlangt womöglich immer wieder auch Selbstkritik und das Überarbeiten der eigenen Konzepte und Ideen. Aber genau darin besteht politisches Handeln.
Wenn ökonomische Effizienzerwartungen politisches Denken und Handeln durchziehen, lässt sich jedes soziale Engagement, jedes analytische Denken, jeder politische Prozess demokratischer Willensbildung entwerten.
Alles dauert dann nämlich immer zu lange oder zeitigt keine eiligen Resultate. Die Logik des Shoppens lässt sich auf politische Diskurse und das Entwickeln von sozialen, ästhetischen oder politischen Praktiken und Überzeugungen nicht anwenden.
Es braucht Geduld und übrigens auch Großzügigkeit. Es braucht die Bereitschaft, Umwege zu machen, immer wieder inne zu halten. Es braucht den Mut, leise zu sprechen und zu murmeln. Es braucht die Milde, dem Gegenüber auch mal Fehler oder Unwissenheit zu verzeihen,
anstatt diese permanente Hermeneutik des Verdachts. Und es braucht die Ausdauer im Suchen nach besseren, gerechteren, zarteren Formen des Miteinanders. In einem Interview erzählte Toni Morrison neulich von ihrem Vater, ich zitiere.
Er arbeitete damals als Schweißer. Eines Tages erzählte er mir, er habe die perfekte Naht geschweißt. Und weil sie so perfekt war, hatte er seine Initialen darunter gesetzt.
Ich sagte, Daddy, niemand sieht das. Und er antwortete, aber ich weiß, dass sie da sind. Vielleicht ist es das, was ich mir wünsche. Und womit diese Reflexionen auf ein Motto in vier Variationen enden sollen.
Dass wir einfach schweißen und daran arbeiten, eine perfekte Naht zu schaffen. Und dass wir stolz sind, wenn es uns vielleicht einmal gelingt und uns dieses Wissen dann auch trägt und erfüllt,
auch wenn es keine einige Gratifikation dafür gibt. Und wir dann weiterarbeiten an der nächsten Naht. Darin und daraus besteht politisches, demokratisches Handeln.
Vielen Dank.
Wenn das so läuft, probiere ich es beim nächsten Mal dann auch ohne Powerpoint.
Ich glaube, wir hätten noch, wenn Sie mögen, vielleicht noch ein bisschen Zeit für Fragen.