Die fünfte Gewalt. Die Macht der vernetzten Vielen
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Formal Metadata
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Title of Series | ||
Part Number | 43 | |
Number of Parts | 177 | |
Author | ||
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Identifiers | 10.5446/32181 (DOI) | |
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Content Metadata
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Abstract |
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XMLComputer animationLecture/Conference
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Block (periodic table)Musical ensembleHausdorff spaceBlogMeeting/InterviewLecture/Conference
01:26
Haar measureInferenceBlogTwitterLecture/Conference
02:34
BlogStructural loadHausdorff spaceLecture/Conference
03:33
TwitterTable (information)Physical lawBlogLecture/ConferenceMeeting/Interview
04:03
AsymmetrySound effectDigital signalComputer animationLecture/Conference
04:57
FacebookComputer animationLecture/Conference
05:39
TwitterTOMForceLecture/ConferenceMeeting/Interview
06:45
Jacobson radicalCollective intelligenceDigital signalWritingLecture/ConferenceMeeting/Interview
08:17
CyberneticsLebendigkeit <Informatik>Direction (geometry)Prime idealLecture/ConferenceMeeting/Interview
09:24
Lecture/Conference
09:47
Content (media)MusteranalyseRollbewegungLecture/Conference
11:07
FiltrationInstanz <Informatik>Lecture/Conference
11:33
Lecture/Conference
12:05
Moment (mathematics)Focus (optics)Lecture/Conference
12:33
Moment (mathematics)Spring (hydrology)WikiLecture/Conference
13:30
Moment (mathematics)Computer networkLecture/ConferenceMeeting/Interview
14:04
Meeting/InterviewLecture/Conference
14:29
KommunikationHierarchyLecture/Conference
15:16
Moment (mathematics)Lecture/Conference
15:57
Moment (mathematics)KompaktheitInformationDigital mediaLecture/Conference
17:29
Form (programming)Statement (computer science)Direction (geometry)Moment (mathematics)Set (mathematics)Business reportingLecture/ConferenceMeeting/Interview
19:16
Digital mediaLecture/ConferenceMeeting/Interview
19:45
Wind waveForceLecture/Conference
20:35
Direction (geometry)TwitterLecture/Conference
21:30
Google BloggerHungarian Academy of SciencesGrand Unified TheoryTwitterLecture/ConferenceMeeting/Interview
22:29
Lecture/Conference
23:12
Professional network serviceForceLecture/Conference
24:03
Google BloggerKonnektorWirkung <Physik>Junction (traffic)Lecture/Conference
24:28
IP addressWirkung <Physik>Google BloggerLecture/Conference
25:44
Computer animation
Transcript: German(auto-generated)
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Ja, meine Damen und Herren, ich darf Sie herzlich begrüßen zu meinem kleinen Vortrag über
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die fünfte Gewalt. Und ich will mit einer Geschichte beginnen, einer Geschichte über die Macht der vernetzten vielen, die mir diese neue Einflusssphäre, die ich die fünfte Gewalt nennen möchte, noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt hat. Und diese Geschichte beginnt im Mai 2012, sie spielt in Schottland.
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Im Mai 2012 kommt die neunjährige Martha Paynes nach Hause, sie isst mit ihrer Familie Abendbrot und sie sagt ihrem Vater, dass sie ein Ziel hat, ein Ziel für ihr Leben, sie möchte gerne Journalistin werden. Und ihr Vater sagt, kein Problem, ich richte dir einen Blog ein.
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Aber worüber wirst du schreiben, fragt der Martha Paynes. Und die neunjährige sagt, ich brauche ja Stoff für die tägliche Produktion, also ich werde über mein Schulessen bloggen, ich werde über mein Schulessen schreiben. Gesagt, getan, der Mann, der Vater schaltet einen Blog online und Martha Paynes, diese
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neunjährige Schottin, entwirft ein eigenes Bewertungssystem als neugeborene Restaurantkritikerin. Wie viel Bissen konnte sie von ihrem Schulessen nehmen? Das ist ein ihrer Schlüsselkriterien. Wie gesund ist das Essen mutmaßlich, das sie da bekommt? Und vor allem, wie viel Haare entdeckt sie, die nicht ihre eigenen sind, jeden Tag in
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ihrem Essen? Und dann Anfang Mai geht alles online und Martha Paynes leiht sich die Kamera ihres Vaters und der erste Beitrag, ein Beitrag über ihre Mittagsmahlzeit des Tages, ein einzelnes Foto mit einer einzigen traurigen Krokette, ein wenig Zuckermais,
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ein Stück Pizza und dann die Sätze, ich zitiere, Ich bin ein Kind, das wächst und ich muss mich den ganzen Nachmittag konzentrieren, das schaffe ich nicht nur mit einer einzigen Krokette. Ihr Vater verlinkt den Blog-Eintrag über Twitter und dann geht alles ganz schnell.
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Starköche schalten sich über Twitter zu. Viele Kinder aus allen Heranländer schicken ihr Fotos von den Mittagsmahlzeiten, die sie selbst erleiden, die sie selbst erdulden müssen, Fotos aus Korea, aus Finnland, aus Deutschland, aus Amerika, aus China, woher auch immer, Fotos, die sie veröffentlicht.
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Die Geschichte explodiert endgültig als Martha Payne eines Tages ins Büro der Schulleiterin, aus dem Mathematikunterricht heraus zitiert wird und ihr die Schulleiterin sagt, hör auf, hör auf zu bloggen, lass das, das macht hier jeden verrückt. Die Leute haben Angst wegen all der schlechten Presse, wegen all dieser Aufmerksamkeit.
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Angst vor dieser gnadenlosen Evidenz aus verkochtem Gemüse, glasiger Dosen, Ananas und organisierter Lieblosigkeit und Martha Payne geht nach Hause, ein wenig geknickt natürlich und sie schreibt, wie sie denkt, einen letzten, einen allerletzten Blog-Eintrag
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mit dem Titel Goodbye. Schön war es, hat mir Spaß gemacht zu bloggen, aber ich muss jetzt aufhören. Da war diese Sache mit der Schulleiterin und dann, meine Damen und Herren, dann bricht ein Sturm der Solidarität los, auf Twitter, die New York Times greift diese Geschichte auf, eine Million Menschen innerhalb von 24 Stunden, eine Million Menschen wenden
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sich dem Blog von Martha Payne zu. Es kommt zu sogenannten Wutspenden, Rage-Donations, viele Menschen sammeln jetzt Geld für Martha Payne und ihr Anliegen, besseres Schulessen für die Kinder und die Schulleiterin, meine Damen und Herren, die Schulleitung lernt zwei Gesetze des digitalen Zeitalters, bitte aber doch sehr genau kennen.
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Das erste Gesetz ist das Gesetz von der neuen Asymmetrie, der neuen Asymmetrie von Anlass und Effekt, Schmetterlingseffekte sind nicht mehr nur eine Sache von Schmetterlingen, sondern im digitalen Zeitalter eine Sache von jedermann, der einen Netzzugang besetzt. Das zweite Gesetz ist das Gesetz von der Kontraproduktivität und der Unmöglichkeit
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der Zensur im digitalen Zeitalter, Stichwort Streisand-Effekt. Natürlich wird das Fotoverbot im Angesicht dieses Empörungszenamis sofort wieder aufgehoben. Natürlich blogt Martha weiter und sie sammelt Spenden, 100.000 britische Fund vermag sie einzusammeln, innerhalb kürzester Zeit und sie kauft davon, sie richtet
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davon eine Schulküche im afrikanischen Malawi ein und sie hat ein Thema gesetzt, als Protagonistin, als Symbolfigur der fünften Gewalt, nämlich das Schulessen, das wir unseren Kindern zumuten. Welche Geschichte erzählt die Geschichte von Martha Payne?
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Ich würde sagen, sie handelt von der Macht der Vernetzten viel, nicht von der Macht eines Einzelnen, nicht von der Macht eines kleinen Mädchens irgendwo in Schottland, das beim Abendbrot eine verrückte Idee entwickelt, sondern sie handelt von der Macht der Vernetzten viel, der fünften Gewalt, einer neuen Einfluss- und Machtsphäre, die sich neben die klassischen Gewalten, die Exekutive, die Judikative, die Legislative
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und die traditionelle Gewalt des klassischen Journalismus, die vierte Gewalt, wie wir sie gewöhnlich nennen, schiebt. Wer gehört, meine Damen und Herren, zu dieser fünften Gewalt des digitalen Zeitalters? Die fünfte Gewalt, das sind diejenigen, die protestieren, die über Facebook
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zu einer Demonstration aufrufen, die sich über Twitter vernetzen, die eine Online-Petition abfeuern, eine Kampagne starten, vielleicht auch einen Shitstorm auslösen, was auch immer, mal mit guten, mal mit schlechten Absichten. Die fünfte Gewalt, ich würde sagen, das sind wir alle, das ist potenziell jeder, jeder, der postet, jeder, der sendet, jeder, der sich gemeinsam mit anderen zu
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einer Aktivität zusammenfindet. Diese fünfte Gewalt, ich glaube, man kann sie nicht über eine gemeinsame Idee fassen, denn die Ideen, um die es geht, sind unendlich vielfältig. Man kann sie nicht über eine gemeinsame Ideologie fassen, denn die Ideologien,
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die die fünfte Gewalt, und das werde ich gleich versuchen zu zeigen, vertritt, sind unendlich vielfältig, vielleicht sogar gegensätzlich. Man kann die fünfte Gewalt nicht über eine kollektive Moral oder Unmoral fassen, denn die fünfte Gewalt hat unendlich viele Gesichter. Mal ist sie sensibel, mal fanatisch, mal berührbar, mal engagiert, mal
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fass erfüllt, mal Mob, mal engagierte Kraft. Alles ist sichtbar, alles ist gleichzeitig sichtbar. Damit stellt sich für mich die Frage, wie beschreibt man eigentlich den Radikalen der Pluralismus der vernetzten vielen, ohne ungerecht zu werden, weil man sich in Pauschalurteilen verliert, Pauschalurteile
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dergestalt Schwarmdummheit oder Schwarmintelligenz, oder weil man sich gewissermaßen im Detail verliert, das wäre die andere Möglichkeit und nur noch staunt und interessant und wundervoll, also nur noch gewissermaßen das Staunen über die ungeheure Individualität und Vielfalt zelebriert.
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Diese Frage danach, wie man diesen radikalen Pluralismus eigentlich dingfest macht, das ist aus meiner Sicht ein tiefes Problem, nicht nur gewissermaßen eine Frage der Methodik, sondern es ist etwas anderes, es ist eine Frage der Beschreibungsgerechtigkeit. Wir müssen wegkommen aus meiner Sicht von den Pauschalbegriffen in der Beschreibung digitaler Mächte, wegkommen von dem Troll, dem
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Verschwörungstheoretiker, der Schwarmintelligenz, dem Mobbing Spektakel. Also es geht um ein Stück Beschreibungsfernis, das im Grunde genommen zwei Elemente zusammendenkt, ungeheure Vielfalt auf der einen Seite, ungeheure Vielfalt der vernetzten vielen
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auf der einen Seite und aber auch eine Suche nach dem verbindenden Muster, denn wie gesagt, man kann nicht beim Staunen stehen bleiben, das ist analytisch steril, das bloße Staunen, das ist manchmal ganz schön, aber nicht sehr intellektuell attraktiv. Also wie findet man diese Doppelbewegung aus dem
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Besonderen und im Allgemeinen? Mir selbst hat da im Vorblick auf diesen kleinen Vortrag hier auf der Republika ein Buch sehr geholfen, ein Buch von dem Kybernetiker und Biologen Gregory Bateson. Gregory Bateson Ende der 70er Jahre, er weiß, dass er nicht mehr lange zu leben hat, ein Biologe, Zeit seines Lebens
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fasziniert von der Vielfalt des Lebendigen, gleichsam auf dem Sterbebett, versucht er in einer letzten Anstrengung des Denkens etwas zu finden, was er das Muster des Lebendigen nennt, das Muster, das verbindet, das ist die Formulierung, die er gebraucht, das Muster, das verbindet und er schreibt, ich zitiere, welches Muster, so Batesons
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Frage, welches Muster verbindet den Krebs mit dem Hummer und die Orchidee mit der Primel und all diese vier mit mir und mich mit ihnen und uns sechs mit den Ermöben in einer Richtung und mit dem eingeschüchterten
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Schizophrenen in einer anderen. Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist einerseits ein Anerkennen der Vielfalt, die Primel, der Hummer, die Ermöbe, ich selbst, aber es ist andererseits eine Suche nach dem verbindenden Muster, nach dem Muster, das verbindet und ich will mich dieser doppelten Blickrichtung, der Orientierung am
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Besonderen und der Orientierung am Allgemeinen in den nächsten 20 Minuten verpflichtet fühlen und versuchen, Ihnen gleichsam in drei kleinen Kapiteln eine dreifache Musteranalyse zu liefern. Das erste Muster der fünften Gewalt nenne ich das Rollenmuster, also welche Rollen kann die
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fünfte Gewalt übernehmen. Das zweite Muster nenne ich das Organisationsmuster, was ist das Vernetzungsmuster, das Organisationsprinzip der vernetzten vielen und das dritte Muster, das ich versuchen werde, herauszuarbeiten, ist das Wirkungsmuster, wie übt die fünfte Gewalt Macht, wie übt sie Wirkung
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aus. Rollenmuster der fünften Gewalt. Die fünfte Gewalt tritt zuerst und vor allem als Protestgemeinschaft in Erscheinung. Blitzschnell, selbstorganisiert, häufig geht es um Ungerechtigkeiten, die man bekämpfen will und
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wenn man genauer hinschaut, dann sieht man eben die Vielfalt, dann sieht man ein Riesenspektrum von Themen, Pegida-Anhänger und Pegida-Kritiker. Leute, die sich gegen einen Bahnhof, ich komme aus Stuttgart organisieren, Menschen, die als Wall Street-Kritiker auftreten, was auch immer ein Riesenspektrum der Inhalte, aber Protest als
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ein verbindendes Rollen- und Aktionsmuster. Des Weiteren die fünfte Gewalt als eine Instanz, die neue Themen abseits der klassischen Filterung der etablierten Massenmedien setzt. Die fünfte Gewalt, die als Agenda-Setter in Erscheinung tritt. Denken Sie ein Beispiel an
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dieses Video über diesen ugandischen Menschenschinder Josef Kony. Ein Video mit Weltwirkung, ein Video mit maximaler Viralität. 100 Millionen Menschen klicken innerhalb kürzester Zeit dieses Video an, beschäftigen sich mit den Aktivitäten
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seiner Rebellentruppe, mit seiner ungehemmten Aggression und beeinflussen allein darüber, allein über den Akt der Zuwendung, allein in Form des Plebizids, der Klickzahlen, Politik. Die fünfte Gewalt ist darüber hinaus ein
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medienkritisches Korrektiv, ein Meinungskorrektiv. Denken Sie an die Russland- oder Ukraine-Berichterstattung, die im Moment sehr im Fokus steht, aber genauso könnten wir an die Affäre Wulf erinnern oder an die Affäre Gutenberg, das Günter-Gras-Gedicht, was auch immer, oder an den Stichflammen-Journalismus im Angesicht der German-Wings-Katastrophe, der sehr viele User mobilisiert hat. Also wir
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erleben es jeden Tag im Netz, das Publikum, diejenigen, die wir vorher zum Publikum gezählt haben, sind aktiv geworden, sind meinungskorrektiv, sind Medienkritiker geworden, recherchieren selbst, inspirieren, schalten sich zu
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mit Klugen, mit Analytischen, mit Bizarren, mit was auch immer für welchen Auffassungen. Die fünfte Gewalt als Entlarvungs- und Fahndungsgemeinschaft. Ein Attentat geschieht schon springen alle an. Wer war der Attentäter? Wie interpretiert man jedes oder jenes Fotos? Oder denken Sie an die
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Crowdsourcing-Geschichten, die wir gelesen haben über Prominente und die Enthüllung von Plagiaten. Denken Sie noch mal für einen Moment an Karl Theodor zu Gutenberg, der seine Doktorarbeit aus den unterschiedlichsten Quellen zusammengestoppelt hat. Auch hier gewissermaßen die fünfte Gewalt als Entlarvungs- und Fahndungsgemeinschaft in Gestalt
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wütender Doktoranden, die in einem eigenseingerichteten Wiki diese Doktorarbeit vor aller Augen auseinandernehmen und der Minister tritt zurück. Also, welche Rollenmuster hat die fünfte Gewalt? Ich würde sagen, sie protestiert, sie enthüllt, sie recherchiert, sie setzt eigene Themen, sie betreibt Medienkritik, sie wird als Meinungskorrektiv wirksam. Das
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sind bei aller Unterschiedlichkeit, bei aller Vielfalt, an die man immer erinnern muss im Sinne des Geistes von Batesen, Rollenmuster der fünften Gewalt. Ich komme zu meinem zweiten kleinen Kapitel, dem Organisationsmuster der fünften Gewalt und ich will für einen Moment lang an Organisationsmuster, an Vernetzungsprinzipien, an
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Verknüpfungsmodalitäten in der analogen Sphäre erinnern. Einfach nur als Kontastprinzip. Meine Damen und Herren, wer von Ihnen ist Mitglied in einer Sekte? Freiwillige vor, denn ich würde sehr gerne Sie auffordern, jetzt hier so einen kleinen Erfahrungsbericht zu liefern. Wie lebt es sich so in einer Sekte? Wie geht es da so zu? Nehmen wir mal die Sekte als
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eine Form der Vergemeinschaft und nicht besonders attraktiv, deswegen meldet sich auch niemand, aber Sie dürfen mich nachher gerne nachher ansprechen im Anschluss an diesen Vortrag. Nicht besonders attraktiv, aber ein Verknüpfungs- und Vergemeinschaftsmuster ist ganz gewiss der totalitäre Kult, zum Beispiel in Form einer Sekte. Sternförmig läuft die gesamte
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Kommunikation auf einen einzelnen Zu, den Meister, den Hierarchen, den Guru, wen auch immer. Es gibt eine hohe Interaktionsdichte, man kennt sich und man weiß vor allem ganz genau, wer gehört dazu, wer gehört nicht dazu. Und wie geht man mit Individualität um? Auf eine nicht sehr gute Weise.
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Individualität ist ein Störfaktor. Sektenmitglieder sprechen ähnlich, kleiden sich ähnlich, unterwerfen sich und wer sich nicht anpasst, fliegt, wird vertrieben, diffamiert. Also das erste Organisationsmuster, das ich Ihnen im Sinne eines Kontrastmittels nennen
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möchte, der totalitäre Kult in Gestalt einer Sekte. Das zweite Organisationsmuster ist aus meiner Sicht das Kollektiv, ganz klassisch eine Partei, ein Unternehmen. Wie interagiert man in einem Kollektiv? Wie vernetzt man sich da? Nun, es gibt ein gemeinsames Ziel, es gibt ein gemeinsames Programm, eine gemeinsame Idee, eine
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Marke vielleicht bei einem Unternehmen. Und dann auch hier klare Innen-Außengrenzen, auch hier ein Moment der Hierarchie, aber im Unterschied zum totalitären Kult, ein Moment der Individualität. Sie können sich anziehen, wie sie wollen, wenn sie bei Daimler arbeiten, fast immer jedenfalls.
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Aber in dem Moment, in dem Ihr Widerstand zu groß wird gegen die gemeinsame Sache, gegen das gemeinsame Programm, dann fliegen Sie raus. Dann folgt auch hier die Exklusion. Ich will jetzt drittens, und ich hoffe, es wird gleich deutlich, warum ich Ihnen diese kleinen Exkurse über die Sekten und über
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die Organisationen in Form von Kollektiven zugemutet habe. Ich will jetzt über das Organisationsmuster der fünften Gewalt sprechen und hier auf der angeregt durch einen Aufsatz von zwei amerikanischen Politikwissenschaftlern Lance Bennett und Alexandra Segerberg einen neuen Begriff prägen. Im Unterschied zum totalitären
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Kult, im Unterschied zum Kollektiv, würde ich gerne mit Blick auf die fünfte Gewalt von einem Konnektiv sprechen, einem Konnektiv. Ich behaupte, das Konnektiv ist die Organisationsform der fünften Gewalt. Was ist ein Konnektiv? Ich würde sagen, das Konnektiv ist
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eine auf der Basis digitaler Medien entstehende neuartige Formation, eine neuartige Formation aus Gemeinschaft und Individualität, aus Offenheit und Kompaktheit. Ein Konnektiv ist die digital vernetzte, prinzipiell offene Gruppe, die im Austausch, im Kommentieren,
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im Teilen von Informationen gleichzeitig Individualität und Gemeinschaft erlebt. Wenn Sie so wollen, eine Organisation ohne Organisation. Beispiel, denken Sie zurück an die Aufschrei-Debatte. Wie ist die abgelaufen? Januar 2013 in irgendeiner Nacht. Anne Witzurek, eine Netzaktivistin,
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liest noch mal ihre Twitter-Meldungen. Und hier findet sie einen Tweet ihrer Online-Bekannschaft Nicole von Horst, der sie bewegt, der sie erschüttert. Hier heißt es nämlich, Zitat, der Arzt, der meinen Po tätschelte, nachdem ich wegen eines
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Selbstmordversuchs im Krankenhaus also ein aufs äußerste verknappter Bericht von einem Übergriff, von einem Moment sexistischer Gewalt. Der Anne Witzurek auf die Idee bringt, diese Formen sexistischer Brutalität unter einem eigenen Hashtag, nämlich mit Namen Aufschrei, zu sammeln.
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Und plötzlich werden jede Menge solcher Berichte sichtbar, jede Menge Dummersprüche, jede Menge Attacken, Formen der Gewalt. Immer mehr Frauen melden sich mit eigenen Erlebnissen zu Wort. Anne Witzurek schreibt, Ich heule gerade, aber hört nicht auf. 60.000 Tweets kommen innerhalb kürzester Zeit zusammen.
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Mini-Narrative, schockierende Geschichten von maximal 140 Zeichen. Was zeigt das Beispiel von Aufschrei? Ich würde sagen, es zeigt, dass das Konnektiv, das Organisationsmuster der fünften Gewalt nicht hierarchisch ist, dass es sich nicht strategisch zentral steuern lässt,
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dass man einem Konnektiv keine Befehle erteilen kann. Niemand kann sagen, so Schluss jetzt, lass mal deine blöden Tweets. Es soll alles in eine andere Richtung gehen. Nein, das funktioniert nicht, sondern es kommt auf etwas anderes an. Das Konnektiv ermöglicht eine neuartige Kombination aus dem Ich und dem Wir.
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Es ist sozusagen eine Ich-Wir-Gemeinschaft, eine neue Gemeinschaftsform ermöglicht durch digitale Medien. Also erneut eine Zwischenbilanz. Ich würde sagen, das Konnektiv ist das Organisationsmuster der fünften Gewalt. Das bedeutet nicht, dass Kollektive unwichtig wären oder dass es keine totalitären Kulte mehr gibt.
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Nein, es bedeutet auch nicht, dass es keine Mischformen mehr gibt, sondern es bedeutet nur, dass das Attraktivitätsgeheimnis der vernetzten vielen ein anderes ist. Es ist gerade nicht die Aufgabe von Individualität. Es ist gerade nicht die Orientierung nur an einer Idee von Gemeinschaft, sondern es ist die Kombination.
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Es ist die Verbindung, die Gleichzeitigkeit. Ich habe diese Idee einmal vor ein paar Tagen mit Sascha Lobo diskutiert und er sagte, ja, Teil der Welle sein und als einzelnes Teilchen glänzen. Teil der Welle sein und als einzelnes Teilchen glänzen. Das heißt, ich für eine sehr gute Formel
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für diese Idee, für dieses Konzept des Konnektivs, das ich hier versuche zu präsentieren. Meine Damen und Herren, können Sie noch? Haben Sie noch Kraft bei meinem Gang durch diese drei Kapitel? Zuerst die Rollenmuster der fünften Gewalt, dann das Organisationsmuster des Konnektivs und schließlich und zum Schluss jetzt
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das letzte, ganz kurze, kleine Kapitel, das Wirkungsmuster der fünften Gewalt. Wie erzeugt die fünfte Gewalt eigentlich Macht? Wie funktioniert Macht unter diesen neuartigen Bedingungen der Vernetzung? Noch einmal ein Beispiel, ein Beispiel, das das deutlich macht.
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Am 20. Januar 2013 twittert die amerikanische PR-Managerin Justine Sacco, kurz bevor sie in London das Flugzeug Richtung Südafrika besteigt, folgende Sätze, Zitat. Ich bin auf dem Weg nach Afrika. Hoffentlich bekomme ich kein AIDS. Ich mache nur Spaß.
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Ich bin weiß. Sie findet, meine Damen und Herren, das ist ein ironischer Witz. Sie findet, das war eigentlich eine Veräppelung der Weißen in der Filterblase ihrer Vorurteile, wie auch immer. Justine Sacco hat nur 170 Twitter-Follower. Sie rechnet nicht damit, dass irgendjemand auf ihren Wahnsinns-Tweet reagiert.
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Doch, es reagiert jemand. Sam Beidel, ein Blogger, reagiert. Ein Blogger mit 15.000 Twitter-Followern. Sam Beidel fragt sich in einem Tweet, warum eine PR-Frau im Ernst solche Sätze schreiben kann. Und dann, meine Damen und Herren, dann explodiert die Geschichte. Dann wird sie zum weltweiten Twitter-Trend. Tausende Empörte schalten sich zu.
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Justine Sacco ist immer noch im Flugzeug und schon gibt es einen Hashtag mit Tausenden von Beiträgen. Has Justine landed yet? Ist sie schon in Südafrika angekommen? Wer kann zum Flughafen fahren, um die Gute zu fotografieren? Wer erzählt ihr, dass ihr Job sich inzwischen während dieser Flugreise
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gleichsam in Luft aufgelöst hat? Von der New York Times bis zur Bildzeitung bis zu diesem Twitter-Hashtag überall wird berichtet, die PR-Agentur feuert sie. Das Interessante ist für mich, meine Damen und Herren, dass sich Justine Sacco eines Tages bei Sam Beidel meldet. Sie ruft ihn einfach an und sagt, können wir uns mal treffen? Können wir uns mal sehen? Ganz so wie jemand,
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der seinem Henker mal so ganz tief in die Augen schauen möchte. Nach der Hinrichtung wohlgemerkt. Und dann treffen sich die beiden und die unterhalten sich. Und das Gespräch hat noch keine Viertelstunde gedauert. Da entschuldigt sich Sam Beidel und sagt, es tut mir leid, ich habe dein Leben ruiniert. Und dabei, ich glaube dir inzwischen, es war alles nur ein blöder Witz.
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Sorry. Tut mir leid. Entschuldigung. Meine Damen und Herren, ich halte diese Entschuldigung für falsch. Ich bin nicht dafür oder ich bin nicht dagegen, dass man sich entschuldigt. Ich finde, man soll sich dauernd entschuldigen. Es ist völlig korrekt. Aber diese Entschuldigung von Sam Beidel gegenüber Justin Sacco ist interessant, weil sie zeigt aus meiner Sicht falsches Denken.
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Sie zeigt aus meiner Sicht ein Ursache Wirkungsmodell, ein Kausalitätsdenken, das schlicht und einfach nicht auf die Netzwerke des digitalen Zeitalters passt. Wir finden hier eine irreführende Personalisierung von Netzwerkeffekten. Natürlich so denken wir über Macht nach. Linear, kausal. A erzeugt B. Und je stärker die Kraft, je mehr Follower,
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desto massiver die Wirkung. Immer gibt es ein Drama zwischen einer mächtigen Person und einer Person, die ohnmächtig ist oder die in irgendeiner Form geschädigt wird. Und immer gibt es eine klar identifizierbare Schrittfolge, eine klare Proportionalität der Kräfte. Aber dieses Denken ist mit Blick auf die Einflussmöglichkeit,
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mit Blick auf die Macht der fünften Gewalt falsch. Justin Sacco ist ein Opfer nicht von Sam Beidel, sondern ist ein Opfer von etwas, was ich gerne ein Wirkungsnetz nennen würde. Das ist eine sehr viel schwerer fastliche Form von Macht, eine sehr viel schwerer fastliche Form von Einfluss.
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Das Wirkungsnetz. Natürlich, es gibt zentrale Knotenpunkte, es gibt Konnektoren, es gibt wichtige Blogger in einem Netzwerk, ganz klar. Aber die Macht entsteht doch dann als plötzliches Eruptionsphänomen, als plötzlich aufschäumende Aufmerksamkeits- und Empörungsattacke
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der vernetzten vielen. Ich würde sagen, die Macht der fünften Gewalt entfaltet sich erst in diesem Wirkungsnetz. Sie ist nicht mehr isoliert vorstellbar. Es ist nicht ein einzelner. Diese Macht hat keine persönliche oder institutionelle Adresse. Es gibt nicht den einen magischen Übeltäter in Gestalt eines mächtigen Bloggers,
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den wir kritisieren könnten oder verantwortlich machen könnten. Diese neue Macht lebt im Konnektiv. Sie existiert im Wirkungsnetz. Und vielleicht, meine Damen und Herren, vielleicht ist diese diffuse Form von Macht, diese undeutliche Form der Macht der Grund, warum es bis hier zumindest
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noch kaum eine Debatte gegeben hat über den Einfluss der fünften Gewalt, über den guten Einfluss und über den schlechten Einfluss. Ich glaube, wir sollten, wir müssen ausgehend von einem anderen Machtdenken, von einem anderen Machtparadigma über diesen Einfluss sprechen und miteinander reden. Ich danke Ihnen sehr dafür, dass Sie mir zugehört haben.
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Vielen Dank.