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Der entfesselte Skandal

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Der entfesselte Skandal
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18
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72
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Der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg stürzt über Plagiate, die im Netz detailgenau dokumentiert werden -- und löst eine Welle von Enthüllungen aus, die zahlreiche Politiker Ansehen und Doktortitel kosten. Greenpeace zwingt ein Weltunternehmen mit Hilfe von Social-Media-Diensten und einer raffinierten Kampagne in die Knie. Und der amerikanische Politiker Anthony Weiner zerstört seine Karriere, weil er in einer Mischung aus Nachlässigkeit und Inkompetenz seine Twitter-Follower über seine Sexaffären informiert. Alle senden, speichern, publizieren. Manchmal reicht schon ein einziger Klick, und in falsche Kanäle geratene E-Mails und Fotos, Handyvideos und SMS-Botschaften beenden eine Laufbahn und besiegeln ein Schicksal. Immer mehr Daten lassen sich immer leichter durchsuchen, verknüpfen, kopieren, verbreiten -- und eines Tages benutzen, um den Ruf eines anderen zu zerstören. Smartphones und Digitalkameras, Netzwerk- und Multimedia-Plattformen, persönliche Websites, Blogs und Wikis sind die neuartigen Instrumente der Enthüllung. Sie liegen heute in den Händen aller. Dieser Vortrag geht von einer zentralen These aus: Der Skandal ist kein Distanzereignis mehr, sondern hat unser aller Leben erreicht.
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Moment (mathematics)Matrix (mathematics)KommunikationLecture/Conference
Lecture/ConferenceMeeting/Interview
Google BloggerBlogDecision theoryUniverse (mathematics)Lecture/Conference
Computer wormEmailInformationKommunikationWEBAction at a distance (physics)SchärfeLecture/Conference
PICA <Bibliotheksinformationssystem>Software developerForm (programming)Computing platformWebsiteInsertion lossContext awarenessAsymmetrySmartphoneScatteringInformationMultimediaCafé <Programm>FacebookGoogle BloggerBlock (periodic table)BlogProfessional network serviceBeobachter <Kybernetik>Variable (mathematics)Bulletin board systemLecture/ConferenceMeeting/Interview
ACT <Programm>Motif (narrative)Information and communications technologyDigitizingMechanism designScatteringAnalogySound effectState of matterAbstractionData storage deviceDatenverknüpfungData transmissionMittelungsverfahrenHigh availabilityLecture/Conference
Sound effectRow (database)FacebookHausdorff spaceDigitizingMechanism designMoment (mathematics)Motif (narrative)SummationEigenvalues and eigenvectorsTwitterKommunikationDigital signalPlot (narrative)Modal logicContext awarenessLecture/Conference
ACT <Programm>MittelungsverfahrenZahlInformationMoment (mathematics)Point (geometry)PermanentStudent's t-testVelocityDirection (geometry)Lecture/ConferenceMeeting/Interview
ACT <Programm>Value-added networkSpoke-hub distribution paradigmGroup actionMoment (mathematics)ImplikationInternetPrint <4->Form (programming)Electronic program guideVelocityPerspective (visual)Scripting languageRandbedingung <Mathematik>Meeting/Interview
Transcript: German(auto-generated)
Ja, ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. Ich bin sehr froh, sehr glücklich, hier zu sein,
auch weil wir, ich ja nun aus Tübingen, aus einer alteingesessenen, wunderbaren, idyllischen Universität kommen, die aber doch, das muss ich sagen, selbstkritisch sagen, nach diesen drei Tagen hier auf der Republika eine andere Matrix der Kommunikation lebt. Ich möchte Sie zu einer kleinen Entspannungsübung einladen. Schließen Sie die Augen,
machen Sie sich locker und denken Sie gemeinsam mit mir einen stillen Moment lang an Horst Köhler. Warum? Warum gerade Horst Köhler? Weil ich glaube, weil ich behaupte, dass Horst Köhler,
einer der letzten Bundespräsidenten dieser Republik, Erfahrungen mit der modernen Medienwirklichkeit gemacht hat, die einerseits extrem sind, aber andererseits auch typisch Zeichen der neuen Zeit. Denken wir also zurück. Horst Köhler, am 1. Juni 2010 tritt er gemeinsam mit seiner Frau im Schloss Bellevue vor die Presse, schimpft in einer kurzen Erklärung
auf die Medien und tritt zurück. Warum? Einige Tage zuvor, in einer Nacht auf einem Rückflug von Afghanistan, hat er einem Radioreporter ein Interview gegeben. Und in
einem ziemlich komplizierten Satz, der über manchen Umweg letztlich diese Ad-hoc-Reaktion des Rücktritts auslöst. Ich lese Ihnen diesen Satz einmal vor. In meiner Einschätzung, so Horst Köhler, sind wir insgesamt auf dem Weg, in der Breite der Gesellschaft zu verstehen,
dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren. Zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch negativ auf unsere Chancen zurückschlagen,
bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Zitat Ende. Dieses Interview wird gesendet vom Deutschlandradio, vom Deutschlandfunk und es hat, wie man in der Radiosprache zu sagen pflegt, es hat sich versendet. Niemand hat sich dafür interessiert. Niemand ist ganz richtig. Zwei Blogger haben es aufgegriffen. Einer war Stefan Graunke und hat Anstoß genommen,
hat sich darüber geärgert, hat diese Sätze kopiert. Es entstand zunächst nur im Netz eine erregte Debatte darüber. Hat hier der Bundespräsident grundgesetzwidrig eine Rechtfertigung von Wirtschaftskriegen vorgeschlagen oder nicht? Ein Student der Medien- und
Kanzlergeschehen, ich zitiere, die Sprengkraft, die diesem Zitat innewohnt, ist riesig. Dass ein deutscher Bundespräsident derart unverhohlen Militäreinsätzen das Wort redet, dass er ungeniert wirtschaftliche, nationale Interessen mit Waffengewalt zu sichern erwegt, ist ein Skandal. Meine Damen und Herren, dieser Student, ich
kann es aus der Nahbeobachtung bestätigen, hatte über Pfingsten Zeit. Keiner der getan über diese Pfingstage 2010. Er hat getwittert, er hat gemailt. An alle großen
Nachrichtenagenturen, an alle großen Zeitungen hat er den Hinweis geschickt, dass hier in Form dieser ja vielleicht etwas gewunden formulierten Sätze von Horst Köhler ein Skandal vorliegt und zwar ein echter Skandal und es eben jene Massenmedien und dass eben jene großen Nachrichtenagenturen ihn übersehen haben, diesen Skandal. Und
tatsächlich, es gab Reaktionen. Die Zeit Online hat sich bedankt, die Frankfurter Rundschau hat sich bedankt. Spiegel Online, der entscheidende Agenda-Setter des Online-Universums hat als erster das Thema aufgegriffen. Bundeswehr in Afghanistan, Köhler entfacht neue Kriegsdebatte. Die Frankfurter Rundschau ist gefolgt. Im Spiegel, der kurz vor
dem Montagsrücktritt schon am Samstag hier im Regierungsviertel kursierte, wurde Horst Köhler in beispielloser Schärfe attackiert und zwar als Horst Lübcke, auch ein Bundespräsident, Heinrich Lübcke, der sich mit der Bemerkung lächerlich gemacht haben soll, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Neger. Aber wiederum auch
sei, Horst Köhler trat in Reaktion auf diese Skandalisierung, die nicht eine aber zwei Thesen sind an seinem Medienschicksal, das wäre meine zugespitze Behauptung, unser
aller Schicksal ist interessant. Erste These, es versendet sich nichts mehr. Was einmal digital vorliegt, schlummert lediglich. Es ist gleichsam aus der Sicht von Horst Köhler gesprochen oder gedacht, eine Art Zombie-Information, die plötzlich zu neuem Leben erweckt werden kann. Vollkommen zufällig, vollkommen unkontrollierbar.
Was wäre eigentlich gewesen, wenn eben jene Tübinger Professorinnen und Professoren ihrer Hilfskraft ein paar Hausarbeiten aufgebrumpt hätten? Hätte er noch die Zeit gefunden zu twittern, zu bloggen, seine Mails an alle wichtigen Redaktionen zu verschicken? Ich glaube, diese Frage muss unentscheidbar bleiben, aber darauf
kommt es mir an, niemand weiß, welche seiner Daten schon morgen einen Skandal auslösen können. Zweite These, das Publikum ist ganz offensichtlich die neue Macht. Früher, in einer anderen Zeit, in einer Zeit mächtiger Leitmedien, in
einer Zeit aggressiv durchsetzbarer Deutungsmonopole, wäre die Skandalisierung nach einem klassisch gewordenen Dreischritt abgelaufen. Erstens, wir haben eine Normverletzung. Zweitens, wir haben jemand, der von dieser Normverletzung berichtet, vielleicht ein Informant, der mit einem Koffer voll Material in der Redaktion auftaucht, und wir haben drittens die Entscheidung der Journalisten, dies alles zu publizieren. Und ganz am Ende
dieses Kommunikationsprozesses, dieses Dreischritt der Skandalisierung, Normverletzung, Enthüllung, kommt dann zum Schluss das Publikum. Es darf sich interessieren, es darf sich alarmiert fühlen, es darf im Zweifle einen Leserbrief schreiben oder zum Telefonhörer greifen, aber
es ist vergleichsweise passiv, es ist vergleichsweise stumm und in jedem Fall zur Reaktion verdammt. Das Entscheidende dieses Falls, dieses kleinen Einstiegsbeispiel scheint mir zu sein, dass sich die klassische Logik der Skandalisierung im digitalen Zeitalter und im Zeitalter des Web 2.0 umdrehen lässt, dass gewissermaßen das Publikum selbst in Gestalt, in
diesem Fall von einigen Blogern, ein Empörungsangebot lanciert, dass sich Massenmedia längst versendet hat, dann aber von den Massenmedien aufgegriffen und mit der nötigen Wucht versorgt wird. Also das Publikum ein völlig neuer Player oder ein vergleichsweise relativ neuer
wirkmächtiger Player in der Erregungsarena der Gegenwart. Ich bin damit am Ende dieser kleinen einführenden Bemerkung und möchte etwas verallgemeinern. Ich behaupte, was sich am Beispiel von Horst Köhler zeigt, bedroht aus guten oder schlechten Gründen, man muss es auch
nicht notwendig als eine Bedrohung sehen, jeden, der Spuren hinterlässt, unabhängig von politischer Macht, von Einfluss, von Status, von Prominenz. Niemand ist mir davor sicher, dem letzten Panel wurde der Numa Numa Guy erwähnt, zum Objekt rein zufälliger oder mehr oder minder zufälliger Aufmerksamkeits-Exzesse zu werden. Niemand kann sich die Eventualität
eines öffentlichen Echoes im Extremfall dieses global vernehmbar auch nur annähernd vorstellen. Menschliches Bewusstsein und mediales Sein haben, glaube ich, zu keinem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte wirklich zueinander gepasst. Niemand, der eines schönen Tages in den Höhlen saß und Malereien fertigte, konnte sich vorstellen, dass die Touristenbusse
aus dem Ruhrpott diese Zeichnungen begutachten werden. Also es ist sozusagen das Wesen von medialer Kommunikation zuverlässig Überraschungen zu produzieren, kalkulierbare Unkalkulierbarkeit und auf eine für den Betroffenen oder für den Auslösenden nicht mehr
berechenbare Weise über sich selbst hinauszuweisen. Aber ich behaupte, noch nie klaften moderne Medienwirklichkeit und das Gespür, das eigene Gespür für öffentliche Fernwirkungen in der Art drastischer Weise auseinander. Die Kerntese meines kleinen Vortrags lautet, wir alle sind gewissermaßen ein bisschen wie Horst Köhler,
ich will Sie nicht kränken, nämlich unvermeidlich medialitätsvergessen und das wäre mein zweites Stichwort, das ich hier in die Debatte werfen will, möglichkeitsblind. Blind für die mögliche Zukunft unserer Radiosätze, unserer Facebook Nachrichten, unserer SMS Botschaften, unserer Fotos, Filmchen, Mailbox Nachrichten,
denken Sie an seinen Nachfolger Christian Wulf. Möglichkeitsblindheit und Medialitätsvergessenheit erscheinen mir aus Sicht des Individuums, des Einzelnen gesprochen, die Bewusstseinsdimension dessen zu sein, die Bewusstseinsformation
dessen zu sein, was Michael Seemann in seinem wunderbaren Blog Möglichkeitsblindheit nennt. Gemeint ist schlicht, niemand kann die medialen Verwertungsbedingungen erahnen, niemand besitzt ein Gespür für potenziell extreme, prinzipiell unbeherrschbare Kommunikationseffekte, niemand
der redet, schreibt, bloggt, twittert, unter den Augen einer Kamera tanzt, pöbelt, flirtet, kurzum atmet und lebt, kann sich auch nur vorstellen, was mit den eigenen Daten und Dokumenten passiert, in welchen merkwürdigen, vielleicht auch beschämenden Kontexten sie eines Tages zu ihm zurückkehren und sich auf unauflösbare
Art und Weise mit dem eigenen Ich verbinden. Erneut lediglich kaleidoskopartig ein paar wenige Beispiele, vielleicht hat es der eine oder andere von Ihnen gesehen, Watzlaw Klaus, der unter den Augen einer Kamera einen Kugelschreiber klaut und einen unfreiwilligen YouTube-Hit
landelt. Wenn Sie heute, oder jetzt gleich Tiger Woods googeln, stoßen Sie auch auf die Chat-Protokolle, die er mit seinen Geliebten geführt hat. Denken Sie aber auch an Ilker Kanerva, jeden finnischen Außenminister, das SMS-Botschaften an eine Stripperin zu seinem Rücktritt geführt haben und die nach wie vor im
Netz zu finden sind. Denken Sie schließlich an den Dior-Designer John Galliano in einem Pariser Café, in dem er komplett besoffen auf einem Handy-Video die auf einem Handy-Video verewigten Sätze sagt, ich liebe Hitler, Sätze dieser Art, die ihm den Job kosten und
einen hochnotpeinlichen Prozess bescheren. Ich behaupte schon diese sozusagen ja nur anekdotisch einbringbaren Fallgeschichten zeigen die fundamentale Veränderung des Skandalschemas, die ich versuche hier zum Thema zu machen. Im Zentrum steht aus meiner Sicht, das wäre, wenn Sie so
wollen, meine Formel für diesen Nachmittag, eine radikale Demokratisierung der mediengestützten Enthüllungs- und Empörungspraxis. Enthüllungs- und Empörungsprozesse werden zum Aktionsfeld der vielen. Etwas systematischer glaube ich, dass es sechs wesentliche Veränderungen gibt. Erstens, es tauchen neue Enthüller auf, einzelne,
manchmal auch der Mob, dann wieder arabische Freiheitsaktivisten, genialische Blogger, Schwärme von wütenden Doktoranden, die die Doktorarbeit eines Verteidigungsministers vor aller Augen auseinandernehmen. Es gibt zweitens neue Tools der Skandalisierung,
Aufzeichnungsmedien wie Handys, Digitalkameras, leistungsstarke Computer, Verbreitungsmedien im Social Web, Netzwerken und Multimedia Plattformen wie Facebook, YouTube, Blogs, persönliche Websites und Wikis. Instrumente solcher Skandalisierungsprozesse, darauf kommt es mir an, deswegen Demokratisierung der Enthüllungs- und Empörungspraxis, die heute
in den Händen aller liegen. In der netten Einleitung wurde es gerade erwähnt, sie alle tragen Allzweckwaffen der Skandalisierung permanent am Körper. Sie nennen sie nur liebervoll ihr Smartphone. Es gibt drittens aus meiner Sicht neue Opfer, auch das eine Veränderung des Skandal Schemers, das sich zu beschreiben lohnt, eben weil auch ganz
und gar unschuldige, ohnmächtige, vielleicht unbeteiligte und Unbekannte zum Objekt von kollektiver Empörung werden. In einer anderen Zeit, in einer ersten Veröffentlichung über den Skandal überhaupt, in den 70er Jahren hat der FAZ-Autor Johannes Gross einmal geschrieben, gegen ohnmächtige und
kleine Leute bricht kein Skandal aus. So geht sein monumentaler Aufsatz über die Phänomenologie des Skandals los. Dieser Satz war, meine Damen und Herren, schon immer falsch. Denn natürlich betreiben Boulevard-Medien systematisch eine Art Hinrichtungsgeschäft auch gegenüber kleinen Leuten oder sogenannten kleinen
Leuten und Ohnmächtigen. Aber dieser Satz ist heute nicht nur mit Blick auf Boulevard-Medien doppelt falsch, denn es ist sehr wohl so, dass gegenüber Ohnmächtigen und Unschuldigen und komplett Ohnmächtigen Skandalisierungsprozesse ausbrechen können und dass sich eine mitunter dramatische Asymmetrie von Anlass und Effekt, Ursache und Wirkung,
Verfehlung und Strafe zeigt. Viertel Veränderung, neue Themen. Wir haben einen Wechsel formulhaft gesagt, erneut überpointiert vielleicht ein Wechsel von dem massenmedialen Diktat der Relevanz zu dem universalen Diktat der Interessantheit. Und das heißt,
wir finden alles, bedeutsame Information und private Narration, echte Missstände und abstruse Behauptungen, Merkwürdiges und Ekelhaftes, aber eben auch die entscheidende Enthüllung gleich neben der hingerotzten Banalität. Es ist alles sichtbar und alles gleichzeitig
sichtbar. Schrecken, Schandbilder, Schönheit, grausame Spektakel, ebenso wie dringend benötigte Aufklärung über Folter und Gewalt, Bilder, die den Sturz von gefährlichen Charismatikern, Dispoten und Diktatoren vorantreiben. Ich glaube, der entfesselte Skandal hat viele
Gesichter. So viel Ambivalenzfähigkeit muss sein und es gibt nicht nur den gemeinen, den bösen Shitstorm. Es zeigen sich fünftens neue Formen von Ungewissheit. Man weiß nie, was andere über einen wissen, wie sie zu diesem Wissen gelangt sind, wie welchen Spuren sie gerade folgen und
wie sie mit all dem umgehen, wie sie die Bilder und Sätze verändern, kombinieren, streuen. Und es lassen sich sechstens neue Formen des Steuerungsverlustes beobachten. In einer anderen Zeit denken sie an ein Trägermedium wie Papier, an eine Plattform wie Papier, die eine ganz andere Kontrollmöglichkeit erlaubt,
konnten sie mit einer lokalisierenden Adresse attackieren. Zensur und Einschüchterungsversuche praktizieren, Gegendarstellungen durchsetzen, Papier vergilbt, Papier ist auch verbrennbar. All diese Möglichkeiten, brachialen Skandal und Krisenmanagements, die gibt es heute nicht mehr aufgrund der
globalen Streuung von Daten, ihrer raschen Verfügbarkeit, der Permanenz ihrer Präsenz, ihrer blitzschnellen Durchsuchbarkeit und ihrer leichten Rekombinierbarkeit. Das heißt, um noch einmal auf Michael Seemann zurückzukommen, der Kontrollverlust ist elementar. Er ist sozusagen zur Zeiterfahrung geworden. Man kann nicht
mehr kontrollieren und zensieren, wer über wen, was, mit welchen Tools und welchen Mitteln enthüllt. Und wer versucht dies zu tun? Stichwort Streisand Effekt erzeugt womöglich gerade das Gegenteil dessen, was er erreichen will. Er mobilisiert durch Zensur und steht am Ende des Tages nicht nur wegen dem Urskandal am Panger, sondern eben auch noch als
Zensor. Was aber verursacht den Kontrollverlust? Und ich will Ihnen jetzt in den letzten Minuten schon in der Zielgeraden zu unserer Diskussion ein kleines Denkschema liefern, eine kleine mögliche Übersicht, eine kleine mögliche Einteilung der Ursachen des Kontrollverlustes und der
Entfesselung des Skandals in Form von drei Antworten. Also was verursacht den Kontrollverlust? Es gibt eine erste sehr konkrete Antwort. Wenn man ganz genau guckt und wir haben das getan, die Fälle analysiert, mit den Menschen spricht, die etwas veröffentlichen oder Objekt von Skandalisierung geworden sind, dann sieht man, es sind oft Zufälle. Manchmal ist es einfach Geltungsdrang, manchmal der
Wunsch nach Rache, nach Demütigung, nach Blamage, manchmal auch der unzielte Verrat und durchaus moralische Absicht, hinken Sie an Bradley Manning. Also wenn man das Konkrete anschaut, dann sieht man die Vielfalt, die Vielfalt der Motive und Absichten. Vielleicht nicht so interessant, wenn es um Mechaniken geht und um Mustererkenntnis. Es gibt eine zweite auf der Skala von
Konkretion zur Allgemeinheit, auf der anderen Seite ist extrem angesiedelte Antwort, eine sehr allgemeine Antwort. Es ist die Digitalisierung von Dokumenten und Materialien aller Art, die Möglichkeit der Datenspeicherung, Datenkopie, Datentransfer,
Datenverknüpfung, der Veröffentlichung, die gewissermaßen die entscheidende informationstechnische Voraussetzung ist für den Kontrollverlust. Peter Glaser hatte es einmal ganz wunderbar in einem an entlegener Stelle publizierten Aufsatz gesagt, indem er gesagt hat, Digitalisierung bedeutet, dass Materialien, analoge Materialien
ihren Aggregatzustand wechseln, das war seine Formulierung, dass sie in einen neuen Aggregatzustand gelangen und dass sie damit auch eine neue Leichtigkeit besitzen. Eben weil den digitalisierten Daten diese besondere Leichtigkeit, diese Möglichkeit zur vollkommenen
Transformation zur globalen Präsenz eigen ist, können Textsplitter, Imagefragmente, was auch immer im Extremfall global aufsehen sorgen. Das ist die informationstechnische Voraussetzung der Entfesselung des Skandals. Dritte und letzte Antwort auf der Suche nach den Ursachen von Kontrollverlust.
Sozusagen auf einer mittleren Abstraktionsebene zwischen dem ganz besonderen und vielfältig besonderen und dem ganz allgemein dem Prozess der Digitalisierung insgesamt. Stammt aus einem kleinen Buch, das einführend erwähnt wurde und das sich zusammen mit der Informationstechnik geschrieben habe. Das ist mir wichtig zu
erwähnen, nicht im Sinne einer Werbeeinblendung, obwohl es ja auch auf der Republika die ein oder andere kleinere Werbeeinblendung gibt, sondern eher aus Gründen des intellektuellen Copyrights, weil alles was ich hier sage gewissermaßen mit ihr zusammen erdacht, mit ihr zusammen verfasst ist.
Der entscheidende Mechanismus des Kontrollverlustes, den wir versuchen dingfest zu machen, den nennen wir neben der informationstechnischen Voraussetzung der Digitalisierung und der konkreten Motivbeobachtung, den nennen wir Kontextverletzung. Was meinen wir damit? Kontext meint für uns schlicht
die Summe der erwarteten und der erwartbaren Kommunikationsbedingungen. Kontextverletzung bedeutet, dass der ursprüngliche Äußerungs- und Handlungskontext verändert, verschoben wird und dass es erst diese Verletzung ursprünglich gemeinter, ursprünglich angezielter
als gegeben angenommener Kontexte ist, erst der Bruch mit diesen angenommenen, diesen erwarteten Rahmenbedingungen von Kommunikation, die dann die neue Bedeutung entstehen lassen. Sie schaffen die Basis für die Entfesselung des Skandals. Nochmal zu Horst Köhler zurück um diesen vielleicht etwas abstrakt und sperrig wirkenden Begriff der
Kontextverletzung detaillierter mit Blick auf einen konkreten Fall zu demonstrieren. Kontextverletzung im digitalen Zeitalter, Basis der Entfesselung des Skandals ist immer räumlicher Natur. Horst Köhler hat diesen ominösen, etwas gewunden formulierten Satz in einer Nacht gesprochen in einem Flugzeug auf
dem Rückflug von Afghanistan. Vielleicht dahiergesagt. Aber darauf kommt es mir an. Daten und Dokumente werden deterritorialisiert. Ich habe dieses Wort lange vor dem Spiegel zu Hause geübt und ich bin sehr froh, dass es geklappt hat.
Daten und Dokumente werden aber auch, so könnte man das vielleicht nennen, in jedem Fall bei dem Prozess der Entfesselung entzeitlicht. Die Kontextverletzung, die ich hier versuche, als Zentralmechanismus zu präsentieren, ist immer auch
zeitlicher Natur. Es sind Sätze aus der Vergangenheit. Es sind längst versendete Sätze, die plötzlich explodieren, wieder ausgegraben werden. Die Kontextverletzung ist immer publikums- und öffentlichkeitsspezifischer Natur. Es ist das kleine, ausgesuchte Publikum der eigenen Äußerung und Handlung, das mit einem Mal
durch ein potenzielles Weltpublikum ersetzbar wird. Auch die Sätze von Horst Köhler lassen sich noch blitzschnell googeln, auch heute noch. Das heißt, Daten und Dokumente werden im Extremfall global bekannt. Schließlich und zum Schluss, die Kontextverletzung ist, und da ist uns kein besserer Begriff eingefallen, häufig modaler Natur.
Wenn man diese Sätze liest, und ich habe sie am Anfang zitiert und ich will sie nicht nochmal zitieren, aber dann sehen Sie eines an diesen Sätzen. Es sind ad hoc formulierte Sätze. Sie sind eben gerade nicht stilistisch durchgeformt. Hier hat sich keiner oder niemand ausreichend davor Gedanken gemacht, wie er diesen
Satzbau plant. Sie sind dialogisch prozessorientiert, sprunghaft. Und wenn ich jetzt mit diesen Sätzen in der Tasche zu meinen Linguistik- Kollegen zwei Stockwerke über meinem Tübinger Büro gehe und sie Ihnen vorlege, dann sagen Sie mir Folgendes. Diese Sätze basieren auf konzeptioneller Mündlichkeit. Horst Köhler hat, das kann man an
der Syntax zeigen, am Satzbau zeigen, in dem Moment gedacht, er spreche für den Augenblick. Aber diese konzeptionelle Mündlichkeit, denken Sie auch an den Mailbox-Anruf. Wir haben den Rubikon überschritten, Herr Diekmann von Christian Wulf. Diese konzeptionelle Mündlichkeit, die existiert im digitalen
Zeitalter oft nicht. Und deshalb sprechen wir von Modaler Kontextverletzung, weil der Modus der Mündlichkeit faktisch nicht besteht, sondern auf schriftliche Fixierung, auf schriftliche Zementierung hinausläuft. Also Dokumente der Mündlichkeit werden statisch. Sie bekommen etwas Endgültiges.
Damit bin ich am Schluss meines kleinen Vortrags über den entfesselten Skandal, dem Versuch zu zeigen, Digitalisierung als die informationstechnische Voraussetzung, die Vielfalt der Motive, den Mechanismus, der Kontextverletzung und die zentrale Zeiterfahrung, des Kontrollverlustes, von der Michael Seemann spricht. Und ich denke oft,
man sollte eigentlich versuchen, seinen eigenen Vortrag, und ich finde es eine reizvolle, intellektuelle Trainingsaufgabe, in einem einzigen Satz zusammenzufassen. Einen einzigen Satz, der gleichsam alles enthält, der ausreichend Komplexität besitzt und der gleichzeitig so etwas gibt wie eine Handlungsempfehlung. Dieses Mal, meine Damen und Herren, habe ich das leider nicht geschafft.
Es sind zwei Sätze geworden. Der erste Satz lautet, Handle steht so, dass dir die öffentlichen Effekte deines Handelns langfristig vertretbar erscheinen. Und jetzt der zweite Satz, aber rechne damit, dass dies nichts nutzt. Vielen Dank.
Fünf Minuten haben wir noch. Wird mir gesagt für die Diskussion.
Einen Moment. Ist das ganze Thema Kontextverletzung nicht ein Stück weit auch einfach eine Lernfrage und eine Generationenfrage? Wir haben die gleiche Diskussion auch immer um solche Themen wie Facebook und was Leute veröffentlichen, insbesondere was Eltern jetzt beispielsweise irgendwie Kontrolle
darüber haben sollten, was ihre Kinder bei Facebook oder Twitter oder sonst was über sich preisgeben und da irgendwelche Lerneffekte machen sollen, wobei die Realität ja zeigt, dass die Eltern meistens viel weniger Verständnis dafür haben, was da eigentlich gerade vorgeht als ihre eigenen Kinder, weil die eben damit aufgewachsen sind.
Ist das nicht einfach eine Frage? Köder ist da ein gutes Beispiel für von Leuten, die nicht mit einer neuen Form der Öffentlichkeit aufgewachsen sind, die das nicht von Grund auf gelernt haben und deswegen einfach nicht damit rechnen, wie sie sich in diesem Kontext verhalten müssen und geht es nicht mit der Zeit
einfach schlicht und ergreifend, löst es sich evolutionär? Ist das eine spannende Frage? Ich persönlich glaube nicht, dass sich diese Erfahrung des Kontrollverlustes begrenzen lässt, didaktisch begrenzen lässt, obwohl man natürlich didaktische Vorstellungen hat und auch gezwungen ist, die zu äußern. Also ich denke, dass sowas wie Journalismus verstanden als das Interesse
an glaubwürdiger, relevanter, faktischer Information in ein Element der Allgemeinbildung überführt werden muss, dass sich heute fast alle oder alle, die publizieren und wer ist das nicht, Fragen stellen muss, können muss, gleichsam von Kindesbeinen an, die sich früher nur einen hier natürlich offensiv idealisierter Journalismus gestellt hat.
Aber ganz ernsthaft gesprochen, ich denke nicht, dass es funktioniert, die Situation der Dauerbeobachtung gleichsam zu beantworten durch Selbstkontrolle und ich glaube auch nicht, dass es eine attraktive Gesellschaft ist, in der man in einem Moment der sozusagen oder in einem Zustand
permanenter Selbstpanzerung existiert in dem Versuch, nie etwas Falsches zu sagen. Ich denke, dass die sozusagen die Aufmerksamkeit eher, wenn man schon sozusagen didaktisch denkt, auf die Gatekeeper, die einzelnen Gatekeeper und das sind ja, wir alle geworden gehen muss.
Ich bin nicht sicher. Also ich meine, natürlich hätte er wegen dieser Geschichte nicht zurücktreten müssen. Das ist ganz gewiss auch eine Art Ad hoc Reaktion gewesen,
die nach wie vor nicht ganz erklärbar ist. Aber deklinieren Sie nur mal die letzten drei Bundespräsidenten durch. Wir haben bei Horst Köhler diese Geschichte mit dem Satz. Wir haben bei Christian Wulff diesen völlig sinnlosen Anruf, diesen Drohanruf. Auch da schafft er ja ein permanent recycelbares Dokument mit gnadenloser Beweiskraft.
Und dann setzt er in seiner Form das Skandalmanagement noch auf die Salamitaktik nach dem Motto abwarten, schreibchenweise das zugeben, was sich nicht zugeben lässt. Und gibt eine Fernsehkonferenz und Sie haben in solchen Skandalisierungsprozesse in der Regel nur eine einzige Chance. Gibt eine Fernsehkonferenz, die in 15 relevanten Punkten Stichwort Hauskredit, Stichwort Anruf bei der Bildzeitung
schon in den Stunden danach korrigiert werden muss. Denken Sie an Joachim Gauck. In dem Moment der Nominierung stand er am Pranger auf der Basis einiger Sätze. Also die Erfahrung und wir konzentrieren uns natürlich immer auf Prominente. Aber die Erfahrung des Kontrollverlustes und das nehme ich auch aus meinen eigenen Erfahrungen mit und aus den Erfahrungen
und den Gesprächen mit meinen Studenten, die ist elementar. Die können Sie nicht eindämmen. Darf ich? Ich denke nicht. Ich denke, dass er sich völlig falsch eingestellt hat auf die Geschwindigkeitsverhältnisse des digitalen Zeitalters. Niemand kann mehr auf Zeit spielen,
wenn drei Stunden nach der großen Fernsehansprache, nach der großen Fernsehdiskussion, die ein Befreiungsschlag sein soll, dass der klare Gegenbeweis vorliegt. Auch Guttenberg. Auch Guttenberg. Der hat einfach gedacht, er kann mit den Leitmedien oder beziehungsweise dem entscheidenden Boulevardmedien weiter sozusagen seine Deutung durchsetzen.
Es war kein Plagiat und ich habe nicht betrogen. Also bevor das Ganze in Dialog ausbringt, Jan Mönnikes, ich bin Rechtsanwalt und ich beschäftige mich mit dem, was Sie heute beschreiben in der Praxis. Es ist im Wesentlichen mein Job, mich um Menschen zu kümmern, die sowas unterliegen und denen Rat zu geben, wie man damit vernünftig umgeht.
Also nicht in der Art, wie es manche machen, die dann nur zum Shitstorm oder so führen, sondern eben einigermaßen damit umzugehen. Und ich teile erstens Ihre Analyse voll. Ich möchte aber nur einen zweiten Aspekt in der Frage verbinden. Jenseits des Phänomens, des Kontrollverlustes, wo es einfach so passiert,
dass man in ein Skandal hineingerät, nimmt zu die bewusste Skandalisierung. Also sei es durch Medien, sei es auch durch wen auch immer der also bewusst einen Skandal versucht zu erzeugen, um damit ein bestimmtes Mittel zu erreichen. Das ist was anderes, als es hier beschrieben ist. Echte Skandale, die oder Dinge,
die man anders bewerten kann. Gibt es jenseits Ihrer zutreffenden Analyse etwas, was Sie in Ihrer Arbeit raten würden und sagen würden, da gibt es einen Ausweg oder ist es etwas, was man einfach hinnehmen muss? Weil wenn es letztlich so darauf hinaus liefe, so wie manche bei Wikipedia beispielsweise argumentieren, das ist halt einfach so. Dann kommen wir natürlich gegebenenfalls irgendwann
in den gesellschaftlichen Konflikt, wenn es nämlich eine große Zahl von Menschen gibt, die irgendwann mal Opfer geworden sind oder Opfer erlebt haben und sagen das Nein, das nehmen wir nicht mehr hin. Und dann kommen anschließend ganz fürchterliche Fantasien, was man also alles machen müsste, um diese Freiheit, die das Netz ich jedenfalls verteidige, zu begrenzen. Und irgendwo dazwischen ist doch die Frage,
gibt es einen Ansatz? Haben Sie etwas, eine Idee zumindest? Jenseits dessen. Wir müssen irgendwie damit leben, wo man vielleicht weiter forschen oder weiter diskutieren kann. Also ich glaube, es gibt so eine grobe Richtung, so eine grobe Leitlinie, ohne dass man sagen kann, dass sie funktioniert. Das erste Prinzip oder dass es gewissermaßen eine Art Kochrezept zur Skandalbewältigung wäre.
Das erste Prinzip wäre sehr schnell reagieren. Das zweite Prinzip ist sehr transparent reagieren. Sie haben nur eine einzige Chance, einmal alles offen zu legen. Und wenn Ihre Anwälte, wenn Sie versprechen, dass Ihre Anwälte morgen alles ins Internet einstellen, dann dürfen da nicht nur sechs Seiten kommen.
Das dritte Prinzip. Sie müssen sich gewissermaßen auf die neuen, auf die neue Mehr- und Vielkanaligkeit einstellen. Es lohnt sich nicht und das wird nicht funktionieren, ein Pakt mit den Leitmedien des Landes zu schließen. Diese Zeit ist vorbei. Und das vierte Prinzip, das mir wichtig erscheint,
man schreibt in gewissem Sinne auch den Skandalisierungsprozess selbst. Mediale Images sind so etwas wie Zwangsjacken, die Ihnen im Prozess der Skandalisierung das Reaktionsbild vorgeben. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Wenn Sie wie Karl Theodor zu Guttenberg als Ikone von Glaubwürdigkeit,
als kantiger Antipolitiker verehrt werden, als Musterbeispiel für Verantwortung und Authentizität, dann können Sie nicht sagen, ich setze jetzt mal auf Zeit und vielleicht habe ich ein paar Fehler gemacht. Dann müssen Sie sofort gehen. A la Käßmann. Margot Käßmann hat verstanden, dass ihr Skript,
evangelische Bischöfin, die leider betrunken im Straßenverkehr unterwegs ist, dass ihr Skript vor dem Hintergrund einer moralisch hoch aufgeladenen Institution wie der Kirche nur einen Schritt zulässt, nämlich sofortigen Rücktritt. Also Sie schreiben das Skript Ihres Skandalmanagements selbst.
Und wenn man jetzt Christian Wulf hätte beraten wollen, dann hätte es aus meiner Sicht neben diesen genannten Geschwindigkeitsversäumnissen eine einzige Chance gegeben. Er hat nämlich oder seine Berater haben zum Teil erkannt, dass man Medien und Empörungen,
Publikumsempörung in eine Frontstellung bringen kann. Und das hat diesen Skandal sehr lange regiert. Aus meiner Sicht und ich sage es jetzt mal so ganz ungeschützt, wir sind ja unter uns und das wird auch ganz gewiss nicht übertragen jetzt am Ende des Tages. Aus meiner Sicht hätte ein fieser PR-Berater, wie Sie ja hier in Berlin zu Tausenden sitzen, ein fieser PR-Berater
hätte ihm gesagt, geh in die Klinik. Es ist Zeit für den Medien verursachten Burnout. Also entlang des Skripts, das ich angedeutet hatte und entlang des Publikumsbildes dieser Mann, zumindest eine Hälfte der Bevölkerung hat so gedacht, wird von den Medien gejagt, wird von ihnen gehetzt. Ich teile diese Auffassung nicht.
Hätte er da vielleicht noch eine Chance gehabt auf Sympathie und andere Formen von Mitleid? Moment. Sie geben mir einfach einen Cut.
Ich höre dann auf. Ich würde gerne weitermachen, aber ich beuge mich natürlich mit diesen Prinzipien, die hier auch herrschen. Haben Sie eine Idee oder Überlegung, wo das hingeht, wo sich das hin entwickeln wird? Also wenn der 50. Politiker
dabei erwischt worden ist, dass er sich seinen Doktortitel gekauft hat, interessiert es uns dann nicht mehr? Oder wird man gesellschaftlich damit anders umgehen? Lernen wir damit klarzukommen? Und dann ist es irgendwann egal? Ich habe im Grunde genommen keine allgemeine Geschichte, weil was ich aus diesen Skandalfällen lerne,
ist, dass es sozusagen dass jeder Fall die konkrete Situation braucht, um die Empörungsdynamik zu entfachen. Denken Sie an einen Fall, der mich der wirklich nur offline oder wesentlich offline gespielt hat, aber der mich zutiefst bewegt und ich muss auch sagen erschüttert hat. Das ist der Fall der Odenwaldschule. Im Jahre 1999 2000
war der systematische Missbrauch durch einen pädokriminellen wie Gerald Becker bereits in der Öffentlichkeit. Das war alles bekannt. Das war alles enthüllt durch einen sehr klugen, jungen Journalisten von der Frankfurter Rundschau. Niemand hat sich dafür interessiert. Die Parteispenden Affäre hat sich darüber geschoben.
Sie hatten keinen Kontext. Sie hatten keinen Schema. Es gab diese Missbrauchssfälle in der öffentlichen Bekanntheit noch nicht von der katholischen Kirche. Es gab kein Schema der Verarbeitung, auf das man aufsetzen könnte. Reformpädagogen, so war man sich sicher, tut so etwas nicht. Dann im Jahre 2010 wurde derselbe Artikel im Grunde genommen es ist fast derselbe Artikel
einfach noch mal publiziert von demselben Autor und alles ist explodiert. Das heißt, das ist meine Erfahrung, wenn ich mich mit Skandalisierungsprozessen auseinandersetze, im Grunde genommen erst im Nachhinein klug sein und smart erscheinen und sagen, okay, hier haben wir völlig nahe Randbedingungen, hier gibt es ein eingelerntes Schema.
Hier wissen wir, dass auch von solchen Leuten solche Verbrechen ausgehen können. So ein paar Fragen gehen noch, aber dann müssen wir leider schon Schluss machen. Stefan Ploechinger, Journalist. Ich gebe Ihnen komplett
eine Analyse in Errichtung, ich treibe das auch seit Jahren um. Ich finde, Sie beschreiben eine sehr interessante Mechanik, die einem, wenn man sie als Leser hört, auch mich wahnsinnig irre erst mal erscheint. Also wir Journalisten funktionieren da irgendwie wie so eine komische Herde. Ich glaube, dass das muss eigentlich irgendwie Implikationen für unsere berufsständische Ethik haben,
für das, wie wir ticken. Also wenn Sie als jemand, der sich da auch sehr professionell beschäftigt, in Forderungen an den Journalisten stellen müssten. Wo müssen wir denn mal einen Cut machen? Müssen wir mehr nachdenken? Müssen wir ruhiger werden? Oder was müssen wir tun? Was müssen wir ändern?
Ich denke schon, dass natürlich das Leitbild und da bin ich gewissermaßen auch ein Vertreter der der alten Zeit, wenn ich so will, ein Dinosaurier, der Print Phase, dass das Leitbild des klassischen, auch des entschleunigten Qualitätsjournalismus nach wie vor ein probates Leitbild ist. Aber ich denke, dass es
nicht mehr nur um Journalisten und angeht. Es geht gewissermaßen um uns alle. Wie gesagt, ich glaube, dass wenn es Bildungsanstrengungen geben muss, dann müssen die universale Art sein. Das macht keinen Sinn, gewissermaßen die Journalisten Ausbildung zu perfektionieren
zu einem Zeitpunkt, in dem jeder vielleicht nicht als Journalist, aber als ein unter Umständen global wirksamer Enthüllungspublizist in Aktion treten kann. Ich denke wirklich, das müsste ein Schulfachleben im digitalen Zeitalter geben und die nächste Kafka Interpretation, die zweite Lautverschiebung. Und es ist vielleicht
vor diesem Untergrund nicht mehr ganz so zentral. Also meine die einzige Vorstellung, die ich habe und die ist in der Tat völlig entschieden. Ich glaube, es ist alternativlos auf die Mündigkeit des Einzelnen zu setzen, der lernen muss wie ein und ich idealisiere wie ein wirklich guter,
empathischer, aufklärerisch gestimmter, verantwortungsbewusster Journalist zu handeln. Und das scheint mir die einzige Idee, die ich habe, denn wenn ich jetzt im Moment die aktuellen Debatten beobachte, dann sehe ich im Grunde genommen eine Renaissance der Überwältigungsphilosophien.
Ja, entweder ist Technik gut oder sie ist schlecht. Ich polarisiere jetzt etwas und aber auf jeden Fall ist sie allmächtig. Entweder sie rettet unsere Gesellschaft oder sie reißt uns in den Abgrund. Und die Perspektive, die ich gerne sichtbar machen will und die ich versuche, mit dieser Analyse sichtbar zu machen hinter dem Medium, hinter der Technologie steht bis auf weiteres ein mündiger Mensch,
an dessen Mündigkeit wir unbedingt glauben müssen, selbst wenn sie sich als Fiktion erweisen sollte. Also das ist ein missionarischer Standpunkt, hinter den ich gleich nicht zurückgebe. Das gebe ich zu. Vielleicht ist das als Schlusswort. Wunderbar. Vielen Dank. Muss man jetzt auch Schluss machen?