Fifty Shades of Merkel.
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Formal Metadata
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Title of Series | ||
Part Number | 18 | |
Number of Parts | 188 | |
Author | ||
License | CC Attribution - ShareAlike 3.0 Germany: You are free to use, adapt and copy, distribute and transmit the work or content in adapted or unchanged form for any legal purpose as long as the work is attributed to the author in the manner specified by the author or licensor and the work or content is shared also in adapted form only under the conditions of this | |
Identifiers | 10.5446/20648 (DOI) | |
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re:publica 201618 / 188
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HypermediaMicrosoftIBMBlock (periodic table)InternetPresentation of a groupXMLComputer animationJSONLecture/ConferenceMeeting/Interview
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Block (periodic table)InternetComputer animationLecture/Conference
01:28
IBMWhiteboard
01:58
RobotE-bookLecture/Conference
02:36
RAMInternetFacebookTwitteriPhoneStudiVZLecture/ConferenceComputer animation
03:18
Online chatGRADEDigital signalLecture/Conference
03:49
IBMTED <Datenbank>Hospital information systemSQLTwitterLecture/ConferenceComputer animation
04:19
Lecture/Conference
04:43
DigitizingInternetDiagram
05:07
InternetLecture/Conference
05:47
IBMHidden Markov modelTrailInternetLecture/Conference
06:20
AdhesionLecture/ConferenceComputer animation
06:44
StreckeEckeInternet
07:30
IBMLecture/Conference
08:10
TwitterYouTubeInternetWebsiteBuildingFacebookWeb browserUnschärfeLecture/ConferenceMeeting/Interview
10:42
InternetWeb browserLecture/Conference
12:27
Local area networkInternetLecture/Conference
13:01
Internet
13:46
FacebookWebsiteInternetHighlight <Programm>KommunikationLecture/Conference
14:53
Point cloudStress (mechanics)Smart cardInternetAdobe PhotoshopNumerisches GitterPrinciple of maximum entropy
16:39
USB <Schnittstelle>Social softwareInternetLecture/Conference
17:20
Moment (mathematics)LengthAnt <Programm>PositionGrand Unified TheoryMeeting/Interview
20:15
PositionMeeting/Interview
21:23
Series (mathematics)Moment (mathematics)Lecture/Conference
21:50
Smart cardProfessional network serviceMeeting/Interview
24:12
OrbitRoundingLecture/Conference
26:35
InformationLecture/Conference
28:25
Mathematical structureHidden surface determinationMetreLecture/Conference
31:21
MicrosoftJSONXML
Transcript: German(auto-generated)
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Hi. Ja, danke für das Interesse. Jetzt müsste auch hier die Präsentation kommen.
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Ich mache erst mal kurz was zum Buch drum herum und auch was das mit Internet zu tun hat und so weiter. Und dann lese ich einfach. Weil ich habe nämlich die ganze Sache auch schon aufgeschrieben, logischerweise, die ich auch in dem Teaser geschrieben habe.
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Also, Angela Merkel, ich beschäftige mich jetzt seit zwei Jahren intensiver mit ihr. Als Politikwissenschaftlerin habe ich das natürlich vorher auch schon länger gemacht. Ich habe ein Blog, die Präsentation. Also merkel-blog.de habe ich vor anderthalb Jahren
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angefangen am 9. Januar 2015. Warum den 9. Januar? Das erfahrt ihr gleich aus dem Stück, was ich vorlese. Und was ich da mache ist, ich sammel da auch Internetsachen. Also es gibt ganz viele Gifts über sie, mit ihr, von ihr, wer die vielleicht schon mal
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gesehen hat. Sie eignet sich erstaunlich gut dafür. Jetzt ist die Präsentation weg. Ich habe auch etwas gemacht, was ich im Buch nicht unterbringen konnte, war, dass die Zielgruppe irgendwie nicht so anspricht, aber was euch anspricht wird,
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nämlich ein Bot, basierend auf einer Markov-Kette, der Reden von ihr durchwurschtelt und wo ab und an dann doch mal ganz schöne Sachen bei rumkommen. Hier ist der Bot, irgendwann zu sehen.
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Und alle, die sich vielleicht schon mal mit Bots beschäftigt haben, haben ja vielleicht schon mal festgestellt, dass es so eine ganz interessante, ja der Duktus, sehr interessant reingewaschen dargestellt wird. Genau, also das ist hier der Merkel-E-Books. Alle 15 Minuten aus 400 Reden. Normalerweise kommt da sowas bei rum. Aber ab und an auch
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so richtig schöne Schmankerl. Ganz wirklich, also zum Teil auch sehr hoch die antinationale Solidarität und so. Frau Merkel als die Chefin der Antifa sozusagen. Was aber in dem ganzen Spiel oft vergessen wird, Angela Merkel ist seit 2005 Kanzlerin. Internet 2005. Wir
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wissen, was war 2005 eigentlich? Also ich habe irgendwie Abi gemacht, habe so ein paar Symbolbilder gesucht. Es gab kein iPhone, es gab kein Twitter, Facebook, StudiVZ kam
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erst im Oktober, also nachdem Merkel Kanzlerin wurde, ging es mit dem digitalen Berg auf sozusagen. Und da ist sie Kanzlerin geworden. Also wir sprechen ja auch in der Politikwissenschaft immer oft von diesem langen 20. Jahrhundert, dass sich so über die Dotcom-Blase und so weiter gezogen hat und ich würde sagen, 2005 ist sozusagen die Schwelle, bevor das, was wir hier tun und wie wir leben, eigentlich begonnen hat. 2006
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fing das dann mit dem Durchbruch des Digitalen sozusagen an. Auch die Piratenpartei hat sich da gegründet und so weiter. Und jetzt zehn, elf Jahre später habe ich mal Symbolbilder gesucht. Natürlich das obligatorische, oh mein Gott, die gehen auf Konzerte nur noch,
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um zu filmen. Snapchat scheint ja hier der große Hit zu sein. Zumindest wollen das alle verstehen. Und aber ich habe diesen Tweet genommen, einfach um den Wechsel, den politischen Wechsel und auch diesen Ruck, sozusagen den gesellschaftlichen Ruck, der durch die
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letzten Jahre gegangen ist, mal zu illustrieren. Ted Cruz möchte gerne US-Präsident werden und Altercollege-Roommate kommentiert sein. Masturbationsverhalten auf Twitter, nichts davon wäre 2005 für irgendjemanden verständlich gewesen. Und das ist, glaube ich, das, was wir
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so im Vorfeld irgendwie verstehen müssen. Was ich auch angekündigt habe, worum ich mich auch ein bisschen beschäftigt habe, ist natürlich die Frage so, was hat eigentlich die und dann fing das alles an. Und jetzt, und ich habe dann dieses Bild gefunden und ich fand,
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das hat das eigentlich total gut zusammengefasst. Ich glaube, das ist von Katja Berlin. Ich habe die Quelle nicht mehr gefunden in der Eile, aber das trifft ganz gut. Also wenn man einmal in Sachsen-Anhalt versucht hat, irgendwie ein Gift zu laden, weiß man, was da Sache ist. Das heißt, Merkel hat vom Internet unfassbar profitiert,
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ist eine der ganz wenigen Politikerinnen, die unfassbar populär im Netz wahrgenommen werden. Es gibt Fanfiction über sie mit enland und wo die irgendwie Dinge machen. Es gibt Fantambler, es gibt alles mögliche. Also die Frau ist ein absoluter Star im Internet und schafft es auch immer wieder, jegliche noch so peinliche Situation für sich zu nutzen. Das
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heißt, sie geht, aktuelles Beispiel, sie hängt sich den Matschis in den Rachen, zwei Tage später wird Markus Söder für den Matschis reingeshoppt und alle sind glücklich. Wenn wir uns an Leute wie Edmund Stoiber erinnern, die hatten damit nicht so viel Glück.
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Ja, wer kennt die? Ich habe letztens tatsächlich von jemanden, da hat mich jemand gefragt, ob die transrapid redet. Wer kann sich an die erinnern? Ah, ich wurde letztens wirklich gefragt, ob die echt ist. Ich habe gesagt, ja natürlich, sie ist echt. Deswegen ist ja auch an der politischen Stelle, wo er ist, weil er sich komplett lächerlich gemacht hat.
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Auch das werde ich jetzt gleich in der Lesung nochmal ein bisschen darstellen. Ich habe überlegt, es gibt einige Kapitel in dem Buch, die sich mit Internet beschäftigen, die sich mit ihrer Propaganda beschäftigen, wo das Internet natürlich ganz relevant ist, aber ich dachte, ich will es ein bisschen auflockern. Das heißt, ich werde das erste Kapitel, ist Neuland natürlich, das musste natürlich sein. Also da
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hatte ich gar keine andere Wahl. Und danach wird es ein bisschen politischer und auch ein bisschen parteipolitischer, ein bisschen krimihafter und nicht so vorteilhaft für die alte Riege der CDU, was immer erstmal gut ist. Also Neuland.
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Ein wenig in die Ecke geklemmt, steht Angela Merkel im Führerstand eines ICE. Zusammen mit Bahnchef Rüdiger Grube lässt sie sich eine neue Strecke zwischen Leipzig Halle und Erfurt zeigen. Ihr Jackett ist nussbraun, ihr Gesichtsausdruck etwas
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bemüht interessiert. Die Scheibenwischer sind in Betrieb. Der Zugführer guckt sie strahlend an. Es wirkt alles etwas gedrängt auf diesem Foto, das das Merkel-Team am 9. Dezember 2015 in den Mittagstunden auf der Fotoplattform Instagram unter dem
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Account Bundeskanzlerin postet. Sie haben es bestimmt nicht aus dem ICE gepostet. Zum selben Zeitpunkt wird das Internet über Merkel vollgeschrieben. Nicht wegen des Propagandabildchens, sondern weil das Time Magazine Merkel zu Person of the Year
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erklärt hat. Ein Teil der KommentatorInnen, seien es nun Stars, Sternchen, JournalistInnen oder andere InternetnutzerInnen, ist erfreut, ein Teil ehrfürchtig und ein anderer Teil ist wütend und garstig. Das Social Media Team und die Fotografen und
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Fotografinnen, die den Instagram-Account bedienen, entscheiden sich an diesem Tag, an dem die weltweite Aufmerksamkeit so stark auf Merkel gerichtet ist, ganz merkelmäßig dem Tagesgeschäft nachzugehen. Unaufgeregt. Frau Kanzlerin fährt auf der Reisenbahn und blickt nach vorne, auch wenn dort Regen und Nebel sind.
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Generell postet das Instagram-Team viele Bilder, auf denen Merkel durch Nebel blickt, ihr Auto durch Wüstenstaub fährt, das helle Sonnenlicht ein wenig blendet. Unscharf sind die Bilder, bleiben im Wagen. Das gilt auch für die
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künstlerischen Fotografien, die ein wenig abstrakt sind, ohne Menschen meist. Aufnahmen von Details am Kanzlerinamt oder anderen Gebäuden, die mit der Kanzlerin assoziiert werden. Ästhetisch, anspruchsvoll, fotografiert und immer
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wieder Merkel in unverkrampften, witzigen Situationen und in großen Menschengruppen. Mit Kindern, mit Staatschefkolleginnen, mit Bevölkerung, mit Promis, mit Militär. Am erfolgreichsten, wie das eben so ist, sind die Bilder, die starke Emotionen einfangen oder eine Sehnsucht wecken.
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Trauer wegen der islamistischen Attacken in Paris, Trauer wegen Helmut Schmidt, wunderschöne Landschaftsaufnahmen, Helikopterflüge. Merkel ist etwas skeptisch gegenüber dem Internet. Sie weiß, wie
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deutsam es ist, so ganz abstrakt. Sie weiß auch, dass ihre Präsenz im Netz notwendig ist. Bürgerdialog heißt das Gesamtkonzept hinter dem gut durchdachten Internetauftritt. Neben einem Account bei Instagram gibt es einen bei Facebook, regelmäßige Videos bei YouTube und die Seite
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bundeskanzlerin.de ist umfangreich und informativ. Das Social Media Team der Bundesregierung besteht aus acht Redakteurinnen und vier Fotografinnen, die Internetredaktion aus weiteren 25 Personen. Insgesamt sind mit dem
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Onlineauftritt der Kanzlerin 37 Leute befasst, also die, die ich auf Anib finden konnte. Zusätzlich nutzen Mitglieder der Bundesregierung Twitter, wie beispielsweise Regierungsprecher Steffen Seibert. Auf Twitter ist er das offizielle Sprachrohr der Bundeskanzlerin. Tippt man bundesregierung.de in den Browser gelangt
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man auf die gleiche Seite wie bundeskanzlerin.de. Die Bundesregierung, das wird hier eindeutig klar, das ist die Bundeskanzlerin. Merkel hat eine schlagkräftige Neulandgruppe, Truppe formiert, die das Internet
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für sie überschaut. Das ist so konsequent wie überraschend. Schließlich war das Internet noch vor wenigen Jahren 2013, um genau zu sein, für sie angeblich Neuland. Im Juni des Jahres hatte Edward Snowden die umfassenden Abhöraktivitäten westlicher Geheimdienste enthüllt.
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Was NetzpolitikerInnen in der Vergangenheit immer wieder befürchtet und angemahnt hatten, wurde nun verbriefte Realität. Merkel musste sich dazu äußern. Und es musste verständlich sein. Zitat, das Internet ist für uns alle Neuland und es ermöglicht auch
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Feinden und Gegner unserer demokratischen Grundordnung mit völlig neuen Möglichkeiten und völlig neuen Herangehensweisen unsere Art zu leben in Gefahr zu bringen. Sagt sie auf der berühmt gewordenen Pressekonferenz mit US-Präsident Barack Obama am 19. Juni 2013.
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Unter dem Hashtag Neuland ergossen sich anschließend sinnflutartige Belustigungen über die vom Internet anscheinend überforderte oder zumindest verblüffte Kanzlerin. Ein Hashtag ist ein digitales
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Schlagwort. Jetzt merkt ihr, dass die Zielgruppe nicht ausschließlich unter den Menschen ihre Beiträge zuordnen, sodass digitale Sammlungen entstehen. Hashtag Neuland ist zu so einer Sammlung geworden, unter der Menschen noch heute täglich ihre Brüßhaftigkeiten über die
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zur Schau gestellte Ahnungslosigkeit der Kanzlerin sammeln. Und Merkel, die schweigt und ignoriert das. Sie hat alles zu dem Thema gesagt. Und bei allem Spott. Sie hat ja auch nicht unbedingt unrecht gehabt. Das Internet in seiner ganzen Komplexität
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ist Neuland für die Gesellschaft, für Institutionen, für Medien, für die Politik, für die Justiz. Neue Herausforderungen, neue Chancen, neue Probleme, neue Gefahren. Und während der Internet auf viele Teile, also wir, der deutschen Bevölkerung über die
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Gesellschaft lacht und lachte, wird verkannt, dass sich auch, dass wir, muss ich jetzt mal an der Stelle sagen, uns auch über einen nicht unbedeutenden Teil der Gesellschaft lustig macht, der sich peinlich berührt fühlt, nicht so viel über das Netz zu wissen. Im Gegenteil fühlen sich viele oftmals wie Merkel und
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durch diese entsprechend gut und angemessen repräsentiert. Merkel weiß, dass digitalisierte Massenkommunikation wesentlich ist für ihre Gesamtkommunikation. Deswegen auch das gut durchdachte Konzept ihres Internetauftritts. Merkel ist die Kanzlerin des
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digitalen Wandels, auch wenn der Wandel nicht unbedingt von ihrer Regierung unterstützt oder angestrebt wurde. Merkel ist die Kanzlerin, in deren Regierungszeit die brachialen Veränderungen durch soziale Medien fallen. Shitstorms gegen Institutionen und einzelne Facebook-Partys, die mittlerweile
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schon gar keine Attraktion mehr sind, PlagiatsjägerInnen, die die Kanzlerin immerhin zwei MinisterInnen gekostet haben, Gutenberg und Chavarn, umfassende Massenüberwachung, die Pegida-Bewegung, die mehr Likes auf Facebook hat als SPD und CDU zusammen, die AfD als Partei der Hetzer im
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Internet, Politik und Medien sind zunehmend getrieben von den vernetzten Massen in den sozialen Medien. Die Beleidigungen sind schnell getippt, die Verletzungen gehen tief. In Neuland wird scharf geschossen. Auf der einen Seite
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stehen diejenigen, die Digital Natives genannt werden, auch wenn sie teils geboren wurden, als das Netz sich noch in den theoretischen Anfängen befand. Sie sind diejenigen, die das Internet verstehen, diejenigen, die wissen, was Hashtags sind und Retweets, die Cloud und Etherpads, die Zeitung online lesen, kollaborativ arbeiten und für
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die Liken zu einer zentralen politischen Praxis geworden ist. Auf der anderen Seite der deutsche Mainstream. Eine der ältesten Bevölkerungen der Welt konfrontiert mit diesen neumodischen und neurosenfördernden Dingen, überfordert und auch bedroht. Merkel nun ist aber Kanzlerin aller deutschen
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Bürgerinnen. Egal, ob sie denken, sie leben in Neuland oder nicht. Im Zuge der Debatte um Neuland wurde Merkel mithilfe von Photoshop sogar zu Christoph Kolumbus. Ja, die Vorstellung, Merkel eroberte das Internet, wie die Spanier den amerikanischen
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Kontinent, wurde zum Memen. Ein vermessender Vergleich. Auch das ist die Kultur des Netzes. Unter der Massenmord geht hier wenig. Aber hinter dem Hashtag Neuland steckt auch einer der größten Menschheitsmythen, der von der neuen Welt. Neu ist diese vernetzte Welt tatsächlich und ihr Wandel
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ist beständig. Sie verändert kontinuierlich Gewohnheiten, Traditionen, bricht bisher unbekanntes hervor, gibt längst aufgegebene Ideen neuen Auftrieb. Eine neue Welt mit anderen Regeln und Neugrunden, neu gemischten Karten. Vielleicht sollte Angela Merkel das nächste Mal von ihrem
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Social Media Team nicht als ein wenig deplatziert wirkende Kanzlerin im Cockpit eines ICE inszeniert werden, sondern tatsächlich am Steuerruder eines Viermasters mit dem Blick in eine neue Welt. Hallo, vielleicht noch
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gucken, wie viel Zeit ich noch habe. Das nächste Kapitel ist, hat sehr wenig mit dem Internet zu tun, aber ist ein Herzstück meiner Meinung nach auch der Kanzlerin und wir wollen ja hier nicht nur in einem eigenen Saft brüten sozusagen, sondern auch ein
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bisschen außerhalb gucken. Und das Kapitel ist der Antenpakt. Hatte jemand schon mal von gehört? Gut, ist nämlich schön, ist alles mein Lieblingskapitel. Ich habe hier
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ein paar Tipps. Es muss ein aufregender Flug gewesen sein über den Anten, dem sagenumwobenen Gebirge auf dem südamerikanischen Kontinent. Im Flugzeug sitzen ein paar junge Männer, die aufstrebende Elite der CDU. Eine
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Austauschreise mit den zukünftigen konservativen Führerinnen Südamerikas. Roland Koch, Volker Bouillet, Mathias Wissmann, nehmen an der Reise teil und fliegen jetzt über die Anten. Sie trinken. Irgendwann, so will es die
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Legende, ergreift Mathias Wissmann das Wort und schwört die Anwesenden aufeinander ein. Ein Geheimbund. Angelehnt an die Antengemeinschaft nennen sie sich hochtrabend Pacto Andino Segundo, der zweite Antenpakt.
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Doch was aus einer Bierlaune heraus entstand, wurde im Laufe der Zeit zu einer der wichtigsten Seilschaften innerhalb der CDU. Denn Loyalität ist in der Politik ein wertvolles Gut. Das Wissen, sich auf Menschen verlassen zu können, zu wissen,
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ihnen grundsätzlich vertrauen zu können, zu wissen, dass sie einen nicht im erstbesten Moment verraten. Das schworen sich die zwölf jungen Legierten auf dem Flug von Caracas nach San Diego im Sommer 1979. Im Laufe der Jahre kamen neue Mitglieder dazu, unter anderem Günter Oettinger, den
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wir vorgestern hier auch begrüßen durften. Der Antenpakt wurde zur Institution, sogar mit einem Konto bei der Deutschen Bank in Braunschweig, einem jährlichen Mitgliedsbeitrag und einem Generalsekretär. Wen es interessiert, man kann also an den Antenpakt auch spenden. Die Kontonummer findet ihr beim Spiegel. So verwegen sich die
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bräsigen Christdemokraten auch gefühlt haben mögen, verschworen wie die südamerikanischen Drogenbosse, die sie überflogen, so vereinsmeierisch und deutsch setzen sie den Geheimbund in die Tat um. Lange tat der Antenpakt seinen Mitgliedern
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einen guten Dienst. Sie teilten sich relevante Positionen untereinander auf, unterstützten sich gegenseitig und hielten öffentlich zusammen. Und das ohne sich als Gruppe identifizierbar zu machen. Eine kaum zu überschätzende Waffe in der innerparteilichen Schlacht um Ämter und Pöstchen.
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Auch weil die große Frage, nämlich wer von ihnen Kanzler werden würde, wegen der Übermacht Kohl's lange genug vermieden werden konnte. Selbst nach der Bundestagswahl 1998 übernahm erst mal der ewige Kronprinz
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Wolfgang Schäuble und die Antenpaktmitglieder konzentrierten sich auf die Bundesländer. Erst zur Bundestagswahl 2002 brach der Machtkampf offen aus. Die Chance Schröder vom Thron zu stoßen war plötzlich zum Greifen nah. Am Ende wurde
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Edmund Stoiber Kanzlerkandidat und nicht, wie es traditionell geboten gewesen wäre, die CDU Parteivorsitzende Angela Merkel. Seit 2000 war Merkel Parteivorsitzende und in dieser Position zunächst unerfreulich schwach. Erst mit Mitte 30 zur CDU gestoßen war
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sie nicht Teil der mächtigen Männer aus dem Westen. Sie wusste, glauben wir den Berichten, bis zum Moment der Machtprobe um die Kanzlerer schafft 2002 nichts von dem mächtigen Bündnis. Dennoch war sie Parteivorsitzende geworden. Als einzige Politikerin aus der
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ersten Reihe der damaligen CDU, die sich glaubhaft von der Spendenaffäre distanzieren konnte und das auch nachdrücklich tat. Ein Blick zurück. Die CDU hatte in ihrem piefigen Männerklüngel Schattenkonten geführt und diese Gelder unter anderem als Spenden und jetzt gut zuhören oder als angebliches
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Erbe deutscher Juden ausgegeben. Juden, die Opfer der schwar geworden waren. Reichlich geschmacklos, doch irgendwie passt es auch zur gerechten, selbstgerechten, sich unantastbar fühlenden Führungsriege der CDU am Ende der Ära Kohl. Eine Riege, die das Ehrenwort über
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Gesetz und politische Verantwortung stellte. Helmut Kohl, der eiserne Führer der CDU der 80er und 90er Jahre hatte seiner jungen Bande vorgelebt, wie man macht, erfolgreich ausübte und die junge Bande um die stets wachsende Mitgliederzahl des Andenpaktes hatte sich die
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Instrumente gut abgeschaut. Geschlossene Netzwerke und gezieltes Schweigen. Der Andenpakt ist damit auch symptomatisch für die CDU unter Kohl, der seit 1973 als Parteivorsitzender vorstand. Und in dieser CDU hatten Frauen keinen Platz.
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Bis zum Skandal um die Spendenaffäre stand für die Mitglieder des Andenpaktes zweifelsohne fest, dass sie die Führungsriege der CDU für die nächsten Jahrzehnte stellen würde. Parteivorsitz, Fraktionsvorsitz, Regierungsämter und natürlich die Kanzlerschaft. Gar nichts anderes.
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Nach der Spendenaffäre wurden die Karten jedoch neu gemischt und Angela Merkel zog an den bisher sicher gesetzten Männern vorbei. Schäuble machte sie 98 zur Generalsekretärin und am 10. April 2000 wurde sie auf den Parteitag in Essen Parteivorsitzende.
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Merkel konnte sich nonchalant als die knallharte Aufklärerin inszenieren, wie es nach dem Spendensskandal auch brauchte. Das Vertrauen in die CDU war zerbrochen, der Status Volkspartei im Begriff zu verschwinden. Rotgrün war an der Macht, und die CDU lag am Boden.
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In einer solchen Ausnahmesituation konnten sich die Herren gönnerhaft zeigen und auch mal einer Frau die Verantwortung überlassen. Angela Merkel war sich schon damals darüber im Klan. Zitat Vielleicht muss die Firma IBM erst einmal an eine richtig große Krise kommen, damit hier auch mal
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eine Frau übernehmen darf, sagte sie im Jahr 2000 nur kurz nach ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden, zur IBM Managerin, die sich über die gläserne Decke ärgerten. IBM lässt sich natürlich hier durch CDU ersetzen. Am Anfang redeten sich die von wie von einem Kondor
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überflügelten und abgehängten Männer noch ein, dass Merkel nur eine Übergangslösung sei und die Welt schon ganz bald wieder in den richtigen Bahnen verlaufe, in männlichen, altgedienten, volksparteilichen und erfolgreichen CDU-Bahnen. Denn nicht nur war Merkel dem Klüngelbündnis aus der Zeit der Jungen Union fremd.
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Auch als Frau war sie weder willkommen, noch wurde sie so ernst genommen, wie das wahrscheinlich angemessen gewesen wäre. Die Mitglieder des Andenpaktes konnten in ihre langfristigen Planungen die Wende und das, was das für Deutschland bedeuten würde und ihre Karrieren kaum einplanen. Schon gar nicht, dass eine Frau aus dem Osten
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ihre Welt so komplett durcheinanderbringen würde. Das Kohl und später Schäuble, wenn auch aus zweifelhaften Gründen auf Angela Merkel setzten, war ihr Glück. Als CDU-Vorsitzende hätte es Merkel nun 2002 zugestanden, gegen Gerhard Schröder anzutreten.
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Der Andenpakt wollte das verhindern. Wäre Merkel einmal Kanzlerin, so fürchteten sie zurecht, wäre sie nur noch schlecht wieder zu entfernen. Und schließlich musste der 30-Jahresplan, der besagte, dass einer von ihnen Kanzler werden würde, erfüllt werden.
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Stoiber schien der perfekte Kandidat zu sein, um Merkel zu schlagen. Außerdem verschob bei den finalen Kampf um die K-Frage innerhalb der Andenpaktierenden Klüngelrunde. Stoibers Alter rot gleichzeitig die Chance, dass er nur eine maximal zwei Amtszeiten machen würde und einer von ihnen
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danach noch Kanzler werden könnte. Eine Kandidatur Merkels musste also abgewendet werden. Roland Koch rief Angela Merkel am 9. Januar 2002 an. Er soll gebrüllt haben, genau wie Merkel. Am Ende des Telefonats gab Merkel auf
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und war bereit, Stoiber die Kandidatur zu überlassen. Warum? Vielleicht erkannte sie, dass sie diesen Machtkampf nicht gewinnen konnte. Vielleicht rechnete sie damit, dass Stoiber gegen Schröder verlieren würde, dass auch ihre Chancen eigentlich nicht allzu gut waren und dass sie 2006
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einen neuen, aussichtsreicheren Versuch starten könnte. Vielleicht hatte sie einfach ihr Ego, ihre Eitelkeit im Griff und stand nach der Liederlage wieder auf. Oder sie hat von Kohl gelernt, der vor der Bundestagswahl 1980 als CDU Vorsitzender
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auf die Kanzlerkandidatur verzichtete und Franz Josef Strauß mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht um die Nominierung kämpfen ließ. Der Vater von Ursula von der Leyen verdröhr damals den internen Kampf gegen Strauß, der dann wiederum gegen Helmut Schmidt verlor.
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1982 wurde Kohl schließlich Kanzler und blieb es für 16 bleierne Jahre. 2005, ebenfalls drei Jahre nach ihrer Parteiinteren Niederlage, wurde Merkel Kanzlerin. Spätestens seit dem denkwürdigen Telefonat mit Roland Koch muss ihr die Existenz
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des Männerbundes klar gewesen sein. Ob sie die gesamte Geschichte zum Andenpakt schon damals kannte, ist nicht bekannt. Angeblich soll ihr Christian Wulf irgendwann davon erzählt haben. Im Sommer 2003, nach der verlorenen Bundestagswahl, berichtete der Spiegel dann über den Andenpakt und das Geheimnis
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war offiziell gelüftet. Wer dem Spiegel die Informationen gesteckt hat, das bleibt bis heute reine Spekulation. War es Merkel? War es einer der Lojenbrüder selbst? Einer, der im Verraten des Paktes vielleicht mehr Gewinnoptionen sah, als ihm weiter stillschweigend anzugehören? So oder so mit dem Sichtbarwerden zerfloss die Macht
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des Männerklingels, wie sie schnell zeigen sollte. Merkel hatte früh gelernt, die internen Gruppenbildungen der Union und die Machtverteilung nachzuvollziehen. Doch der Andenpakt war ihr lange unbekannt geblieben. Es gibt Menschen, die behaupten, dass sie bei der Nachricht über die Existenz des Andenpaktes sehr, sehr wütend geworden ist. Ob sie zu diesem Zeitpunkt entschied, gegen die Gruppe zu arbeiten,
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bleibt jedoch auch Spekulation. Festzuhalten gilt aber, einer nach dem anderen zog sich aus der Spitze der CDU zurück. Friedrich Merz und Roland Koch sind die bekanntesten Beispiele. Möglicherweise hatte sich mit der Niederlage Stoibers 2002 unter den Männern ein wenig Panik breit gemacht. Die ersten Risse
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innerhalb des mächtigen Männerzirkels. Stoiber war weg. Wer von ihnen würde jetzt Kanzler werden oder irgendwas anderes? Im Kampf gegen die Männer CDU mit ihrer althergebrachten Sozialisation und ihren klassisch konservativen Werdegängen zeigte sich der Vorteil von Merkels Anderssein. Sie konnte Machtpolitik auf eine Art und Weise verfolgen,
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mehr oder minder unter dem Radar, wie keiner der männlichen Kollegen es zu tun vermochte. Daher rührt wahrscheinlich auch die ausufernde Bewunderung einer Alice Schwarzer. Auf der anderen Seite reiht Merkel sich geräuschlos in die bestehenden Strukturen ein, verwaltet sich stoisch, reproduziert sie
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und legitimiert sie dadurch. Sie verkörpert den Zeitgeist postdemokratischen Technokratentums ebenso wie sie ihn verfestigt. Damit stellt sie sich grundsätzlich in beste Unionstradition, die stets bemüht war, im Zeichen des unmittelbaren Zeitgeistes zu stehen.
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Deswegen ist bei den Männern des Andenpaktes auch etwas viel fundamentaleres zerbrochen als auf den ersten Blick sichtbar. Mit dem Aufstieg Merkels wurde klar, dass sie nicht mehr Teil des Zeitgeists sein würden, obwohl ihnen das zu Beginn ihrer Karrieren versprochen wurde. Und tatsächlich wirken die Wolves und Kochs heute nicht auf eine bizarre Art aus der Zeit gefallen.
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Was am Ende bleibt, ist das Wissen darum, dass der Kampf um die Kanzlerinnschaft der Höhepunkt und das vorläufige Ende des Andenpaktes war. Die Männer treffen sich immer noch ab und an und besprechen Dinge. Ob sie es künftig noch einmal schaffen, die Merkel-CDU zu verändern, ist dagegen fraglich. Was in den Anden als Schnapsidee begann
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und zu einer der mächtigsten Seilschaften der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit mutierte, zerbrach letztlich an der Machtgier und Ignoranz der beteiligten Männer. Ganz so wie ein echtes Drogenkartell. Dankeschön. Vielen Dank, Julia Schramm.