Wie viel Tod darf sein? Lebensschutz und Sterben in der Pandemie
This is a modal window.
Das Video konnte nicht geladen werden, da entweder ein Server- oder Netzwerkfehler auftrat oder das Format nicht unterstützt wird.
Formale Metadaten
Titel |
| |
Serientitel | ||
Anzahl der Teile | 18 | |
Autor | 0000-0002-7828-4846 (ORCID) | |
Lizenz | CC-Namensnennung 3.0 Deutschland: Sie dürfen das Werk bzw. den Inhalt zu jedem legalen Zweck nutzen, verändern und in unveränderter oder veränderter Form vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen, sofern Sie den Namen des Autors/Rechteinhabers in der von ihm festgelegten Weise nennen. | |
Identifikatoren | 10.5446/57166 (DOI) | |
Herausgeber | 0000 0001 2153 9986 (ISNI) 04v76ef78 (ROR) | |
Erscheinungsjahr | ||
Sprache | ||
Produktionsjahr | 2021 | |
Produktionsort | Kiel |
Inhaltliche Metadaten
Fachgebiet | |
Genre |
3
6
11
12
15
17
18
00:00
KielComputeranimation
08:43
Computeranimation
17:26
Computeranimation
26:10
Computeranimation
34:53
Computeranimation
43:36
Computeranimation
52:19
Besprechung/Interview
Transkript: German(automatisch erzeugt)
00:00
Jetzt ist es 18.02 Uhr und ich glaube, wir können starten. Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zur achten Ringvorlesung in diesem Wintersemester zum Thema Coronavirus, Pandemie und ihre Folgen. Das ist eine gemeinsame Veranstaltung der Medizinischen Fakultät, der Frau Prof. Bozarow und ich Angehörigen angehören und des Gustav Radbruch
00:24
Netzwerkes für Philosophie und Ethik der Umwelt, der Herr Prof. Ott vom Organisationsteam und Frau Kunde als eine Geschäftsführerin angehören. Wir drei haben die Ringvorlesung konzipiert und moderieren sie auch.
00:44
Die organisatorische Unterstützung im Hintergrund ist für uns sehr wichtig und beruhigen, nämlich von Jochen Heubach, Dominik Kösling und Karin Kunde, die ich von Frau Gerold und Herrn Peters, ohne die wir das technisch gar nicht hinbekommen
01:06
würden. Ein paar kurze Informationen noch. Diese Ringvorlesung wird aufgenommen wie die vergangenen fast alle auch. Sie stehen zum Teil schon bei YouTube auf dem Christian Albrechts
01:24
Universitätskanal und sind dort nachzulesen. Auch diese und nachzuhören. Auch diese wird aufgezeichnet. Ich möchte es nicht versäumen, an dieser Stelle schon auf das Sommersemester hinzuweisen, wo wir genau wie auch im Wintersemester zahlreiche prominente Referentinnen
01:45
und Referenten dazugeholt haben. Da geht es dann von der Vorsitzenden des Ethikrats, Frau Bücks, die über Solidarität sprechen wird, über mathematisch und epidemiologische Fragen zu Allokationen von Impfstoffpandemien.
02:05
Wie können wir unser Gesundheitssystem besser vorbereiten? Die Sozialpsychologie der Pandemie und die Rehabilitationsmöglichkeiten. Das Recht, die Rechtsprobleme, Daten und Modelle, die Ökologie, ob die eine
02:21
Besserung oder Verschlechterung während der Pandemie erfährt. Nochmal was zur Epidemiologie, zur Ökonomie und dann der Wert der Gesundheit bei Pandemien, ein sicher sehr ganz wesentlicher Frage, die auch fast mit der heutigen Thematik zu tun hat.
02:44
Die Fragen, die Sie als Auditorium haben, bitte ich Sie zu stellen. Wir möchten hier keine Zensur ausüben. Allerdings schreiben Sie sie bitte in den Chat rum und wir werden Sie dort
03:00
von dort kopieren in eine Extra-Datei und uns dann versuchen, sie thematisch so zu sortieren, dass Herr Coors nach Ende seines Vortrags sie gebündelt vorgetragen bekommen. Nicht vortragen werden wir persönliche Angriffe und nicht mit dem Thema zusammenhängende Fragen.
03:21
Herr Coors wird nur mündliche Antworten geben. Wir werden also jetzt keinen E-Mail-Verteiler oder sonst etwas anwenden, sondern die Fragen, die bis 19.30 Uhr gestellt werden, versuchen wir in der Reihe zu beantworten
03:42
und beantworten zu lassen. Ich sage es nochmal, die Veranstaltung wird per Video dokumentiert und möchte nun das Wort an Herrn Professor Ott übergeben, der unseren heutigen Referenten vorstellen wird zum Thema Wie viel Tod darf sein? Lebensschutz und Sterben in der Pandemie, Herr Professor Coors wird vortragen.
04:06
Ja, danke, Herr Stefani. Ein paar kurze Worte zum Lebensweg von Herrn Professor Michael Coors. Er ist studierter Theologe. Er wurde im Jahr 2008 an der Universität Greifswald im Fach Systematische
04:25
Theologie promoviert. Es folgten Anstellungen an der Universität Rostock als Assistent und dann an der Evangelischen Akademie in Lokum. Im Jahre 2018 habilitierte sich Herr Coors
04:42
auch an der Universität Greifswald und seit 2019 ist er Professor für theologische Ethik an der Universität Zürich und Leiter des dortigen Instituts für Sozialethik im Ethikzentrum. Von der Forschung her
05:01
forscht Herr Coors Grundlagenfragen der allgemeinen Ethik und vor allem der Medizinethik, Fragen am Lebensende, Fragen zur Vulnerabilität. Ein deutlicher Schwerpunkt liegt auf der Thematik Alter und Alter.
05:23
Es kommt aber auch noch kulturelle Diversität als ein Forschungsinteresse mit dazu. Aus den vielen Publikationen seien nur zwei hervorgehoben. Einmal die Monographie, Altern und Lebenszeit. Phänomenologische und theologische
05:41
Studien zur Anthropologie und Ethik des Alterns in Tübingen bei Mo Siebek verlegt im Jahre 2020. Und gemeinsam mit Marc Schwiegt und Claudia Bozarro ist ein Band herausgegeben worden. Aging and Human Nature im Springer Verlag.
06:05
Von den Aufsätzen möchte ich nur einen erwähnen, der mein Interesse natürlich geweckt hat. Er heißt Ethik des Ausnahmezustands, Legitimität und Ambivalenz politischer Machtausübung in der Covid-19-Pandemie erschienen in der Zeitschrift
06:25
Spiritual Care im vergangenen Jahr. Herr Kors, herzlichen Dank, dass Sie bereit sind, uns einen Vortrag zu diesem Thema, wieviel Tod darf sein, zu halten. Willkommen hier im virtuellen Kiel und the floor is yours.
06:49
Sie müssen sich bitte jetzt die Stummschaltung aufheben. Genau, das übliche. Vielen Dank, lieber Herr Ott, für die freundliche Begrüßung im virtuellen Kiel. Noch schöner wäre es natürlich, heute da zu sein.
07:00
Aber der Anlass, aus dem das nicht möglich ist, ist Gegenstand dieser Vorlesungsreihe und auch Gegenstand des heutigen Vortrages. Der Aufsatz, den Herr Ott gerade zuletzt angesprochen hat, ist in gewisser Hinsicht die Grundlage und ein Kern dessen, um das es mir auch heute geht. Es wird unter dieser Überschrift, wieviel Tod darf sein, auf der einen
07:24
Seite um Fragen der Medizinethik gehen, könnte man sagen, oder auch der Public Health Ethik. Aber es geht auch viel um politische Ethik. Die Diskussion kann man exemplarisch an zwei gegensätzlichen Überschriften festmachen. Auf der einen Seite Neue Zürcher Zeitung im November letzten
07:43
Jahres. Den Tod kann uns niemand ersparen. Und auf der anderen Seite die süddeutsche Zeitung im Dezember letzten Jahres. Jeder Covid-Kranke ist einer zu viel. Also zwischen diesen Polen müssen wir nicht eigentlich versuchen, jeden, der unter dieser Erkrankung leidet, der Blick auf das einzelne Individuum,
08:01
das Leiden jedes einzelnen Schwerkranken auf der einen Seite. Auf der anderen Seite der Blick darauf, der realistische Blick. Natürlich, wir sterben alle irgendwann. Und die Frage, wieviel Tod ist eigentlich vermeidbar? Ich möchte einsteigen mit einfach ein paar statistischen Zahlen, um uns einmal ins Bewusstsein zu rufen, wieviel Tod begegnet uns eigentlich als
08:24
Gesellschaft. Was sind Todesrisiken? Und zwar nicht nur irgendwelche Todesrisiken, sondern ich lege bewusst den Akzent auf vermeidbare Todesrisiken. Ein bekanntes Todesrisiko ist der Straßenverkehr. Was Sie hier sehen, ist die Statistik der Verkehrsunfälle. Die bewegt sich in den letzten Jahren relativ konstant, auf
08:42
freundlicherweise niedrigeren Niveau als früher, aber es sterben jedes Jahr so rund um die 3000 Menschen im Straßenverkehr. Und natürlich ist das grundsätzlich vermeidbar. Die Frage ist, welchen Preis man dafür zahlen müsste, um es zu vermeiden, ob es nun nur eine geringere Geschwindigkeit auf Autobahnen ist
09:00
oder ob es darum geht, Innenstädte verkehrsfrei zu machen. Das wären sicher Maßnahmen, die zur Folge hätten, dass weniger Menschen sterben würden, aber offensichtlich legitimiert, dass für uns noch nicht diese Maßnahmen, dass so viele Menschen sterben. Wir nehmen diesen Tod, Anzahl von Toten in Kauf. Das andere, was im Rahmen der Corona-Pandemie,
09:22
ich glaube auch das erste Mal sozusagen wirklich sehr öffentlich wirksam deutlich wurde, ist, dass hier auch jedes Jahr viele tausend Menschen sterben an der Grippeepidemie, die es in regelmäßigen Wellen in Deutschland gibt. Sie sehen hier die Zahlen der letzten Jahre und mal von ganz am Anfang, aber man sieht so 20 bis 25.000 Tote
09:42
sind pro Jahr, die Angriffe versterben, sind nicht ungewöhnlich. Es sind häufig ältere Menschen, es sind häufig Menschen, die schon vorbelastet sind oder mehrere Erkrankungen haben. Das Interessante ist, wir sehen sozusagen jetzt in diesem Jahr, dass es vermeidbar ist oder auch am letzten Jahr sehen wir es,
10:01
weil sozusagen deutlich geworden ist, dass die Schutzmaßnahmen, die gegen Corona ergriffen wurden, eben auch dazu führen, dass die Anzahl der Grippeinfektionen und auch der an Grippe Verstorbenen drastisch gesunken ist. Sie tendiert fast gegen Null im letzten Jahr, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Das heißt, auch diese Toten werden grundsätzlich vermeidbar.
10:21
Die sind aber bisher nie auf die Idee gekommen, das zu tun. Und das wirft natürlich die Frage auf, warum reagieren wir auf eine Erkrankung wie Covid-19 anders? Der erste ist aktueller Stand. Von vorgestern die Zahlen, wenn man den Bericht des RKI nimmt, dann haben wir an oder mit Covid-19 verstorbenen Personen
10:43
seit Beginn dieser Pandemie in Deutschland. Das ist ein bisschen mehr als ein Jahr jetzt. Knapp 66.000 sind Todesfälle. Das ist natürlich deutlich mehr als die 25.000 jährlich an Grippe versterben, zumal man sich fragen muss, wie vergleichbar ist die Zahl zu den Zahlen in der Grippeepidemie, die wir ja nicht
11:03
haben. Trotzdem stellt sich die Frage, reicht es, dass diese Zahl so deutlich höher ist, jetzt doch dann zu weitreichenden Einschränkungen der Freiheitsrechte zu greifen. Es wurde ja immer wieder dieser Vergleich gezogen, die Grippeepidemien jedes Jahr und die Covid-19 Epidemien.
11:24
Ich glaube, es steht inzwischen wirklich für jeden, der auch nur ein bisschen wahrnehmen kann, welche Zahlen hier eine Rolle spielen und wie die Krankheitsverläufe sind, außer Frage, dass Covid-19 und SARS-CoV-2-I, das zugrunde liegende Virus, erheblich schlimmere Auswirkungen haben. Aber trotzdem stellt sich sozusagen die Frage, wo in diesem Spektrum
11:43
zwischen Covid-19 und der Grippeepidemie verläuft eigentlich die Grenze, ab der wir sagen, diese Anzahl von Todesfällen rechtfertigt ist, dass wir zu weitreichenden Einschränkungen der Freiheitsrechte kommen. Wie ich gerade schon andeutet, muss man sich natürlich fragen, wie vergleichbar sind die Zahlen, die Zahlen,
12:02
die wir hier sehen bei Covid-19. Das sind 65.604 zunächst mal laborbestätigte Fälle. Wenn man auf die Grippe-Statistik guckt, dann ist die Zahl der laborbestätigten Fälle liegt bei um die 1000. Und daraus wird dann aufgrund von Daten, die man aus vergangenen Jahren hat, aus Übersterblichkeitsdaten,
12:23
durch komplizierten Berechnungen hochgerechnet, dass etwa 25.000 Personen in dem Jahr gestorben sind. Das können wir derzeit für Covid-19 noch nicht machen. Da fehlen sehr, sehr viele Daten zu. Insofern sind die Zahlen nicht vergleichbar, vermutlich. Wenn man sie vergleichen wollte, müsste man sie mit den
12:40
bestätigten Grippe-Fällen vergleichen, die deutlich weniger sind. Das macht schon deutlich die Anzahl der Todesfälle ist deutlich höher. Aber da sind sehr viele Unbekannte in diesem Vergleich drin. Und man muss immer dazu sagen, die Zahl, die wir hier sehen, 65.604 an Covid-19 oder auch mit Covid-19 verstorbene Personen.
13:01
Das ist natürlich die Zahl, die wir haben unter Durchsetzung von weit relativ rigorosen Schutzmaßnahmen. Und es ist natürlich recht offensichtlich, die Zahl der Toten wäre vermutlich sehr, sehr viel höher, wenn diese Schutzmaßnahmen nicht durchgesetzt worden sind. Ich habe mir schon im Frühjahr letzten Jahres einmal versucht,
13:24
irgendwie für mich deutlich zu machen, was das in Zahlen heißt. Das, was ich Ihnen gleich auf der nächsten Folie präsentieren werde, sind keine Zahlen eines Epidemiologen. Die werden wahrscheinlich alle den Kopf schütteln, sondern es ist für mich einfach mal eine Berechnung gewesen, um mir plausibel zu machen, was heißt, so ein exponentielles
13:43
Wachstum, eine Verbreitung einer Erkrankung. Und dafür bin ich mal von dem ausgegangen, was man in der Literatur derzeit der epidemiologischen und medizinischen Forschung findet. Wir hatten im Frühjahr, bevor die ersten Schutzmaßnahmen gegriffen haben in Deutschland und in Europa,
14:01
auch in Italien, hat man gesehen, dass man eine etwa eine Verdopplung der Zahl, der mit Covid mit Covid-Erkrankten Personen etwa alle drei Tage hatte. Die Studienlage ist nach wie vor so, dass so zwischen, wenn ich es richtig sehe, so ein Prozent der Infizierten an dieser Erkrankung versterben. Vielleicht sind es auch nur 0,8 Prozent,
14:22
vielleicht sogar nur 0,5 Prozent. Die Studienlage ist da nach wie vor nicht sicher, aber es kristallisiert sich irgendetwas in diesem Spektrum heraus. Und was man sieht, ist, dass nach wie vor so 3 bis 5 Prozent eine intensivmedizinische Behandlung benötigen. Wenn man jetzt diese Zahlen mal zugrunde legt, und das habe ich immer gehabt, ich nehme an, wir haben 10.000 Infizierte
14:43
in einem Land. Was hieße das, wenn das jetzt ungebremst sich so weiterentwickeln würde? Was hieße das, wenn nach 21 Tagen bereits bei 1,28 Millionen infizierten Personen wären? Und jetzt muss man sich klarmachen, das verdoppelt sich jetzt jeden Tag weiter. Dann sind sie schon nach 36 Tagen bei über 40 Millionen infizierten Personen und drei Tage später,
15:01
also nach 39 Tagen, wären sie rein theoretisch, das ist wirklich eine rein theoretische Zahl, eigentlich dabei, dass alle in Deutschland infiziert wären. Das würde wahrscheinlich nicht passieren, weil genau zwischen diesem 36. und dem 39. Tag dann anfangen würde, so etwas wie in eine sogenannte Herdenimmunität zu greifen, weil 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung
15:21
infiziert wären. Wenn man jetzt einfach mal da die Zahlen von oben ansetzt und sagen würde, okay, 5 Prozent intensivmedizinische Behandlung sind das 2 Millionen Intensivpatienten innerhalb von 36 Tagen. Wir haben eine Kapazität von 30.000 Intensivbetten, das ist sehr viel, mehr als jedes andere Land, glaube ich weltweit sogar,
15:41
auf die Einwohnerzahl gesehen. Das hieße rein statistisch, wenn man mal diese 1 Prozent ansetzt, 400.000 Todesfälle. Wenn es nur 0,5 Prozent wären, wären es immer noch 200.000. Aber das wäre sogar mehr, weil wir uns klarmachen müssen, von diesen 2 Millionen Patienten kämen ja nur 30.000 in eine Intensivbehandlung. Und die restlichen 1,97
16:01
Millionen Patienten würden mit einer hohen Wahrscheinlichkeit versterben. Wenn es nur 1,5 Millionen davon sind, dann sind wir bei 1,5 bis 2 Millionen Toten. Dass es dazu nicht kommt, hat viele Gründe. Ob das sich wirklich so entwickeln würde, ist fiktiv. Es ist eine reine Modellrechnung. Wie gesagt, die habe ich mal für mich durchgemacht, um mir einfach die Dramatik
16:22
der Situation einfach mal in Zahlen vor Augen zu führen und auch um sie mit Freunden das mal durchzuspielen. Was heißt das eigentlich, wo wir hier stehen am Anfang der Pandemie? Und das ist, glaube ich, eben genau der Punkt, dass an der Dramatik dieser Situation oder dieser Dynamik der Entwicklung kein Zweifel besteht.
16:40
Und genau das ist das, wovor alle Epidemiologen und Virologen ja von Anfang an gewarnt haben. Wir haben es mit einem exponentiellen Wachstum zu tun. Und ich fand es für mich einfach erhellend, das mal in absolute Zahlen zu übersetzen, um zu sehen, was das heißt. Aber es bleibt natürlich bei der Frage, die dahintersteht. Auf der einen Seite zunächst mal festzuhalten.
17:02
Ja, wir sehen aber trotzdem an anderen Fällen, dass wir immer ein gewisses Risiko an vermeidbaren Todeszellen in unserer Gesellschaft zulassen und nicht verhindern. Und die Frage, die bleibt, ist natürlich, wo liegt eigentlich die Grenze? Ab wie viel Todesfällen rechtfertigen es, so weitreichend einzugreifen, wie wir das jetzt tun?
17:22
Und ich würde Ihnen sagen, die faktische Antwort, die hat man an den Zahlen gerade gesehen, ist gar nicht die Anzahl der Todesfälle. Die faktische Antwort ist, dass die Grenze die Leistungskapazität des Gesundheitswesens ist, insbesondere der medizinischen Intensivversorgung. Genau das ist ja auch im politischen Kontext genau die Argumentation. Ich halte sie auch für plausibel zu sagen.
17:41
Wir müssen diese Maßnahmen ergreifen, weil wir eben sehen, dass die Intensivkapazitäten in kürzester Zeit drohen, nicht mehr auszureichen. Das heißt, dass wir eben nicht mehr allen Patienten, die es brauchen, eine Behandlung anbieten könnten. Und das würde dazu führen, dass wir
18:02
ganz viele Menschen versterben lassen müssten, die wir normalerweise behandeln könnten. Die spannende Frage, und das ist die, um die es mir jetzt im Folgenden geht, ist das eigentlich eine ethisch zu begründende Antwort auf die Frage nach der Grenze. Also sei die Grenze, ziehen wir nicht bei einer bestimmten Anzahl von
18:22
Todesfällen, sondern die Grenze dessen, was wir an Tod in einer Gesellschaft zulassen, ist die Grenze dessen, was wir an medizinisch Versorgung anbieten können. Ist sozusagen die Grenze des Gesundheitssystems die Grenze
18:43
unserer Freiheitsrechte? Und da ist natürlich zunächst mal deutlich, denke ich, jetzt geworden, wir haben immer schon die Situation eines Abwägens, eines Abwägens zwischen dem Schutz von lebenden Individuen in der Gesellschaft und den Freiheitsrechten dieser Individuen.
19:00
Also die Todesfälle im Straßenverfahren, die rechtfertigen, offensichtlich nach gegenwärtiger politischer Stand, keine weiterreichenden Freiheitsrechte in den Verkehr einzugreifen und zu sagen, wir wollen die Zahl der Toten reduzieren. Die rechtfertigt vermutlich schon gar nicht für uns zu sagen, es soll da keinen individuellen Straßenverkehr mehr geben.
19:20
Dann gäbe es nämlich auch keine Toten mehr durch den Straßenverkehr. Das wäre sozusagen die konsequente Variante. Man hat in dieser Diskussion im Grunde genommen zwei gegensätzliche Extreme und das nimmt im Grunde genommen die beiden Überschriftzeilen vom Anfang noch mal auf. Das eine Extrem wäre, wir müssen unsere Gesellschaft so ordnen,
19:41
dass es keinen verhinderbaren Tod mehr gibt. Das würde, das wäre meine Grundpese, letztlich in einen totalitären Gesundheitsstaatsführer, der letztlich alle Freiheiten zugunsten der Gesundheit der Bürgerinnen einschränken würde. Denn dann müssen wir mal genau darüber nachdenken, was
20:02
heißt eigentlich verhinderbare Krankheit? Müssten wir dann nicht auch alle so gesund leben, dass wir alles an Krankheiten vermeiden, was irgendwie vermeidbar ist? Wir würden sozusagen in eine Präventionslogik hineinkommen, die so jedem dazu nötigt, ein möglichst gesundes Leben zu führen und möglichst alles an Krankheiten zu vermeiden.
20:21
Es gibt einen Roman von Juli C., der das mal durchbuchstabiert hat und ich finde, sehr eindrücklich skizziert hat, was das heißt, corpus delicti. Und der Zeitung ist dann sehr schön, finde ich, die Problematik solch einer Vision. Es ist vor allem auch ein Leugnen der Endlichkeit menschlichen Lebens. Denn eins werden wir bei aller noch so genügenden
20:41
Lebensführung nicht verhindern. Mensch, wir werden immer irgendwie sterblich bleiben und endliche Wesen bleiben. Das ist das eine Extrem. Und Sie merken, das Extrem ist problematisch. Das andere Extrem wäre gar keine Freiheitseinschränkung zuzulassen, selbst dann, wenn das Leben anderer massiv gefährdet
21:00
ist. Also zu sagen, was soll's, Menschen sterben immer. Dann sterben bei Corona halt zwei Millionen Menschen. Das Rechtfertige ist nicht, die Freiheit einzelner einzuschränken. Das wäre die andere Extremposition. Ich glaube, die spannende Frage ist, können wir dann eigentlich noch davon reden, in einem politischen Gemeinwesen zu leben?
21:20
Gibt es dann eigentlich überhaupt noch einen Staat bzw. wofür gibt es so etwas wie einen Staat, wenn nicht dafür eine solche Schutzfunktion auszuüben? Und deswegen merken Sie meine These. Das Ganze ist im Kern eine Frage politischer Ethik, nicht allein der Medizinethik.
21:40
Und darum werde ich jetzt übergehen, darüber das Ganze unter dem Gesichtspunkt der politischen Organisation des Gemeinwesens noch mal zu reflektieren. Was ist eigentlich die Aufgabe eines politischen Gemeinwesens? Ich verwende bewusst diesen etwas offeneren Begriff. Rede nicht gleich vom Staat. Also die Vorstellung, dass wir in einer Gemeinschaft leben, in der wir als politisches Gemeinwesen miteinander unser Leben
22:03
ordnen, sortieren und regulieren. Wir leben in einer rechtsstaatlichen Demokratie. Das ist das Grundprinzip, eine liberale rechtsstaatliche Demokratie. Und ich würde sagen, die zwei Grundprinzipien, die immer im Konflikt liegen, in jeder rechtsstaatlichen Demokratie,
22:20
in einer liberalen Demokratie, ist auf der einen Seite der Schutz der Individuen durch die politische Gemeinschaft, auf der anderen Seite die Gewährung von Freiheitsräumen für die individuelle Lebensführung. Das kann man, finde ich, sehr schön studieren, wenn man sich die Philosophen und Denker anguckt, die in der Frühzeit der Entstehung
22:41
dieser Idee des liberalen Rechtsstaates gedacht haben. Und das sind die frühen sogenannten Kontraktualisten, die sagen, wir stellen uns jetzt einmal vor, wir sind, bevor wir eine politische Gemeinschaft sind, wir stellen uns die Menschen als freie Individuen vor, die noch nicht
23:01
politisch verbunden sind. Und was müsste jetzt eigentlich passieren, damit die Menschen sagen, ja, wir gründen jetzt ein politisches Gemeinwesen, in dem wir zusammen leben. Derjenige, der als erstes sehr konsequent und in vielerlei Hinsicht mustergültig gemacht hat, ist Thomas Hobbes, der berühmte englische Philosoph.
23:21
Und er hatte eben genau diese, stellen wir uns fiktiv, es ist eine Fiktion, einen vorpolitischen Zustand da. Er nennt das den Urzustand und sagt, wenn die Menschen im Urzustand sind, dann gehe ich erst mal davon aus, die Menschen wollen erst mal alle für sich das Beste. Think the worst, könnte man sagen. Und wenn das so ist, dann würden sie wahrscheinlich alle irgendwie
23:42
miteinander im Krieg leben, weil jeder jeden das traut und versucht, für sich das Beste herauszunehmen. Weil die Menschen in diesem Zustand aber doch vernünftig sind, sagt Hobbes, wissen sie, dass das nicht der bestmöglichste Zustand ist und dass sie eigentlich viel besser miteinander leben könnten, wenn es friedlich zugänge. Und darum gibt es sozusagen so ein grundsätzliches Streben danach,
24:04
irgendwie ein friedliches Leben herzustellen. Und das schaffen dann die Menschen, wenn sie sagen, okay, dann lasst uns einen Vertrag schließen. Aber weil wir einander nicht vertrauen können, müssen wir mit dem Vertragsschluss jemanden einsetzen, der die Kriterien, die Einhaltung dieses Gesellschaftsvertrages überwacht.
24:23
Ein Souverän, ein Machthaber, der uns alle kontrolliert. Man kann sagen, die freien Individuen legen sich, weil sie Sicherheit, weil sie Frieden wollen, gewissermaßen freiwillig selbst die Kette an, dass sie sagen, wir wollen durch einen Herrscher geschützt werden, damit ein friedliches
24:40
Zusammenleben miteinander möglich ist. Und das ist der Übergang, sagt Hobbs, in den Zustand einer politischen Gesellschaft, ein Commonwealth, ein politisches Gemeinwesen entsteht dadurch. Das Problem ist bei Hobbs allerdings, und das wird dann sehr deutlich, dass im Kern wirklich der Schutzaspekt
25:02
steht, das Schutzbedürfnis der Individuen voreinander. Und das führt dann dazu, dass er dieser Figur des Souveräns, des Herrschers, als einen absoluten Herrscher entwirft. Dieser Souverän hat absolute Macht. Er ist, bei Hobbs muss man wirklich sagen, er, also er denkt, glaube ich, da definitiv nicht an Frauen.
25:21
Er denkt sich diesen Souverän als ein Herrscher, der alle Rechte hat über seine Untertanen, die selber wiederum kaum politische Freiheiten haben. Vor allem ist der Souverän selber nicht an diesen Vertrag gebunden, weil er ist ja derjenige, der darauf achten soll, dass die Untertanen diesen Vertrag einhalten.
25:41
Das heißt, was da rauskommt, ist ein Gesellschaftsmodell. Das zeigt, es gibt einen Schutz der Bürger voreinander, aber die Bürgerinnen selber sind gegenüber dem Souverän nicht geschützt. Sondern der Souverän hat eine absolute Macht und die drückt sich auch darin aus, dass er Macht hat über Leben und Tod der Untertanen. Er darf die Untertanen töten. Die haben das rechtlich zu wehren. Das sagt Hobbs ausdrücklich, aber der Souverän
26:04
schöpft seine Macht geradezu, aus dieser Macht darüber töten zu dürfen. Was man bei Hobbs, finde ich, mustergültig sieht, ist, aus dem Schutzbedürfnis der freien Individuen, das sie sozusagen in der Gemeinschaft suchen, entsteht politische Macht. Und wenn man nur auf das Schutzbedürfnis guckt, dann wird diese politische Macht absolut.
26:22
Sie wird dominant. Und in vielerlei Hinsicht ist das die Logik der Dynamik, die wir durchaus auch in einer Pandemie sehen. Wir alle wollen geschützt werden vor dieser Erkrankung durch den Virus. Deswegen haben die Schutzmaßnahmen eine enorm hohe Zustimmungsrate. Obwohl sie in der Tat Schutzmaßnahmen sind, die in grundlegende Freiheitsrechte unserer Gesellschaft
26:42
sehr weitgehend einreichen. Das ist eigentlich erstaunlich. Aber wenn man sich Hobbs' Theorie anguckt, kann man sagen, im Grunde bestätigt sich hier vieles von dem, was Hobbs gedacht hat. Nun ist es aber so, dass es natürlich, es gibt eine Gegenbewegung, sozusagen gegen diesen absoluten Staatsbegriff
27:01
oder absoluten Souveränitätsbegriff von Hobbs. Und der Philosoph, auf den ich mich jetzt beziehen würde, ist John Locke. Das ist auch wiederum ein englischer Philosoph, der dem das irritiert. Der sagt, das kann nicht sein, dass die Menschen alle Macht abgeben und sich völlig einem totalitären Souverän unterwerfen. Das will er nicht.
27:20
Das hält er auch nicht voll plausibel. Locke sagt, grundsätzlich sind die Menschen frei. Freiheit ist ein Grundrecht, das sie haben, bevor sie sich auf irgendeinen Gesellschaftsvertrag einlassen. Und warum sollten die sich eigentlich dann auf einen Gesellschaftsvertrag einlassen, indem sie alle ihre Freiheit aufgeben? Deswegen muss die Freiheit des einzelnen Selbstteils des Gesellschaftsvertrages sein. Das formuliert Locke schon so.
27:43
Und der französische Philosoph Rousseau hat das dann nachher noch, noch luzider, glaube ich, durchbuchstabiert. Das Ergebnis ist aber ist dann sozusagen, wie kann man das erreichen, dass die Bürgerinnen selber sozusagen frei sind und gleichzeitig Schutz durch die Gemeinschaft haben? Die Idee begegnet schon bei Locke selber und dann bekannt und berühmt geworden, vor allem durch Rousseaus
28:04
über den Gesellschaftsvertrag. Die Idee ist, Schichtenbürger schließen als ein Vertrag mit sich selbst. Ich als Bürger stimme zu, dass das Kollektiv aller Bürgerinnen und Bürger herrscht. Die politische Macht liegt sozusagen beim imaginierten, beim vorgestellten Ganzen einer Gesellschaft.
28:24
Und wie dann in dieser Gesellschaft das Regieren, die die Ausübung politischer Macht organisiert wird, das ist dann sozusagen die nächste Frage, das ist dann, was durch das Demokratieprinzip organisiert wird. Aber das heißt, wenn man diese politische Theorie nimmt, dann sieht man, dass sozusagen an der Grundlage jedes, jedes politischen
28:45
Gemeinwesens immer das Ausbalancieren vom Bedürfnis nach Schutz durch die politische Gemeinschaft und dem Bedürfnis nach individueller Freiheit steht. Das heißt, jede politische Gesellschaft, die in irgendeiner Weise sich als eine liberale politische Gesellschaft versteht,
29:03
balanciert immer diese beiden Aspekte aus. Und sie kann nicht, wenn sie, je nachdem, wenn sie eines absolutes setzt, kippt sie sozusagen in die Extreme eines Anarchismus, wenn man nur noch Freiheitsrechte kennt oder eines Totalitarismus und eines Absolutismus, wenn sie nur noch den Schutzaspekt kennt.
29:21
Und darin ist die Dynamik, die wir in der Pandemie beobachten, überhaupt nichts Besonderes, sondern es sind im Grunde genommen Fragen, die wir immer schon haben in jeder liberalen Gesellschaft. Während also sozusagen das Schutzbedürfnis die Macht begründende Funktion ist, weil Menschen Schutz suchen, entsteht sowohl die politische Macht, ist das Streben nach Freiheit der
29:41
Individuen eine machtbegrenzende Funktion. Es ist das Zurückfordern der Macht durch die Individuen. Wovor schützt aber der Staat als Repräsentant der Bürger? Das ist sozusagen jetzt die Frage. Nun, er schützt die Bürger voreinander
30:00
und er schützt sie vor Angriffen von außen. Das ist die Grundfunktion. Jetzt taucht in all dem aber die Gesundheit oder die Krankheit noch gar nicht auf. Also inwieweit gehört eigentlich der Schutz der Gesundheit und des Lebens oder auch des Überlebens eigentlich zum politischen Schutzauftrag des politischen Gemeindesens? Das ist für uns heute offensichtlich so, dass wir vom Staat erwarten, dass
30:24
er auch die Gesundheit seiner Bürgerinnen bis zu einem gewissen Maße schützt. Aber wie kommt das eigentlich dazu? Ich würde sagen, das hat eine ganz zentrale Voraussetzung, nämlich eine Vorstellung von Krankheit, die Krankheit als etwas versteht, das von einem äußeren Feind verursacht wird, gegen den man kämpfen kann.
30:43
Das heißt, die Idee, dass man die, dass man die Bürgerinnen und Bürger gegen Viren oder Bakterien schützen kann, dass da etwas ist, wogegen ich die Bürger schützen kann, setzt im Grunde genommen ein modernes, neuzeitliches Verständnis von Krankheit als etwas voraus, das durch
31:02
bestimmte Fremdkörper verursacht wird. Und ich habe jetzt hier die Begriffe Feind und Kämpfen in Anführungsstriche gesetzt. Es lohnt sich aber mal, darauf zu achten, wie wir darüber reden, auch wie wir über die Pandemie reden. Wir bekämpfen die Pandemie, wir bekämpfen das Virus. Wir wollen diese Pandemie besiegen.
31:23
Das sind alles Kampfrhetoriken. Ich glaube, dass das nicht zufällig ist, weil das genau dieser Logik dieses kontraktualistischen Modells folgt, dass man sagt, als Bürgerinnen und Bürger können wir uns als freie Individuen in so ein Gemeinwesen hineinfinden, weil wir sagen, dieses Gemeinwesen schützt uns vor Feinden. Es geht also darum, dass wir vor den Angriff von außen geschützt werden.
31:42
Das, was hier von außen kommt, ist jetzt nicht der meditärische Feind, sondern es sind Viren, es sind Bakterien, es sind andere Erreger. Bei Covid-19 sind es natürlich Viren. Dieses Einbeziehen des Phänomens von Krankheit und Gesundheit in den Bereich des Politischen ist etwas, das in der Tat sich entwickelt
32:01
mit der Entwicklung der modernen Medizin im 18. und 19. Jahrhundert. Und diese ganze Diskussion über die Frage, welche Rolle spielt Gesundheit im Bereich des Politischen, hat insbesondere Michel Foucault, der französische Sozialphilosoph und Denker, geprägt, indem er dafür den Begriff der Biopolitik geprägt hat.
32:21
Man kann sagen, die Grundfrage ist, wie wird der Schutz des Lebens vor Krankheit in den Bereich des Politischen einbezogen? Weil Foucault hat das allerdings noch eine sehr viel präzisere Fassung. Foucault redet davon, dass es an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert einen Umbruch in der Struktur politischer Macht gibt.
32:43
Und man kann sagen, Hobbs und auch Locke und Rousseau, die haben alle noch das alte Modell von politischer Macht, von Souveränität, die nämlich darin besteht, dass Souveränität letztlich sich darin im äußersten Fall ausdrückt, dass es die Macht bedeutet, den unplakaten
33:01
gegebenen Fall zu töten. Das gilt nicht nur für den absolutistischen Staat bei Hobbs, sondern es gilt auch für den, im Zweifelszahl auch für den demokratischen Staat. Bei Rousseau ist das gar keine Frage. In der französischen Revolution sieht man es sehr offensichtlich, wie das auch entgleiten kann. Aber selbst in unserem demokratischen Rechtsstaat, der Tötungsrechte ganz stark
33:22
begrenzt, wäre das so, wenn man das nach diesem alten Modell von Souveränität versteht. Der Begriff der Biomacht und der Biopolitik steht jetzt für ein anderes Modell von Macht. Foucault sagt, es geht bei der Biomacht nicht mehr darum, töten zu können, also nicht die Fähigkeit, töten zu können, begründet die Macht, sondern
33:41
die Macht, Leben zu machen und sterben zu lassen, begründet die Macht. Das ist eine tolle, prägnante Formulierung, bei der man sich aber immer fragt, was heißt das eigentlich? Foucault geht es darum, dass Macht jetzt sozusagen sich daraus begründet, dass sie das Leben, griechisch Bios, daher
34:02
Biopolitik, steuern kann oder versucht zu steuern. Und zwar steuert sie es einerseits durch Disziplinierung, das heißt durch Erziehungsmaßnahmen. Man lernt, was es heißt, gesund zu essen, sich hygienisch zu verhalten. Das wird verinnerlicht und wird so am Antrieb des eigenen Verhaltens. Und dadurch sichert die politische Macht das Überleben der ganzen Bevölkerung.
34:24
Das heißt Biomacht oder Biopolitik ist Regulierung der Bevölkerungsentwicklung. Man sieht im 18. und 19. Jahrhundert ein Aufblühen der Hygiene, man sieht ein Aufblühen der Vorsorgesysteme, Versicherungen, Krankenversicherungen, Altersvorsorge. Und man sieht eben das Entstehen von staatlich geförderten, teilweise auch
34:44
staatlich getragenen Gesundheitssystemen. Das Entstehen der modernen Kliniken, das Entstehen von Systemen der Altersvorsorge. Alle Systeme, die auch auf das Leben der Bevölkerung als Kollektiv zielen, dieses zu vergrößern, zu stabilisieren und zu verlängern.
35:00
Und darin drückt sich sozusagen nach Foucault ein neuer Typus von Macht über das Leben aus, eben die politische Macht schafft Leben, sie verlängert Leben, sie schafft, fördert das Leben, anstatt ihre Macht daraus zu ziehen, dass sie Leben beenden kann. Wobei der Witz bei Foucault ist, dass das
35:20
Alte bleibt gleichzeitig da. Es ist nicht so, dass wir nun entweder oder haben, sondern diese beide Formen der Macht überlagern sich. Das, was an diesem Begriff der Biomacht immer ambivalent ist und schwierig ist, ist eben, dass hier Leben immer kollektiv verstanden wird. Es geht darum, das Leben der Bevölkerung zu fördern, zu verlängern. Das Individuum rutscht da tendenziell aus dem Blick.
35:46
Ganz spannend, das finde ich eben gerade jetzt auch mit Blick auf die Pandemie spannend, ist dieses Zitat von Foucault, das finde ich eine hohe Plausibilität hat, wenn man diesen Gedanken der Biomacht durchdenkt. Foucault schreibt, jetzt da die Macht vor allem eingreift, um das Leben zu
36:01
verbessern, wird der Tod als Endpunkt des Lebens mit einem Schlag zum natürlichen Schlussstein, zur Grenze, zum Ende der Macht. Daran sieht man, es hat sich umgedreht. Vorher war die Fähigkeit des Souveräns, töten zu können, Ausdruck höchster Macht unter dem Regime von Biomacht ist im Grunde genommen das Zulassen oder
36:21
das Menschen in der Bevölkerung sterben, wird zur Grenze der politischen Macht. Und das führt dazu und das finde ich eine durchaus plausible Erklärung, warum der Tod aus der Öffentlichkeit verschwindet und das Sterben privatisiert wird, weil das sozusagen etwas ist, das der Struktur der Gesellschaft widerspricht, die eigentlich will, dass sie als Gesellschaft überlebt.
36:44
Und wenn man dazu denkt, dann ist natürlich eine Pandemie, die zu massenhaften Sterben führt, eine Katastrophe dieser strukturellen Biomacht. Jetzt kann man natürlich sagen, gibt es nicht Gegenbewegung? Natürlich gibt es Gegenbewegung. Die Hospiz- und Palliativbewegung ist ja eine Gegenbewegung gegen dieses Verschwindung des Todes aus der Öffentlichkeit.
37:02
Gleichzeitig ist es aber ja so, und das vielleicht kriegt sozusagen nicht in dieser Theorie noch mal einen ganz anderen Geschmack, könnte man sagen, dass ein wesentlicher Satz der Hospiz- Bewegung ja ist, zu sagen uns interessiert nicht der Tod als Tod, sondern der Tod selber gehört zum Leben. Man begreift also sozusagen die letzte Lebensphase als Teil des Lebens, also auch hier geht es eigentlich um
37:22
Lebensförderung bis zum Ende. Es geht auch um ein zulassende Todes, aber interessanterweise liegt in der Rhetorik ganz häufig trotzdem der Akzent auf dem Leben, was plausibel ist, wenn man sagt, ja, wir leben in einer Gesellschaft, in der es darum geht, Leben zu fördern.
37:43
Jetzt kann man fragen, wie weit ist Pandemiepolitik Biopolitik? Und inwieweit ist sie sozusagen eine vorbiopolitische, klassische Lebensschutzpolitik? Sie ist sicher in dem Sinne eine Form der Biopolitik, als es eben zu einer Verdrängung des individuellen Sterbens aus der
38:02
öffentlichen Wahrnehmung kommt. Das ist ja etwas, das viel immer wieder mal jetzt angestoßen und diskutiert wurde über die ganzen anderthalb Jahre, die uns das jetzt fast schon beschäftigt oder das eine ein Vierteljahr, die uns das beschäftigt, immer wieder. Warum sehen wir nicht die Menschen, die sterben? Warum nehmen wir nicht die Einzelfälle wahr, außer wir sind individuell unmittelbar davon betroffen?
38:20
Warum verschwindet der individuelle Tod, der jetzt massenhaft auftritt aus der öffentlichen Wahrnehmung? Er verschwindet genau aus dem Grund, aus der öffentlichen Wahrnehmung, könnte man vor diesem Hintergrund sagen, aus dem er sonst auch verschwindet. Der Tod ist die Katastrophe politischer Macht. Und an der politischen Macht haben wir alle ein Interesse, weil die politische Macht dasjenige ist, was uns schützen kann.
38:42
Es ist auch in dem Sinne Biopolitik, als dass der Schutz des Lebens von Bürgerinnen politisch in der Regel kollektiv und weniger individuell diskutiert wird. Wenn so sehr immer mal wieder der Blick auf den Einzelfall natürlich eine Rolle spielt. Am Ende geht es darum, Risiko Gruppen zu schützen. Es geht darum, bestimmte Menschen Gruppen in den Fokus zu rücken.
39:01
Und es geht auch darum, was bedeutet es für die Bevölkerung als Ganzes. Und in dem Sinne würde ich sagen, ist es in der Tat gewissermaßen klassische Biopolitik. Und es ist in dem Sinne auch klassische Biopolitik, als dass wir hier sozusagen ein Instrument der Biopolitik par excellence am Werk sehen, nämlich hygienische Distinktierung der
39:22
Individuen, um das Überleben der Bevölkerung zu sichern. Das ist sozusagen das Paradebeispiel der Hygiene Bewegung des 18. Jahrhunderts, an dem das Ganze immer wieder durchstabiert wird, zu bestimmte Hygieneregeln zu verinnerlichen und dadurch Überlebenschancen zu sichern.
39:44
Zugleich trifft das aber nicht alles. Und das ist sozusagen auch das Problem derer, die wie Giorgio Agamben sozusagen den Begriff erst mal vor vornherein sowieso immer negativ verstehen und sagen, das ist jetzt reine Biopolitik, das ist des Teufels. Denn das ist nur eine Seite der Mitteil. Die andere Seite ist ja, dass die Einhaltung der Hygienemaßnahmen
40:02
eben nicht nur auf das Kollektiv zielt, sondern sie zielt eben auch ganz individuell auf den Schutz der anderen. Und wenn man die Menschen fragt, warum machst du das? Warum hältst du dich daran? Und wenn sie mich fragen, warum hältst du dich daran? Ja, auch weil ich ganz konkrete andere Personen vor Augen habe, die ich nicht gefährden will, wo ich sage, ich weiß, ich kann die anstecken
40:21
und ich möchte nicht, dass die nach einem Virus sterben, weil ich sie angesteckt habe. Das ist sozusagen gar nicht in diesem politischen Sinne gedacht. Und es geht auch im hohen Maße um Selbstschutz. Man kann es in gewissem Maße auch selbst schützen. Und es geht auch um das Überleben von Individuen. Also dass die individuellen Personen und individuellen Schicksale auch immer wieder eingeblendet werden, ist sozusagen ein Gegenbeispiel
40:42
gegen diese biopolitische Aufladung. Und vor allem muss man sagen, die Methoden, die wir anwenden, sind uralt. Abgesehen von der Impfung sind das dieselben Methoden, mit denen man schon vor rund 1000 Jahren angefangen hat, gegen die Pest zu kämpfen. Es ist die Methoden, die immer schon gegen Pandemien eingesetzt wurden,
41:02
ob biopolitisch geprägte Gesellschaften oder nicht. Natürlich können diese Methoden in einem anderen gesellschaftlichen Kontext eine andere Dynamik bekommen. Das ist gar keine Frage. Aber zunächst mal spricht vieles dafür, dass wir hier etwas tun, das die Menschheit schon immer getan hat, wenn sie von Pandemien berannt wurde. Abstand halten, isolieren, Quarantäne,
41:22
Atemschutz, obwohl man ihn damals nicht verstanden hat, wieso er funktioniert, hat man damals auch schon eingesetzt. Jetzt muss man sich natürlich mit Blick auf all das fragen. Ich habe diese biopolitischen Bogen jetzt mal gespannt. Wie ist denn Biopolitik überhaupt zu bewerten? Ist das eigentlich was Negatives oder ist das was Positives? Es hat bei Foucault erst mal einen rekonstruktiven Aspekt,
41:42
dass er rekonstruiert eine Entwicklung politischer Machtstrukturen. Es hat bei ihm aber immer, das muss man glaube ich immer mit denken, einen enorm kritischen Unterton, weil für ihn, Entschuldigung, Genealogie, so nennt er seine Methode, mit der er arbeitet. Genealogie ist für ihn immer Machtkritik.
42:03
Das heißt, ein machtkritisches Moment ist bei ihm immer drin. Wenn er von Macht redet, dann kritisiert er Machtstrukturen und er kritisiert sie dadurch, dass er sie offenlegt. Das muss man aber natürlich nicht mitgehen, sondern man kann sich ja auch fragen, inwieweit ist politische Macht nicht auch etwas Notwendiges.
42:21
Natürlich hat Biopolitik eine Gefahr. Sie hat einen Zug ins Totalitäre. Und das liegt eben daran, dass sie sich in der Regel am kollektiven Leben orientiert und nicht am Leben des Individuums. Und dadurch dazu tendiert, das Individuum zu übergehen. Und es ist interessant, sich anzugucken, dass für Foucault das Paradebeispiel einer exzessiv
42:42
durchgezogenen Biopolitik der Nationalsozialismus ist, der gleichzeitig das Paradebeispiel für eine klassische Souveränitätshilfe ist. Also im Nationalsozialismus überlagern sich für Foucault diese beiden Dimensionen einer Macht, die daraus resultiert, dass sie Menschen tötet und gleichzeitig einer Macht,
43:00
die sozusagen darauf zielt, die die Gesundheit der Bevölkerung massiv zu fördern. Also diese ganzen ideologischen Konstrukte wie Rassenhygiene, Volksreinheit usw. sind ganz klassisch biopolitische Terminologien. Und das kann nur deswegen mit einer Ideologie zusammengehen, die ihre Macht aus dem Töten zieht, weil sie sozusagen
43:21
die anderen alle dehumanisiert, entmenschlicht. Und dann sind es so, das eigene Volk ist das Menschliche, das nach der Logik der Biopolitik geschützt werden muss. Und alle anderen sind sozusagen unmenschlich und dürfen deswegen getötet werden. Und da sieht man natürlich, dass ein ganz negativ besetzt wird, wenn er denn in dieses Extrem überführt wird. Positiv kann man natürlich auch mal überlegen, ist es nicht auch
43:42
etwas Gutes, wenn Macht sich von dem her versteht, was lebensförderlich ist und nicht aus ihrem Vernichtungspotenzial? Ist das nicht auch ein Machtbegriff, der was Konstruktives haben kann? Das ist dann natürlich gegen Foucault Machtkritik geredet und setzt voraus, dass man überhaupt ein auch positives Verständnis davon hat, dass es politische Macht gibt.
44:02
Und genau das würde ich eben sagen. Und das ist, glaube ich, das, was uns die Gedankenexperimente des Gesellschaftsvertrages durchaus wehren können, dass es gute Gründe gibt für Individuen, sich als Teil einer Gesellschaft verstehen zu wollen, in der es politische
44:20
Macht gibt und politische Macht ausgeübt wird, weil diese Machtausübung eben eine Schutzfunktion hat, ohne die der Mensch als Einzelne nicht überleben und leben kann. Und die Frage sozusagen, was heißt, wenn man das jetzt mal auf die aktuelle Pandemiesituation anwendet, was heißt das? Der Schutz, es gehört sozusagen
44:41
zu diesem Gesellschaftsvertrag unserer Gesellschaft dann doch vielleicht auch dazu, dass es darum geht, einen Schutz vor der Lebensgefahr auch durch Krankheit als Bestandteil dieses Gesellschaftsvertrages zu verstehen. Das rechtfertigt Freiheitseinschränkung durch den Staat in Situationen, wo eine Krankheit, eine außer Kontrolle gerät und das Leben
45:01
aller bedroht. Das setzt eben voraus, dass man Krankheiten als äußere Bedrohung versteht. Aber das scheint mir sozusagen unter der Regie auch einer unseres heutigen mit guten Gründen leitenden naturwissenschaftlichen Verständnisses, dessen wie Krankheiten entstehen, immer schon gegeben.
45:21
Aber, und das ist glaube ich der kritische Punkt, den man dann immer wieder einbringen muss, sich deutlich noch mal zu betonen, wenn wir in einer liberalen Gesellschaft leben, dann muss es am Ende auch um den Schutz des Lebens von Individuen gehen. Es geht nicht einfach um das kollektive Leben der Bevölkerung, sondern das scheint mir nach wie vor eine Stärke dieser Gesellschaftsvertragstheorien zu sein, insbesondere dann der liberalen
45:42
Gesellschaftsvertragstheorien, dass sie ja sagen, durch diese Fiktion des Gesellschaftsvertrages können wir uns unserer Gesellschaft als eine solche denken, in die wir alle als freie Individuen einwilligen. Das ist ja sozusagen die Idee dahinter. Und die Idee ist, können wir uns eine Gesellschaft so denken, dass wir als freie Individuen ein Teil
46:02
unserer Freiheit aufzugeben, weil wir dadurch Schutz gewinnen. Und das wäre eben auch Schutz vor Krankheiten. Und das ist genau diese Betonung der Freiheit, das ist Individu uns als Gegengewicht zur Macht des Souveräns. Die wird angesichts von Biopolitik, glaube ich, noch wichtiger, als sie es zuvor schon war.
46:22
Ich komme damit schon mal auf das Ziel gerade und will versuchen, jetzt diese verschiedenen Überlegungen, politische Ethik, Pandemie, Situation, Sterben und Tod noch mal zu bündeln. Was heißt das für mich? Wie viel Tod darf sein? Ich denke Ihnen ist deutlich geworden, eine eindeutige Antwort auf diese Frage werde ich schuldig bleiben.
46:42
Die wird jeder, behaupte ich, auch nur halbwegs vernünftig denkende Mensch schuldig bleiben, weil man sie nicht ohne Weiteres eindeutig quantifizieren kann. Die Antwort liegt irgendwo zwischen den extremen. Tod darf gar nicht sein. Und der Tod des Einzelnen ist egal. Tod darf gar nicht sein.
47:01
Das wäre eben die Verabsolutierung des Schutzaspektes. Das würde in eine absolut totalitäre Gesellschaft hineinführen. Das hauptschtische Modell. Das wäre der totale Souverän, der verspricht, ich schütze euch Bürgerinnen und Bürger vor allem und jeder Krankheit, an der ihr sterben könnt. Das verlangt aber, dass die Menschen dafür nahezu alle Freiheiten aufgeben.
47:20
Der Tod des Einzelnen ist egal. Da wäre die Frage, warum soll ich so einer Gesellschaft überhaupt noch angehören wollen, wenn sie mir keinen Schutz mehr versprechen kann, nicht mal den Minimalen vor Krankheit. Das heißt, die Grundfrage würde ich noch mal anders formulieren, nicht wie viel Tod darf sein, sondern welche Art von Schutz darf der einzelne Beblick auf Krankheit
47:43
realistischerweise von der politischen Gemeinschaft erwarten? Und die eine Antwort, und das scheint mir nach wie vor die plausible eben, wäre zu sagen, ich darf zumindest erwarten, und heute ist es plausibel, das von der Gesellschaft zu erwarten, dass das medizinisch mögliche eingesetzt wird, um vor schwerem Leid
48:01
in Folge von Krankheit zu bewahren. Ich kann zwar nicht erwarten, dass eine Gesellschaft mich vor allem sterbe, Risiken schützt, aber wenn wir ein funktionierendes Gesundheitssystem haben, kann ich mich darauf verlassen, dass wenn ich eine Krankheit habe, das, was medizinisch möglich ist, getan wird, um die Risiken zu minimieren, dass ich daran sterbe
48:22
oder schwerst daran leide. Ich weiß, dass das nicht immer möglich ist als Bürger der Gesellschaft, dass es Krankheiten gibt, an denen ich sterben werde, rein faktisch. Aber ich kann mich darauf verlassen, dass das, was möglich ist, eingesetzt wird. Genau das ist aber das, was in der Pandemie-Situation dann nicht mehr funktioniert, wenn das Gesundheitssystem überlastet wird. Also wenn auf 30.000 Intensivbetten
48:43
plötzlich 60.000 Intensivpatienten kämen, dann wüsste ich nicht mehr, dass diese Gesellschaft mich noch mit dem medizinisch möglichen schützen kann, sondern ich wüsste, ich hätte eine 50-50 Chance, wenn ich so erkranke, dass ich einfach sterben würde, weil man medizinisch nicht mehr viel für mich tun kann.
49:01
Das heißt, ein Kollabieren des medizinischen Versorgungssystems macht genau dieses Versprechen der Gesellschaft gegenüber dem Einzelnen unmöglich. Das setzt voraus, dass man das Gesundheitssystem als ein Aspekt der Schutzaufgabe der politischen Gemeinschaft versteht.
49:21
Und deswegen muss es funktionieren, weil es eine elementare Schutzaufgabe der Gesellschaft gegenüber den Individuen ausübt. Und wenn das nicht mehr funktioniert, dann droht der Kollaps des Gesundheitssystems und dann erodiert das Grundvertrauen und die Grundfunktion dieser gemeinsamen Lebensform.
49:42
Das heißt, zu verhindern, durch Einschränkung von Freiheitsrechten zu verhindern, dass das Gesundheitssystem kollabiert, ist nicht allein Biopolitik. Wir verhindern das Kollabieren des Gesundheitssystems nicht allein deswegen, weil wir wollen, dass die Menschen exzessiv möglichst lange und möglichst gut leben,
50:00
sondern es geschieht eigentlich im Interesse jedes Einzelnen und das ist das, was der Teil dieser politischen Gemeinschaft ist, weil mir das Vertrauen in ein funktionierendes Gesundheitssystem es ermöglicht zu sagen, ja, hier gebe ich einen Teil meiner Freiheit ab, indem ich zu einer Gemeinschaft von Menschen gehöre, die zusammen leben, im Wissen darum, dass ich an dieser Stelle einen Schutz bekomme,
50:20
den ich ohne diese Gemeinschaft nicht hätte. Wenn das aber wegbricht, dann verliert das Vertrauen in die Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft eine elementare Grundlage, die für uns alle heute sehr wichtig ist, weil Gesundheit, das ist sozusagen die Kehrseite des Ganzen, das hat dann, glaube ich, was mit Biopolitik zu tun,
50:41
weil Gesundheit für uns alle einen sehr hohen Wert hat. Damit bin ich mit meinen Überlegungen am Ende. Ich will am Schluss noch mal sagen, Sie merken, es ist für mich selber auch eine Suchtbewegung. Also es ist eine ganz schwierige Frage. Ich glaube nicht, dass man sie klar beantworten kann.
51:01
Ich glaube, dass die indirekte Antwort zu sagen, das funktionierendes Gesundheitssystem ist das, was wir für erstrebenswert halten, was wir aus moralischen Gründen für gut halten. Das legitimiert es, Freiheitsrechte einzuschränken. Das legitimiert es aber natürlich nicht, diese unbegrenzt einzuschränken, denn in dieser ganzen Argumentation ist immer
51:21
vorausgesetzt, die Einschränkung der Freiheitsrechte geschieht mit dem Ziel, diese Freiheitsrechte irgendwann wieder herzustellen. Und das ist genau die schwierige Situation, in der wir alle jetzt gegenwärtig stehen, der Übergang sukzessive, das wieder zurücknehmen von Freiheitsrechten. Aber ich würde eben dann auch argumentieren und sagen, genau in
51:42
dieser Situation ist die Orientierung an der Leistungsfähigkeit und der Schutzfähigkeit durch das Gesundheitssystem das entscheidende Kriterium. Das hat der deutsche Ethikrat, wenn ich das rechtlich sehe, ja ganz ähnlich formuliert in seiner Ad hoc Stellungnahme. Andere sehen das anders. Das ist in der öffentlichen Debatte deutlich.
52:04
Aber ich glaube, dass diese Position aus einer politisch-ethischen Perspektive gut begründbar ist. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bin sehr gespannt, was Sie alles an Fragen gesammelt haben. Ja, lieber Michael.
52:21
Zunächst mal vielen herzlichen Dank. Ich muss an dieser Stelle auch noch mal sagen, als ich dich angefragt habe, war mir und auch dem Organisatorenteam durchaus eben auch bewusst, dass das irgendwie ein sehr spannendes, aber auch ein sehr schwieriges Thema sein würde. Und wir hatten ja auch länger darüber gesprochen, wie man ein solches Thema
52:42
dann auch gut angehen kann. Und ich finde den Bogen, den du gespannt hast, irgendwie sehr, sehr spannend. Und ich würde tatsächlich auch gleich mal mit einer Frage beginnen, die mir bei deinen Darstellungen irgendwie zur Biopolitik kam, die vielleicht nochmal ein zusätzliches, sehr, sehr
53:02
schwieriges Fass aufmacht. Aber da ich weiß, dass du dich mit diesem Thema auch intensiv auseinandersetzt und diese zwei Themen dann doch irgendwie gerade aktuell aufeinander prallen, stelle ich sie jetzt einfach trotzdem. Und zwar hast du vorhin mit Bezug auf Foucault ja darauf hingewiesen, dass das Thema Tod und Sterben
53:22
weitestgehend aus der Gesellschaft verdrängt wird. Und es wird tatsächlich auch immer wieder momentan darüber gesprochen, dass ja auch eben sowas wie eine gesellschaftliche Trauer irgendwie nicht stattfindet. Irgendwie Steinmeier hatte mal vorgeschlagen, einen Trauertag für die Corona-Toten zu feiern. Daraus ist nichts geworden.
53:42
Gleichzeitig irgendwie ist gerade im letzten Jahr sowohl in Deutschland als aber auch interessanterweise in Österreich und in der Schweiz wiederum eine sehr, ja, eine sehr lebhafte Debatte irgendwie um das Thema assistierten Suizid und den ganzen damit zusammenhängenden anderen Fragen sozusagen des selbstbestimmten Sterbens
54:03
oder zumindest mal des Unterstützten Sterbens. Und es ist ja, ja, es ist zwar ein anderes Thema, aber die zwei gehören ja ein Stück weit irgendwie zusammen. Und da würde ich mich einfach fragen, wie ist denn deine Wahrnehmung, wie diese beiden Diskurse, die ja dann teilweise auch dazu führen, dass eben medial irgendwie, wir hatten ja diese, das wir schon mitgekriegt, es wurde ja
54:21
auch in der ARD und auch gleichzeitig in der Schweiz und in Österreich dieses Theater-Shit von Franz von Schierach eben gezeigt. Und die Mitzuschauern-Befragung und so weiter. Das mitten in der Pandemie, das wurde in den Medien teilweise auch stark kritisiert. Wie passt das denn irgendwie zu dieser These der Bio, macht denn der Bio-Politik eigentlich zusammen? Und wie würdest du diese beiden
54:42
Diskurse zusammenführen? Ja, also es ist ja ganz lustig in Anführung. Ich hatte gestern Abend, haben wir, habe ich mit Ralf Meister, dem anovaschen Landesbischof, also auf einer internen Onlinesitzung, haben wir das diskutiert im kleinen Kreis mit irgendwie 20 Leuten, das Thema Assistierter
55:02
Suizid und Kirche. Insofern ist das sozusagen für mich auch gerade gestern Abend war das Thema Assistierter Suizid. Heute Abend ist das Thema Sterben bei Corona. Also wie geht das zusammen? Ja, interessant finde ich sozusagen, dass die argumentativen Logiken sich ein bisschen überkreuzen, kann man sagen. Beim Assistierten Suizid steht im Vordergrund
55:23
das Recht jedes einzelnen Individuen auf Selbstbestimmung. Beim Thema Corona, Covid, steht im Vordergrund die Pflicht der Gesellschaft, das Leben der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Und in beiden Fällen stellt sich die Frage, wie weit reicht das jeweils?
55:41
Also beim Assistierten Suizid die Frage, wozu verpflichtet die Selbstbestimmung des anderen mich? Also erlaubt die Tatsache, dass ich die Selbstbestimmung des anderen respektiere, auch, dass ich ihm dabei helfe, sich selbst zu töten und damit zum Beispiel die grundsätzliche Verpflichtung, das Leben des anderen zu schützen, auszusetzen in so einer Situation. Andersrum bei Covid-19 die Frage,
56:04
wie weit reicht die Lebensschutzpflicht des Staates? Reicht die so weit, dass die elementare Freiheitsrechte, Selbstbestimmungsrechte aussetzen kann? So kann man sagen, die Argumentationen kommen immer zum anderen Ende des Spektrums her, weil die Konstellationen unterschiedlich sind. Und was ich schon glaube, auch wahrnehmen zu können, ist, dass
56:21
durch die Corona-Pandemie eine ethische Diskussion, die über viele Jahrzehnte aus guten Gründen sehr fokussiert war auf das Autonomieprinzip, auf das Recht auf Selbstbestimmung, dass ja alles richtig und gut ist. Das geht gar nicht um das zu fragen, aber sie war eben einseitig darauf fixiert und hat ein bisschen aus dem Blick verloren,
56:42
dass es so was wie Solidaritätspflichten gibt, so was wie Schutzpflichten, so was wie Fürsorgepflichten. Und wie die begründet sind und worin die gründen, das kommt sozusagen jetzt wieder in den Fokus, dass wir diese Frage stellen müssen. Warum haben wir eine Pflicht zum solidarischen Aushalten mit denen, die besonders schwer von dieser Pandemie
57:02
betroffen sind? Und insofern wäre meine, ich meine, das ist eine Debatte, die läuft innerhalb der Medizinetik. Du weißt das, aber die läuft ja sozusagen schon länger, dass man sagt, wir müssen auch irgendwie mal auf die andere Seite des Ganzen gucken, nicht nur den Respekt vor der Autonomie in den Blick nehmen, sondern zu gucken, was sind eigentlich auch diese ganzen anderen ethischen, moralischen Verpflichtungen,
57:20
die es da gibt durch die anderen moralischen Güter. Und das kriegt natürlich jetzt durch die Corona-Pandemie, glaube ich, einen gewissen Schub, dass wir plötzlich merken, ja, also da geht es ja primär darum. Da ist es uns allen, auch die meisten zumindest, sagen wir es mal so, ja offensichtlich sehr plausibel, dass es Schutzpflichten gibt, die die dazu führen, dass ich meine Freiheitsrechte einschränken lasse. Die Zustimmungswerte liegen ja immer noch bei rund 70 Prozent
57:41
in Deutschland zu den aktuellen Corona-Maßnahmen und in den meisten europäischen Ländern ist das so, was ja zeigt, dass es durchaus eine plausible Begründung dafür zu geben scheint, auf Freiheitsrechte zu verzichten. Das kann man jetzt gar nicht eins zu eins auf die Soziethilfediskussion übertragen, also was das dafür heißt, wäre nochmal eine ganz andere Frage.
58:00
Aber es zeigt sozusagen, es gibt neben Selbstbestimmung noch andere intuitiv einleuchtende moralische Verpflichtungen. Vielleicht darf ich an der Stelle kurz ergänzen. Wo positionieren Sie den Begriff der Würde? Das ist ja auch ein nicht sehr klar definierter Begriff, aber die Würde
58:20
einer Beerdigung mit Verwandten und Freunden, die Würde, dass die Oma besucht werden kann in dem Pflegeheim. Wie positionieren Sie in der Wertigkeit, der sozial-ethischen Wertigkeit, dies gegenüber der Gesundheit? Also der Würdebegriff ist deswegen problematisch,
58:42
weil er doppeldeutig ist. Also die Beispiele, die Sie jetzt genannt haben, sind Beispiele für das, was wir in der Ethik kontingente Würde nennen könnten oder Statuswürde oder soziale Würde. Also Würde, die aus einer bestimmten kulturellen Tradition kommt, aus einer Anerkennung, dass der Ursprung dieses Würdebegriffs ist eigentlich die Würde
59:03
der Person im römischen Gesellschaftssystem. Der Senator, die Älteren hatten eine besondere Würde, waren besonders angesehen. Würdig ist in dem Sinne das, was ich subjektiv für mich erstmal auch wichtig finde, was ich gut finde. Das andere ist ein kategorischer Begriff von Würde
59:20
im Sinne von Menschenwürde, wie wir es im Grundgesetz Artikel 1 haben. Und diese beiden Begriffe darf man nicht einfach verwechseln. Das ist etwas, das in der Medizin, also in der, sagen wir, in der populären medizinischen Diskussion schnell passiert. Also ich erlebe es als unwürdig, so zu sterben. Und das wird dann gleichgesetzt mit Menschenwürde. Dass jeder Mensch eine kategorische Würde hat,
59:42
heißt erst mal, jeder Mensch ist in gleicher Weise ein moralisch zu berücksichtigendes Subjekt und Objekt. Also jeder ist moralisch gleich und hat gleiche Rechten und Pflichten. Ich kann ihn sozusagen nicht den einen einfach schlechter behandeln als die anderen und sagen, der ist jetzt kein moralisch relevante Person mehr. Das glaube ich nicht.
01:00:00
der Kern des Menschenwürdebegriffs, alle moralisch gleich machen. Das heißt nicht, dass man immer alle gleich behandeln muss, sondern man muss dann Gründe haben, nachvollziehbare Gründe, wenn man Menschen unterschiedlich behandelt. Und es muss irgendwo eine gemeinsame gleiche Grundlage für alle geben. Und es müssen für alle dann dieselben Argumente gelten. Während so etwas wie dieser Kontingente-Würdebegriff
01:00:23
eben eher was damit zu tun hat, was ist ein gutes Leben? Was ist Pietät? Zum Beispiel die Frage der Begleitungsterben. Dürfen die Angehörigen besuchen? Da kann man, glaube ich, nicht eine kategorische Pflicht draus machen. Man kann nicht sagen, es gibt ein Grundrecht darauf, dass jeder von jemand anderem besucht wird. Gleichwohl wissen wir,
01:00:42
dass uns das allen wichtig ist. Und das hat auch eine moralische Relevanz. Es ist ein moralisches Gut, könnte man sagen, das in unserer Gesellschaft und in unserer Kultur verankert ist, das kulturell dann auch sehr, sehr unterschiedlich ausgeträgt ist, in unterschiedlichen Kontexten. Und wo es auch, wo man jetzt sagen kann, das kann man eher
01:01:01
mal aufgeben. Was man nicht aufgeben kann, ist die kategorische Würde der Person. Die können wir nicht aufgeben, weil die ist die Grundlage unseres moralischen Systems, auf der wir überhaupt verhandeln, wie wir miteinander als moralische Wesen umgehen. Um das jetzt nochmal in meinen Vortrag zurückzukoppeln, kann man natürlich sagen, der Begriff der Menschenwürde, der kategorischen Menschenwürde ist der, der sich natürlich querstellt zu
01:01:24
einer Biopolitik. Weil Biopolitik, so wie ich das bei Foucault lese, hat immer was latent instrumentalisierendes, weil sie eben immer auf die kollektive Bevölkerung, auf das Leben der Gesamtheit geht. Und das ist natürlich auch Foucault's Kritik an der Biopolitik implizit. Und der Würdebegriff lenkt den Blick auf den unverrechenbaren Wert
01:01:46
jedes Einzelnen. Also zu sagen, das Leben des Einzelnen ist wertvoll und nicht nur das Leben des Kollektivs ist wertvoll. Und insofern ist es, glaube ich, wichtig, kann man sagen, die Menschenwürde ist in unserer liberalen Rechtsordnung der Teil, wo sozusagen diese Individualität rechtssystematisch gegenüber diesen Kollektiven festgeschrieben wird.
01:02:07
So würde ich es jetzt mal grob einordnen. Herr Coas, ich habe eine Frage, das betrifft
01:02:20
Michel Foucault und unsere heutige Argumentation. Es gibt sozusagen ein Bild von Foucault, das heißt, er ist ein scharfer Kritiker der Biomacht. Aber da muss man natürlich überlegen, was bedeutet Kritik bei Foucault. Und da sehe ich Foucault gewissermaßen in zwei Rollen.
01:02:42
Einmal ist er der historische Anatom der Macht, der ganz genau zerlegt, zergliedert, wie etwas entsteht, wie es funktioniert, wie es legitimiert wird und und und. Da ist er gewissermaßen ein schöner, man könnte sagen, ein Historiker. Auf der anderen Seite ist Foucault ein politischer Intellektueller, der sich zu bestimmten Dingen so und so geäußert hat,
01:03:04
auf welcher normativen Grundlage auch immer. Das war ja die Debatte zwischen Habermas und Foucault, wo Habermas gesagt hat, der Machtbegriff ist eigentlich keine normative Grundlage für den Äthischen. Die Diskussion will ich nicht wieder aufwerben. Wenn man aber, und ich lese jetzt mal einen Satz aus dem Nachwort von Sexualität und Wahrheit,
01:03:25
wo Foucault zuerst sagt, Biopolitik ist so eine Sammelbezeichnung für alle möglichen Techniken und Praktiken, die sich zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert etabliert haben, 19. Jahrhundert auch, und er schreibt dann, Seite 169, der Tod hört auf, dem Leben ständig
01:03:45
auf den Fersen zu sein. Das ist die Leistung der Biopolitik. Der Tod hört auf, dem Leben ständig auf den Fersen zu sein. Und das kann ja erst mal gar nicht so schlecht sein. Jetzt kommt der Punkt. Wenn Sie im Grunde dieses Kapazitätsargument wiederbringen,
01:04:03
dass wir ja heute auch haben, dass man sagt, okay, das Gesundheitssystem darf nicht überlastet werden. Einmal nicht aus der Perspektive der Individuen, die erkranken könnten, aber es ist zum anderen auch ein hohes politisches Ziel der Ärzteschaft, die Triage zu
01:04:23
ersprachen. Das ist ein hohes gesundheitspolitisches Ziel. Dann könnte Foucault gegen dieses Argument, das Sie am Ende noch mal akzentuiert haben, im Grunde per se erst mal gar nichts einwenden, und man könnte auch gegen mit Foucaults Konzept der Biopolitik, gegen ein
01:04:40
solches Argument auch gar nicht zu Felde ziehen. Wie wir da argumentieren und wenn ich sage, man müsste Foucault sagen, das überlasse ich euch. Das wendet sich also im Grunde gegen so ein vulgares Foucault-Verständnis und so ein vulgares Verständnis von Biopolitik. Wäre das in Ihrem Interesse? Sie haben das bestens auf den Punkt gebracht, was ich versucht habe zu machen. Ich nehme Foucault positiv
01:05:07
auf in seinem rekonstruierenden Ansatz, weil ich ihn als Analytiker der Macht einfach wirklich brillant finde an vielen Stellen, muss ich sagen, und das sehr überzeugend bin. Da würde ich eben anders als Habermas sagen, ich verhalte den Machtbegriff für einen zentralen Begriff, Herr Edick. Aber ich würde eben auch sagen,
01:05:23
wie das normativ verankert ist. Also es gibt immer wieder so normative Schwitzen bei Foucault. Die scheinen mir aber nicht immer gut begründet und ich finde bei Argumenten wird es dann noch schlimmer. Der ist in der Analytik auch oft unglaublich erhellend, aber da wo er sozusagen selber das normativ durchschimmert, wird es immer schwierig. Und ich würde eben sagen,
01:05:44
nein, also mein Grundargument ist zu sagen, nicht alle Macht ist des Übens, sondern Macht ist etwas, das auch wir haben als Individuen, die ein Interesse daran, sozusagen ein moralisches Interesse daran oder halten es moralisch für, er strebt sich zu einer Gemeinschaft zu gehören, die uns
01:06:01
Schutz gibt. Und wenn wir das tun, dann braucht es Macht. Und Macht ist dann immer ambivalent. Also sie ist ja moralisches Gut, sie ist auch gefährlich. Und in dieser moralischen Ambivalenz der Macht bewegen wir uns, wenn wir uns im Bereich der politischen Ethik bewegen. Und da würde ich eben anders als, ich ist bei Foucault bisher wahrnehme. Also ich habe bei Weitem nicht sein ganzes Örwürgen lesen. Ich bin jetzt seit
01:06:25
einem gutem Jahr dabei, immer wieder intensiver in ihn reinzulesen, finde das hoch spannend. Aber ich merke sozusagen, diese Normativität hat oft eine kritische Stoßrichtung, bei der mir aber auch nicht so richtig klar ist immer, wie kritisch sie wirklich ist und ob nicht seine Schüler das sozusagen viel stärker politisch instrumentalisieren, als er selber
01:06:43
das getan hat. Und insofern würde ich sagen, genau, also das Argument am Schluss ist, was ich gebracht habe, ist genau der Versuch, ein Argument zu formulieren, bei dem ich glaube, mit Foucault kann man da nichts gegen sagen. Und es zeigt sozusagen, das ist, wo er vermutlich möglicherweise
01:07:02
was gegen sagen würde, ist das Sage, der Biomacht ist nicht nur des Teufels, sondern sie hat durchaus auch eine positive Seite, genau in dem Sinne, wie Sie es gesagt haben. Macht auf Lebensförderlichkeit abzustützen, finde ich an sich erstmal einen positiven Machtbegriff, im Gegensatz zu einem Machtbegriff, der sich, der seine Selbstverständnis sozusagen daraus zehrt, das Macht heißt, ich kann
01:07:21
im Zweifelsfall auch töten. Nur eine Ergänzung. Es gibt bei Foucault keinen außerhalb der Macht. Alle Handlungen, Foucault hat nur einen Begriff strategischen Handelns. Das heißt, jeder Sprechakt, jeder Handlung, jeder Anweisung ist Macht. Deswegen, es gibt nicht sozusagen im Grunde irgendeinen draußen und
01:07:41
man kann auch nicht die Macht von irgendeiner machtfreien Position kritisieren. Alles ist gewissermaßen Macht. Es gibt nichts anderes. Ja, das wird jetzt interessant, weil da würde ich es gerade als Theologe sogar sagen, das sollte ich mir als Theologe sogar noch am stärksten ein, nicht? Also von Augustin her kommen zu sagen,
01:08:00
alles Leben in der Welt ist letztlich, wie wir im Christentum sagen, von Sünde bestimmt. Sünde ist eine Form der Macht, eine Machtstruktur, eine zerstörende Machtstruktur und politische Macht im Sinne Augustins ist ja die Bändigung dieser zerstörerischen Macht der Sünde durch sich selbst. Und da ist die Analytik Foucault, deswegen interessiert sie mich
01:08:22
im Übrigen als Theologe so sehr, glaube ich, ein ganz interessanter Gesprächspartner. Das hat, finde ich, durchaus was. Deswegen kann ich sozusagen als Theologe auch die Machtfrage nicht aus der Edek raushalten, aber das wird jetzt in den anderen Diskurs reinführen, glaube ich. Würde gerne nochmal zurück auf, du hattest ja gesagt, letztendlich lässt sich diese Frage, wie viel Tod
01:08:43
der Gesellschaft verträgt, eben nicht eindeutig beantworten. Und eine Reihe von Fragen, die hier von den Zuschauern gekommen sind. Ich glaube, wir ziehen jetzt endlich auch nochmal auf diesen Punkt hin, nämlich auf die Frage, was nimmt man dann überhaupt auch alles in die Rechnung mit rein? Eine Zuschauerin und ein Zuschauer schreibt, gehört zum
01:09:01
Schutz nicht mehr als Schutz vor dem Tod. Was ist mit längerfristigen Folgeschäden? Und ich würde diese Frage gleich noch mit einer weiteren Frage verknüpfen, die in die ähnliche Richtung geht. Wie ethisch sicher ist die Grenze? Keine Überlastung des Gesundheitssystems. Wir nehmen auch damit jetzt fast 70.000 Tote hin,
01:09:20
die durch einen strengeren Lockdown zumindest teilweise vermeidbar gewesen wären. Also genau, die Fokussierung auf den Tod ist sozusagen eine um der Vereinfachung der Frage, muss man ehrlicherweise sagen. Sie haben das Gefühl, es geht eigentlich um den Schutz von Gesundheit. Und es geht nicht nur um den Schutz vor dem Tod.
01:09:41
Ich habe das immer wieder auch mal anklingen lassen. Also es geht um Schutz vor Krankheit und den Folgewirkungen von Krankheit, also dieses Phänomen Long Covid, wo wir noch gar nicht wissen, was für schädliche Folgen hat diese Erkrankung langfristig. Aber auch hier gilt natürlich immer die Frage des Ausmaßes, weil wir in der Tat sagen müssen,
01:10:02
interessiert uns sonst auch, es ist provokant, interessiert uns sonst auch nur sehr begrenzt. Also wenn wir mal angucken, es taucht dann immer mal wieder auf, weil die Zusammenhänge oft dann auch nicht klar sind. Aber welche enormen gesundheitlichen schädlichen Auswirkungen der Ausstoß an Abgasen hat, die wir alljährlich rauspusten, jetzt ohne mal darauf zu gucken, wie viele dadurch sterben.
01:10:21
Das ist letztlich, glaube ich, immer auch in hohem Maße spekulativ wiedergerechnet wird. Aber dass es gesundheitliche Folgeschäden hat, die uns eine Menge im Gesundheitssystem kosten, steht außer Frage, glaube ich. Und trotzdem nehmen wir es hin. Wir versuchen es zu verbessern und weniger zu machen. Aber ja, die Breitschaft scheint sehr begrenzt zu sein, das zu tun. Aber im Grundsatz würde ich sagen, natürlich auch
01:10:41
das gehört auf die Rechnung. Wobei das Problem eben ist, die Rechnung ist keine mathematische. Also wir haben jetzt nicht eine Waage, wo wir hier Gewichte drauflegen und dann eins zu eins abmessen. Und das ist genau das Problem. Ja, wie viele Menschen, die an Corona versterben, sind zu viel. Also wenn man auf die Einzelfälle guckt, muss man ganz klar sagen, jeder ist zu viel. Es hat was Zynisches zu sagen. Natürlich. Ja, das musste halt jetzt sein.
01:11:02
Also das kann ich sagen, wenn ich niemand davon kenne. Aber spätestens dann, wenn es jemanden trifft, der mir wichtig war, ist das egal. Dann war die eine Person zu viel. Und wenn ich jemanden kenne, der unter Landzeitfolgen leidet, ist diese Person auch zu viel. Auf der anderen Seite kann eine Gesellschaft nicht so funktionieren, dass sie alles und jeden davor schützt,
01:11:21
weil dann müsste sie so weit unsere Freiheitsrechte eingreifen, dass es keine liberale Gesellschaft mehr wäre. Dann kann man jetzt natürlich sagen, gut, dann ist es halt eine totalitäre Gesellschaft. Dann ist das besser. Damit würde man aber sozusagen in der Grundlage unserer Gesellschaftsordnung den Boden unter den Füßen wegziehen. Aber das macht eben noch mal deutlich. Ich glaube in der Tat, es ist nicht zufällig, dass in der
01:11:42
Auseinandersetzung dann mit den Extrempositionen von von Corona-Leugnern oder Verschwörungstheoretikern dann genau auch diese politischen Ideologien plötzlich eine Rolle spielen. Aber Sie haben völlig recht. Es geht nicht nur um Tod, es geht auch um Krankheit und auch darum, was krank ist. Das ist ja genau die Frage. Also hätten wir jetzt mehr machen müssen, hätten wir
01:12:02
es können. Es hätte weniger Freiheit bedeutet. Es hätte noch mehr Einschränkung bedeutet. Natürlich bedeutet jede weitere Einschränkung auch langfristig auch Folgeschäden. Gesundheitlich psychische Folgeschäden, wirtschaftliche Folgeschäden. Mit wirtschaftlichen Folgeschäden denke ich jetzt nicht daran, dass irgendwelche Firmenbosse weniger Geld haben.
01:12:20
Ich denke daran, dass Millionen Menschen über kurz oder lang arbeitslos sein werden. Also in meinem Freundeskreis sind viele, die sind gerade auf Kurzarbeit. Die wissen, wenn das über den Sommer hinausgeht, dann wird es die Firma pleite sein. Sie haben keinen Job mehr. Sie sind alle wie ich Mitte 40. Es wird schwer, einen neuen Job zu finden. Also die wirtschaftlichen Folgeschäden sind vor allem eine große soziale Katastrophe für viele Individuen wiederum.
01:12:41
Und das ist genau dieser Balanceakt, in dem wir drinstehen, mit der Schwierigkeit, dass man da immer zu unterschiedlichen Einschätzungen in einen gewissen Graubereich kommen wird. Eine weitere Frage von einer Zuschauerin oder einem Zuschauer. Da wird gefragt, muss man für den Vergleich mit anderen
01:13:03
Formen des Sterbens nicht klar zwischen Unsicherheit, Corona ist oder war etwas Neues und Risiken, zum Beispiel beim Fahrradunfall, unterscheiden? Und konstituiert diese epistemische Differenz nicht einen wesentlichen Unterschied, der solche Vergleiche inadäquat macht?
01:13:24
Ja, also man muss eigentlich aber sagen, eigentlich ist der Risikobegriff komplett verkehrt, weil es sind keine Risiken, es sind Gefahren, die wir in Kauf nehmen. Risiko ist ja eigentlich etwas, dass ich bewusst bei einer Handlung in Kauf nehme. Also wenn ich sage, ich setze mich jetzt auf Fahrrad, dann nehme ich immer das Risiko in Kauf, irgendwo angefahren zu werden.
01:13:41
Das ist ein Risiko. Die Tatsache, dass Menschen grundsätzlich von Autos angefahren werden können, wenn sie mit dem Fahrrad fahren, ist eine allgemeine Gefahr, die besteht und es besteht grundsätzlich die Gefahr, in einer Krankheit zu erkranken, die tödlich verlaufen kann. Und diese Gefahr wehren wir nicht komplett ab in der Gesellschaft. Wir organisieren unsere Gesellschaft immer
01:14:01
so, dass wir solche Gefahren nur an einem gewissen Maße abwehren. Und da würde ich jetzt erst mal sagen, ist Corona auch, also ist Covid-19 auch, als eine neue Erkrankung eben auch eine Gefahr, und zwar eine erheblich größere Gefahr. Gerade weil sie neu ist, haben wir sozusagen einmal keine eigenen Abwehrkräfte, die
01:14:22
interessanterweise auch Abwehrkräfte heißen, auch ein militärischer, politischer Begriff. Wir können, wir haben, das Immunsystem ist auf dieses Virus noch nicht eingestellt. Deswegen ist die Gefahr höher als bei anderen. Und jetzt ist sozusagen die Frage, nehme ich, welche Risiken nehme ich für mich in Kauf
01:14:41
im Blick auf diese Gefahr? Das ist die Frage, wie schütze ich mich und welche Risiken nehme ich für Menschen, mit denen ich zu tun habe in Kauf, wenn ich mit ihnen umgehe und wenn ich jemandem gegenüberstehe, keine Maske trage und keinen Abstand halte, dann setze ich dem anderen durch mein Handeln ein Risiko aus, das vorher für ihn nur eine abstrakte Gefahr ist.
01:15:03
Unsicherheit ist für mich nochmal was anderes. Man könnte sagen, ja, wie müsste man den Begriff der Unsicherheit nennen? Also ist das Gegenhalte von Sicherheit. Unsicherheit haben wir eigentlich immer so lange, wenn wir nicht eine Situation vollständig unter Kontrolle haben. Und da würde ich ja fast behaupten, das haben wir eigentlich so gut wie nie.
01:15:21
Nur halt in unterschiedlichem Maße nicht. Und bei Corona müssen wir sagen, wir haben sie im hohen Maße nicht unter Kontrolle. Wir schaffen ein bisschen Sicherheit dadurch, dass wir sozusagen diese Freiheitseinschränkungen einziehen. Aber auch da, also Sicherheit haben wir nie.
01:15:43
Wir haben noch eine weitere Frage. Wenn ich das richtig verstanden habe, hat die Biopolitik zum Ziel, alles medizinisch Mögliche zu tun, um den Gesundheitszustand möglichst zu maximieren. Wie wird hier mit dem Problem der finanziell begrenzten
01:16:00
Ressourcen umgegangen, zwischen Lebensverlängerung und Qualität entscheiden zu müssen? Vor aktuellem Hintergrund sollte man die möglichen Ressourcen heruntergebrochen formuliert, vollständig in Impfstoffe oder in Maßnahmen, welche Lebensqualität auch von Covid-Patientinnen verbessern, investieren? Also der Biopolitikbegriff ist eben
01:16:22
gerade in dem Sinn jetzt nicht normativ, sondern er ist ja erst mal bei Foucault der Versuch zu rekonstruieren, wie funktioniert politische Macht in unseren Gesellschaften heutzutage oder und wie ist das entstanden, wie hat sich das entwickelt. Und das ist, muss man auch ganz klar sagen, gar nicht primär nicht allein das Medizinsystem. Viel stärker prägend sind die für uns
01:16:42
heute so selbstverständlichen Hygieneregeln. Da könnte man mit Foucault sagen, das ist ein Erfolg der Biopolitik, dass wir das heute ganz selbstverständlich, also ich denke jetzt nicht an Maske tragen und ich denke nicht an Abstand halten, dass wir uns Hände waschen, dass wir auf Toiletten gehen. Also all diese ganz alltäglichen Hygieneregeln, die vor 300, 400 Jahren überhaupt nicht selbstverständlich waren, das sind
01:17:01
die Dinge, die Foucault vor allem im Blick hat, wie die sich sozusagen im 17. und 18. Jahrhundert durchsetzen. Da gibt es eine große Bewegung, auch ganz spannende Literatur, die auch von seinen Schülern zum Teil, also Philipp Sarra sehen hat, eine ganz faszinierende Arbeit geschrieben, wo er das ganz detailliert analysiert, wie diese Hygienepolitik funktioniert, die auch politisch durchgesetzt worden und die darüber irgendwann ins Selbstverständnis gehen. Das ist
01:17:21
genau diese Disziplinierung. Und das sehen wir jetzt sozusagen ja, erleben wir quasi live in der Corona-Pandemie, was es heißt. Wir werden erst mal von außen diszipliniert. Wir müssen Masken tragen. Wir müssen Abstand halten. Wenn man mal in andere Gesellschaften guckt, das fand ich schon immer faszinierend, wenn man nach Asien guckt, sieht man da gibt es
01:17:42
Gesellschaften, die ganz selbstverständlich in der Grippesaison Maske tragen. Für die ist das schon so verinnerlicht, für die war das auch überhaupt nichts ungewöhnliches, als Corona losging, dass sie Maske tragen mussten. Wir haben das alle gemacht, die musste man dazu nicht zwingen. Das war für die schon verinnerlichte Disziplinierung. Ja, also um diese Prozesse geht es, wenn er von Biomacht spricht und jetzt gar
01:18:00
nicht bei ihm in dem Sinne von, so sollt ihr das machen, so ist das gut oder richtig, sondern erst mal als Beobachtung einer bestimmten Machttechnik, die funktioniert und die hat halt eine individualisierende Dynamik, weil sie immer nicht das Leben des Einzelnen verlängern will, sondern weil es darum geht, Bevölkerungen müssen sich sozusagen als der Körper der Gesellschaft am Leben
01:18:20
erhalten und je länger sie leben, desto stärker wird sozusagen die Gesellschaft. Das ist so ein bisschen der Mechanismus, der dahinter steckt. Deswegen natürlich ist das am Ende auch eine Frage der Verteilung von Ressourcen. Und jetzt würde Foucault sagen, na ja, historisch sieht man eine Verlagerung der Ressourcen ins Gesundheitswesen. Das Gesundheitswesen ist übrigens in Deutschland der größte Wirtschaftszweig überhaupt. Ich glaube, ein Faktor 10 oder 20
01:18:42
Größe, ich will jetzt nicht falsch sagen, aber es ist immer ein Vielfaches größer als die Automobilindustrie. Also der größte Teil der Bevölkerung arbeitet im Gesundheitswesen, das meiste Geld wird im Gesundheitswesen verdient. Und da sieht man ja, an der Beobachtung ist schon was dran. Da fließt der größte Teil unserer Ressourcen rein. Und klar, die Frage, welche
01:19:01
Ressourcen fließen jetzt wo rein, dass viel Geld in die Impfstoffentwicklung fließt, ist irgendwie erst mal plausibel, weil es momentan eine einzige Anker ist, den wir sehen, um aus dieser Pandemiesituation mit all den Freiheitsentzügen rauszukommen. Gleichzeitig alt ist schon lange für ein Problem unseres Gesundheitswesens,
01:19:20
dass wir immer nur Geld, also immer unglaublich viel Geld in die Medizin im engeren Sinn stecken und viel zu wenig, fast gar nichts in die Pflege. Und es wäre sehr spannend, das mal zu analysieren, dass das selbst die Corona Pandemie daran offensichtlich immer noch sehr wenig ändert, inwieweit das, was mit Struktur und vom Biomacht zu tun hat, das finde ich, kann ich, habe ich überhaupt keine Antwort darauf. Ich finde es
01:19:41
ein erschreckendes Phänomen, muss ich sagen. Dazu passt vielleicht ein Kommentar von einer Zuschauerin, eine Zuschauer, die schreibt, für mich ist die Frage nicht nur, wie viele Tote, sondern auch, wie diese Menschen sterben und auch, was diese Situation für die Menschen bedeutet, die im Gesundheitssystem arbeiten. Also es ist hier nicht als Frage formuliert, aber das trifft vielleicht genau
01:20:00
diesen Punkt. Eine weitere Frage, die wir noch hatten, ist es eigentlich wirklich die drohende Übersterblichkeit in der Gesellschaft, die die Begrenzung von Freiheitsrechten begründet oder ist es die drohende Triage-Situation? Ja, ich glaube im Kern geht es eher um die Triage- Situation. Die Triage-
01:20:20
Situation ist sozusagen das, was, ich glaube, auch erst mal symbolisch in bestimmter Art und Weise für die Überlastung des Gesundheitssystems steht. Also Triage heißt ja, dass das Ärztinnen und Ärzte und alles Gesundheitspersonal im Grunde und plötzlich seinen moralischen Kompass einmal um 180 Grad drehen muss. Das finde ich, muss man sich immer klar machen. Normal läuft es in unserem Gesundheitssystem aus
01:20:40
guten, ethischen Gründen so, dass derjenige, der am meisten Hilfe braucht, auch am meisten Hilfe bekommt. Besonders schwer erkrankte Personen wird besonders viel Aufmerksamkeit gewidmet, nicht nur personell, sondern auch finanziell werden da die meisten Ressourcen verbraucht und das hat etwas damit zu tun, dass unser, sagen wir mal, die moralische Grundlage unserer Gesellschaft eben eine solche ist,
01:21:02
dass wir sagen, dass wir ja, wer besonders viel, wer hilfsbedürftig ist, soll die Hilfe auch bekommen. Also der Schwächste ist sozusagen derjenige, der am meisten Hilfe braucht, der kriegt sie auch. So funktioniert, sage ich mal, die Verteilungslogik des klassischen Gesundheitssystems. Das funktioniert an vielen Stellen auch nicht mehr, aber für Ärztinnen und Ärzte und auch für viele Pflegekräfte ist das nach wie vor
01:21:21
sozusagen, das sitzt, das ist verinnerlicht. In der Triage müssen sie genau die Menschen, die am meisten brauchen, sterben lassen. Weil sie müssen genau das Gegenteil von dem machen, was sie sonst tun. Und das ist psychisch brutal, es ist moralisch brutal und es zeigt sozusagen die extreme, ungewöhnliche Ausnahmesituation,
01:21:41
die dann da steht. Wir hatten im Sommer letztes Jahr eine Podiumsdiskretion, wo es genau um diese Frage geht. Wir hatten einen Chef aus Bozen zugeschaltet. Das können Sie dort bei YouTube noch irgendwo sehen. VW-Stiftung. Da fand ich sehr eindeutig, wie er berichtet, das hat uns überreut. Wir mussten halt einfach machen. Also es ging nicht anders.
01:22:00
Wir mussten die Menschen sterben lassen. Betten waren alle voll. Es kamen noch mal so viele Patienten, man wusste sich nicht mehr zu helfen. Und das steht natürlich genau für das Problem, um das es geht. Was heißt Überlastung des Gesundheitssystems? Also da steht es sozusagen klar vor Augen. Wir können die moralischen Standards, an denen wir uns als Gesellschaft orientieren, in dem Moment
01:22:20
nicht mehr aufrechterhalten. Wir müssen von den moralischen Grundlagen, die uns sonst orientieren, abrücken. Und das ist genau das, was man vermeiden will, dass es dazu kommt, weil das eben andeutet, die moralischen Grundlagen rutschen uns weg. Wir müssten, wenn wir das machen. Ich würde gerne noch zwei Kommentare irgendwie auch
01:22:41
nochmal aufnehmen, die von Zuschauern hier reingeschrieben werden, die beide ein bisschen in die gleiche Richtung weisen. Nämlich inwiefern quasi nicht gerade die Corona-Pandemie uns nicht gerade eigentlich anders sein sollte, über die vermeidbaren Toten, über die wir auch am Anfang gesprochen haben, nämlich im Verkehr und so weiter.
01:23:00
Nicht doch nochmal irgendwie anders auch nachzudenken. Eine Person schreibt, die ersten Großstädte haben es geschafft, keine Verkehrstote mehr zu haben. Also auch so zum Beispiel. Und eben in dieselbe Richtung irgendwie schreibt jemand anders, ist Corona nicht ein Anlass? Die Frage, was dem Einzelnen für den Gesundheitsschutz aller zuzumuten ist, neu zu diskutieren.
01:23:21
Ich finde es keine Zumutung im öffentlichen Nahverkehr um beim Einkaufen eine Maske zu tragen, wenn damit mehrere tausend Grippetote vermieden werden können. Auch um auch eine deutliche Reduktion der maximalen Geschwindigkeit, Geschwindigkeit in Städten ist keine Zumutung. Also siehst du da die Möglichkeit,
01:23:41
dass wir jetzt eine solche Diskussion vielleicht irgendwie auch noch anschieben? Irgendwie das Corona und. Na ja, es macht also erst mal muss man in der Tat sagen, die Diskussion macht genau das deutlich, dass das immer auch irgendwie Entscheidungen sind, die faktisch getroffen wurden. Also und man kann sich man kann dieses Urzustandsmodell ja auch mal so anbenden,
01:24:01
wenn wir sagen würden, wir sind einem Urzustand, in dem es noch kein Verkehrssystem gibt. Und jetzt hätten wir die Möglichkeit, hier Individualverkehr mit mit so und so 4.000 Toten im Jahr und dort ein Nicht Individualverkehr, der gesteuert und reglementiert funktioniert, der aber bedeutet, dass man nicht ganz so flexibel ist einzuführen. Wofür würde man sich wohl als Gesellschaft entscheiden? Ja, im Urzustand.
01:24:22
Ich wäre mir nicht so sicher, dass man das Verkehrssystem, das wir haben, einschüren würde. Also das ist der Asimov, der es als Fiction Auto hatte, so wie es in den 1930er Jahren schon einmal im Aufsatz skizziert, dass das alles nicht funktionieren kann mit dem Individualverkehr und dass wir deswegen in der Zukunft einen ganz anderen
01:24:41
Verkehr haben würden, ist alles nicht so gekommen. Aber es ist spannendes, spannendes Paper. Entspannender ist ein kleiner Roman von ihm. Aber ja, natürlich, es ist anders, das nochmal neu zur Debatte zu stellen. Also ich glaube ja, der Punkt ist eben auch deutlich zu machen, das sind immer Abwägungsentscheidungen.
01:25:01
Und es ist immer, wir schränken unsere Freiheitsrechte immer irgendwo ein. Ja, und das ist gesellschaftlich sehr unterschiedlich geregelt. Für die Amerikaner gehört es dazu, dass sie eine Waffe haben dürfen, frei zu sein. Das scheint uns völlig unverständlich, also den meisten zumindest, während den meisten Amerikaner wahrscheinlich völlig unverständlich ist, dass sie bei uns
01:25:20
auf der Autobahn einfach Vollgas geben dürfen. Nicht nur den Amerikaner, ich glaube, den meisten anderen Europäern auch. Also den Schweizern insbesondere, wie ich das mitkriege. So, also das sind natürlich immer Dinge, die zu diskutabel sind. Wovor ich aber halt warnen würde, ist sozusagen so eine Illusion zu erliegen. Man könnte eben alles an Risiken abschaffen. Dann wird es nämlich,
01:25:40
glaube ich, totalitär. Und das ist sozusagen, wenn wir sagen, wir wollen die Gesellschaft jetzt so organisieren, dass ist das Keiner mehr ein Risiko oder einer Gefahr ausgesetzt ist. Nicht den Risikobegriff wieder nehmen, durch einen Unfall zum Beispiel zu sterben. Das wird nicht funktionieren, solange wir Individualverkehr haben und Individualverkehr wollen. Es könnte aber natürlich auch eine Perspektive sein, zu sagen, kriegen wir
01:26:01
einen Individualverkehr hin oder kriegen wir ein Verkehrssystem hin, das ähnlich viele Freiheiten für die Individuen belässt, aber deutlich weniger Tote hat. Natürlich ist das ein erstrebenswertes Ziel. Und da gibt es natürlich Maßnahmen, die nicht ohne Grund immer wieder diskutiert werden. Geschwindigkeitsbeschränkungen ist nur eins davon.
01:26:21
Und möglicherweise werden uns Techniken in der Zukunft noch mal ganz andere Wege eröffnen, damit umzugehen. Also ein vollautomatisiertes Verkehrssystem wäre mit Sicherheit sicherer, als jeder setzt sich an Steuer und Pferd. Michael, eine Frage noch. Ich weiß gar nicht,
01:26:41
ob du die beantworten kannst. Das ist eigentlich eher eine epidemiologische Frage. Aber es hat jemand gefragt, dass eben das sozusagen, damit das Virus sich nicht so schnell verbreiten kann, eben entsprechende Schutzmaßnahmen irgendwie entschieden worden sind und damit viele das eben
01:27:01
nicht mit dem Leben bezahlen müssen. Und die Zuschauer verweist auf Schweden, wo man ja gerade irgendwie einen anderen Weg gegangen ist. Hat man da eine vergleichbare Anzahl an Toten oder sind es viel mehr? Irgendwie ist der Preis da höher gewesen? Oder hat sich das... Also die Todeszahl ist auf
01:27:22
die Bevölkerung gesehen deutlich höher. Die Schwierigkeit bei Schweden ist, man hat es sozusagen, das wurde in Deutschland, finde ich, zum Teil auch schräg dargestellt. Es war nicht so, dass die Schweden nichts gemacht haben. Die Schweden haben es sozusagen nicht rechtlich verpflichtend gemacht. Es hat aber eine relativ hohe Disziplin in vielen Teilen der Bevölkerung gegeben. Die haben effektisch trotzdem sich an Schutzmaßnahmen gehalten.
01:27:41
Das hat bis zu einem gewissen Maße funktioniert, aber nicht ohne Grund. Es ist Schweden ja sozusagen von diesem Weg dann inzwischen auch wieder abgekommen. In der zweiten Welle wurden dann ja sehr rigorose Maßnahmen ergriffen, weil man gesehen hat, die Todeszahlen sind in der ersten Welle dann doch sehr hochgeschwappt. Und ein Vielfaches höher nicht nur als in Deutschland, sondern als in vielen anderen
01:28:01
europäischen Ländern. Gleichzeitig haben sie eben eigentlich, haben sie zwar erwirkt, es wurde es in Deutschland immer als so eine, ja, wir machen einfach weiter Politik verkauft. Das war es aber nicht wirklich, sondern es gab schon die klare Empfehlung und auch eine große Bereitschaft in großen Teilen der Bevölkerung, Schutzmaßnahmen zu tragen, Abstände einzuhalten, Homeoffice, ins Homeoffice zu gehen. Das war sehr unterschiedlich,
01:28:20
regional, so wie ich das mitbekommen habe. Aber es hat in vielen Bereichen so relativ gut funktioniert. Und das hat die Zahlen faktisch gesenkt. Also wir hatten auch in Schweden keinen ungebremsten Verlauf der Pandemie. Den haben wir nirgendswo wirklich gesehen, muss man sagen. Mit Blick auf die Uhr, lieber Michael, würde ich einen Punkt setzen
01:28:41
und ich möchte auch noch verkünden, dass auch einige Zuschauer sich auch noch mal explizit bedanken für den tollen Vortrag und diesen Dank schließe ich mich an. Das Thema, was wir dir gegeben haben oder wo wir dich gebeten haben, irgendwie zu äußern, das ist wirklich auch sehr kontrovers. Es ist schwierig.
01:29:00
Und ich danke dir vielmals, dass du dir die Mühe gemacht hast, uns das auch in dieser Klarheit, in dieser Verbindung zur politischen Philosophie darzustellen. Und ich möchte damit schließen und auch unseren Zuschauerinnen und Zuschauern nach Hause irgendwie noch mal alles Gute wünschen und bleiben sie gesund. Und ich hoffe oder wir hoffen, dass wir sie alle irgendwie im April
01:29:22
dann wieder zugeschaltet. Sehen tun wir sie ja nicht, aber genau, dass sie sich einfach wieder zuschalten. Und hier werden wir dann mit unserer Corona Ring-Vorlesung im Sommersemester Mitte April wieder starten. Ich freue mich auf die Diskussion und damit verbleibe ich mit freundlichen Grüßen und einen schönen Abend
01:29:42
in alle Richtungen. Tschüss.