Corona und Raumentwicklung: Zum transformativen Potenzial einer globalen Krise
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Transkript: Deutsch(automatisch erzeugt)
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Corona ist wiederholt und vollkommen zu Recht als multiple, als mehrdimensionale Tiefenkrise bezeichnet worden, weil sie wirklich alle gesellschaftlichen Sektoren berührt und in alle Dimensionen menschlicher
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Existenz einwirkt und in der gesellschaftlichen Reaktion auf die Krise entdecken wir ganz starke Züge von Ambivalenz. Das Virus hat furchtbares Leid über uns gebracht. Es hat Dysfunktionalitäten unserer Gesellschaft, systemische Ungerechtigkeit, offengelegt in einer
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wirklich brutalen Art und Weise. Aber, Rainer, der Netziker hat das eben angesprochen, die Krise hat gerade zu Beginn auch vielen auf eine gewisse Art und Weise Hoffnung gemacht auf eine bessere, nachhaltigere Zukunft, wenn es denn gelänge aus ihr zu lernen und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Und ich möchte mit diesen Hoffnungsnarrativen, die wirklich in den
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ersten Monaten der Pandemie haben, hier auch einsteigen. Die hatten nämlich wirklich eine bemerkenswerte Konjunktur. Corona gilt vielen nach wie vor auch als der letzte Beweis, dass wir so nicht weitermachen können. Die Krise kann so die Einschätzung vieler Auslöser oder Beschleuniger
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eines grundlegenden Wandels zum Besseren sein. Zum Beispiel mehr Wertschätzung für systemrelevanten Berufe. Einige Stimmen erwarten eine Rekonfiguration von ressourcenintensiven Lebensstilen, vielleicht sogar die Abwendung von Massenkonsum, die Rückbesinnung auf das einfache, gute Leben. Andere hoffen auf die Überbindung
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gesellschaftlicher Spaltung und Polarisierung, mehr Investitionen in die öffentliche Infrastruktur mit einem stärker vorsorgenden, investiven Staat. Es gab nicht wenige Stimmen, die auch konstatiert haben, dass das Krisenmanagement insbesondere in den ersten Monaten der Pandemie auch Vertrauen in politische Institutionen in den
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Staat gestärkt hat. Es war die Rede von einer Aufwertung der Politik gegenüber den Märkten, auch einer Aufwertung wissenschaftlicher Fakten gegenüber dem populistischen Fake. Und viele glaubten und glauben vielleicht immer noch, dass Corona auch Prozesse der
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Globalisierung, der Lokalisierung, der Enddifferenzierung der internationalen Arbeitsteilung nach sich ziehen kann, bis hin zu wünschen Vorstellungen von mehr Multilateralismus und internationales Zusammenarbeiten als so eine Flussfolgerung aus der Krisenerfahrung. Kurzum, das Ende der neoliberalen
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Hybris scheint nah. Diese Zusammenstellung, die Sie hier sehen, ist nicht von mir, sondern stammt aus einem Buch, aus einem Vorwort eines 2020 neu aufgelegten Buches von Ingo Foglidorn, Nachhaltigkeit der Nicht-Nachhaltigkeit. Jetzt, heute, einige Monate später und mit einem gewissen Abstand
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zum Schock des Eintretens, des Undenkbaren, finde ich, macht sich, das ist zumindest meine Wahrnehmung, auch ein Stück weit Ernüchterung breit. So wünschenswert all das ist, was wir auf dieser Folie sehen, so sehr hat doch die Wissenschaft auch die Aufgabe davor zu warnen, dem Wünschbaren den Rang einer
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wahrscheinlichen Zukunft zu verleihen, wie Klaus Dörre das in einem Essay, in einem Paper, finde ich, der Treffen formuliert hat. Nach 15 Monaten pandemischen Leben konkurrieren deutlich zugespitzt natürlich zwei
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Perspektiven, zwei Bewertungen der Krise um die Verwaltungswohheit. Das ist zum einen die Sicht einer Bedrohung mit wirklich langfristig negativen Folgen für die Gesellschaft. Da wird verwiesen auf die Verstärkung sozialer Ungleichheit, auf belastete Staats- und Kommunalfinanzen, möglicherweise auch eine
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Destabilisierung von Demokratie im Blick auf die ökonomischen sozialen Probleme, die mit der Pandemie einhergehen. Andere begreifen die Krise auch als Chance, da sie eben systemische Defizite offenlegt und damit Handlungsdruck erzeugt, da sie Gewissheiten und Denkroutinen
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erschüttert und die Legitimationsressourcen von transformativen Handeln stärken kann. Und eng damit verbunden ist die kontrastierende Einschätzung einer schnellen Rückkehr zur früheren Normalität auf der einen Seite und die Erwartung einer tiefgreifenden Veränderung, einer systemischen
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Transformation auf der anderen Seite. Die einen betonen die Festigkeit von fadabhängigen Technologien, von Infrastrukturen und Institutionen und glauben, dass selbst eine Krise vom Ausmaß der Corona-Pandemie daran nicht allzu viel ändern wird und kann. Andere erwarten eine Mobilisierung gesellschaftlicher
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Transformationskräfte, ein gestiegenes Vertrauen in das Handeln des Staates und die Herausbildung neuer Resilienzregime. Mein Eindruck ist, dass dieser Riss in der Bewertung der Krise auch quer durch die akademische Welt geht. Da gibt es optimistische Stimmen neben solchen, die eher einen skeptischen Unterton erkennen lassen.
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Die Namen, die Sie hier sehen, sind wirklich nur stellvertretend für viele andere. Ich habe eben Klaus Kunzmann im Publikum gesehen. Herr Kunzmann, ich hoffe, Sie sind einverstanden und Sie hier eher auf der linken Seite angesiedelt haben. Darüber können wir aber gerne gleich später auch noch diskutieren. Wenn ich hier im Folgenden von Transformationen spreche,
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dann tue ich das auf zweifache Weise. Zum einen in einem reinen diskriptiven Sinne, wenn es um die Analyse von Veränderungen Wandel geht und zum anderen in einem normativen präskriptiven Sinne. Transformation ist dann die angestrebte Veränderung eines Systems, eines Regimes durch beispielsweise Ideen,
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kollektive Ideen, Institutionen oder auch Technologien. Wie wirkt nun das Virus im Kontext der Raumentwicklung? Ich schlage vor, diesbezüglich zwei grundlegende Transformationspfade zu unterscheiden und möchte es
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versuchen, mit dieser Abbildung etwas deutlicher zu machen. Der erste Pfad resultiert schlicht und einfach aus unseren unzähligen Alltagsentscheidungen, die wir treffen mussten in den vergangenen Monaten. Wir alle sahen uns und sehen uns gezwungen, unsere Mobilität, unser Einkaufsverhalten oder auch Freizeitgewohnheiten an die Gefahrenlage und auch natürlich an staatliche
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Geh- und Verbote anzupassen. Viele von uns mussten oder konnten oder durften zu Hause arbeiten. Viele haben den ÖPNV gemieden, mehr online geschoppt und sich häufiger im Freiraum aufgehalten. Das ist wissenschaftlich sehr gut dokumentiert.
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Da gibt es unzählige Paper in den Journals und in gewisser Weise könnte man das als Ausdruck personenbezogener Resilienz verstehen. Also die Summe unzähliger Einzelentscheidungen im Alltag, getroffen von Individuen, privaten Haushalten, Unternehmen, in gewisser Weise das Schwarmverhalten.
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Das entfaltet transformative Kraft im Sinne einer emergenten Selbstorganisation. Der zweite Transformationspfad betrifft eher die kollektiven Akteure, darunter auch die professionelle Raumplanung. Die Krise führt möglicherweise zu veränderten normativen
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Orientierung, anderen Prioritätensetzungen, die gestiegenen Akzeptanzstart in Handels hatte ich schon angesprochen. Und all das wäre ja, träfe es so einförderlich für das transformative Handeln solcher kollektiver Akteure. Entsprechende Interventionen im Raum, sei es durch Stadtumbau, durch Infrastrukturumbau, könnten dann zu einer höheren
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Umweltbezogener Resilienz führen. Diese beiden Transformationspfade, die hier unterschieden sind, wirken natürlich miteinander zusammen, ohne jegliche Frage. Und sie haben zusammen genommen eben ganz gewiss raumwirtschaftliche und situ- strukturelle Wirkungen. Sie könnten jetzt einblenden, dass es weitere
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Transformationspfade gibt, neben den beiden, die ich hier idealtypisch unterscheide, also beispielsweise auf der diskussiven Ebene. Das kann ich im Folgenden aber zeitgründlich weiter vertiefen. Ich möchte mit mit dem ersten Transformationspfad beginnen,
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nämlich der Erwartung von Transformation durch Schwarmverhalten. Und hier erscheint es mir zunächst einmal sinnvoll, die denkbaren Wirkungsarten eines Virus wie SARS-CoV-2 zu adressieren. Das sind zunächst relativ einfache, einfachkorsale Wirkungen, wie zum Beispiel die schon gut nachgewiesene Übersterblichkeit
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oder die erwarteten steigenden Gesundheitskosten eben durch die Covid-Erkrankung und die entsprechende Behandlung. Das sind Wirkungen, die sich aus dem Auftreten des Virus eben selbst und der Erkrankung natürlich selbst ergeben. Schon deutlich komplexer sind indirekte Wirkungen,
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vermutlich eher temporär, bei denen vor allem das staatliche Handeln, die staatlichen Eindämmungsmaßnahmen der eigentliche Wirkungsauslöser sind, weniger das Virus selbst. Denken Sie beispielsweise an die Einschränkungen vieler Branchen durch die Lockdown-Maßnahmen mit enormen wirtschaftlichen Effekten.
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In der Raumplanung und der Raumentwicklung geht es uns aber eigentlich um die äußerst komplexen, multikausalen, langfristigen Wirkungen, die additiver Natur sind, kumulativer Natur sind oder auch synergistisch antagonistisch wirken und die natürlich eine besonders hohe Komplexität aufweisen.
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Hier verbindet sich das Virus und sein Wirken eben mit Makro, mit Megatrends und das macht eben diese Wirkungsformen besonders schwierig in der Abschätzung auch ihrer Dauerhaftigkeit. Diskutierte Beispiele sind hier die verstärkten räumlichen Disparitäten, die Verstärkung der Zub- oder auch Desurbanisierung,
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die Veränderung des Einkaufsverhaltens, die Schwächung der Innenstädte oder auch dauerhafte Veränderung des Mobilitätsverhaltens. Von daher ist mal völlig offen, welche Entwicklungspfade in Ökonomie und Gesellschaft eingeschlagen werden. Vorstellbar ist ganz gewiss eine zügige Rückkehr zum früheren
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Trend, zur früheren Referenzentwicklung. Vorstellbar ist aber auch eine ausbleibende Rückkehr, eine Trendabschwächung, das sehen wir mit vielen Beispielen, das zeige ich gleich noch, oder eben auch Verstärkung von Trends, die auch ohne Corona schon anzutreffen waren, die schon unterwegs waren, die schon wirksam waren.
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Für diese idealtypischen Wirkungspfade finden sich viele Beispiele, mal mit mehr, mal mit weniger robusten empirischen Belegen, so aus der Forschung der vergangenen Monate. Was wir gesehen haben, ist eine relativ schnelle Rückkehr zum wirtschaftlichen Wachstum.
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Ich finde es sehr bemerkenswert, dass die Börsen eigentlich völlig unbeeindruckt sind von Corona, bis auf ganz zu Beginn einige negative Reaktionen. Aber wir sprechen beim DAX, beim Dow Jones nach wie vor über Rekordniveaus. Ob am Mobilitätsniveau haben wir gesehen, dass nach Beendigung der Lockdown-Maßnahmen
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die physische Mobilität sehr schnell wieder heranrückt an die Niveaus vor der Pandemie. Eine ausbleibende Rückkehr, zumindest über eine gewisse Phase, wird beim stationären Einzelhandel erwartet, auch beim öffentlichen Personennahverkehr. Ein ganz zentrales Thema für die Raumplanung in den nächsten Jahren.
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Der Wünschenswert der Rückgang des Pkw-Verkehrs wird zumindest mittelfristig gebremst und beim Onlinehandel, beim mobilen Arbeiten, bei der weiteren Digitalisierung der Arbeitswelt und auch Investitionen in die alternative Mobilität erwarten
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Expertinnen und Experten eher eine Trendverstärkung. Die Fragezeichen, die Sie im Hintergrund sehen, machen deutlich, nicht überall gibt es für diese erwarteten Wirkungen wirklich eine robuste empirische Evidenz. Aber es zeichnen sich zumindest ab, dass eine Tendenz in diese Richtung gehen kann.
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Wie wirkt nun das Virus im Raum konkret? Und hier ist glaube ich ganz wichtig zu diskutieren, ob es um temporäre Trendanomalien geht oder über wirklich längerfristig wirksame Veränderungen. Und ich glaube, wenn wir ehrlich sind, die Wissenschaft kann darauf aktuell noch wirklich keine Antworten geben,
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weil einfach die Komplexität der Zusammenhänge viel zu hoch ist. Und das möchte ich versuchen, mit dieser Grafik zu visualisieren, die jetzt nicht im Gottes Willen nicht als wirklich zu Ende gedachtes Modell der Wirkungszusammenhänge ist, sondern einfach nur mal versucht, einige Faktoren, die hier wirken, zwischen dem Virus und dem Raum in so einen Zusammenhang zu stellen.
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Klar ist, dass das Virus trifft auf eine heterogene regionale Bevölkerung. Heterogen im Sinne von Altersstrukturen oder auch gesunderlicher Disposition. Das Virus trifft auf eine Bevölkerung, die in ganz unterschiedlichen räumlichen Settings lebt.
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Menschen treffen Risikobewertung. Das führt dann zu temporären oder auch dauerhaften Verhaltensanpassungen. Das habe ich schon angesprochen. Das beeinflusst natürlich das Infektionsgeschehen selbst. Und nicht zufällig kam es eben zu regional sehr, sehr unterschiedlichen Inzidenzen,
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wie gerade das GDSR auch in sehr beeindruckenden Daten dargestellt hat und nachweisen konnte. Wir haben gesehen, dass die Staaten mit Eindämmungsmaßnahmen reagieren, die die selbst auch in ihrer dauernd härte regionale Differenzierung aufweisen.
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Und das hat natürlich Folgen für das Konsum und Mobilitätsverhalten der Bevölkerung, für die Arbeitswelt und für die wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten von Unternehmen, insbesondere aber nicht nur während der Lockdown-Fahrten. Viele der hier jetzt wirklich nur kursorisch angesprochenen Faktoren weisen eine extrem hohe
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räumliche Varianz auf, was das Komplexitätsdilemma noch weiter verschärft. Und wir wissen auch nicht, wie diese Faktoren genau miteinander zusammenhängen, welche Rückkopplung es geben kann und wie sie mit globalen Megatrenden, beispielsweise der Digitalisierung oder auch dem demografischen Wandel interagieren. Ganz wichtig hier auf der linken Seite,
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ganz wenig wissen wir noch, wie die Raumplanung, wie die staatliche Infrastrukturplanung reagieren wird. Die natürlich mit dem Standort Vorgaben, Investitionen auch ganz massiv zu räumlichen Veränderungen beiträgt. Also insofern verbietet sich hier Zukunftsexploration
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mit prognostischem Anspruch. Ich glaube, wichtig wäre aber, dass wir in Szenarien denken, dass wir Szenarien, Entwicklungsszenarien, alternative Art formulieren und damit dann auch politische Antworten szenarisch denken und skizzieren können. Ich möchte an dieser Stelle einige der möglichen
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raumstrukturellen Auswirkungen der Pandemie etwas vertiefen. Die regionalökonomische Forschung geht aktuell mehrheitlich davon aus, dass Corona zu verstärkten räumlichen Disparitäten führen kann und auch die kommunalfiskalischen Disparitäten verschärfen wird.
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Und das wäre natürlich eine große Herausforderung für die Raumordnungspolitik, die zuletzt durch den Deutschlandplan, den Plan für Deutschland auch auf Wind erfahren hatte. Erwartet wird von vielen auch eine Verstärkung der Stadtumlandwanderung oder sogar der Stadtlandwanderung.
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Und das möchte ich mit dieser Abbildung vertiefen, weil sich da ganz viele Argumente in sehr komplexer Art und Weise zusammenbringen lassen. Da ist zum einen die Erwartung einer Veränderung von Wohnpräferenzen mit den Erfahrungen,
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die wir alle in der Pandemie Homeschooling, Homeoffice gemacht haben. Das führt nur jeweils zu der Präferenz für größere, besser ausgestattete Wohnungen. Da ist der Zuwachs des mobilen Arbeitens mit den entsprechenden möglichen Entlastungseffekten beim beruflichen Pendeln.
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Und das könnte eben Wohnstandortpräferenzen zugunsten suburbane oder wellicher Regionen verändern. Diese Präferenzen treffen dann auf einen Markt, der in den Großstädten ohnehin sehr stark überhitzt ist. Es gibt auch viele Immobilienmarkt-Expertinnen und Experten,
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die davon ausgehen, dass Wohnung als Kapitalanlage eben gerade auch durch die Corona-Pandemie weiter an Attraktivität gewinnen werden, weil sich große Immobilienmarkt-Akteure möglicherweise aus Einzelhandelsimmobilien oder auch Gewerbeimmobilien verabschieden und stärker in den Wohnbereich hineingehen.
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Auch die kommunale Flächenangewurtspolitik, Stichwort Paragraph 13b an dieser Stelle auch, spielt eine gewisse Rolle, sodass es schon plausibel ist, zu erwarten, dass es stärker Standortentscheidungen, häufiger Standortentscheidungen zugunsten suburbane und wellicher Gebiete geben wird.
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So die Erwartung, die von vielen, glaube ich, auch geteilt wird. Zugleich, glaube ich, ist aber wichtig, deutlich zu machen, dass es auch Bremseffekte gibt. Zum einen sind die Homeoffice-Potenziale begrenzt. Für Deutschland wird aktuell davon ausgegangen, dass etwa ein Drittel der sozialversicherungspflichtigen
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Beschäftigung Homeoffice-tauglich ist. Also nur ein Drittel der Menschen kann überhaupt zu Hause arbeiten, aufgrund der Tätigkeitsprofile. Wir werden in den nächsten Jahren durch die Klimapolitik höhere Kraftstoffkosten haben. Das wird die finanzielle Entlastung der Pendler
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durch Homeoffice kompensieren oder zumindest reduzieren. Und in der postpandemischen Welt sind agglomerationsfördernde Faktoren persistent. Die Produktivität städtischer, großstädtischer Ökonomien, der breite, tiefgefächerte Arbeitsmarkt,
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das überragende Infrastruktur-, Konsum- und Kulturangebot. Das sind Faktoren, die große Städte auch zukünftig für gerade hochgebildete Arbeitskräfte attraktiv machen. Deswegen glaube ich nicht, dass es wirklich einen massiveren Trend hin in die ländlichen Räume geben wird,
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aber möglicherweise eine verstärkte, auch räumlich weiter ausgreifende Suborganisierung. Ich denke, darauf muss die Raumplan auf jeden Fall vorbereitet sein, dass es zu diesem Trend kommen kann. Wie sind solche und andere Wirkungen aus raumplanerischer Sicht zu bewerten? Ich denke, hier beginnt die Diskussion eigentlich erst.
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Ich habe versucht, das mit einer ganz schlichten, wirklich primitiven Abbildung deutlich zu machen. Die zwei Achsen unterscheidet, die Achse der Nachhaltigkeit mit eher positiven und negativen Wirkungen und der Achse der Eintrittswahrscheinlichkeit. Das ist jetzt sehr, sehr stark subjektiv geprägt, aber da können wir gerne gleich auch kontrovers diskutieren.
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Klar glaube ich, dass es positiv zu bewertende Wirkungen gibt, wie etwa der Zuwachs des mobilen Arbeitens oder die wirkliche Renaissance einer Nahraumorientierung, einer Quartiersorientierung, gerade auch im Bereich der Mobilität. Solche Wirkungen stehen aber neben solchen, die vielleicht auch
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kritisch zu bewerten sind, wie beispielsweise die steigende Wohnflächennachfrage oder der Zuwachs des Online-Handels, was mit Attraktivitätsverlusten der Innenstädte verbunden wäre. Zugleich muss man einräumen, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit vieler dieser Wirkungen noch eher unklar ist.
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Vielleicht auf diesen Kasten hier oben rechts verweisen. Ich würde mir natürlich sehr multifunktionale Innenstädte in 20, 30 Jahren nach einem längeren Umbauprozess wünschen. Ich glaube aber nicht, dass eine solche Entwicklung unter den gegebenen, ziemlich persistenten Boden- und klarungspolitischen Rahmenbedingungen wirklich realistisch ist, aber auch darüber
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können wir gleich gerne auch kontrovers diskutieren. Ich komme jetzt zum zweiten Transformationspfad der möglichen Formative Kräfte, verbunden mit Legitimations- und Akzeptanzgewinn für das Handeln der Raumplanung.
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Ich hatte einige Punkte dazu schon angesprochen zu Beginn. Die Krise wird von vielen als Möglichkeitenfenster für den Übergang zur Nachhaltigkeit bezeichnet und verstanden. Eben mit den schon angesprochenen Offenlegungen von systemischen Defiziten, diese berühmte Brennglas-Metapher wird immer wieder hier auch bemüht.
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Wir sehen an Brennglas eben die Probleme und das erzeugt natürlich Handlungsdruck. Die Erfahrung der Krise stärkt eben auch die Legitimationsressourcen des staatlich-kommunalen Handelns. Nachhaltigkeitsforschung wird diskutiert, ob Corona so etwas
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wie ein Landscape-Schock sein könnte, der die bislang stabile Ordnung der Nichtnachhaltigkeit erschüttern kann. Auch da hatte ich schon einige Punkte angesprochen zu Beginn. Die Durchbrechung von Denkroutinen, von habituellen Verhaltensmustern oder die Destabilisierung
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fadabhängiger Technologien und Infrastrukturen. Ganz wichtig in dem Zusammenhang, finde ich persönlich, ist die Wirksamkeitserfahrung des staatlichen Handelns. Hier möchte ich an dieser Stelle Hartmut Rosa zitieren, der in einem aktuellen Aufsatz von einer Erfahrung
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kollektiver Selbstwirksamkeit gesprochen hat. Ich zitiere das gerne an dieser Stelle. Er spricht davon, dass die Pandemie, das Virus, eine unerwartete und gerade auch von Soziologen nicht für möglich gehaltene Erfahrung von kollektiver
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Selbstwirksamkeit und politischer Handlungsfähigkeit hervorgerufen hat. Und begründet das eben damit, dass auch die Wissenschaft das Handeln von Politik gegen den Markt eigentlich immer für nicht möglich gehalten hat und wir jetzt aber im Gesundheitsschutz der Bevölkerung
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im letzten Jahr und in diesem Jahr genau das Gegenteil erlebt haben. Es ist möglich, dass der Staat gegen den Markt handelt. Und die Frage ist, ob diese wirklich fundamental bedeutsame Erfahrung auch auf die Raumplanung abfärben kann.
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Viele von Ihnen kennen ganz bestimmt das Multiebene-Modell der Transition von Gehls und Kollegen. Das ist schon etwas länger, etwas älter, etwas länger in der Diskussion. Und ich finde, es ist immer wieder inspirierend, sich dieses Modell vor Augen zu halten, wenn man diskutieren möchte, ob beispielsweise eine Krise wie Corona
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zu Nachhaltigkeitstransformation, zu Transition führen kann. Dieses Modell besagt ganz vereinfacht, dass die Ablösung eines bislang stabilen sozio-technischen Regimes, nehmen wir mal das Beispiel der Automobildominanz und Samulität, durch ein anderes, ein neues Regime auf verschiedenen Ebenen abläuft.
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In der Transition kommt es zu Veränderungen des überbeordneten sozio-technischen Kontextes hier oben, der auf das Regime einwirkt. Und im mikroskaligen Bereich können sich Nischeninnovationen, die zunächst vielleicht nur ganz
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begrenzte Wirksamkeit haben, durchsetzen und ebenso von unten zur Ablösung eines Regimes beitragen. Ich will vielleicht mal das Beispiel der Mobilität hier vertiefen. Wir sehen gerade, dass viele Staaten, die EU-Kommission riesige gigantische Recovery-Programme schnürt.
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Wir sprechen über den Green Deal. All das wirkt notlicherweise als Kontextveränderung mit durchaus positiven destabilisierenden Effekten auch auf die Festigkeit des Regimes einer automobilorientierten Verkehrsplanung und Mobilitätskultur.
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Hier unten im Nischenbereich sehen wir die berühmten Pop-Apparatwege. Da schmunzeln viele drüber. Ich würde deren Bedeutung aber nicht gering schätzen, weil sie eben durchaus sprunghaft örtlich sehr wirksam zu einer anderen Aufteilung des öffentlichen Raums führen und das von vielen
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auch als eine sehr sinnvolle Veränderung ihres Alters- und Erfahrungsraums begriffen wird. Wie gesagt, zusammengenommen würde jetzt dieses GELS-Modell die Erwartungen möglicherweise formulieren, dass es eben durch diesen Veränderungsdruck von oben, durch andere Stoßen,
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auch durch finanzielle Instrumentarien, durch die Nischen-Innovation von unten zu einem Paradigmenwechsel in der Infrastrukturpolitik hin zu einem neuartigen sozio-technischen Regime der nachhaltigen Mobilität kommen kann. Das ist natürlich absolut berechtigt. Aber das wäre die Erwartung der Theorie. Ich finde, wir können die Pandemie bei Anerkennung
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des Leids, das Sie über uns gebracht haben, auch verstehen, als eine historische Chance, solche Theorien und andere Theorien sich mit Wandeln, mit der Möglichkeit und Unmöglichkeit von Wandel beschäftigen, kritisch zu prüfen und weiterzuentwickeln. Auch das könnte eine Chance für die Wissenschaft an dieser Stelle sein.
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Auch hier sind gewichtige Gegenargumente vorgebracht worden. Kritiker verweisen darauf, dass selbst eine Disruption im Ausmaß von Corona gegebenenfalls nicht stark genug sein könnte, die Persistenz von Institutionen,
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Verhaltensnormen, kulturellen Handlungsmustern, Handlungsroutinen zu durchbrechen. Der schon erwähnte Ingolfo Blüder, ein Soziologe aus Wien, spricht in diesem Zusammenhang von einer äußerst stabilen Ordnung der Nichtnachhaltigkeit und zeigt sich persönlich sehr skeptisch, ob die Corona-Pandemie eben diesen Landscape-Shock wirklich beinhaltet.
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Auch sehen wir, dass staatliche Konjunkturprogramme, diese berühmten Recovery Packages eben nicht immer ganz konsequent transformationsorientiert sind, klimaschutzorientiert sind. Häufig setzen sie auch in Deutschland leider auf ganz konventionelle Wachstums-
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und Konsumstimulation. Damit wäre die historische Chance vertan, mit diesen gigantischen fiskalischen Ressourcen, die jetzt weltweit mobilisiert worden sind, auch Wandel wirkungsvoll anzustoßen. Ein ganz gewichtiges Argument persönlich finde ich, dass das kommunale Transformationshandeln
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durch die schwierige kommunalfiskalische Lage gebremst werden könnte. Alle Expertinnen und Experten sind sich einig, dass wir in den nächsten Jahren sehr, sehr schwierige Straß- und Kommunalhaushalte haben werden und dass die Kommunen eben gerade nicht in der Lage sein könnten, durch investives Handeln
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wirkungsvoll zur Bewältigung der ökonomischen und sozialen Krisenfolgen beizutragen. Wir wissen insgesamt noch wenig über die politische planerische Responsivität, also wie politische Akteure, wie planerische Akteure auf die Krise konkret reagieren werden. Das kann ja auch gar nicht anders sein, wenn wir erst 15 Monate
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Abstand haben zum Einsetzen der Krise. Aber ich glaube, dass hier eine der zentralen Aufgaben der Raumwissenschaften in den kommenden Jahren liegen wird, diese Verarbeitung der Krise im politisch-administrativen System besser zu verstehen und analytisch-kritisch zu begleiten. Am Schluss ein kurzes Fazit mit
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nur noch zwei Folien. Das transformative Potenzial der Corona-Pandemie kann aus meiner Sicht derzeit wirklich nur in Ansätzen bewertet werden. Wir wissen insbesondere viel zu wenig über die längerfristigen Folgen. Da ist einfach ein hohes Maß an Ungewissheit, das gar nicht
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vermeidbar ist. In vielen Studien konnten markante Veränderungen des Raumnutzungsverhaltens nachgewiesen werden. Da gibt es wirklich einen sehr beeindruckenden empirischen Wissensstand mittlerweile weltweit. Aber eben mit der Unsicherheit, ob es sich bei diesen Verhaltensanpassungen wirklich um längerfristig wirksame Dinge handelt
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oder ob sie eben nur temporär bei Natur sind. Und ich finde, dass das die aktuelle Situation eben für evidenzbasierte Politikberatung, was ja unter anderem unsere Aufgabe ist im Wissenschaftssystem, wirklich schwierige Rahmenbedingungen mit sich bringt. Nicht so einfach zu sagen, was die Planung jetzt
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tun sollte, weil einfach viele Trends, viele Entwicklungen noch im Ungewissen sind. Was die bislang diskutierten Wirkungen anbetrifft, so sind diese aus meiner Sicht eher ambivalent zu bewerten. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen, nämlich der erwarteten Zunahme der Stadtumland- oder Stadtlandwanderung.
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Man könnte sich nicht argumentieren, dass ein solcher Trend die kernstädtischen Wohnungsmärkte entlasten würde. Es würden Revitalisierungseffekte auf viele ländliche Kommunen, auch Regionen, zu erwarten sein. Auf der anderen Seite könnte ein solcher Trend dazu beitragen, dass autoorientierte Lebensziele sich weiter verfestigen.
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Wir würden wahrscheinlich eine höhere Flächenanspruchnahme für Siedlungs- und Verkehr erleben durch die geringen Siedlungsdichten in ländlichen Räumen. Ich denke, dass hier wirklich dringender Handlungsbedarf für die Raumplanung besteht, auch im Sinne von Szenarien sich auf solche Entwicklungen mit dieser positiven und negativen Begleiterscheinung
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vorzubereiten. Ich finde, es ist unbedingt unser Anspruch, dass wir nicht noch einmal so schlecht vorbereitet, in strategisch-instrumenteller Hinsicht, schlecht vorbereitet mit einem neuen Trend konfrontiert werden, wie das beispielsweise bei der Reurbanisierung 15 Jahre in der Falle war. Die Reurbanisierung hat die Politik
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erst zeitversetzt Antworten geben können und das hat mit dazu beigetragen, dass die Chancen, die in der Reurbanisierung zu sehen sind, nur bedingt eingelöst werden können. Die Krise der Wohnungsversorgung ist vielleicht nur eine Facette in dieser Diskussion. Das ist die letzte Folie. Was ist mit dem möglichen Wirkung
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der Krise als Landscape-Schock, wie das diskutiert hat? Ich glaube, da sind wir noch sehr stark im spekulativen Raum. Wir wissen einfach noch zu wenig über die Reaktionsmuster von Politik und Planung auf die Krise. Ich glaube, unstrittig ist an der Stelle aber, dass kommunale und regionale Krisenbewältigungs- und Resilienzstrategien in einem größeren Kontext
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nachhaltiger Entwicklung gedacht werden müssen. Hier ist für mich ganz entscheidend, dass es uns gelingt, die verschiedenen Konjunktur- und Investitionspakete auf den verschiedenen Ebenen von der EU über den Bund bis in den lokalen und regionalen Raum konsequent an Zielen der nachhaltigen Transformation auszurichten. Das ist aus meiner Sicht der zentrale
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Anspruch, der aus der Wissenschaft heraus formuliert werden kann. Und der regionalen lokalen Planung sei zugerufen, die Chancen zu nutzen, schnell zu nutzen, welche die Krise argumentativer und legitimatorischer Hinsicht bietet,
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weil sich das Möglichkeitfenster irgendwann wieder schließt. Das ist eine ganz robuste Erfahrung. Eine Lehre aus früheren Kriseneignissen. Krisen eröffnen nicht immer, aber häufig Windows of Opportunity, aber diese schließen sich dann auch. Deswegen glaube ich, ist keine Zeit zu verlieren.
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Es sollte schnell und nachhaltig und umfassend gehandelt werden. Damit bin ich am Schluss meines Beitrags. Herzlichen Dank fürs Zuhören. Ich freue mich jetzt auf Ihre Rückmeldung, Ihre Fragen, Ihre Kommentare. Vielen Dank. Stefan, ganz, ganz herzlichen Dank für deine wunderbar in der Zeit befindliche komplexe Darstellung und diesen Ansatz,
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die wirklich sehr schwer überschaubaren empirischen Wirkungen, wie auch politisch planerische Schlussfolgerungen zu strukturieren. Das erleichtert, glaube ich, eine Diskussion sehr, wie du diese Strukturierung vorgenommen hast. Ich würde jetzt darum bitten, wir haben jetzt auch ein bisschen Zeit zum Diskutieren, nicht ewig, wie das Umweisekonferenz ist,
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aber etwas haben wir schon. Ich würde darum bitten, wie es schon Herr Bedevi gemacht hat, sich bitte im Chat zu melden. Ich kann unmöglich alle hier auf den Kacheln sehen. Ich soll ja auch gar nicht ausgeschaltet sein. Deshalb bitte Wortmeldung im Chat schreiben. Dann sehe ich auch die Reihenfolge, ehe ich die ersten aufrufe. Aber würde ich eine Anmerkung oder eine Frage selber dir gerne direkt stellen, und zwar du hast ja sehr schön
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zitiert, dass wir eine neue Erfahrung der Wirksamkeit staatlichen Handelns haben. Ich glaube, das war Rosa, den du da zitiert hast. Und das haben wir ja schon mal gehabt, vor gut zehn Jahren im Rahmen der Finanzkrise. Nur das hat leider auch kaum einen Schub für die Raumplanung gebracht. Da haben ganz andere Bereiche staatlichen Handelns einen guten Wind von bekommen. Aber dass jetzt irgendwie gerade die räumliche Regulierung davon
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profitierte, konnte man ja wohl nicht behaupten. Insofern könnte das jetzt auch nochmal differenziert die Sache noch weiter aus, ob nicht in manchen Bereichen wie Gesundheitswesen in der Tat der Staat gegen den Markt sozusagen sein Terrain erweitert, aber vielleicht im Bereich der räumlichen Ordnung nicht. Das nur eine Anmerkung von mir. Aber ich würde mich gar nicht im Vordergrund drängen. Vielleicht kannst du das bei deinen
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Beantworten gleich mit berücksichtigen, diesen Aspekt. Als Erster hat sich Ben Davy gemeldet. Bitte sehr, Herr Davy. Herzlichen Dank und einen schönen guten Morgen an alle. Herzlichen Dank, Herr Sidentop, für diesen wunderbaren, einführenden Vortrag, in dem Sie versuchen, auch so ein Stück weit die Unordnung
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in unseren Gedanken in eine Ordnung zu bringen, dass man darüber sprechen kann. In Ihren Grafiken spielen Pfeilchen eine große Rolle. Das gibt so ein bisschen den Eindruck, als hätten Sie sehr lineare Vorstellungen.
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Von dem, was passiert, das glaube ich aber nicht. Und ich möchte das mit Blick auf einen speziellen Aspekt hinterfragen. Wir haben doch in den letzten Monaten eine besonders hohe Fragmentierung in den Erwartungen und Wünschen der Menschen erlebt. Das, was häufig als die
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Polarisierung oder Entzweigung der Gesellschaft bezeichnet wird. Diese Brüche erlauben doch gar nicht von einem homogenen Erscheinungsbild der Wirtschaft oder der Wissenschaft oder der Menschen zu sprechen.
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Da würde ich Sie bitten, da noch mal der Zustellung zu nehmen. Das mache ich gerne. Ganz unbedingt sage ich an dieser Stelle, dass ich im Gottes Willen gerade nicht Vorstellungen habe, dass die Zusammenhänge in der Corona-Krise eine lineare Natur sind.
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Wenn diese Pfeile macht, dann hatte ich auch geschrieben und gesagt, dass die Rückkopplungseffekte zwischen diesen Faktoren, die ich da aufgeführt habe, ja unbekannt sind. Wir wissen da wenig bis gar nichts darüber. Insofern muss man sagen, dass die Zukunft offen ist. Es gibt in ganzer Weise deterministische zugehängte Diskussionen über die Bewältigung der Corona-Krise
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und die gesellschaftliche Reaktion darauf. Wenn das so rübergekommen ist, bitte ich um Entschuldigung. So ist es wirklich nicht gedacht gewesen. Vielleicht noch mal eine Bemerkung zum Thema einer Finanzkrise.
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Ich glaube, dass es da einen fundamentalen Unterschied gibt. Das hat Hartmut Rose auch zu dieser Äußerung veranlasst. Bei der Finanzkrise ging es doch darum, mit gigantischen gesellschaftlichen Ressourcen, also Geld, die die Funktionalität der Märkte zu erhalten.
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Mit dem Lockdown ist aber genau das Gegenteil passiert. Da ist quasi in radikaler, nie dagewesener Form gegen die Märkte agiert worden. Das hat Rosa zu dieser Bemerkung veranlasst, dass das eine Selbstwirksamkeit-Erfahrung ist, die wir eigentlich noch nie hatten. Diese Überzeugung, dass das Politik nicht gegen den Markt
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agieren kann, damit erschüttert worden ist. Mit Blick auf die unglaublichen Transformations-Herausforderungen, die jetzt in der fortschreitenden Klimakrise vor uns liegen. Ich glaube, das ist ein ganz entscheidender Punkt. Deswegen unterscheiden sich, finde ich, die Finanz- und
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Wirtschaftskrise 2008 folgende ganz fundamental auch von der Corona-Krise.