Strafrecht, Wahrheit und Kommunikation
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Formale Metadaten
Titel |
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Serientitel | ||
Teil | 7 | |
Anzahl der Teile | 188 | |
Autor | ||
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Identifikatoren | 10.5446/20710 (DOI) | |
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re:publica 20167 / 188
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HypermediaMicrosoftKommunikationGewicht <Ausgleichsrechnung>XMLJSONComputeranimationVorlesung/Konferenz
00:33
KommunikationPowerPointVorlesung/KonferenzBesprechung/Interview
01:05
Aussage <Mathematik>Vorlesung/Konferenz
02:45
InformationFormation <Mathematik>FestplatteVorlesung/Konferenz
03:56
Vorlesung/Konferenz
04:24
RuhmasseSeidelVorlesung/Konferenz
05:04
GEDANKEN <Programmiersprache>FestplatteVorlesung/Konferenz
05:43
Beobachter <Kybernetik>Wort <Informatik>Vorlesung/Konferenz
06:42
KommunikationMittelungsverfahrenWort <Informatik>Prozess <Physik>Vorlesung/KonferenzBesprechung/Interview
07:18
MehrwertnetzKörpertheorieBildschirmmaskeVorlesung/Konferenz
07:54
Vorlesung/Konferenz
08:58
Lokales MinimumRuhmasseVorlesung/KonferenzBesprechung/Interview
09:55
MehrwertnetzWort <Informatik>Vorlesung/Konferenz
10:26
KAM <Programm>Vorlesung/Konferenz
10:57
Physikalische GrößeKraftKommunikationPerspektiveProgramm/QuellcodeVorlesung/Konferenz
11:33
Vorlesung/Konferenz
12:07
Norm <Mathematik>BildschirmmaskeVorlesung/Konferenz
12:39
BildschirmmaskeVorlesung/Konferenz
13:36
AggregatzustandKommunikationVorlesung/KonferenzComputeranimation
14:16
VariableEbeneVollständigkeitKommunikationNorm <Mathematik>Vorlesung/Konferenz
15:30
TorsionVorlesung/Konferenz
16:21
Vorlesung/Konferenz
16:55
MISSFlächentheorieVorlesung/Konferenz
17:52
KommunikationInternetVerzerrungVorlesung/Konferenz
18:31
MehrwertnetzLokales MinimumSchreiben <Datenverarbeitung>Physikalische GrößeZusammenhang <Mathematik>EntscheidungstheorieDynamisches RAMRang <Mathematik>HöheTyp <Informatik>AnamorphoseVorlesung/Konferenz
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MehrwertnetzBayerische Landesbibliothek OnlineInternetInformationZusammenhang <Mathematik>Besprechung/InterviewVorlesung/Konferenz
21:11
EntscheidungstheorieSoftwareentwicklerVorlesung/Konferenz
21:58
MISSRegelungVorlesung/KonferenzBesprechung/Interview
22:27
KommunikationRuhmasseVorlesung/Konferenz
23:11
Vorlesung/Konferenz
23:42
Coin <Programmiersprache>Inhalt <Mathematik>InternetFacebookVorlesung/KonferenzBesprechung/Interview
24:18
InformationKommunikationStandardabweichungGruppenkommunikation <Kommunikationstechnik>Vorlesung/Konferenz
25:33
MehrwertnetzVorlesung/Konferenz
26:08
MengeVorlesung/Konferenz
27:08
Grundsätze ordnungsmäßiger DatenverarbeitungVorlesung/Konferenz
27:44
PICA <Bibliotheksinformationssystem>RichtungVorlesung/Konferenz
28:49
RegelungVorlesung/Konferenz
29:38
NeunINGA <Programm>Vorlesung/Konferenz
30:10
Vorlesung/KonferenzBesprechung/Interview
30:42
ParametersystemVorlesung/Konferenz
32:04
Ereignisgesteuerte ProgrammierungVorlesung/Konferenz
33:01
Vorlesung/Konferenz
34:28
Vorlesung/Konferenz
35:01
Programm/QuellcodeVorlesung/Konferenz
35:56
Vorlesung/Konferenz
36:27
Programm/QuellcodeVorlesung/Konferenz
37:07
MittelungsverfahrenRegelungBesprechung/InterviewVorlesung/Konferenz
37:57
PICA <Bibliotheksinformationssystem>MicrosoftVorlesung/KonferenzJSONXML
Transkript: Deutsch(automatisch erzeugt)
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Ich freue mich, dass Sie da sind. Ich freue mich, dass ich eingeladen worden bin. Ich komme aus Karlsruhe. Das ist eine kleine Stadt ganz weit weg. Und ich möchte Ihnen was vortragen zum Thema Strafrecht, Wahrheit und Kommunikation.
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Sie können die Augen schließen. Ich beherrsche PowerPoint nicht. Und habe auch nicht mehr vor, das in diesem Leben zu lernen.
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Eigentlich sollte ich gestern eine Stunde lang vortragen. Und hoffe, dass ich meinen Text jetzt halbwegs so gekürzt habe, dass er jetzt auch in 25 Minuten passt. Über das Strafrecht und seine Bedingungen gibt es unzählige Meinungen und, wie es heute gerne heißt, Narrative. Die meisten davon betreffen die Fragen, wie das Strafverfahren und das materielle Strafrecht Gerechtigkeit und Wahrheit herstellen.
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Je weiter man vom Ort des Geschehens entfernt ist, desto leichter fallen die Antworten auf diese Fragen. Je näher man heranrückt, desto mehr verschwimmen sie. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Feststellung der Wahrheit
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eine unabdingbare, nicht verhandelbare Aufgabe des Strafverfahrens und die wichtigste Voraussetzung für die Verwirklichung materieller Gerechtigkeit und sozialen Rechtsfriedens. Nun müssen wir heute nicht in einem philosophisch vertieften Sinn über den Begriff der Wahrheit sprechen. Das Bundesverfassungsgericht und die Justiz im Allgemeinen meinen, wenn sie das Wort benutzen, eine reale, wirkliche Wahrheit.
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Diese ist nicht dasselbe wie Realität. Die Bodenverhältnisse auf der Rückseite eines Jupiter-Mondes mögen Realität sein, sie sind aber, so meine ich nicht, das, was wir als Wahrheit bezeichnen. Wahrheit ist vielmehr eine kommunikative Leistung,
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also das Ergebnis eines zwischen Personen vermittelten sprachlichen Austausches. Zwischen Hunden und Menschen gibt es Realität, nicht aber Wahrheit. Daher besteht die Aufgabe eines Strafrechts, die Wahrheit festzustellen, keineswegs nur in der Bewertung von Aussagen von Personen über vergangene oder gegenwärtige Realitäten.
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Selbstverständlich sind auch andere sogenannte Beweismittelinstrumente einer Wahrheitsherstellung. Oft wird in der Diskussion über eine sogenannte forensische oder gerichtliche Wahrheit gesprochen, als sei sie etwas ganz anderes als die wirkliche Wahrheit. Das ist zwar nicht ganz falsch, auf keinen Fall aber richtig.
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Es gibt im Strafprozess keine gesonderte, formelle oder abstrahierte Wahrheit, auf deren Feststellung das Gericht subjektiv oder das Verfahren objektiv abzielen. Zu erforschen ist die materielle Wahrheit, sagt das Verfassungsgericht. Was da gemeint? Die wirkliche Wahrheit. Wer hat was getan? Was gedacht? Was war die Folge?
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Die Feststellung dieser Wahrheit ist in jedem Fall eine Rekonstruktion über mehrere Filter und Banden. Denn die vergangene Wirklichkeit ist nicht unmittelbar zugänglich. Ihre Rekonstruktion verläuft in Stufen. Anzeige, Zeugen, Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht, Hauptverhandlung, Urteil.
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Revision. Selbstverständlich sind menschliche Gehirne keine Festplatten, die gespeicherte Informationen einfach weitergeben. Schon das Abspeichern verändert die Information. Jeder Neuaufruf fügt eine weitere Änderung hinzu. Sie alle kennen zahllose, hoch beeindruckende Experimente zur Erforschung der sprachlosen Intelligenz von Primaten.
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Können Primaten einen Verdacht haben? Können Sie also Verhalten anderer Individuen beurteilen, einschätzen? Alles spricht dafür. Aber was befällt das Schimpansenweibchen?
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Den Verdacht zu haben, eine Konkurrentin, vorenthalte ihr täuschend einen verdienten Vorteil? Die Antwort ist Empathie. Versuch die Gefühle eines fremden Individuums zu verstehen. Damit jenes entfernte Wesen fremd sein kann, muss das eigene Wesen als selbst erkannt werden. Empathies, also Widerspiegelung, eine Art selbstständig erkannten Individualität,
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nicht bloßer Außenwelt, also nicht aus Symbolen oder Mustern bestehend und allein gelernt und verstanden, sondern in demselben Maß und nach denselben Regeln veränderbar, wie das Innen, das Selbst.
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Empathie mit Steinen mag rührend sein, führt aber zu nichts. Empathie mit Menschen führt dazu, dass man ihre Motive, Absichten, Reflektionen versteht und selbst reagieren kann, indem man sein Verhalten darauf abstellt. Um diesen Weg zu gehen, muss der Mensch eine Vielzahl komplizierter gedanklicher Schritte vollziehen,
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schon bei einfachen Konstellationen. Ich habe den Verdacht, dass es heute noch regnen wird. Wie entsteht dieser Verdacht? Er ist eine hochkomplexe Zusammensetzung aus individuellen Erinnerungen, die gefühlsgesteuert sind, sozusagen ein Scan aller regengeneigten Momente meines Lebens. Vor allem nicht nach Art der Durchsuchung einer Festplatte,
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sondern auf unerklärliche Weise tausendmal effektiver. Dazu neue Beobachtungen, die verglichen werden Licht, Wolken, Wind, Geruch. Erinnerungen an Gefühle aus der Vergangenheit, Einordnung, Bewertung zahlreicher äußerer Vorgänge. Von der Wetterfee am vorigen Abend bis zum Verhalten von Fußgängern.
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Was herauskommt, ist ein hochgradig individualisiertes Wahrscheinlichkeitsrottal, das in den meisten Teilen nicht bewusst reflektiert, sondern gefühlsmäßig erfasst wird als sogenannte Intuition, Meinung, Ansicht. Ganz ähnlich funktioniert die Rekonstruktion von Erinnerungen,
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Gedanken, Beobachtungen und Einschätzungen in der Vergangenheit. Was wir in einem solchen noch dazu formalisierten Rekonstruktionsprozess herausbekommen, ist also bestenfalls ein Abbild des früheren Geschehens durch zahlreiche Filter. Je besser wir diese kennen, desto rationaler werden wir das jetzt Erkannte bewerten können.
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Ein paar Worte zur Kommunikation. Unser ganzes Leben, meine Damen und Herren, besteht aus selbstreferenziellen Erzählungen über uns selbst und aus kommunikativen Prozessen zu deren Überprüfung, für die uns keine anderen Mittel gegeben sind als Empathie und Sprache.
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Beide Elemente sind nach unserem Verständnis sehr mächtig, gleichwohl sehr weit von einer unmittelbaren Verbindung zueinander entfernt. Von den unendlich vielen, unendlich schnellen und hochindividuellen Gefühls- und Erinnerungsbildern, die sich in jeder Sekunde in unserem Gehirn abspielen, teilen wir einander nur einen kläglichen Rest mit,
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den wir in einem Willensakt zu sprachlichen Nachrichten, körperlichen Gesten usw. formen können oder unwillkürlich darbieten. Daher werden wir mit unseren Wahrheiten in der Regel allein gelassen. An jeder denkt sich die Welt, wie sie ihm gefällt. Solange nicht entweder das soziale Funktionieren eine gemeinsame Ordnung verlangt
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oder die individuelle Konstruktion von Realität aufgrund von Wahrheiten gestört ist und Leiden verursacht. Strafjustiz, Wille, Wahrheitsdarbietung als Realitätsbeschreibung. A kam von links, B zog das Messer aus der Tasche, C dachte, das kann nicht gut gehen.
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Man muss sich klar machen, dass diese etwas schlicht erscheinende Anforderung an Realitätskonstruktion weder zwingend ist noch zufällig. Über Jahrtausende haben Gerichte die Wirklichkeit anders wahrgenommen als Ergebnis von Mächten, göttlichem oder teuflischem Willen, Zufall oder Schicksal. Ebenso gut könnte man die Wirklichkeit konstruieren als Gesamtheit von Erlebniswelten beteiligter Personen.
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Also als hochindividualisiertes Psychoereignis, bei dem es nicht um die Farbe eines Autos geht, sondern um die Assoziationen, die sie auslöste. Das wäre ein mühsames Geschäft und eines mit sehr unsicherem Ausgang.
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Die Justiz folgt daher einem Rationalitätsschema, das das Übersinnliche weglässt. Das Geschehen der Welt in Tatbestandsmerkmale zerhackt und die Wahrnehmungs- und Rekonstruktionsprozesse des menschlichen Gehirns danach beurteilt, ob sie solche äußeren und inneren Realitäten übereinstimmend und konstant sprachlich fixieren können.
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Mit subjektiven Wahrheiten, die in der Hand eines anderen einmal eine Pistole, einmal eine Wurstsemmel sah, kann die Strafjustiz nichts anfangen.
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Wie Sie wissen, hat sich die Justiz immer mit dem Maß an Genauigkeit zufriedengegeben, welches ihr erreichbar war. Das liegt in der Natur der Sache. Man kann nicht aufhören, den Mord zu bestrafen, nur weil man keine wissenschaftlichen Kriterien der Aussageanalyse bei der Hand hat. Das, was wir heute meist herablassend als intuitive Wahrheitsbeurteilung
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aus oft rührend subjektiver Richtersicht ansehen, war vor 100 Jahren State of the Art. Und in 100 Jahren wird man auf unsere heutigen kriterienorientierten Inhaltsanalysen vielleicht zurückblicken wie auf kuriose Alchemistentraktate. Mit anderen Worten, die Dinge entwickeln sich.
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Was soll Strafrecht? Die Frage scheint ein wenig banal, manche werden sie in einem eher peorativen Sinn verstehen. Was soll das Ganze eigentlich? Ist es nicht überflüssig? Andermarkt die Frage banal erscheinen, weil sie auf einen Gesamtplan abzustellen scheint, als habe sich irgendjemand das Strafrecht ausgedacht.
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So einfach ist es aber nicht. Strafrecht in einem weiteren Sinne ist zunächst schlicht formelle Sozialkontrolle. Der Mensch ist nicht als Robinson Crusoe in die Welt der Natur geworfen worden, also unter Mitführung einer entwickelten Zivilisationstheorie. Er ist auch nicht als wildes Tier entstanden, als Hominilupusfeind aller anderen,
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der durch die rätselhafte Erfindung eines Gesellschaftsvertrags zum Frieden kam. Menschliche Gesellschaft war vielmehr stets und von Anfang an Gesellschaft, soziale Gruppen bezogen. Die naturgeschichtlichen Übergänge zwischen Säugetieren, Primaten und Menschen sind so fließend, fein und unmerklich,
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dass wir sie nur aus großer Entfernung einschätzen können. Die wesentliche Leistung war die Entwicklung von Empathie, also die Fähigkeit sich in Vorstellungen, Motive, Perspektiven eines anderen hineinzuversetzen und Symbolik der Kommunikation, also Sprache. Beides ist unabdingbar erforderlich, um als Mensch mit schwachen körperlichen Fähigkeiten
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und Kräften überhaupt überleben zu können. Und auch dies gelingt daher niemals allein, sondern nur in größeren Gruppen. Familien, Clans, Stämmen, Völkern. Menschliches Verhalten zeichnet sich, wie Sie wissen, vor allem dadurch aus, dass wir einen großen Teil unserer Zeit damit verbringen,
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andere Menschen zu beobachten, um ihre Motive und Gefühle nachzudenken und darüber, wie sie ihrerseits uns sehen, ein permanentes Abgleichen von Stimmungslagen, Absichten, Vertrautheiten. Hieraus entwickelt sich ein hochkomplexes System von Erwartungserwartungen,
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indem bloß empirische Erwartungen zu normativen Sollenserwartungen werden. Verhalten Dritter wird nicht allein für mehr oder weniger wahrscheinlich, sondern als gesollt, geschuldet, erwartbar gehalten. Normen entstehen, indem Erwartungen bei Enttäuschung nicht einfach aufgegeben,
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sondern aufrechterhalten und in der Regel durchgesetzt werden. Von hier bis zum staatlichen Strafrecht ist es noch ein weiter Weg. Normative Kontrolle entwickelt sich historisch zunächst als in der Regel äußerst rigides System der Anpassung an einen engen Kanon von Formen, Verhaltens, Alternativen und so weiter.
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In steinzeitlichen Gesellschaften wird ein erheblicher Teil der Zeit und der Aufmerksamkeit hierfür aufgewendet. Gleichförmigkeit erscheint als Garant und Symbol für Vertrauen und Frieden. Bestes Beispiel etwa sind Maskenkulturen, in denen hinter einheitlichen Masken oder Bemalungen die Individualität fast vollständig verschwindet
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und ihre Enthüllung als angsterzeugend wild und feindlich gilt. Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt, wusste schon Karl Marx. Alle menschlichen Gesellschaften haben deshalb sehr frühe Formen der Gewaltvermeidung herauszuarbeiten versucht, mit durchweg sehr geringem Erfolg in den Außenbeziehungen,
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teilweise erstaunlichem Erfolg im Inneren. Von frühen Formen angeblich Gott gesandter Herrschaft über landesherrliche Oberigkeit bis zum modernen Staat der Neuzeit spannt sich der Bogen rechtlicher Entwicklung und organisatorischer Ausgliederung eines sogenannten Rechtsstabs,
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der mit Legitimität zur Ausübung von Gewalt durch Anwendung von Recht ausgestattet sein und bleiben muss. Die Form ist zunächst einmal gleichgültig, wenn und solange die Funktion erfüllt wird. Priester und Königsrichter, revolutionäre Tribunale, gewählte oder in einer Beamtenhierarchie hervorgebrachte Richter
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können diese Aufgabe mehr oder weniger erfolgreich erfüllen. Strafrecht ist Kommunikation und Gewalt. Strafrecht ist immer da, bezeichnet den äußersten Rand dessen, was gesellschaftlich normativ als tolerables Verhalten angesehen wird oder werden soll. Man kann es nicht einfach abschaffen.
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Es handelt sich nicht um eine Krankheit oder eine beliebige Fehlkonstruktion, auch wenn sie in der gelegentlichen Praxis noch so schlecht funktioniert. Strafrecht ist nichts Statisches, Feststehendes. Es wird nicht einmal erdacht und ist von da an immer da
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und muss nur gefunden und angewendet werden. Rechtsanwendung ist vielmehr Rechtsentstehung und Rechtsgestaltung. Strafrecht verändert sich ständig, weil sich Sprache, Kommunikation, soziale Regeln, Verständnisse verändern. Was gestern Kindererziehung war, ist heute Körperverletzung.
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Was heute Beleidigung ist, gilt morgen als sozial adäquater Scherz. Das bedeutet, seine Wirkung entfaltet Strafrecht zwar auch auf individueller Ebene als Abschreckung oder als Korrektur. Die wesentliche, grundlegende soziale Funktion besteht aber in einer permanenten, wiederholten Bestätigung der Verhaltensnorm,
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vorgeführt an Beispielen exemplarischer Bestrafung. Eine Vollständigkeit von Strafrecht ist wieder möglich, noch wünschenswert, noch sinnvoll diskutabel. Daher sind alle Behauptungen sogenannter Strafbarkeitslücken
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eigentlich eine sprachliche Verdrehung, als Gelt ist, das Strafrecht lückenlos zu machen. Ein lückenloses Strafrecht wäre ein Recht, das alles bestraft. Jegliches menschliche Verhalten unter Strafe stellt und dann im Einzelfall Ausnahmen zulässt. Also wer ein Buch liest, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren bestraft.
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Ausnahmsweise erlaubt sind folgende Bücher. Ein lückenloses Strafrecht ist also eine Horrorvorstellung eines vollständig totalitären Staats. Die Lücke im Strafrecht ist nicht eine bedauerliche Ausnahme, sondern die begrüßenswerte Regel. Wer eine Lücke beklagt, folgt einfach.
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Wer eine Lücke beklagt, fordert einfach nur die Neubestrafung eines Verhaltens, das bisher straflos ist. Beispiel, Leben und Leib sind in Deutschland schlechter geschützt als Eigentum. Wenn A dem B unbemerktesten Handy wegnimmt, wird das als Diebstahl bestraft. Wenn A mit einem VW Golf Diesel an B vorbeifährt,
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geht er strafffrei aus. Wann endlich wird diese Strafbarkeitslücke geschlossen? Aus dem Gesagten ergibt sich auch, das wichtigste am Strafrecht ist die gesellschaftliche Kommunikation darüber, denn zum einen bestimmen die Straftatbestände
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nicht allein jenen unteren, ausgegliederten Bereich des Verbotenen, ausgegrenzten, sondern sie beeinflussen, begrenzen und definieren in vielfältiger Weise den Bereich des sozial Adäquaten. Den Anforderungen, die aus diesen Gründen an die gesellschaftliche Diskussion von Strafrecht und Strafverfahrensrecht gestellt werden müssen,
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wird die Wirklichkeit weithin nicht gerecht. Über Inhalt, Wesen, Prinzipien und Grundsätze des Strafrechts besteht in der Bevölkerung eine weit verbreitete Unkenntnis. Dasselbe gilt von damit zusammenhängenden soziologischen und kriminologischen Fragen. In all diesen Bereichen überwiegt der Anteil vorurteilsgeprägter, oft extrem oberflächlicher,
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interessenbezogener Urteile. Begleitet oder ergänzt wird das oft durch vorurteilsvolle schematische Kritik an angeblichen oder tatsächlichen Missständen in der Justiz. Mir scheint das ein strukturelles Problem zu sein, das durch die Grenzenlosigkeit der digitalen Kommunikation noch deutlicher zugenommen hat und viele Probleme aufwirft,
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für die derzeit keine Lösung in Sicht ist. Freilich beginnen diese Probleme nicht erst mit dem Internet und den dort stattfindenden Schlachten zwischen Unwissenden. Auch die klassische Presse offenbart nicht selten ein erschütterndes Bild der Verzerrung, wenn es um strafrechtliche Fragen und Probleme geht.
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Die klassische Gerichtsberichterstattung ist, bis auf Ausnahmen in den Händen von Laien, die selbst nach jahrelanger Tätigkeit schon einfachste Regeln nicht verstehen und hanebüchende Beschreibungen von Verfahrensabläufen und deren Sinn darbieten. Die Berichterstattung in diesem Segment hat meist
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anekdotischen, oft hämischen Charakter und ist auf Typen von Menschen zugeschnitten. Sie kennen diese Berichterstattung, da werden dann die Angeklagten mit Vornamen genannt, Hansi heißen die meistens oder ähnlich. In höheren Rängen nimmt regelmäßig die Ambition nicht immer die Sachkenntnis zu. Auch in großen Redaktionen bekannter Medien
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arbeiten im Bereich recht häufig Personen, die allenfalls über vage Überblicke verfügen und spezielle Fragen schon gar nicht erkennen, geschweige denn verständlich erklären können. Spezialisten gibt es hier so gut wie keine, die wenigen konzentrieren sich frühzeitig auf wundersame Randgebiete und setzen ihren Ehrgeiz daran, dem Publikum über menschliche Dramen
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und schicksalhafte Verstreckungen zu berichten. Küchenpsychologie, Alltagsbetrachtungen und Personalisierungen stehen im Vordergrund der Berichterstattung. Das am meisten destruktive ist die Tendenz zu Skandalisierung, Hysterisierung und Personalisierung.
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Sie verfehlt schon im Ansatz. Die Regelhaftigkeit des Rechts und seiner Praxis bläst jedenfalls auch Schicksalsentscheidungen auf und erschöpft in der Darstellung regelmäßig nicht ansatzweise die tatsächlich zu berücksichtigen Gesichtspunkte. Diese Art der Berichterstattung vermittelt
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das immer wieder neu bestätigte Bild, wonach Strafrecht eine unendliche Folge mehr oder minder willkürlicher unzusammenhängender Einzelfallsentscheidungen ist. Dahinter steht eine zutiefst verächtliche Haltung gegenüber den betroffenen Menschen. Angeblich sind diese dermaßen dumm, ungebildet
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und desinteressiert, dass sie schon die einfachsten Zusammenhänge befordern. Um Gottes Willen bloß nicht mit einerseits und andererseits kommen, ist die Devise, denn dann schaltet der Leser höherer Zuschauer sofort ab. Das ist eine erbärmliche Kapitulation vor den Resultaten des eigenen Versagens. Die Internetkultur im weitesten Sinne
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hat viel zur Verschärfung der Lage beigetragen. Das betrifft zum einen den von ihr ausgehenden Zwang zur Beschleunigung. Nachrichten, Gedanken, Bilder, Zusammenhänge müssen auf kleinste Informations- und Zeiteinheiten heruntergefahren werden, um die Aufmerksamkeitslücken zu füllen.
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Es betrifft zum anderen den Inhalt. Kein Mensch kann in kurzen Hauptsätzen komplizierte Zusammenhänge adäquat darstellen, verstehen, bearbeiten. Anonymität, Disziplinlosigkeit und permanente Repetition des Immergleichen fördern eine Nivellierung nach unten, eine Zuspitzung auf personalisierte
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und skandalisierte Schwarz-Weiß-Pseudo-Entscheidungen sowie eine Bevorzugung extremer Meinungen und Äußerungsformen. Zu beachten ist hierbei, dass sich eine solche Entwicklung zum Teil für Selbstständigen und kaum noch aufzuhalten sein kann. Etwa, wenn ganze Teile der Bevölkerung sich einfach von der gesellschaftlichen
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Kommunikation abwenden und sich ausschließlich noch mit dem beschäftigen, was sie ihre eigene Meinung nennen. Wir stoßen mit solchen Entwicklungen einen Bereich vor, der für ein demokratisches Rechtswesen äußerst gefährlich ist. Wenn das Strafrecht nur noch als beliebiges Kampfinstrument zur Unterdrückung von Partikularinteressen angesehen wird,
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in dessen Bereich sich Politiker gegenseitig zu überbieten versuchen, mit täglich neuen Forderungen nach Bekämpfung irgendwelcher Missstände wird das Recht und damit auch das Gemeinwesen zerstört. Nur ein Beispiel dafür, und keineswegs das Gravierende, ist die absurde angebliche Strafrechtsdiskussion, die sich um die sogenannten Ereignisse
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der Silvesternacht entfaltet hat. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass strafrechtliche Regelungen ausgerechnet gegen kriminelle Ausländer lückenhaft zu lasch und so weiter sind. Was es gab und gibt, sind gravierende Vollzugsdefizite in jeder Hinsicht, in Repression, Prävention und Fürsorge.
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Ich komme zum Ende, allermassen pünktlich. Strafrecht, Wahrheit, Kommunikation sind aufs Engste miteinander verflochten. Die Form, die Rationalität
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und die Wirklichkeit von Kommunikation bestimmen in hohem Maße, was Strafrecht als Wahrheit, Erkenntnis und Normbestätigung in das Gesamtsystem zurückleiten kann. Daher besteht die Aufgabe, mit der Verantwortung hierfür sorgsam umzugehen.
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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Und wir haben auch jetzt ein bisschen Zeit für Fragen, wenn es Fragen an Herrn Fischer gibt. Einfach kurz die Hand heben und ich komme dann dahin, so schnell es mir möglich ist.
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Guten Tag, Herr Fischer. Meine Frage ist, inwieweit ist es denn aus Ihrer Sicht ein Problem des Internets in seiner Struktur, die ja insbesondere darauf ausgelegt ist, sehr personalisierte Inhalte bereitzustellen, zum Beispiel bei Facebook. Ich like eine Seite, die mir gefällt.
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Das bedeutet, ich bekomme auch nur die Information, die meiner Meinung nach entsprechen. Wie kann man es schaffen, dass auch jeder Personenkreis, der sich dadurch auch abgrenzt, erreicht wird in dem Sinne, dass das Rechtsempfinden wieder dem tatsächlichen Recht in dem Sinne entsprechen kann, was Sie vorhin angesprochen hatten? Diese Frage habe ich befürchtet, weil ich sie nicht beantworten kann.
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Ich habe überlegt, ob ich das am Ende hinschreiben soll, aber mir ist nichts eingefallen. Also ich weiß es nicht. Wir erleben halt diese Segmentierung in Gruppenkommunikation und immer stärker einzelnbezogene Kommunikation und immer weniger Bereitschaft natürlich,
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die dadurch gefördert wird, sich auf gemeinsame Standards und Regeln der Kommunikation einzulassen. Das ist ein großes Problem. Ich weiß persönlich nicht, wie man das außer durch rigide Eingriffe von außen steuern könnte, die aber wiederum ganz andere und auch weitergehende Gefahren in sich bergen.
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Wir können ja keine chinesischen Verhältnisse einführen und mit so einer Zentralbehörde, die unsere Kommunikation überwacht und steuert. Das ist ja keine Alternative. Besser weiß ich es nicht. Ich habe eine Frage. Und zwar haben Sie ja
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beklagt die Fachfremdheit bei denjenigen, die über Gerichtsverfahren zum Beispiel berichten in den Medien. Wir haben aber ja das Problem in der juristischen Ausbildung in den Universitäten, dass alle so ausgebildet werden, als würden alle zu Richtern werden. Das heißt, innerhalb der Ausbildung an den Universitäten
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könnte ich mir vorstellen, könnte auch noch einiges getan werden in Bezug auf viele andere Berufsfelder, in denen natürlich auch viele Juristen gehen, was aber nicht getan wird. Da haben Sie natürlich recht. Andererseits gibt es jede Menge also es gibt ja jede Menge Journalisten, die Journalisten sind und nicht
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Spezialwissenschaften in irgendeinem Bereich gelernt, studiert oder sonst wie sich zugänglich gemacht haben. Und kein Mensch würde akzeptieren, irgendein Motorjournalist sollte immer noch über den neuen Vergaser beim Golf Diesel spricht. Das würde einfach nicht akzeptiert.
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Oder wenn jemand über Gesundheitspolitik immer zu schreibt, dass beim Herzinfarkt als erstes die Milz amputiert werden müsste oder ähnliches Zeug bei juristischen Sachverhalten ist das vollkommen regelhaft. Es scheint, es gibt keine Möglichkeit für Fachjournalisten den Unterschied zwischen
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Berufung und Revision auswendig zu lernen. Obwohl das ungefähr so schwierig ist wie der Unterschied zwischen BMW und Mercedes. Ich weiß nicht woher das kommt. Das wird auch akzeptiert leider Gottes und immer repetiert. Und es besteht auch gar keine in der Breiten in der Leser, also in der
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Zuhörer und Leserschaft in der Breitenbevölkerung besteht auch ganz wenig wie soll ich sagen Forderung danach angemessen und richtig aufgeklärt zu werden. Das hat natürlich damit zu tun, dass Recht gesehen wird, als ob das Recht ist das was in diesen dicken
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roten Büchern drin steht. Und Rechtsstudium bedeutet dieses Buch auswendig zu lernen. Er heißt Schönfelder und der andere heißt Sartorius. Wenn man die auswendig gelernt hat, ist man Jurist. Und von da an kann man alle Fälle lösen. Und dann wird man gefragt, wie ist das, wenn ein Mann das fünf Minuten erklärt, dann kommt die
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nächste Frau und die fragt dann, wie ist es bei Vierzimmerwohnungen? Das ist so ist häufig das Diskussionsniveau, das heißt die Menschen verstehen nicht, dass das Recht sie entwickelt, dass es etwas Systematisches ist, dass es etwas Spannendes ist, etwas Frohes sein kann,
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Spaß machen kann, dass man die Menschen mögen muss, um vernünftig Recht zu machen und dass das Ganze nicht ein statisches Gebilde ist, sondern sich permanent fortentwickelt. Und zwar am besten dadurch, dass wir alle daran teilhaben und dass wir sehen, dass es eine Frage der Demokratie und der der breiten gesellschaftlichen
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Kommunikation ist, in welche Richtung sich das Recht entwickelt. Ja, meine Frage betrifft das Sexualstrafrecht, das ja momentan heiß diskutiert wird. Sie gelten ja als progressiv, als links, als fortschrittlich.
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Warum sind Sie gegen die Nein heißt Nein Regelung? Nein heißt Nein bedeutet oder hat momentan die aktuellen Auswirkungen, dass Frauen die sich weigern, sexuelle Handlungen mit Männern vorzunehmen und trotzdem, die Handlung trotzdem stattfindet, dass eben nicht zur Bestrafung kommen kann. Wenn ich Über-Eigentum verfüge, wenn ich ein Haus
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besitze und jemand bricht in das Haus ein und entwendet Gegenstände aus meinem Haus, dann muss ich mich nicht physisch dagegen wehren, dann ist das strafbar und dann wird das verfolgt. Wenn eine Frau bekrapscht wird oder wenn eine Frau auf der Straße überrascht wird und sich nicht physisch wehrt gegen diesen Angriff, ist das aktuell nicht strafbar.
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Wir haben eine Diskussion, Heiko Maas hat einen Vorschlag vorgelegt, der noch nicht weit genug geht, möchte diesen aber anscheinend jetzt noch weitergehen fassen. Warum haben Sie sich in Ihrer Kolumne dagegen ausgesprochen? Hab ich ja noch gar nicht. Also erstens hoffe ich mal, dass all die Schutzregeln, die Sie einfordern, auch für Sie selbst gelten sollten und nicht nur
30:01
für Frauen. Sonst wäre das ja glatt Grundgesetz widrig. Gegen Artikel 3 Absatz 1 verstoßen, wenn Männer straflos vergewaltigt werden könnten oder kleine Jungs vor allen Dingen.
30:24
Sprechen Sie mit mir? Solange Sie dazwischen schreien, gehe ich auf überhaupt keine Antworten, auf gar nichts Antworten. Ich habe mich zu dem Vorschlag vom Herrn Bundesjustizminister
30:41
Heiko Maas nach meiner Kenntnis noch nicht geäußert. Die Argumente, die Sie angesprochen haben, sind mir sehr gut bekannt. Ich habe darüber auch noch keine Kolumne geschrieben, sondern beabsichtige in der nächsten Woche, also heute in sechs Tagen, eine Kolumne zu schreiben.
31:01
Ich meine aber, dass die Diskussion wie sie stattfindet und ja schon heute wieder stattfindet mit der sich überschlagenen Meldung darüber, dass schon die übernächste Verschärfung wieder beschlossen ist oder dringend erforderlich ist und dass immer noch weitere Lücken entstehen, dass das
31:21
einer überwiegend hysterisierten Stimmungslage zu verdanken ist, die mit der Wirklichkeit so weder des Strafrechts noch der Praxis in der Justiz, noch der Praxis in der Gesellschaft in Übereinstimmung steht. Die allermeisten Lücken, die angeblich
31:41
bestehen im Sexualstrafrecht, bestehen nicht und sind frei erfunden. Die Formel nein heißt nein ist eine an Banalität ja nicht zu überspietende oder zu unterbietende Formel, die ist genauso schlau wie ja ist ja oder Wetter ist Wetter oder sonst irgendwas. Natürlich
32:00
heißt nein nein, was soll das bedeuten? Das hat ja für die Verfolgung von strafrechtliche Verfolgung von nötigenden Einflussnahmen auf Verhalten von Personen, auf das Aufdrängen von sexuellen Verhaltensweisen oder das Aufdrängen von der Duldung sexueller Handlungsweisen
32:21
hat das ja überhaupt nichts zu tun. Selbstverständlich ich erkenne zum Beispiel in dieser sogenannten Ereignissen der Silvesternacht, wenn man sich die anschaut, was da berichtet worden ist, muss man feststellen, es gibt keine einzige von dort berichtete Verhaltensweise, die nicht nach geltendem Recht strafbar ist. Nicht eine
32:41
einzige. Alles ist strafbar, was ich da gehört habe, bloß hat man halt leider die Täter nicht, weil keine Polizei da war und es ist eine schlichtweg unzutreffende Behauptung zu sagen, wir bräuchten dringend eine Verschärfung, damit sich Ereignisse von Köln nicht wiederholen. Das stimmt einfach nicht.
33:06
Ansonsten tut es mir leid, wenn ich, ich könnte sehr gerne und würde auch gerne noch eine Stunde lang darüber diskutieren und bin auch bereit dazu und tue das auch häufig demnächst auch wieder auf einem Anwaltstag und bei vielen Veranstaltungen. Ich habe jetzt hier
33:20
natürlich in drei Minuten keine Gelegenheit Ihnen einen Überblick über die Probleme des Sexualstrafrechts, wie es sich in den letzten 20 Jahren seit 1997 entwickelt hat. Wir haben es da zu tun mit einem Rechtsgebiet, das, ich glaube, in den letzten 18 Jahren etwa sechs oder sieben
33:41
Reformen durchgemacht hat. Die eine Reform ist noch gar nicht angekommen, die ist noch gar nicht in den Kommentaren angekommen, da ist schon wieder die nächste und die übernächste Reform beschlossen oder wird schon wieder verlangt und immer fort geht es um die Schließung von Lücken und zwar von Lücken, die teilweise überhaupt nicht da sind oder die darin bestehen, dass einmal oder zweimal
34:00
irgendwelche Gerichte ein dummes Zeug entschieden haben, was ja in dieser Welt vorkommen soll und was man auch nicht ausschließen kann. Wenn Sie hergehen und sagen, beispielsweise, das ist mein letztes Argument jetzt dazu, da muss ich glaube ich Schluss machen, wenn Sie hergehen und sagen, alles soll als Nötigung oder wie immer Sie das nennen wollen, Nötigung strafbar sein, was
34:20
gegen den Willen eines Menschen verstößt, dann ist das zunächst mal ist das ja ein Tatbestand, der sich der vollkommenen Willkür und Beliebigkeit nähert. Es kann unmöglich als Nötigung bestraft werden, wenn Leute Musik hören, so dass ich sie hören kann, die ich nicht mag
34:42
oder wenn Leute telefonieren oder wenn Leute furzen oder wenn Leute dummes Zeug reden usw. oder wenn Leute mich berühren in einer angeben, in einer sozial adäquaten Weise. Zweitens, wenn Sie sexuelles Verhalten meinen, wenn Sie
35:01
wenn Sie den Tatbestand darauf reduzieren, dass das sogenannte Opfer oder das mutmaßliche Opfer von dem sogenannten Täter belästigt wird und das nicht will. Sie können ja daraus jetzt keinen Fahrlässigkeitsdelikt machen. Es gibt natürlich Menschen,
35:21
die wollen auch noch die fahrlässige Belästigung, sexuelle Belästigungsstrafe machen. Wenn Sie aber dabei bleiben, dass Sie einen Vorsatz brauchen, da muss der Täter oder die Täterin zumindest mal wissen, dass der andere das nicht will. Jetzt gibt es statistische Behauptungen
35:41
darüber, wie viele Fälle das sein könnten. Wenn Sie sich vorstellen, was passieren würde, wenn Sie 10.000 solche Fälle anzeigen. Mit einer Verjährungsfrist von 20 oder 30 Jahren haben wir heute, Ruhender Verjährung bis zum 30. Lebensjahr anschließend 20 Jahre Verjährung. Sie können also Fälle, in denen
36:01
zwischen zwei Personen Streit darüber bestanden hat, ob jemand will oder nicht will, bis über das 50. Lebensjahr hinaus anzeigen. Und zwar Fälle, die vor 30 Jahren stattgefunden haben. Kein Gericht, wenn es vernünftig ist, kann daraus noch irgendeine Verurteilung
36:20
ableiten. Das ist doch fast nicht möglich. Was das erzeugt, ist entweder ein Verkauf, das gesagt wird, da hauen wir jeden 10. Mal rein, da wird es schon gewesen sein, oder es kommt raus eine totale Enttäuschung. Es werden laute Anzeigen erstattet, die gleich wieder eingestellt werden, weil kein Mensch das mehr beweisen kann. Wie wollen Sie denn beweisen, dass Sie
36:41
vor 5 Jahren, als Sie sich von Ihrer letzten Freundin getrennt haben und bei der letzten Aussprache nach 1,5 Liter Rotwein nicht gewollt haben, dass es noch mal einen letzten Geschlechtsverkehr oder sonst irgendwas gibt. Das können Sie nicht beweisen. Niemand wird das irgendwie vernünftig nachweisen können.
37:01
Deshalb reicht es nicht aus, immer fort nur weitere Lücken zu behaupten und immer nur weitere Ausweitung und Verschärfung des Strafrechts, sondern man muss sich überlegen, was man mit diesem Mittel Strafrecht überhaupt in der Gesellschaft regeln kann. Ich glaube, das Strafrecht hat wirklich Grenzen der Regelungsmöglichkeit.
37:22
Das bedeutet ja nicht, dass man irgendwelche Unverschämtheiten, Aufdringlichkeiten und Herabwürdigungen jetzt irgendwie gut findet oder für belanglos hält. Das hat ja damit gar nichts zu tun. Aber ich glaube, dass diese
37:41
wirklich sich überbietende populistische Forderung nach immer neuen Strafrecht, immer neuen Tatbeständen, bei jedem Missstand, der irgendjemand mal auffällt, ein glatter Irrweg ist.
38:03
Herr Fischer, vielen, vielen Dank an dieser Stelle.
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