Leichtfertigkeit - Etikettenschwindel oder zukunftsfähige Größe
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Vorlesung/Konferenz
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Vorlesung/KonferenzComputeranimation
Transkript: Deutsch(automatisch erzeugt)
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Vielen Dank für die Einführung und Ihnen, liebe Susanne und lieber Herr Mayer, ganz
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herzlichen Dank für die sehr ehrenvolle Einladung hier in Hannover vorzutragen. Sehr geehrte Anwesende, die Leichtfertigkeit ist als Straftatbestandsmerkmal erstmals 1933 ins Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Sanktioniert wurde die leichtfertige falsche Verdächtigung nach § 164 Absatz 5 Strafgesetzbuch.
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1935 hat das Reichsgericht die Leichtfertigkeit bereits als in etwa grobe Fahrlässigkeit bestimmt. Dem folgend lautete die Legaldefinition im Entwurf von 1962, leichtfertig handelt, wer grob fahrlässig handelt. Und diese Norm wurde nur deshalb nicht gesetzt, weil man derartige Legaldefinitionen als überflüssig ansah.
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Bis heute ist die Begriffdeutung im Grundsatz anerkannt. Will man den Begriff leichtfertig auf deduktivem Wege präzisieren, so muss man sich demnach auf ein bestimmtes Fahrlässigkeitsverständnis festlegen
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und so dann klären, welche Elemente nach welchen Kriterien gesteigert sein müssen. Aber nicht diesen deduktiven Weg möchte ich beschreiten, sondern den induktiven Weg. Ich stelle Ihnen eine historische Auswertung der Rechtsprechungspraxis vor. Empirische Basis sind sämtliche in der Standardliteratur zitierten Entscheidungen,
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in denen Gerichte substanzielles zum Leichtfertigkeitsbegriff sagen. Die Durchsicht hat, das möchte ich vorausschicken, das Resultat erbracht, dass sich die Rechtsprechung nahezu ausschließlich mit der objektiven, mit der tatbestandsbezogenen Seite der Leichtfertigkeit befasst. Die subjektive Leichtfertigkeit wird fast gar nicht thematisiert,
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sondern gegebenenfalls stillschweigend angenommen. Der Umgang der Rechtsprechung mit der objektiven Leichtfertigkeit lässt sich meines Erachtens am klarsten beschreiben, wenn man bestimmte Fallkonstellationen unterscheidet.
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Das möchte ich Ihnen zunächst mit Blick auf die Gruppe der Todeserfolgsqualifikationen demonstrieren, die Leichtfertigkeit fordern. Es handelt sich um die aufgelisteten Vorschriften. Aussagekräftige Entscheidungen finden sich allerdings nur zu dreien dieser Normen.
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Die Fettgedruckten Raub mit Todesfolge, Brandstiftung mit Todesfolge und Überlassung von Betäubungsmitteln mit Todesfolge nach § 30 Absatz 1 Nummer 3 Betäubungsmittelgesetz. Hier nun sind mehrere Fallgruppen zu unterscheiden.
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Zunächst existiert die Konstellation, in der der Täter das Opfer auf höchst lebensgefährliche Weise attackiert und die besondere Gefährlichkeit ohne Schwierigkeiten erkennbar ist, ja, sich in besonderer Weise aufdrängt. Das ist bezogen auf den Raub mit Todesfolge gegeben, wenn der Opfer dem Täter massive Körperverletzungen zufügt,
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also wenn er zum Beispiel, Beispiel aus der Rechtsprechung, das am Boden liegende Opfer mit schweren Stiefeln mehrfach von oben stampfend in den Bauch tritt. Das ist auch gegeben, wenn der Räuber die geladene Schusswaffe auf das Opfer richtet und sich unbeabsichtigt einen Schuss löst. Und das ist bezogen auf die Brandstiftung mit Todesfolge gegeben, wenn der Täter zur Schlafungszeit ein Haus in Brand setzt,
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in dem das Opfer schläft. Auf der Folie sehen Sie jeweils betreffende Fundstellen. Für diese Konstellation also stellen die Gerichte Leichtfertigkeit bezogen auf die eingetretene Todesfolge ohne Begründung fest. Jetzt existieren Sachverhalte,
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in denen die besondere Anfälligkeit des Opfers mit Kausal für den Todeserfolg war. Das ist gegeben, wenn der Täter das besonders gebrechliche Opfer auf eine Weise körperlich attackiert, die ein robusteres Opfer mutmaßlich überlebt hätte. Etwa, dass der Räuber eine 88-jährige Greisin fesselte und knebelte, wodurch sie erstickte.
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Die Gerichte nehmen hier Leichtfertigkeit an, wenn die besondere Opferanfälligkeit objektiv besonders leicht erkennbar ist. Die besondere Anfälligkeit des Opfers spielt aber auch in Sachverhalten eine Rolle, in denen das Opfer vor Schreck stirbt, also vermittels psychischer Kausalität.
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Ob sich dieser Verlauf objektiv, d.h. nach dem äußeren Erscheinungsbild des Opfers, aufdrängte, der Täter also leichtfertig handelte, ist, so die Rechtsprechung, besonders sorgfältig zu prüfen. Das OLG Nürnberg verneinte das bezogen auf ein 56-jähriges, ganz gesund erscheinendes Raubopfer
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mit einer sehr erheblichen Herzschwäche. Das dann also ein Herzinfarkt erlitt und starrt. Die körperliche Vorschädigung des Opfers spielt aber vor allem eine Rolle in der Rechtsprechung zur Betäubungsmittelüberlassung mit Todesfolge. Den betreffenden Paragrafen 30 Absatz 1 Nummer 3 BG MG hat der Gesetzgeber 1982 erlassen.
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1984 hat der BGH im Grundsatz anerkannt, dass die frei verantwortliche Selbstgefährdung des Opfers die objektive Zurechenbarkeit des Todes unterbricht. Das soll aber nur gelten für die Paragrafen 212, 222 Strafgesetzbuch,
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nicht bezogen auf die Betäubungsmittelüberlassung mit Todesfolge. Denn, so das Gericht, das Betäubungsmittelstrafrecht verfolge einen auch über individuellen Strafzweck. Ob das überzeugt, ist hier nicht Thema. Ich erwähne die Sache, weil sie Folgen für das Leichtfertigkeitserfordernis hat.
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Es wird dadurch besonders bedeutsam, weil in Fällen frei verantwortlicher Selbstgefährdung des Drogenkonsumenten, dessen Tod nur dem leichtfertig handelnden Täter angelastet wird. Die Rechtsprechung zur Betäubungsmittelüberlassung mit Todesfolge ergibt folgendes Bild. Es existieren Entscheidungen, nach denen der Tod des Konsumenten
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dem Drogenlieferanten noch nicht einmal als fahrlässig angelastet wird, als fahrlässig verursacht angelastet wird. Das betrifft Sachverhalte, nach denen nicht belegt ist, dass der übliche Konsum der überlassenen Drogen nach Menge und Konzentration grundsätzlich lebensgefährlich war. Und nach denen auch nicht belegt ist,
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dass der Täter den vom Abnehmer gleichzeitig in erheblichem Maß mit todeskausalem Konsum andere Rauschmittel kannte oder hätte kennen müssen. Fahrlässig verursacht der Drogenlieferant aber den Tod des Konsumenten, wenn der übliche Konsum der überlassenen Drogen grundsätzlich lebensgefährlich ist und dass Konsumenten zugleich andere Rauschmittel zu sich nehmen
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und dadurch die Lebensgefahr bis zu einem gewissen Grade steigern, ist dabei vorhersehbar. Nur fahrlässig, aber nicht leichtfertig ist jedoch die Drogenüberlassung, solange sich diese Umstände nicht objektiv aufdrängen. So beurteilte der BGH zum Beispiel den Fall,
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in dem der Drogenlieferant zwar die leichte Alkoholfahne des Konsumenten bemerkte und auch, dass er aufgekratzt wirkte, was der Täter zutreffend auf den Konsum von Speed zurückführte. Dass der Täter gleichwohl dem Opfer 100 mg Heroin überließ, was nach intravenösem Konsum tödlich wirkte, ordnete der BGH hier also nur als fahrlässige,
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aber nicht als leichtfertige Tötung ein, denn das Opfer war dem Täter als erfahrener Heroinkonsument bekannt. Es war zugleich nicht heroinabhängig. Es befand sich in gutem körperlichen Allgemeinzustand und der Täter hatte sich dieselbe Dosis zuvor zweimal gespritzt,
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ohne dass sich lebensgefährliche Folgen eingestellt hatten. Leichtfertig hingegen handelte, das als Gegenbeispiel jetzt, der Substitutionsarzt, der jenseits des Erlaubtem einem Patienten Betäubungsmittel überließ, die dieser in tödlicher Kombination mit anderen Rauschmitteln zu sich nahm. Die Pflichtverletzung des Arztes war hier besonders grob.
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Was folgt aus diesen Befunden? Die empirische Basis, das halte ich zuerst fest, ist, meine ich, hinreichend breit für Schlussfolgerungen. Immer handelt es sich zusammengenommen um 25 substanziell aussagekräftige Revisionsentscheidungen. Ich weiß nicht, wie viel Prozent das vom Ganzen ausmacht,
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aber ich meine, man darf insbesondere die in den amtlichen Sammlungen, aber auch die in Fachzeitschriften publizierten Entscheidungen als repräsentativ für diese Rechtsprechung ansehen. Und betonen möchte ich, dass ich, soweit ich es geschafft habe, sämtliche aussagekräftigen Entscheidungen berücksichtigt habe, die in der Standardliteratur aufgeführt werden.
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Welcher Erkenntnisgewinn ergibt sich demnach? Überprüfen kann man die seitens der Lehre geäußerten rechtsprechungsbezogenen Bedenken. Es sei, so die vielfach formulierte Kritik, erstens nicht möglich, einen von der einfachen Fahrlässigkeit klar abzugrenzenden
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Leichtfertigkeitsmaßstab zu bilden, sondern hier sei eine gewisse Beliebigkeit unvermeidlich. Zweitens, damit im Zusammenhang, würde das legislativ intendierte Ziel verfehlt, mittels des Leichtfertigkeitserfordernisses den Anwendungsbereich dieser Vorschriften substanziell zu reduzieren.
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Die erstere Kritik wird, meine ich, durch diese Untersuchung widerlegt. Leichtfertigkeit nimmt die Rechtsprechung überzeugend dort an, wo die Intensität der Lebensgefahr gar nichts anderes zulässt, bei schwerer körperlicher Misshandlung, lebensgefährlichem Schusswaffengebrauch, nächtlichem Anzünden eines Hauses, in dem Menschen schlafen.
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Und Leichtfertigkeit besteht auch dann, wenn der Todeserfolg des vom Täter körperlich misshandelten Opfers mit Kausal auf der leicht erkennbaren physischen Schwäche des Opfers beruht. Das Restriktionspotenzial des Tatbestandsmerkmals realisiert die Rechtsprechung hingegen dort, wo es möglich ist, nämlich bei psychischer Kausalität,
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da hier die besondere Opferanfälligkeit, wenn sie auch objektiv erkennbar ist, womöglich objektiv nicht ins Auge fällt. Dann verursacht also der Täter den Tod zwar fahrlässig, aber nicht leichtfertig. Und auch mit Blick auf die Betäubungsmittelüberlassung mit Todesfolge
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differenziert die Rechtsprechung, meiner Meinung nach klar, zwischen einfacher Fahrlässigkeit und Leichtfertigkeit danach, ob sich die für den Opfertod kausalen Faktoren in ihrer jeweiligen Gewichtung aufdrängen. Die Rechtsprechung ist mit der Konturierung dieses Merkmals durchaus nicht überfordert. Sie schafft klare, bossifferenzierte Linien,
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die ein hohes Maß an Entscheidungssicherheit auch mit Blick auf zukünftige Grenzfälle versprechen. Die gegenläufige Behauptung kann meines Erachtens als rechtspolitisches Argument gegen den Einsatz der Leichtfertigkeit als Straftatbestandsmerkmal nicht überzeugend eingesetzt werden. Das wird übrigens in der Lehre mitunter getan, ohne dass hinreichende Belege geliefert werden.
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Das ist sicherlich methodisch angreifbar. Hingegen trifft es zu, dass Bezug auf den Raub und die Brandstiftung mit Todesfolge die Einführung des Leichtfertigkeitserfordernisses nicht dazu geführt hat, dass ein größerer Anteil der Entscheidungen die Normen für unerfüllt erklärt hat.
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Sollte der Gesetzgeber diese Erwartung gehabt haben, irrte er in der Tat. Ein rechtspolitisches Restriktionsbedürfnis an dieser Stelle kann ich aber auch nicht erkennen. Die geschilderten Attacken der Räuber und Brandstifter gegen ihre Opfer lassen den sehr hohen Strafrahmen dieser Vorschriften meiner Meinung nach als gerecht erscheinen.
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Seit einiger und auch in jüngster Zeit ist wissenschaftlicherseits in die andere Richtung argumentiert worden. Gefordert wird im Bereich der Tötungsdelikte die Dichotomie von Vorsatz und einfacher Fahrlässigkeit der Legalata weiter aufzulösen, der Legeveränder weiter aufzulösen. So wird vorgeschlagen, einen eigenen Straftatbestand
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der leichtfertigen Tötung zu schaffen, etwa als § 222 Absatz 2. Mir geht das zu weit. Gestützt auf meine Untersuchungsergebnisse kann ich aber dafür plädieren, den Kreis der Todeserfolgsqualifikationen dort, wo es sinnvoll ist, zu erweitern, etwa im Bereich der Straßenverkehrsdelikte
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und so dann auch die Todeserfolgsqualifikationen durchgehend, also die bestehenden und noch zu schaffenden mit dem Leichtfertigkeitserfordernis auszustatten. Den Gedanken reiße ich hier nur an und schreite voran, schildere nämlich die Rechtsprechung zum Leichtfertigkeitserfordernis in anderen Strafnormen. Hier finden Sie sie aufgelistet.
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Ertragreiche Entscheidungen habe ich wiederum nur zu den fettgedruckten Strafnormen gefunden. Es wird also jetzt gehen, um das leichtfertige Gefährden der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland mittels Abbildens militärischer Anlagen um die leichtfertige falsche Verdächtigung, die leichtfertige Geldwäsche, den leichtfertigen Subventionsbetrug,
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die leichtfertige Vollstreckung gegen Unschuldige, das leichtfertige Nichtbefolgen eines Befehls mit schwerer Folge nach § 21 Wehrstrafgesetz, sowie um die leichtfertige Steuerhinterziehung nach § 402 Abgabenordnung, alte Fassung beziehungsweise den heutigen § 378. Es ist nachvollziehbar,
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dass Arbeiten, die die Rechtsprechung zur Leichtfertigkeit analysieren, sich zumeist nur auf eine bestimmte Strafnorm allein beziehen oder aber die verschiedenen Normen nacheinander untersuchen. Ich meine, man erhält allgemeinere und interessante Erkenntnisse zur Interpretationspraxis, wenn, das sehe ich als wichtige Weichenstellung meiner Untersuchung an,
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wenn man die Entscheidungen nach einem anderen Kriterium gruppiert. Leichtfertigkeit stellt sich praktisch als leichtfertiges Irren dar. Man kann demnach Fallgruppen je nach Irrtumstypus bilden. Als erste Gruppe wähle ich den Irrtum über ein rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal,
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den die Rechtsprechung bekanntlich, obwohl er ein Rechtsirrtum ist, unter § 16 Absatz 1 Strafgesetzbuch subsummiert. Wann beruht er auf Leichtfertigkeit? Rechtsprechung ist insofern vor allem präsent zur leichtfertigen Steuerverkürzung. Diese war von 1956 bis 68 ein Straftatbestand.
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Seit 68 ist sie nur noch ein Ordnungswidrigkeitentatbestand, heute geregelt in 378 Abgabenordnung. Für die Frage, was Leichtfertigkeit ist, ändert die Einordnung als bloge Ordnungswidrigkeit nichts, sodass ich also auch die neueren Entscheidungen hier mit in die Untersuchung einbezogen habe.
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Die Rechtsprechung lässt folgende Linie erkennen. Leichtfertig handelt, wer sich über die Rechtslage irrt, obwohl sie den Kernbereich seiner beruflichen Tätigkeit betrifft und obwohl er den Irrtum ohne größere Schwierigkeiten, nämlich durch Erkundigung, hätte beseitigen können. Das galt beispielsweise für den Vorunternehmer,
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der sich darüber irrte, dass die Steigerung der Mineralölsteuer auch den Verkauf des zuvor erworbenen Vorrats betraf. Das galt für den Exportunternehmer, der bei der Rückkehr aus dem Ausland die Frage des Zollbeamten, ob er etwas zu verzollen habe, verneinte, obwohl er einen Tippich zurückführte, den er im Ausland hatte reparieren lassen usw.
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Nicht leichtfertig irrte sich nach dieser Linie dem gegenüber ein Steuerpflichtiger, der außerhalb des Kernbereichs seiner Berufstätigkeit und in einer komplizierteren Konstellation die Abzugsfähigkeit einer Parteispende annahm.
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Eine Entscheidung zum leichtfertigen Irrtum über ein rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal betrifft den leichtfertigen Subventionsbetrug, § 264 Absatz 4 Strafgesetzbuch. Diese Vorschrift wurde 1976 erlassen und normierte erstmals im Strafgesetzbuch eine Strafe für die nur leichtfertige Vermögensschädigung.
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In dem 2012 entschiedenen Fall hatte die Neugestaltung des zivilrechtlichen Vertrags zur Weiterführung desselben wirtschaftlichen Projekts die Subventionsfähigkeit beseitigt, dass dies der Täter, er war in juristischer Laie, dass dies der Täter nicht erkannte, war, so der BGH, kein auf Leichtfertigkeit beruhender Irrtum.
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Als Zwischenfazit halte ich fest, für die Abgrenzung des leichtfertigen vom nur einfach fahrlässigen Irrtum über ein rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal hat die Rechtsprechung in immerhin zehn substanziellen Entscheidungen eine meiner Meinung nach klare und sachangemessene Linie entwickelt, in dem sie danach differenziert,
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ob der Irrtum sich auf den Kernbereich der beruflichen Tätigkeit bezieht und ob er leicht vermeidbar war. Gegen die praktische Handhabbarkeit des Begriffs habe ich keine Anhaltspunkte gefunden. Ich wende mich dem Tatumstandsirrtum zu, also sozusagen dem Prototyp des Irrtums nach § 16 Absatz 1.
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Wann beruht dieser auf Leichtfertigkeit? Historisch tritt hier zuerst die Rechtsprechung zu § 164 Absatz 5 StGB alte Fassung in Erscheinung. Das war also die Vorschrift, die von 1933 bis 1969 die leichtfertige falsche Verdächtigung bestrafte. Dazu möchte ich nur festhalten,
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die Rechtsprechung stützt die Verneinung der Leichtfertigkeit mehrfach darauf, dass von einem Privatmann nicht verlangt werden könne, selbst ein Ermittlungsverfahren durchzuführen, bevor er einen anderen verdächtigt. Dass der Irrtum berufsbezogen sein muss, um als auf Leichtfertigkeit beruht, beurteilt zu werden,
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findet sich hier also wieder. Wer als Chemiker einer zeutechnischen Prüf- und Lehranstalt eine Ware mit unzulänglichen Methoden prüft und daher falsche subventionsrelevante Ergebnisse erhält, begeht demnach einen leichtfertigen Subventionsbetrug. Wer als Steuerfachgehilfe
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aufgrund eines groben Buchumsfehlers das zu versteuernde Einkommen um 120.000 DM zu niedrig angibt, begeht eine leichtfertige Steuerverkürzung. Nicht leichtfertig, sondern nur fahrlässig verwirklichte eine Rechtspflegerin eine Vollstreckung gegen Unschuldige nach § 345 Strafgesetzbuch im folgenden Fall. Ja, es geht ja nicht um ein Rechtsprechungsreferat,
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sondern ich bin eben der Überzeugung, dass man den Einzelfall anschauen muss, um ein klares Bild zu gewinnen. Ich könnte Ihnen auch sozusagen jeweils die Definition referieren, die in den einzelnen Entscheidungen drinsteht, das ist aber vollkommen Nichtsagen. Also deswegen sehen Sie es mir nach, wenn ich sozusagen so viele Fälle hier vorstelle. Also § 345 Strafgesetzbuch.
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Ein Straftäter war zu einer Gefängnisstrafe und anschließend in Unterbringung in einer Trinker Heilanstalt verurteilt worden. Nach Teilverbüßung der Gefängnisstrafe war die Vollstreckung ausgesetzt worden. Später wurde die Aussetzung widerrufen, aber nur bezüglich der Gefängnisstrafe, nicht bezüglich der Unterbringung, was die Rechtspflegerin übersah.
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Letzteres sei, so das Gericht, ein psychologisch verständlicher Fehler gewesen und deswegen nicht leichtfertig. Ich komme zu § 21 Wehrstrafgesetz, der leichtfertigen Nichtbefolgung eines Befehls. Die Entscheidungen stützen das positive Leichtfertigkeitsurteil darauf,
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dass die gegebenen Befehle zum Kern der beruflichen Tätigkeit der Soldaten gehörten und ihr Inhalt leicht zu begreifen war. Der Soldat sollte keine Fundmunition aufheben, der Soldat sollte die Regimentskasse richtig abschließen und nicht im offenen Besensteig stehen lassen. Verleint hat der BGH 1965 die Leichtfertigkeit in folgendem Fall.
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Ein Soldat war für die Sicherheit einer Wehrübung zuständig, obwohl sehr gewissenhaft, machte er wegen einer gewissen Betriebsblindheit, so steht es also drin, und weil für ihn aufgrund seiner Ausbildung die Sicherheit hinter technischen Fragen zurück trat, einen Fehler. Und dieser Fehler führte dann dazu,
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dass tödliche Schüsse in Richtung Zuschauertribüne abgegeben wurden. Der Täter wurde bestraft wegen fahrlässiger Tötung, aber nicht wegen leichtfertiger Befehlsbesachtung. Wer hingegen, ich komme zu § 109 G Absatz 4 Strafgesetzbuch, wer hingegen als wehrdienstleistender Hobbyfotograf geheime Aufnahmen macht
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und die Fotos im weiteren Freundeskreis verbreitet, der gefährdet leichtfertig die Sicherheit der Bundesrepublik, wenn er sich dabei nichts gedacht hat. Auch in diesen 16 Entscheidungen ist maßgebend, so fasse ich zusammen, ob der Irrtum den Kernbereich der beruflichen Tätigkeit, also zentrale berufliche Pflichten betraf
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und ob er leicht zu vermeiden war. Unsicherheiten bei der Anwendung der Kriterien konnte ich nicht erkennen und mir scheinen die Kriterien auch plausibel. Der Durchgang durch die Rechtsprechung zur Leichtfertigkeit ist damit noch nicht zu Ende. Meine Gruppierung der Entscheidungen nicht, wie es sonst geschieht, nach dem jeweils betroffenen Leichtfertigkeitstatbestand,
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sondern nach Irrtumstypus ermöglicht jetzt eine weitere Differenzierung. Zu referieren ist eine Sonderkonstellation des Tatumstandsirrtums, in der nämlich dieser Irrtum darauf beruht, dass sich der Irrende auf die Angaben eines anderen verlassen hat. Die Rechtsprechung operiert hier nach folgenden Maßgaben.
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Grundsätzlich darf man sich, das entspricht sozusagen dem Vertrauensgrundsatz, grundsätzlich darf man sich darauf verlassen, dass der andere sich rechtskonform verhält. Das gilt aber nicht bei gegenläufigen Anhaltspunkten. Wenn diese Anhaltspunkte besonders deutlich sind, kann deren Missachtung leichtfertig sein.
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Das hat die Rechtsprechung insbesondere in sechs Entscheidungen für die leichtfertige Geldwäsche nach 261 Absatz 5 StGB konkretisiert. Exemplarisch zitiere ich aus einer BGH-Entscheidung von 1997 Zitat. Bezugspunkte der Leichtfertigkeitsfeststellung waren die Art der Geldtransporter über mehrere Landesgrenzen,
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die beträchtliche Menge des jeweiligen Bargeld sowie der Umfang der Provisions- und Kurierlohnzahlungen. Denn all diese Umstände ließen auf die Herkunft des Geldes aus internationalem Drogenhandel schließen. Und das ist ja eine taugliche Basistat für die Geldwäsche. Dass leichtfertige Geldwäsche automatisch angenommen wird,
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wenn der Vorsatz nicht nachzuweisen ist, ist eine Befürchtung, die in der Literatur häufig geäußert wird, für die ich aber jedenfalls keine Stütze gefunden habe. Selbst wenn der Gesetzgeber das sich so vorgestellt hat. Es liegt also insofern kein Etikettenschwindel vor, sondern ganz im Gegenteil treiben die Gerichte erheblichen Aufwand,
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um die Leichtfertigkeit hier positiv darzulegen. Nicht bestätigt findet sich übrigens auch die Befürchtung, dass Bankangestellte unter den Generalverdacht der leichtfertigen Geldwäschebeihilfe geraten könnten. Es gibt keine veröffentlichten Entscheidungen hierzu, die über die Standardliteratur aufzufinden wären.
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Die festgestellte Linie liegt auch den sieben hier anzuführenden Entscheidungen zur leichtfertigen Steuerverkürzung zugrunde. Wobei die Rechtsprechung weiter präzisiert. Leichtfertiges Verhalten begründet den Leichtfertigkeitsvorwurf nur dann, wenn die zumutbare Nachprüfung Klärung gebracht hätte. Wenn also, so kann man sagen, der Pflichtfähigkeitszusammenhang besteht.
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Das bedeutet z.B. in der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts von 1977, wenn der Steuerpflichtige einen externen Wirtschaftsprüfer seine Steuererklärung vorbereiten lässt und dieser, da er eine verdeckte Gewinnausschüttung übersieht,
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das zu versteuernde Einkommen mit 130.000 DM anstatt mit 145.000 DM angibt, dann begeht der Steuerpflichtige eine fahrlässige, aber nicht leichtfertige Steuerhinterziehung, wenn er die Erklärung ungelesen unterschreibt und abschickt. Zwar ist Letzteres leichtfertig, also einfach die Sache ungelesen zu unterschreiben,
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aber bei den ihm zumutbaren Durchlesen der Erklärung hätte der Steuerpflichtige mutmaßlich den Fehler nicht bemerkt, weil die Differenz 130.000, 145.000 relativ nicht ins Auge sprang. Zwar hätte der Steuerpflichtige die gesamte Vorarbeit des Wirtschaftsprüfers im Detail prüfen können,
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und dann wäre ihm der Fehler aufgefallen, aber das war ihm nicht zumutbar. So, und man kann jetzt, was den auf den Angaben eines anderen beruhenden leichtfertigen Tatumstandsirrtungen betrifft, noch eine weitere Untergruppe ausmachen. Besonderes gilt nämlich, nach der Rechtsprechung,
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aufgefunden habe ich immerhin 11 instruktive Entscheidungen, wenn derjenige, auf den sich der Täter verlässt, eine weisungsgebundene Person in untergeordnetem Verhältnis ist, delegiert jemand mit anderen Worten bestimmte Verpflichtungen, so darf er sich grundsätzlich nicht darauf verlassen,
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dass der andere richtig handeln wird, sondern er muss dies kontrollieren. Wer beispielsweise in seinem Betrieb unerfahrene Personen anweist, Vorarbeiten zur eigenen Steuererklärung zu leisten und diese nicht auf Richtigkeit hin prüft, zieht sich den Vorwurf der Leichtfertigkeit zu. Letzterer bildet, so ergibt die Rechtsprechungsdurchsicht,
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insbesondere bezogen auf die Steuerhinterziehung, Steuerverkürzung, ein adäquates Instrument, diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die sich durch Delegation dem Vorsatzvorwurf entziehen. Aus Zeitgründen belege ich das nicht im Einzelnen, sondern komme bereits zu meinen Schlüssthesen.
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Die Rechtsprechung zur Leichtfertigkeit seit 86 Jahren ist hier repräsentiert durch immerhin im Ganzen 76 aussagekräftige Entscheidungen. Danach bestimmt die Rechtsprechung, was Leichtfertigkeit objektiv ist, indem sie dem tradierten Fahrlässigkeitskonzept folgt. Wenn also objektive Fahrlässigkeit
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aus den Elementen der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung und der objektiven Vorhäsebarkeit des Erfolgs besteht, so erfordert objektive Leichtfertigkeit, also objektive grobe Fahrlässigkeit, dass eines der beiden Fahrlässigkeitselemente in besonderem Maße gesteigert ist, dass also der Täter entweder eine besonders wichtige Pflicht verletzt
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oder eine Pflicht in besonders schwerem Maß verletzt oder womöglich auch mehrere Pflichten verletzt oder dass die Vorhäsebarkeit des Erfolgs besonders groß war, dass sich also die Möglichkeit des Erfolgseintritts objektiv besonders aufträumte. Die definitorische Arbeit der Rechtsprechung hört an diesem Punkt auf.
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Analysen, die dies kritisieren und hier stehen bleiben, greifen aber zu kurz, denn die Rechtsprechung konkretisiert die Definition in eindrücklicher Weise, meine ich, für die verschiedenen praktisch relevanten Fallgruppen. Besonders gewalttätige Räuber begehen grobe Pflichtverletzungen und setzen die besonders leicht erkennbare Todesgefahr.
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Hingegen ist es zwar grob pflichtwidrig, einem anderen lebensgefährliche Drogen zu überlassen, aber daraus resultiert nur dann der Leichtfertigkeitsvorwurf mit Blick auf den Drogentod, wenn die mit kausalen Erfolgsfaktoren nicht nur erkennbar waren, sondern sich geradezu auftränken. Irrtümer über rechtsnormative Tatbestandsmerkmale beruhen auf Leichtfertigkeit, wenn die Rechtslage
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den Kernbereich der Berufstätigkeit des Täters betrifft, dann ist die Pflichtverletzung besonders massiv oder wenn der Irrtum besonders ins Auge fällt, besonders leicht vermeidbar war. Dasselbe gilt für gewöhnliche Tatumstandsirrtümer, wenn sich als Sonderkonstellation der Täter auf die Aussagen eines anderen verlässt, so muss es sich ihm, will man ihm Leichtfertigkeit vorwerfen,
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besonders aufgedrängt haben, dass diese Aussagen falsch sind und müsste er bei hypothetischer zumutbarer Ausübung der Sorgfaltspflicht den Irrtum mutmaßlich vermieden haben. Besonderes gilt bei einer Delegation, wenn sich also der Täter auf Aussagen von Weisungsgebundenen verlässt.
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Nach diesen Befunden, das möchte ich zuerst herausstreichen, befasst sich die Rechtsprechung mit Fragestellungen, die zum Teil als solche in der Wissenschaft nicht oder kaum reflektiert werden. Und umgekehrt nimmt die Wissenschaft für bestimmte Fragen eine praktische Relevanz an, die sich nicht belegen lässt. Das ist ein erster und, wie ich meine,
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schon für sich lohnender Ertrag einer induktiven Untersuchung. Der zweite Ertrag ist, sowohl das methodische Vorgehen als auch die inhaltlichen Linien, die die Rechtsprechung zieht, ergeben, das ist meine Meinung, ein klares und feindifferenziertes Bild, auch wenn man der Auffassung ist, dass die Linien hier oder da anders gezogen werden sollten.
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So ist doch jedenfalls die Behauptung widerlegt, die Rechtsprechung sei mit dem Begriff leichtfertig überfordert. Auf einem anderen Blatt steht, ob man die Entscheidungen des Gesetzgebers, das Leichtfertigkeitsverfordernis zu implementieren, nicht aus anderen Gründen für rechtspolitisch verfehlt halten muss. Diese Diskussion gestaltet sich jeweils unterschiedlich
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je nach Delikt beziehungsweise Deliktsgruppe Bezogen auf die Todeserfolgsqualifikationen will ich, das habe ich ausgeführt, dieser Kritik nicht folgen. Noch wichtiger dürfte die Frage aber sein, denn hier besteht wohl das größte legislative Ausdehnungspotenzial bezogen auf die leichtfertige Vermögensschädigung.
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Meine Meinung ist, nur die vorsätzliche Vermögensschädigung sollte strafbar sein, die leichtfertige allenfalls ordnungswidrig. Ich folge also der Kritik, die bereits bei der Normierung des leichtfertigen Subventionsbetrugs in den 1970er-Jahren und dann bei der Normierung der leichtfertigen Geldwäsche geäußert worden und seither nicht verstummt ist.
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Es ist allgemeiner kein guter Weg, die Strafnormen fortschreitend zu vermehren und auszudehnen und zugleich das tradierte eng schuldgekoppelte Strafverständnis aufzuweichen. Dieser Weg hat in den letzten 40 Jahren nicht zuletzt das tradierte Strafprozessrecht zerrüttet. Akzeptiert man allerdings,
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dass die Weiterentwicklung des Strafrechts in diese Richtung allgemein und dem Wirtschafts- strafrecht nicht aufzuhalten ist, so ist die Leichtfertigkeit durchaus als Straftatbestandsmerkmal ein Instrument, das eine berechenbare und sachangemessene Handhabung seitens der Rechtsprechung verspricht. Sie ist insofern also eine zukunftsfähige Größe.
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Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.