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Von Tod und Geburt der Gegenwartsliteratur im Internet

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Formale Metadaten

Titel
Von Tod und Geburt der Gegenwartsliteratur im Internet
Serientitel
Anzahl der Teile
126
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Abstract
In Abgrenzung zur Untergang-des-Abendlands-Rhetorik, die die Debatte um die Gegenwartsliteratur im digitalen Zeitalter begleitet, möchte mein Vortrag das Internet als Geburtsstätte von Gegenwartsliteratur im eigentlichen Sinn profilieren: Online entsteht zeitgenössische Literatur, die das Jetzt nicht nur in Text bannt, sondern selbst dynamischer Teil der Gegenwart ist.
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MicrosoftInternetDigitalsignalComputeranimationVorlesung/Konferenz
InternetDatensichtgerätNetzadresseBesprechung/Interview
Notebook-ComputerWordPressDigitalsignalInternetDigitalisierungElektronisches BuchLESBesprechung/Interview
Kontakt <Reibung>Vorlesung/Konferenz
KerndarstellungBesprechung/Interview
InternetAgent <Informatik>GoogleDigitalsignalComputeranimationVorlesung/Konferenz
Agent <Informatik>FacebookGoogleGoogle
ComputermusikDigitalisierungKonstanteDigitalsignalBericht <Informatik>Besprechung/InterviewComputeranimation
Physikalische GrößeFaktorisierungp-BlockMengeBildschirmfensterGoogle BloggerWeb logComputeranimation
DigitalisierungLaderContent <Internet>AbstandParallelenLaderContent <Internet>BiproduktDatentypXML
Raum <Mathematik>p-BlockPerspektiveDienst <Informatik>Besprechung/Interview
Google BücherInformationWeb logDienst <Informatik>p-BlockComputeranimation
Agent <Informatik>HomepageTwitter <Softwareplattform>InformationHomepagep-BlockComputeranimation
p-BlockLESWeb logBesprechung/Interview
PotenzialfeldWeb logSystemidentifikationInternetHypercubep-BlockBiproduktComputeranimation
VERKAUF <Programm>Besprechung/Interview
DigitalsignalInternetUnternehmensmodellComputeranimationBesprechung/Interview
InternetUnternehmensmodellWeb logComputeranimation
InternetMomentenproblemComputeranimationVorlesung/Konferenz
Besprechung/Interview
Web logp-BlockComputeranimationVorlesung/Konferenz
Besprechung/Interview
InternetLebensdauerGoogleComputeranimationVorlesung/KonferenzBesprechung/Interview
MicrosoftComputeranimation
Transkript: Deutsch(automatisch erzeugt)
Ja, genau. Vielen Dank. Vielen Dank auch für euer Interesse an diesem vielleicht ein
bisschen abseitigen Thema, was aber nichts mit der Republika zu tun hat, sondern eben mit der Literaturwissenschaft, die eben gerade erst dabei ist, irgendwie das Digitale für sich zu entdecken. Noch ganz kurz, also ich werde so circa 20 Minuten, wenn ich nicht wesentlich schneller rede, weil ich so nervös bin, sprechen und hoffe, dass
wir mit dem Anschluss daran hier im Plenum irgendwie noch ins Gespräch kommen können oder dann aber auch zu zweit oder falls ihr schüchtern seid, hier ist auch meine E-Mail-Adresse. Genau. Ich stehe hier vorne und habe euch eine traurige Mitteilung zu machen. Der Roman ist tot. Vielleicht findet ihr das jetzt gar nicht so traurig, aber da wo ich herkomme aus der
Literaturwissenschaft, da findet man das sehr traurig, denn man ist sowieso beständig sehr besorgt, nicht gebraucht zu werden und wenn einem da auch noch der Hauptgegenstand unter den Händen weg stirbt sozusagen, dann findet man das gar nicht so witzig. Schuld, so sagen die berühmtesten Romanciers unserer Tage, klar das Internet. Der amerikanische
Bestseller-Autor Philip Roth macht die Allgegenwart des Bildschirms, die sich schon mit dem Fernseher angekündigt hat, sich jetzt aber im digitalen Zeitalter natürlich erst verwirklicht hat, für das Aussterben des Lesens und in der Folge auch des Romans verantwortlich. sagt Philip Roth und meint, dass das Lesen als Rezeptionshaltung ausstirbt und
insofern würde auch das E-Book nichts helfen, weil er eben der Ansicht ist, dass wir eben überhaupt in der Zukunft und auch jetzt schon gar nicht mehr uns hinsetzen, um zu lesen, egal worauf. Der digitale Totalverweigerer Jonathan Franzen hingegen glaubt, dass unter den Umständen einer digitalen
Gegenwart schlicht keine Romane und das heißt geschlossene Werke der Gegenwart Literatur mehr geschrieben werden können. sagt Franzen und hat konsequenterweise auch den Lahneingang seines uralt Laptops abgesägt. Anders als Roth argumentiert Franzen also eher von
der Produktionsseite her und vertritt die Ansicht, dass im Zeitalter der Digitalisierung schlicht nicht die nötige Konzentration aufzubringen ist, um Gegenwart Literatur oder Literatur überhaupt zu produzieren. Ja, dann ist das Romane Schreiben halt eine Krisenbranche und die Herren müssen sich nach einer anderen Beschäftigung umschauen.
Das meint ihr jetzt vielleicht davon abgesehen, dass diese beiden Exemplare sowieso ausgesorgt haben dürften. Ich denke, das Problem mit dem Tod des Romans ist, dass wir die Romane eigentlich bräuchten. Seit der Entstehung der Gattung im ausgehenden 18. Jahrhundert an der sogenannten Schwelle zur Moderne kommt Roman eine
wesentliche Funktion darin zu, Sinn aus der Gegenwart zu machen. Ihr Nutzen und ihre Aufgabe war es immer schon the way we live now. Das ist eben so ein programmatischer Ausspruch des Romanciers Anthony Trollope in einer Erzählung abzubilden und damit erst überhaupt sichtbar zu machen, was das eigentlich für eine Zeit ist, in der wir leben. Als Zone des Kontakts mit der Wirklichkeit, das ist ein
anderes Zitat von Michael Bakzin, ein anderer Literaturwissenschaftler, ist der Roman von Beginn an zentral für die Verständigung über Merkmale, Themen, Ereignisse unserer Gegenwart. Und ich weiß jetzt nicht genau, wer von euch vielleicht gestern den Talk von Friedemann Karik zu den Narrativen der Überwachung gehört hat.
Ah, nur eine, dann gehe ich da vielleicht noch mal ganz kurz drauf ein. Also Friedemann Karik hat dort die These aufgestellt, die ich sehr schlüssig finde, dass eben dieser ganze NSA Skandal und die permanente Überwachung genau deshalb keinen oder fast keinen Widerhall in der breiten Masse findet, weil es eben an Narrativen dieser Überwachung fehlt. Also es fehlt an Nachvollziehbarkeit dessen, was da passiert.
Und in diesem Sinne glaube ich eben, dass gerade der Roman oder die Gegenwart Literatur eben so ein Ort sein könnte, der das runtergebrochen vielleicht auf einzelne Schicksale, auf einzelne Protagonisten und auf einzelne Geschichten tatsächlich nachvollziehbar macht. Und Karik hat eben entsprechend für die Vergangenheit George Orwells 1984 oder Brave New World von Aldous Huxley
zitiert, allerdings als Filme, die solche Narrative bieten. Aber wir wissen natürlich alle, dass es eigentlich Romane waren. Genau, also nur um das kurz eben zu verorten. Die Rede vom Tod des Romans meint also nicht, dass es keine Romane mehr geben würde. Im Gegenteil sind es wohl so viele wie noch nie zuvor, sondern dass der zeitgenössische Roman an dem scheitert,
was ihn im Kern ausmacht, nämlich seine Gegenwertigkeit. Ich beziehe mich hier also nicht auf einen Romanbegriff, in dessen Zentrum Fiktionalität steht, sondern eine Nähe zum Jetzt, eben Gegenwertigkeit. Und so wird eben auch verständlich, warum der Tod des Romans als ein Aussterben oder Absterben der Gegenwart Literatur zu verstehen ist.
Und ganz im Ernst, das bestätigt doch eigentlich unsere Erfahrungen mit dem, was so zurzeit geschrieben wird. Viele Autoren umgehen das Problem mit der Gegenwertigkeit, indem sie sich in die Geschichte zurückziehen. Also wir haben einen unheimlichen Boom des historischen Romans seit einigen Jahren. Oder aber sie verlegen sich auf die Erzählung fantastischer Welten.
Oder und das ist so die Lieblingsdiagnose der deutschen Literaturkritik. Sie beschreiben private Miniaturen, die immer nur den eigenen Bauchnabel umkreisen und umgehen so das Problem. Die Beschreibung der digitalen Lebensrealität und der großen politischen und gesellschaftlichen Fragen, die aus ihr hervorgehen. Aber auch die Fragen danach, wie das Leben im Digitalen
und unsere Gewohnheiten, unser tägliches Leben verändert. Die werden von der Gegenwart Literatur konsequent ausgeklammert. Fairerweise muss man allerdings zugeben, dass dieses Schweigen eben immer noch besser ist als das, was dann dabei herauskommt, wenn das Digitale ganz explizit zum Thema von Roman gemacht wird.
Ich habe hier was mitgebracht. Der sogenannte Internet Roman, also wurde dann auch entsprechend entsprechend beworben als der Internet Roman ganz so, als gäbe es genau ein Internet und man könnte das dann eben auch einem Roman erschöpfend behandeln. Leider wird es eben oft unfreiwillig komisch und auch erschütternd unterkomplex, wenn sich die Literatur eben mit dem mit dem Digitalen beschäftigt.
Das ist tatsächlich leider so. Und das ist jetzt ein bisschen weit hergeholt möglicherweise. Aber mich erinnert das eben immer an diese komischen Ersatz-Google-Verrenkungen, die es im Tatort sonntaglich fast zu bestaunen gibt. Also hier Google ist jetzt hier also Agent X. Und also zu Recht finde ich, wird dann eben immer
sich auch darüber regelmäßig lustig gemacht. Eben diese Unterkomplexität als als wäre Google einfach nur irgendeine Firma, die man ganz schnell mal mit irgendwas anderem ersetzen könnte. Und es ging es dabei nicht um ganz zentrale Praktiken unserer Gegenwart. Also ich denke, es ist klar, so funktioniert das auf jeden Fall nicht.
So sehen sinnstiftende Narrative unserer Gegenwart nicht aus. Und insofern, wenn Literatur das in der Art und Weise betreibt, ja, dann muss sie halt sterben. Gegenwart Literatur im Zeitalter der Digitalisierung muss ein Verständnis davon haben, wie sehr das Digitale in unserer Gegenwart verwoben ist, wie wenig tatsächlich noch zwischen analog und digital zu unterscheiden ist und vor allem wie wenig
Sinn natürlich solche Unterscheidungen machen. Zugleich muss Gegenwart Literatur natürlich Geschichten erzählen, die wir gerne lesen möchten. Es ist also zugleich etwas uraltes, nämlich, wenn man so will, die anthropologische Konstante danach, dass wir gerne Geschichten hören und gerne Geschichten uns erzählen und eben etwas sehr Neues, nämlich, dass man in diesen Geschichten auf die Gegenwart und auf die Ereignisse
der unmittelbaren Gegenwart eingeht. Und diese beiden Sachen sollen sich eben in der Gegenwart Literatur verwirklichen. Wir brauchen also eine Gegenwart Literatur, die Literatur und Gegenwart, Tradition und Aktualität verbindet. Und dazu habe ich was vorbereitet. Das hier ist Sophie von La Roche.
Sie war die erste Berufsschriftstellerin Deutschlands und die Ex-Verloge von Christoph Martin Wieland. Das war so eine Oberwurst der deutschen Aufklärung. Außerdem war sie die Oma von Bettina von Arnim und Clemens von Brentano, was so zwei Oberwürste der deutschen Romantik waren. Also ihr seht, da ist ganz viel Literaturgeschichte vorhanden. Sie schrieb stets an der Grenze zwischen Autobiografie und Fiktion,
unter anderem die Geschichte des Fräuleins von Sternheim, was vielleicht dem einen oder anderen noch aus dem aus dem Deutschunterricht irgendwie ein Begriff ist und vor allem sehr viele Reisetagebücher. In ihrem Tagebuch einer Reise durch Holland und England aus dem Jahr 1788 schrieb sie. Ich lese es jetzt mal vor, weil es geht ja um Literatur.
Es ist beinahe unmöglich zu sagen, wie schön alles in London geordnet ist. Alle Gegenstände sind im Auge reizender vorgestellt als in Paris oder in irgendeiner anderen Stadt. Besonders bemerkten wir eine schlau erdachte Art, Zeuge für Frauenzimmerkleidung auszubieten. Es mögen Seidenzeuge, Spitze oder Musselins sein.
So hängen sie an den hohen, schönen Fenstern in Falten gebrochen, sodass man gleich bemerken kann, was für einen Anschein dieses oder jenes Zeug in den gewöhnlichen Falten der Frauenkleider machen wird. Unter den Musselins sind alle Farben gelegt und nach diesen wird so dann geurteilt, wie der Rock in Gesellschaft anderer Röcke schimmern kann.
Alles, alles Mögliche ist hinter großen Spiegelfenstern so nett, so glänzend und in solcher Menge zur Auswahl aufgestellt, dass man lüstern werden muss. Das ist Andrea Diener. Sie ist eine Bloggerin und schreibt den Blog Reisennotizen aus der Realität und auch den Fazblog Ding und Dinglichkeit.
Für mich ist Andrea Diener eine ziemlich große Nummer in der in der deutschen Blogger Szene. Schon leider deshalb, weil es sie immer noch gibt und sie immer noch bloggt. Also seit 2001 ungefähr. Auch Andrea Diener reiste nach London und schrieb darüber im Januar 2010. In einer kleinen Seitenstraße an der Sloan Street
kaufte ich ein paar Schuhe nach längerem Zögern doch nicht, was auch eine gute Entscheidung war. Denn gleich daneben ist der Laden von Celina Blow. Blow ist, wie ich hinterher erst herausfinde, die Schwägerin der verstorbenen großen Hutträgerin Isabella Blow. Was ich zuerst sehe, das sind die Stoffe. Richtiger, weicher und gleichzeitig robuster Tweet
und Samt und Brokat, aus denen einfache, aber wirkungsvolle Jacken und Mäntel geschneidert sind. Der Laden wirkt einfach und ein bisschen rümpelig. Im eher improvisierten Schaufenster liegen einige Bügel und Kleidersäcke mit undefinierbarem Inhalt herum. Auf einer Puppe hängt ein umwerfender Tweet-Mantel. In einem Regal stapeln sich indische, bestickte Schuhe.
Keine Preise, aber egal, ich muss hier rein sofort. Sie geht dann eben in diesen Laden und dort gibt es einen kleinen Hund und Tee für Sie. Und sie beschreibt dann diese Szene und schreibt dann weiter. Wenn man solche Läden findet, fällt alles danach nur noch ab.
All die Modeketten, deren Produkte jeder trägt, die vielen Tüten und Prader Louis Vuitton und Armani aufdruck, das reiche Fußvolk, das vorgibt, sich für Mode zu interessieren und dann doch nur kauft, was man ihm vorkaut, zum doppelten und dreifachen Preis eines guten Handwerksprodukts. Aber sie wollen es ja so. Sie wollen mit ihren Markentüten durch die Stadt laufen
und sich als Teil einer In-Group fühlen und am Handgelenk baumelt ein teurer Ledersack, der nicht älter sein darf als ein halbes Jahr. Und der Bügel der Sonnenbrille trägt eine goldene Aufschrift. Und sie kaufen in jeder Stadt das Gleiche, weil es in jeder Stadt die gleichen Läden gibt, in denen dieses Fußvolk bedient wird und sich aus unerfindlichen Gründen exklusiv vorkommt. Ich kriege ja in den Läden schon Ausschlag.
Dann lieber Tee mit kleinem Hund. Ich denke, die thematischen Parallelen dieser beiden Texte liegen eigentlich auf der Hand, auch wenn natürlich Frau von La Roche auf ein etwas anderes Shoppingerlebnis zu stehen scheint als Frau Diener. Beide beschreiben eine Alltagserfahrung mit kurzem zeitlichen Abstand.
Und beide sagen ich bzw. wir, denn sie haben auch immer so diverse Reisebegleiter. Beide beschreiben nicht nur, sondern ordnen das, was sie beschreiben, in ihre jeweilige Zeit ein. Frau von La Roche klärt ihre deutschen Leserinnen und Leser über die veränderte Konsumwelt in England auf, wo eben das Schaufenster bereits erfunden wurde. Das gab es damals in Deutschland noch nicht.
Frau Diener leitet aus ihrem Londoner Einkaufserlebnis eine allgemeine Reflexion über das Konsumverhalten der Gegenwart ab. Freilich, bei Sophie von La Roche handelt es sich anerkanntermaßen um Literatur. Ihre Schriften gelten als Wegbereiter des modernen Romans, weil sie im Zeichen der Empfindsamkeit erstmals ein Subjekt als Individuum präsentieren.
Anders als zuvor etwa, zum Beispiel im höfischen Roman im Mittelalter. Da gab es mehr so Stereotype, Geschichten und Charaktere, die eher zur Darstellung von tugenden Werten und Moral beitragen sollten. Und mit Sophie von La Roche ein individuelles und ein zeitgenössisches Schicksal aus der Perspektive einer Protagonistin zum Thema zu haben.
Mein Punkt oder der Punkt, den ich jetzt hier versuchen werde zu machen, ist, dass all das, was Sophie von La Roche zur Literatur macht, auch auf Andrea Diener zutrifft. Denn in ihrem Blogtext beschreibt eine Stimme aus dem Jetzt, was wir alle kennen, aber vielleicht doch nicht so zu sagen vermögen.
Erst in der Beschreibung des uns vertrauten Raums wird unsere Gegenwart für uns greifbar, fallen uns möglicherweise die immer gleichen Geschäfte auf, erinnern wir uns an besondere Einkaufserlebnisse, die wir auch gemacht haben und so weiter. Wir lesen Andrea Diener gerne, weil sie das uns Bekannte in einer stilistisch ansprechenden, prägnanten und spannenden Weise erzählt und uns so eine Geschichte unserer Gegenwart liefert.
Natürlich unterscheidet sich der Blog auch ganz deutlich vom Reisebericht aus dem 18. Jahrhundert. Der Text ist von Fotografien, denn Andrea Diener ist auch eine hervorragende Fotografin, der besuchten Orte durchsetzt. Es gibt Links, die zusätzliche Informationen zum Beispiel zur Biografie der genannten Isabella Blow bereithalten.
Und klar, Dieners Text ist nicht in einem Buch fixiert, das wir in 200 Jahren auf Google Books oder was auch immer danach kommt, finden können. Anders als Sophie von La Roche gedrucktes und gebundenes Reisetagebuch bleibt Andrea Dieners Blogtext gewissermaßen in Bewegung, weil beispielsweise die Leser des Blogs kommentieren, ihre Erfahrungen mit der Londoner Shoppingwelt teilen
oder die Wortwahl der Autorin kritisch hinterfragen oder Zusatzinformationen liefern. Ich habe hier ein paar Beispiele. Also hier oben beim ersten Kommentar zeigt sich ein Leser irritiert über die Wortwahl Shoppen. Dann eine zweite Kommentatorin bringt eben die Homepage des besuchten Ladens,
postet die Homepage des besuchten Ladens, wo man dann eben auch die Kollektion begutachten kann und auch das Kleid, was sich Andrea Diener dort gekauft hat. Es gibt also zusätzliche Informationen und schließlich meldet sich wieder Andrea Diener zu Wort, nochmal mit genauen Informationen zu dem Kleid, was sie gekauft hat und auch antwortet sie auf die Wortwahl.
Wir sehen also die Autorin Andrea Diener ist eine Zeitgenossin, die die Fragen und Anmerkungen der Kommentatoren beantwortet und die wir auch sonst auf Twitter oder sonst mit ihren beruflichen Aktivitäten verfolgen können. Die Blogautorin ist also wesentlich verfügbarer als Sophie von La Roche, der ihre Zeitgenossen zwar Briefe schreiben konnten und das sicher auch taten.
Allerdings änderten diese Briefe natürlich nichts mehr an der Gestalt des Textes und blieben auch für andere Leser für immer unter Verschluss. Anders als das Reisetagebuch von La Roche ist der Blog also eine ästhetische Praxis, die eine soziale Praxis, das Austausch zwischen Autorinnen und Lesern anschließt. Es geht mir darum, dass eben der ganze Blogpost,
also das heißt der Text, die Bilder, die Links, die Kommentare und alles, was sich daran anschließt, als Text einer Gegenwartstheoratur gesehen werden muss. Und deswegen ist der Blog niemals nur eingeschriebenes Produkt der Gegenwartstheoratur, sondern eben selbst Teil dieser Gegenwart, in der er Handlungen, Diskussionen und neue Texte anstößt, die wiederum dann seine Gestalt bestimmen.
Gegenwartstheoratur im Netz zeichnet sich also durch ein Höchstmaß an Gegenwertigkeit aus und verwirklicht diesen Ausspruch, den ich vorhin genannt hatte, the way we live now, tatsächlich als gemeinschaftliche Praxis. Also es geht tatsächlich um dieses we, was wir hier erstmals in dieser Form der Literatur sich einträgt. All das zeigt, oder ich hoffe, dass das alles zeigt,
dass im Blog die Gegenwartstheoratur alles andere als tot ist. Sie ist lebendiger, gegenwärtiger, beweglicher und näher an uns als hier zuvor. Es geht mir also in meinem Vortrag darum, euch und was allerdings viel schwieriger ist, den Literaturbetrieb und die Literaturwissenschaft für das literarische Potential des Internets im Allgemeinen
zu sensibilisieren. Blogs sind da möglicherweise nur der Anfang, aber ich habe es als Beispiel ausgewählt, weil man daran eben sehr gut sehen kann, wie es eben zugleich an Traditionen anschließt und aber eben auch etwas völlig Neues entsteht. Und ich glaube, genau dieser Punkt, was an Traditionen in der digitalen Literatur angeschlossen wird,
der war bisher immer noch zu kann, aber noch zu kurz, weil man sehr auf dieses Phänomen der Hyper Fiction zum Beispiel fokussiert war. Insofern, und jetzt komme ich zum Schluss, würde ich gerne Philip Roth und Jonathan Franzen antworten. Wir lesen vielleicht anders, aber wir lesen. Wir schreiben vielleicht anders, aber wir schreiben.
Das Lebe der Roman. Danke.
Wenn es jetzt Fragen gibt, dann bitte einmal einfach zu mir kommen und diese stellen. Ja, der Dr. Blum, mein Name, schönen guten Tag. Danke für den tollen Vortrag. Eine Frage, wovon lebt Andrea Diener? Wovon die lebt? Ja, denn um zu schreiben, also einen guten, ausgewogenen, überlegten, reflektierten Text, der gut formuliert ist,
mit dem man sich lange beschäftigt hat, der braucht ja eine gewisse Zeit zum Entstehen. Und die sogenannten alten Autoren oder analogen Autoren leben eben von den Honoraren, die ihnen durch Buchverkäufe zufließen. Und mehr oder weniger, also die beiden genannten hier,
die leben sehr gut davon, die Masse natürlich nicht. Aber sozusagen das Geschäftsmodell würde mich mal interessieren. Haben Sie darüber irgendwelche Forschung angestellt oder Ideen? Oder wie kann man sich das vorstellen? Also es ist natürlich eine Frage, mit der ich gerechnet habe, weil das natürlich auch ein Grund ist, warum der Literaturbetrieb das Digitale so weitgehend ignoriert, weil damit einfach irgendwie kein
oder noch kein Geld zu verdienen ist. Natürlich ging es mir in meinem Vortrag ganz dezidiert darum, erst mal überhaupt das Ganze, was im Internet passiert, inhaltlich zu mobilisieren, was ja eben auch immer mehr die Seite ist der Literaturwissenschaft, dass man erst mal das quasi als inhaltlich interessantes Phänomen wahrnimmt. Andrea Diener, also wissen Sie ja bestimmt, ist eben Journalistin
und bloggt für die FAZ und ist dort eben als Reisejournalistin auch tätig, was glaube ich nicht bedeutet, dass es nicht alles immer wieder auch total prekär ist. Also auch der Journalismus ist ja bei weitem nicht irgendwie so, dass man da sich keine Sorgen mehr machen muss. Ich habe keine Antwort auf die Frage, wie Geschäftsmodelle
sozusagen aussehen können. Also ich denke, es gibt eben immer wieder solche Fälle, wie zuletzt Wolfgang Herndorf, der ja auch einen Blog geschrieben hat, der im Internet verfügbar ist und trotzdem als Buch auch ein großer Erfolg geworden und ein Verkaufserfolg geworden ist. Aber tatsächlich ist es eine entscheidende Frage vielleicht sogar,
denn letztlich wird dann wahrscheinlich keine Literatur mehr geschehen, wenn eben, wenn keiner davon leben kann. Natürlich ist es auch interessant, man kann es auch immer wieder historisch beleuchten, denn auch dieser Beruf des Schriftstellers ist ja etwas, was erst eben historisch sich herausgebildet hat. Also noch zu Kafka's Zeiten war es völlig normal, dass der Schriftsteller sich halt nachts hingesetzt hat
und tagsüber eben der Juristerei nachgehen musste. Also das sind alles nicht unbedingt jetzt neue Phänomene. Aber ja, also ich wäre froh, wenn wir darüber dazu eine Antwort finden könnten. Hallo, ich wollte fragen, ob du denkst, dass Fan Fictions auch Teil der Gegenwartstliteratur sind?
Ja, also ja, also unbedingt. Ich habe auf jeden Fall sowieso erst mal einen sehr weiten Literaturbegriff und denke, dass eben genau dieser Punkt, den ich versucht habe, klarzumachen, dass uns das interessiert und dass wir das lesen wollen, auch wenn es vielleicht jetzt eben keine fantastischen Welten sind. Bei der Fan Fictions ist es dann eben oft oft so.
Aber wenn genau dieser schwer zu beschreiben oder schwer einzufangende Moment der Literatur passiert, dann glaube ich das absolut, dass da auch Literatur passieren kann. Genau, es sind noch weitere Fragen.
Hallo, Nico, mein Name. Eine Frage, wenn sich jetzt sozusagen durch das Medium Internet ein neuer Kanal eröffnet hat, um Literatur zu transportieren und im Zusammenstoß zwischen dem Literaturbegriff des Romans mit diesem Medium etwas Neues entsteht.
Brauchen wir dann einen neuen Begriff oder wird der Begriff Roman nur unscherfer? Also ich glaube, der Begriff Roman ist schon denkbar unscharf tatsächlich, weil es ja oft einfach auch so eine Genre Bezeichnung geben ist. Und oft ist es eben genau das, dass man mit Roman Fiktionalität verbindet, also dass man dann sagt, ok, das hat sich irgendwie jemand ausgedacht.
Und das ist ja gerade was, was ich versucht habe, mehr und mehr an den Rand zu drängen, weil das natürlich oft autobiografische Schriften sind, die eben in Blogs passieren, aber die auch ganz zentral an diesen an diesen Anfängen des Romans eben standen. Und insofern, ich weiß nicht genau, ob es sinnvoll ist, sich dem über den geschlossenen, also über eine Begriffsdefinition zu nähern und zu sagen,
ok, wir definieren hier was und dann fällt das und das darunter. Dazu scheint mir das alles tatsächlich viel zu viel in Bewegung zu sein. Aber natürlich ist es sinnvoll, über Definitionen und über Begriffe immer wieder nachzudenken, weil das ist ja letztlich das, was Wissenschaft dann irgendwie auch tun sollte.
Wenn du meintest, dass der klassische, der Internet Roman als in klassischer Form nicht funktioniert und schnell lächerlich wirkt. Kannst du das ein bisschen auswählen, was da die Gründe sind? Also gar nicht. Ich würde gar nicht sagen, dass was mich tatsächlich ärgert oder wo ich schlechte Erfahrungen mitgemacht habe, ist eben genau diese Anspruchsweise der Internet Roman,
also wo man daneben einfach quasi sich als Verlag oder als Literaturbetrieb auf die Schulter klopft und sagt OK, jetzt hat man das Thema auch abgehandelt. Jetzt haben wir irgendwie so einen Roman, der sich mit Google beschäftigt oder wie auch immer im Programm. Und damit können wir uns jetzt wieder was anderem zuzuwenden. Und das ist einfach der Punkt, den ich machen wollte, also dass das digitale oder eben unsere gar nicht das digitale,
unsere Realität, also eben wo analogisch und digital ist, die ganze Zeit sich vermischen und wo wir sehr, sehr viel Lebenszeit eben im digitalen verbringen, auch sich in die Literatur eintragen sollte und das eben nicht nur mit einem Roman abzuhandeln ist. Das ist gar nicht der Punkt. Also es geht gar nicht darum, dass ich glaube, dass das Internet Romane nicht funktionieren oder im Gegenteil.
Also ich würde mir wünschen, es gäbe mehr davon. Hast du denn irgendwas im Hinterkopf, wo du denkst, dass es mal funktioniert hat? Also tatsächlich als Roman, der jetzt irgendwie als Roman so rausgekommen ist und als erstes als Buch da war, wäre mir nichts bekannt. Aber es wäre natürlich spannend, wenn du eine Empfehlung hättest.
Also ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Sachen, die dann tatsächlich zuerst im Netz passiert sind, da wesentlich irgendwie aufschlussreicher waren und wesentlich näher dran waren für mich. Ja, gibt es noch weitere Fragen? Na gut, dann schließe ich den Talk.
Danke sehr.